Die NATO an der Nahtstelle zwischen Griechen und Türken: „Nichts ist so einfach wie es scheint“
Einen Tag nach Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg dem Flaggschiff des NATO-Verbandes in der Ägäis, dem deutschen Einsatzgruppenversorger Bonn, einen Besuch abgestattet – ein Zeichen dafür, welche Bedeutung diese Operation innerhalb des Bündnisgebiets an der kritischen Grenze zwischen zwei Mitgliedsländern inzwischen in der Allianz hat.
Dabei hat diese Mission, die im Endeffekt den unkontrollierten Flüchtlingsstrom nach Griechenland und weiter nach Mitteleuropa stoppen soll, vergleichsweise wenig mit den eigentlichen Aufgaben der NATO zu tun – und die Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG2), der maritime Einsatzverband des Bündnisses, war ursprünglich an der Südostflanke des Bündnisses mit einem ganz anderen Auftrag unterwegs: Nicht zuletzt im Interesse der Türkei sollte sie militärische Präsenz demonstrieren, vor dem Hintergrund des Konflikts in Syrien und der russischen Präsenz dort, aber auch generell vor dem Hintergrund des russischen Verhaltens. Diese Aufgabe wird inzwischen im Wesentlichen von der kanadischen Fregatte Fredericton wahrgenommen, die das ursprüngliche Programm der SNMG2 fortführt und dafür auch im Schwarzen Meer unterwegs war.
Dem NATO-Generalsekretär waren folglich bei seinem Besuch an Bord der Bonn auch ganz andere Dinge wichtig:
The Secretary General thanked the crew for their important work and stressed that NATO’s deployment in the Aegean is making a difference in the international efforts to deal with the greatest refugee and migrant crisis facing Europe since World War Two.
Mr. Stoltenberg underscored that NATO ships were deployed to the Aegean within hours, following a joint request by Greece, Turkey and Germany. He noted that they are providing critical information on a daily basis to help Turkey, Greece and the EU’s border agency, Frontex, in cutting the lines of human trafficking and illegal migration in the Aegean.
The Secretary General outlined areas where NATO has made important progress since its Aegean deployment began in February. He highlighted that the information collected by NATO ships have enabled Greece, Turkey and Frontex to take more effective action to break the business model of human traffickers. He added that NATO is providing an additional platform for cooperation between Greece, Turkey and the European Union to deal with the refugee and migrant crisis.
Die NATO-Mission und ihr Kommandeur, der deutsche Flottillenadmiral Jörg Klein, navigieren dabei in dem politischen Minenfeld des anhaltenden Streits zwischen den NATO-Mitgliedern Griechenland und Türkei. Der führt nicht nur dazu, dass von griechischer Seite gelegentlich der mangelnde Nutzen der Mission beklagt wird, sondern auch zu schwierigen Verhandlungen mit beiden Ländern, die nicht unbedingt einen Aufpasser an ihren Grenzen wünschen. Als Folge der delikaten politischen Lage ist in dem vergleichsweise kleinen Seegebiet ein kampfstarker Kriegsschiffverband unterwegs, während in anderen Einsätzen regelmäßig weniger Schiffe von den Verbündeten zur Verfügung gestellt werden als geplant. Und ein bisschen ist das auch so, als würde der Kampfstern Galaktika eingesetzt, um in Berlin-Mitte die Parkraumbewirtschaftung zu überwachen.
Der politische Streit hemmt auch die Einsatzmöglichkeiten der NATO-Flottille. Die Hubschrauber des Verbandes dürfen bislang nicht in den festgelegten Überwachungsregionen eingesetzt werden – ganz davon abgesehen, dass zwei Hubschrauber an Bord einer türkischen Fregatte stationiert sind, was zu weiteren Problemen führt: Weil Griechenland als Luftkontrollzone um seine Inseln einen weiteren Radius zieht als von der Türkei anerkannt, fliegen bisweilen türkische Hubschrauber und Flugzeuge in einem Gebiet, in dem sie nach griechischer Ansicht nicht fliegen dürfen, was Athen als Luftraumverletzung beklagt. Und die Türkei sofort zurückweist.
Komplizierter, weil jeweils eine Einzelfallregelung, ist die Festlegung der Operationsgebiete in den engen Wasserstraßen zwischen dem türkischen Festland und den vorgelagerten griechischen Inseln. Bislang hat der NATO-Verband nur die Erlaubnis zur Seeraumüberwachung in einer so genannten Box zwischen der griechischen Insel Lesbos sowie der ebenfalls griechischen Insel Chios und der Türkei bekommen. Zwei weitere Boxen vor den griechischen Inseln Samos, Kos und Leros stehen noch aus. In diesen Fällen tut sich bislang offensichtlich die Türkei noch schwer, dem internationalen Verband die Überwachung zu gestatten.
Dabei mag eine Rolle spielen, dass die NATO-Schiffe ein Lagebild erstellen und dabei das aufnehmen, was im Militär-Sprech Pattern of Life heißt: Die Bewegungen von Fischerbooten, der übliche Schiffsverkehr, in der beginnenden Saison zunehmend Sportboote, alles haben die Kriegsschiffe auf ihrem Radarbild oder noch präziser auf den Bildschirmen ihrer elektro-optischen Aufklärungsgeräte. Wir wollen wissen, was in diesen Gebieten passiert, sagt Flottillenadmiral Klein. Mehr als diese Aufklärung, deren Ergebnisse sowohl an die NATO als auch an griechische und türkische Küstenwache sowie die europäische Grenzschutzagentur Frontex gehen, sei gar nicht geplant: Unser Auftrag ist es audrücklich nicht, dort einzugreifen.
Aber beobachten sollen die NATO-Streitkräfte. Rund 100 Boote, mit denen Flüchtlinge und/oder Migranten aus der Türkei nach Europa gelangen wollten, haben sie bislang entdeckt und ihren Ansprechpartnern gemeldet – immer exakt zeitgleich an die griechische und die türkische Seite. Dabei stellten sie auch sehr unterschiedliche Verhaltensmuster fest: Wenn die Menschen auf einem solchen Migrantenboot die NATO-Schiffe, die griechische Küstenwache oder Frontex-Boote erkennen würden, beeindrucke sie das wenig: Von der griechischen Küstenwache oder Frontex aufgegriffen zu werden, bedeute Aufnahme in Griechenland. Werde allerdings ein türkisches Küstenwachboot entdeckt, kann es sein, dass das Migrantenboot umdreht.
Auch wenn die NATO bislang nur im nördlichen Teil der Ostägäis tätig ist: Einen Verdrängungseffekt sieht der Kommandeur des Einsatzverbandes nicht. Die Zahlen seien bislang nicht im Süden gestiegen, weil und während sie im Norden zurückgingen, betont Klein.
Ein Einsatz weiter südlich, vor Samos und Kos, könnte allerdings auch dort einiges verändern. Denn vor Lesbos und Chios verwenden die Schleuser nach den NATO-Beobachtungen meist billige Schlauchboote, praktisch Einwegboote, deren Verlust schon einkalkuliert ist: Wir sehen ja, wie solche Boote an den Stränden vorbereitet werden, sagt Klein. Im Süden dagegen kommen – noch – teurere Boote zum Einsatz, die die Schlepper auch behalten wollen.
Ob der Rückgang der Zahlen der Menschen, die den Weg über die Ägäis nehmen, hauptsächlich an dem NATO-Verband liegt und an der effektiveren Koordinierung der verschiedenen Schiffe und Boote von verschiedenen Seiten – die Frage mag der deutsche Kommandeur allerdings nicht beantworten. Die Ursachen seien vielfältig, sagt Klein diplomatisch. Nichts in der Ägäis ist so einfach wie es scheint.
Nachtrag 22. April: Griechenland beschuldigt die Türkei, den Zugang der NATO-Schiffe zu allen geplanten Einsatzorten zu verzögern, wie Reuters berichtet:
Turkish demands are posing obstacles to a NATO mission in the Aegean sea aimed at countering criminal networks smuggling migrants and refugees into Europe, Greek Prime Minister Alexis Tsipras said on Friday.
Speaking after a meeting with NATO Secretary-General Jens Stoltenberg in Athens, Tsipras said obstacles included not having full operational access in the region. (…)
„Unfortunately it’s clear that the obstacles .. arise from Turkey’s unilateral demands and positions. Demands and positions which unfortunately are also expressed through a rise in activities which violate our airspace.“
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