Aufbau der afghanischen Streitkräfte: Was so schief lief (und läuft)
Vor einigen Tagen haben die afghanischen Streitkräfte ihre ersten US-Hubschrauber vom Typ Blackhawk erhalten. Fast 160 dieser Helikopter soll die Afghan Air Force in den kommenden Jahren bekommen – damit die Streitkräfte des Landes am Hindukusch langfristig selber in die Lage versetzt werden können, gegen Aufständische vorzugehen. Die gebrauchten, aber runderneuerten US-Hubschrauber sollen die Mi-17 aus russischer Produktion ersetzen, die nicht mehr ausreichend gewartet werden können – oder sollen?
Denn der Wechsel von robuster russischer zu amerikanischer Technik ist auch dem Willen des Geldgebers, nämlich des US-Kongresses geschuldet. Und da liegt eines der Probleme, die beim seit Jahren laufenden Aufbau afghanischer Streitkräfte durch die USA und die anderen westlichen Nationen in der NATO-geführten Resolute Support Mission liegen: Hochentwickelte westliche Waffen- und Computersysteme, dazu teilweise auch ohne eine ausreichende Ausbildung dafür, machen Afghanistan nicht nur dauerhaft abhängig, sondern kosten die Geberländer auch mehr als nötig.
Das ist eines der Ergebnisse, zu denen der Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR), eine Art Rechnungshof für das US-Engagement in Afghanistan unter der Leitung von John F. Sopko, in seinem am (heutigen) Donnerstag vorgestellten Bericht über den Aufbau der afghanischen Streitkräfte kommt. Und man muss wohl sagen: seinem ziemlich desilluisionierenden , wenn nicht vernichtenden Bericht.
Den kompletten Bericht gibt es hier:
(in der interaktiven Version; als schlichtes pdf-Dokument hier)
Einige der wesentlichen Schlussfolgerungen, die zwar vor allem die USA betreffen, in weiten Teilen aber ebenso für die NATO und ihre Mission am Hindukusch gelten:
• The United States failed to understand the complexities and scale of the mission required to stand up and mentor security forces in a country suffering from thirty years of war, misrule, corruption, and deep poverty.
• U.S. military plans for ANDSF [Afghanistan National Defence and Security Forces] readiness were created under politically constrained timelines, rather than based upon realistic assessments of Afghan readiness.
• The U.S. government lacks a deployable police-development capability for high-threat environments, so we have trained over 100,000 Afghan police using U.S. Army aviators, infantry officers, and civilian contractors. One U.S. officer watched TV shows like Cops and NCIS to learn what he should teach. In eastern Afghanistan, we met a U.S. Army helicopter pilot assigned to teach policing.
• The NATO training mission for the ANDSF was chronically understaffed by more than 50%.
• Insufficient attention to Afghan institutional capacity meant that the personnel, logistical, planning, administrative, and other functions vital to sustaining the fighting forces remained underdeveloped—as they do to this day.
(…)
• Developing foreign military and police capabilities is a whole-of-government mission. However, there is a large “hole” in U.S. government reconstruction activity.
• Security sector assistance training and advising is not currently career enhancing for military personnel. Therefore, experienced and capable military professionals often choose other assignments later in their careers, resulting in the continual deployment of new and inexperienced forces for security sector assistance missions.
The report finds:
• The lack of commonly understood interagency terms, concepts, and models for security sector assistance (SSA) undermined communication and coordination, damaged trust, intensified frictions, and contributed to gross under-resourcing of the U.S. effort to develop the ANDSF.
• Early U.S. partnerships with independent militias—intended to advance U.S. counterterrorism objectives—ultimately undermined the creation and role of the Afghan National Army (ANA) and Afghan National Police (ANP).
• Critical ANDSF capabilities, including aviation, intelligence, force management, and special forces, were not included in early U.S., Afghan, and NATO force-design plans.
• Individual donor nations’ limitations, rationales for joining the coalition, resource constraints and military capabilities, as well as NATO’s force generation processes, led to an increasingly complex implementation of programs and the lack of an agreed-upon framework for conducting SSA activities.
• The constant turnover of U.S. and NATO trainers impaired the training mission’s institutional memory and hindered the relationship building and effective monitoring and evaluation required in SSA missions.
(…)
• ANDSF monitoring and evaluation tools relied heavily on tangible outputs. This focus masked intangible factors, such as corruption and will to fight, which deeply affected security outcomes and failed to adequately factor in classified U.S. intelligence assessments.
• Because U.S. military plans were created with politically constrained timelines—and because these plans consistently underestimated the resilience of the Afghan insurgency and overestimated ANDSF capabilities—the ANDSF was ill prepared to deal with deteriorating security after the drawdown of U.S. combat forces.
Mit anderen Worten: Es wurde nicht nur sehr viel Geld ausgegeben, es wurde vor allem schlecht und teilweise unsinnig ausgegeben. (Die Bemerkungen des SIGAR zu dem Bericht zum Nachlesen hier.)
Und, wie gesagt: Die Bemerkungen zielen in erster Linie auf die US-Anstrengungen in Afghanistan, dürften aber in weiten Teilen auf die anderen am Hindukusch engagierten NATO-Mitglieder ebenso anwendbar sein. Auch auf Deutschland.
So hat der SIGAR auch seine Bemerkungen zum Aufbau der afghanischen Polizei, für den über Jahre Deutschland verantwortlich zeichnete:
While the Germans made progress in the five focus areas of their police support
project, most of Germany’s funding focused on building infrastructure, primarily
the Kabul Police Academy. The academy officially opened in August 2002 with
1,500 police recruits enrolled. Although it is possible a few hundred NCOs may have graduated near the end of 2003 and the beginning of 2004, based on the Germans’ three-year officer curriculum, the first trained police at the officer level would not have graduated until 2005. Taking into consideration the stated 62,000 force size goal, one expert noted that “the German approach would have taken decades.” This restricted effort left local security outside of Kabul largely under the control of untrained police officers affiliated with militias and predatory warlords.
Aber jetzt bekommen die Afghanen ja fast 160 Blackhawks.
(Foto: The first Afghan Air Force UH-60 helicopter is unloaded off a U.S. Air Force C-17 Globemaster III, Sept. 18, 2017, at Kandahar Air Field, Afghanistan – U.S. Air Force photo by Staff Sgt. Trevor T. McBride)
Treffende Beschreibung der deutschen Leistung beim Polizeiaufbau.
Unsere politischen, militärischen und diplomatischen Eliten belehren aber trotzdem gern weiterhin andere über vernetzte Sicherheit. Wir haben unsere militärischen und zivilen Defizite in Afghanistan jedoch weiterhin nicht ansatzweise so schonungslos aufbereitet. Und natürlich schon gar nicht so transparent und öffentlich.
Ja und die Afghanen haben dann bald doppelt so viele Trans porthubschrauber als wir.
Nach der Bundestagswahl werden auch wir uns früher oder später wieder intensiver in Afghanistan engagieren.
Ohne jede realistische Idee oder gar einem Plan wann das vorbei sein soll.
160 Blackhawks, da kann die BW nur vor Neid erblassen.
Der Wechsel von russischen zu US-Waffen soll die amerikanische Rüstungsindustrie fördern. Daß dort diese Waffen dann nicht ausreichend gewartet werden können oder zu komplex für AFG ist, spiet bei solchen politischen Entscheidungen keine Rolle.
Nur darf man sich dann nicht wundern, wenn man den Krieg nicht gewinnt gegen die Taliban.
Das Deutschland mehr in Gebäude investiert, als in Polizisten für die Fläche, kann hier nicht überraschen. Aber in Deutschland wurde es eben als Brunnenboren und Frauenbefreiung verkauft und jahrelang nicht als Krieg.
Interessant ist der SIGAR Punkt zu den „Milizen“ da ja gerade wieder neue „Milizen“ geplant werden:
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Early U.S. partnerships with independent militias—intended to advance U.S. counterterrorism objectives—ultimately undermined the creation and role of the Afghan National Army (ANA) and Afghan National Police (ANP).
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Empfehlung: AAN zu der anstehenden Wiederholung der „Afghan Local Police“ Misere:
More Militias? Part 1: Déjà vu double plus with the proposed ‘Afghan Territorial Army’
https://www.afghanistan-analysts.org/more-militias-part-1-deja-vu-double-plus-with-the-proposed-afghan-territorial-army/
@b:
Als ich diese Woche von der ALP 2.0-Idee las, konnte ich auch nur noch den Kopf schütteln.
Das Kernproblem bleibt die „stalemate machine“ :
http://tseanray.com/index.php/2017/05/10/afghanistan-the-stalemate-machine/
Sollte es nun wirklich zu einer Verschlechterung des Verhältnisses zum Iran kommen, wird auch dies die Lage weiter erschweren.
Wenn man nicht mehr wirklich weiß was man erreichen will und nicht die politische Kraft hat alles dafür zu tun, dann sollte man nicht die stalemate machine weiter antreiben.
Egal mit wievielen Beratern oder Hubschraubern.
Alldas ermöglicht keinen positiven Zweck.
Die Regierung bleibt korrupt und illegitim.
Der „Betrieb“ kostet zuviel Leben auf allen Seiten und vorallem zwischen den Konfliktparteien.
@Memoria
Vielleicht ist gar nicht das Ziel, eine optimale Situation für Afghanistan zu erreichen?
Vielleicht geht es ganz einfach um globale Dominanz?
1. Wirtschaftsförderung durch massive Waffenkäufe
2. Kontrolle der afgh. Regierung
3. Basen in Afghanistan für seine geostrategischen Absichten/Power Projection
4. Blockieren Chinas Ressourcenausbeutung
Andererseits gibt es nicht wirklich etwas zu holen, die Logistik ist erschreckend (>50 Flüge mit der C-17 für den Transport der Hubschrauber). Ganz kaltblütig betrachtet ist in Syrien (östlich des Euphrat) mehr zu holen; ein Ausrufen des Staates Kurdistan offenbar im Interesse der USA, auch hinsichtlich des Petro-Dollars.
Das ist Südvietnam bzw. die ARVN all over again. Reine Material- und Geldverschwendung. Oder ein kräftiges Investitionsprogramm für die US-Rüstungsindustrie, wie damals für Bell. Kommt wohl auf den Standpunkt an.
Nach einem Bericht der Military Times (https://www.militarytimes.com/news/pentagon-congress/2017/05/17/us-to-provide-afghanistan-with-up-to-159-black-hawks-to-help-break-stalemate/) gibt es im Zusammenhang mit den BlackHawks erhebliche Fragezeichen:
Die Lieferung der ersten vier UH-60 dient zunächst der Ausbildung.
Weitere Hubschrauber sollen nach 21 Monaten (!) geliefert werden.
Mit einer Jahresrate von 30 UH-60.
Es ist unklar wie die Ausbildung der Piloten und des technischen Personals erfolgen soll und vorallem wie Afghanistan sich die Flotte in der Nutzung leisten können soll.
Erinnert irgendwie an Vietnam 1972:
Viel Material, aber keinen Plan.
Das ist mal wieder eines von vielen Beispielen für einen Befund, den ich für sehr zentral halte wenn man über Interventionen und strategische Außenpolitik usw nachdenkt: Der Export von westlichen Institutionen, der Aufbau von staatlichen Fähigkeiten, um gar nich erst von Demokratieexport zu sprechen, scheitert nicht an der „Kultur“ der anderen, sondern daran, dass es mit unseren eigenen staatlichen Institutionen und Interessenstrukturen nicht funktioniert. Und wie wollte man sie ändern? Was ändert so ein Bericht? Warum sollten die US und andere Streitkräfte auf einmal ihre eigenen inneren Fehlanreize überwinden? Warum sollte sich Lobbyismus oder Denken in kurzen politischen Horizonten ändern? So lange es für unsere Institutionen keine Überlebensfrage ist, werden sie sich nicht ändern. Deshalb können wir keine Stabilität exportieren. Nur Krieg.
Mit „russische robuste Technik“ gegen „komplizierte westliche Technik“ wird man dem Problem nicht gerecht.
Die UH60-Reihe ist ebenfalls robust, eingespielt und relativ einfach – ist schliesslich ebenso wie die meisten russischen Modelle Technik aus den 1970ern.
Die Wartung unterscheidet sich kaum und spielt bei niedrigen afghanischen Löhnen ohnehin keine Rolle.
Einzig bei Ersatzteilen sehe ich Unterschiede – aber nicht unbedingt positive für die russischen Modelle da gerade Russland und Ukraine als Lieferanten problematisch sind, eine Versorgung aus dem Westen aber problemlos auf Jahrzehnte gesichert ist. Ob eine Schraube jetzt zehn Dollar oder 500 Rubel kostet, wen juckts, um so mehr wenn andere zahlen?
(Sind aktuelle Mi eigentlich immer noch solche Saufbrüder im Vergleich zu westlichen Modellen? Imho ist es nicht unerheblich ob man aus einem Tanklastwagen 10 oder 15 Stunden Flugzeit rausholt)
Operativ sind die Blackhawks auf jeden Fall besser: wendiger, leiser, kompaktere Silouette bei vergleichbaren Fähigkeiten.
In der Vergangenheit nutzen US-Kräfte dort teilweise lieber russische Mi-17 mit US-Registrierung als ihre eigenen Hubschrauber. Warum oder finde den Fehler.
Taliban schließen Krankenhäuser in zentraler AFG Provinz URUZGAN, ex NLD AOR bei ISAF, da eigene Verwundete nicht bevorzugt behandelt werden.
Link auf nur Niederländisch.
https://www.nrc.nl/nieuws/2017/09/24/taliban-sluiten-ziekenhuizen-in-uruzgan-a1574602
Die lokale Bevölkerung gewinnen Aufständische so nicht.
Wäre gute Gelegenheit der Zentralregierung sowie für RSM zu zeigen, wer tatsächlich etwas für das Volk tut.
@Wait&C
Der Teufel steckt im Detail und deshalb ist die Mi unschlagbar in der Zuverlässigkeit und Instandhaltung. Warum wohl wird sie von uns in AFG genutzt?
Der Grund warum die USA keine Mil-17 nach AFG liefert ist innenpolitisch begründet und ja nichts mit der Verfügbarkeit, Leistung und den Kosten zu tun.
aber wenn ich mich nicht irre ist die mi 8 immernnoch in produktion und es giebt sie in neu. für die ecke der welt doch eigendlich die günstigere variante. oder da hat wieder die Poltitik die Finger drin.
Mattis hat bei einer Anhörung im Kongress bestätigt, dass künftig die afghanische Armee wieder auf der taktischen Ebene im Gefecht beraten und unterstützt werden soll:
„The fighting will continue to be carried out by our Afghan partners, but our advisers will accompany tactical units to advise and bring NATO fire support to bear when needed.”
https://www.defensenews.com/pentagon/2017/10/03/the-pentagon-has-a-new-acronym-for-afghanistan-can-it-win-the-war/
Bin mal gespannt, wie glaubwürdig sich die neue Regierung hier raus halten kann.
Zumal die Kanzlerin erst heute wieder betonte, dass Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen soll.
Ob das auch für die afghanische Armee gilt?
Senator John McCain-GOP (Senate Armed Services Committee Chairman) nutzt Trumps Absichten in AFG und auch für den Irak zum Stop der Nominierung neuer Kandidaten (u.a. der nicht unwichtige Secretary of the Army) für das Pentagon.
https://www.defensenews.com/congress/2017/10/03/us-senate-wont-confirm-trumps-pentagon-nominees-until-mccain-gets-iraq-and-afghanistan-details/
Er erwartet zunächst Klarheit zu den Absichten hinsichtlich der weiteren Kriegführung, was auch eine Verzögerung der bereits ausgeplanten Entsendung zusätzlicher 3.000 Mann bedeutet. Die bloße Erhöhung der Truppenstärke komme keiner Strategie gleich, womit er – als erfahrener Ex-Kriegsteilnehmer bestens informiert – absolut Recht hat.
Der neuen (alten?) IBuK dürfte eine Verzögerung gerade zupass kommen, bleibt am Jamaika-Koalitionstisch doch eine Entscheidung auf Kontingenterhöhung zunächst erspart.
Offenbar übt die Trump-Administration Druck aus, um das Taliban-Büro in Qatar zu schliessen:
http://www.defenseone.com/ideas/2017/10/closing-talibans-office-qatar-would-be-historic-mistake/141477/?oref=d-river
Sollte es wirklich dazukommen, dann verbaut man sich gerade wirklich selbst ein schnelles Ende des Krieges.
Das ändern auch andere ROE nicht.