NATO-AWACS als fliegende Gefechtsstände für den Anti-ISIS-Kampf? (Update: Bundesregierung)

20150513_NATO_AWACS_Konya

Es ist noch keinen Monat her, da gab es in Deutschland die innenpolitische Debatte über einen verstärkten Einsatz der NATO-Luftüberwachungsflugzeuge zum besseren Schutz des NATO-Mitglieds Türkei. Jetzt scheint der nächste Schritt zu folgen: Von den USA werde der Wunsch an die Allianz herangetragen, die AWACS-Maschinen als fliegende Gefechtsstände für den Kampf gegen die ISIS-Terrormilizen in Syrien und im Irak zu nutzen, berichtet die Deutsche Presse-Agentur:

Die USA wollen die NATO an der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligen. Die NATO-Zentrale in Brüssel bestätigte am Donnerstagabend den Eingang einer entsprechenden Anfrage.

Sie werde derzeit im Kreis der Bündnispartner diskutiert, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur.Den offiziellen Angaben zufolge geht es konkret um die Bereitstellung von Awacs-Flugzeugen des Bündnisses. Die mit Radar- und Kommunikationstechnik ausgestatteten Maschinen könnten nach dpa-Informationen als fliegende Gefechtsstände Luftangriffe auf Terroristen-Stellungen in Syrien und im Irak koordinieren.

Das politisch brisante daran ist, dass die US-geführte Operation Inherent Resolve ISIS zwar unter Beteiligung von NATO-Ländern läuft – aber eben keine NATO-Operation ist. Mit einer Bereitstellung ihrer Luftüberwachungsmaschinen für die Anti-ISIS-Koalition würde das Bündnis als solches Kriegsteilnehmer in dieser Auseinandersetzung. Das würde für Deutschland, das etwa ein Drittel der AWACS-Besatzungen stellt, unter anderem ein Mandat des Bundestages für diese Mission bedeuten.

Die entsprechende Anfrage war schon länger erwartet worden. Deshalb bin ich ein wenig überrascht: am Rande des Besuchs von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der Türkei habe ich im Umfeld der Ministerin konkret nach einem solchen möglichen AWACS-Einsatz gefragt. Und bekam die Antwort, dass davon nichts bekannt sei.

Update: In der Bundespressekonferenz hat das Auswärtige Amt bestätigt, dass es eine entsprechende Anfrage der USA an die NATO gibt. Das Thema habe zwar bereits beim Treffen der Außenminister des Bündnisses Anfang Dezember eine Rolle gespielt, es sei aber nicht zu einer Entscheidung gekommen. Danach hätten die USA die technische Anfrage gestellt, die jetzt von den NATO-Militärs geprüft werde. Bislang gebe es aber keinen Anlass, eine Entscheidung im NATO-Rat vorzubereiten, sagte AA-Sprecher Martin Schäfer.

Mit anderen Worten: Es scheint weiterhin keine große Neigung der anderen Bündnispartner zu geben, die NATO zum Beteiligten im Kampf gegen ISIS zu machen.

Die Ausführungen von Schäfer und BMVg-Sprecher Jens Flosdorff dazu im Wortlaut zum Nachhören:

BPK_AWACS_ISIS_22jan2016     

 

Die Abschrift des Audios:

Frage: Herr Schäfer oder Herr Flosdorff, es gibt ja den Bericht darüber, dass vonseiten der USA der Wunsch an die Nato herangetragen wurde, AWACS beziehungsweise AWACS-Erkenntnisse auch für den Kampf gegen ISIS in der Anti-ISIS-Koalition zu nutzen. Ist den beteiligten Ressorts dieser Wunsch bekannt? Wie sieht das weitere Vorgehen aus?

Schäfer: Der Wunsch der USA ist der Bundesregierung bekannt. Vielleicht erlauben Sie mir, dass ich nur in einigen Sätzen versuche, die Geschichte ein wenig in einen Kontext zu stellen: Auf dem Außenministertreffen der Nato – ich glaube, es war am 2. oder am 3. Dezember, jedenfalls Anfang Dezember des vergangenen Jahres – hat es unter den Außenministern eine engagierte Diskussion um die Frage gegeben, in welcher Weise sich die Nato an dem Kampf gegen ISIS beteiligen würde. Dabei ist insbesondere die Frage zur Sprache gekommen, ob nicht vielleicht auch die Nato als Institution Teil der Koalition gegen ISIS werden könnte, der ja, wie Sie wissen, inzwischen 65 Staaten angehören. Es gab da das ziemlich klare Meinungsbild, dass ganz viele Mitgliedstaaten – auch der deutsche Außenminister und damit Deutschland – ein gerütteltes Maß an Skepsis gegenüber diesem Anliegen geäußert hatten. Es ist in den Beratungen der Außenminister Anfang Dezember deutlich geworden, dass es jedenfalls in dieser Frage keinen Konsens gibt.

Richtig ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in den darauf folgenden Beratungen – nicht auf Ebene der Minister, sondern im Nato-Rat oder darunter angesiedelt – ein solches Anliegen an die Nato gerichtet haben. Es ist entschieden worden, dass dieses Ersuchen von der Nato geprüft wird. Wenn es geprüft wird, dann bedeutet das sozusagen, dass sich die militärischen Stäbe der Nato über die Machbarkeit, die Zweckmäßigkeit und die Frage der technisch-militärischen Umsetzung Gedanken machen. Dieser Prozess läuft derzeit. Er wird irgendwann an sein Ende kommen. Dann werden diese Ergebnisse im Zweifel im ständigen Nato-Rat vorgetragen werden, und dann wird es an den Mitgliedstaaten und damit auch an Deutschland sein, sich zu einem solchen Ersuchen zu positionieren.

Flosdorff: Dem kann ich nichts hinzufügen. Es gibt keinen militärischen Ratschlag dazu, und das stand, soweit ich weiß, auch bei dem jetzigen Treffen nicht auf der Agenda.

Frage: Herr Schäfer, können Sie noch einmal genauer erläutern, warum es diese Skepsis gab, ob das eine gute Idee ist? Halten Sie es für denkbar, dass das offensichtlich gegen den erklärten Willen der Außenminister doch kommen wird?

Schäfer: Es gibt eine Reihe von Gründen dafür. Zuerst einmal – ich will jetzt überhaupt nicht aus den vertraulichen Beratungen der Nato-Außenminister berichten, und das dürfte ich gar nicht, weil das natürlich alles vertrauliche Informationen sind, aber die Argumente liegen eigentlich auch alle offen auf dem Tisch – sind viele Mitgliedstaaten der Auffassung gewesen, dass es im Kampf gegen ISIS gar keinen technisch-militärischen Bedarf dafür gibt, dass auf gar keinen Fall der Eindruck in der muslimischen Welt entstehen dürfe, dass das eine Art Kampf des Westens oder christlich geprägter Nationen gegen Vertreter des Islam sein soll, und dass sich ansonsten eben auch die Frage stellt, welchen Sinn es ergibt, dass Institutionen wie die Nato oder andere in dieser Koalition mitwirken sollen oder eben nicht.

Die Debatten in der Folge sind überhaupt kein Widerspruch zu dem, was die Außenminister besprochen haben. Es hat ja überhaupt keine Entscheidung der Nato-Außenminister gegeben, sondern eine Diskussion, die ohne Entscheidung ausgegangen ist. Dass sich Dinge verändern können, dass sich die Lage vor Ort verändern kann, dass es vielleicht neue Erkenntnisse des einen oder anderen Bündnispartners in der Nato gibt, die es aus seiner Sicht erforderlich machen könnten, dass Nato-Hardware wie etwa AWACS-Luftaufklärungskapazitäten eben doch im Kampf gegen ISIS Einsatz finden können, ist überhaupt kein Widerspruch zu den Beratungen, die es im Dezember gegeben hat.

Ich denke, es gibt jetzt überhaupt keine Entscheidungen zu treffen. Es gibt auch überhaupt keinen Anlass, in dieser Phase der Prüfungen, wie sie derzeit innerhalb der Nato-Bürokratie laufen, Entscheidungen vorzubereiten. Wir warten jetzt in aller Ruhe ab, wie das technische und militärische Votum des Militärstabs der Nato aussehen wird. Dann wird für uns Gelegenheit sein, uns im Nato-Rat mit unseren Partnern dazu auszutauschen und dazu irgendwann auch Entscheidungen zu treffen. Ich denke, es gibt überhaupt keinen Grund, sich diesen Fragen nicht mit Gelassenheit zuzuwenden.

Zusatzfrage: Eine kurz Nachfrage an Herrn Flosdorff. Teilt das Verteidigungsministerium die Einschätzung, dass es keinen Bedarf für den Einsatz von AWACS-Fliegern in diesem Konflikt gibt? Nach den Argumenten, die Herr Schäfer genannt hat, wäre das ja die einzige Komponente, die sich geändert haben könnte. Denn das Argument, wir dürfen keinen Kampf „Westen gegen Islam“ aufmachen, steht ja wohl.

Flosdorff: Ich werde mit Ihnen nicht irgendwelche Argumente gewichten. Der Status ist, dass es jetzt in den militärischen Gremien der Nato beraten und bewertet wird. Eine Entscheidung ist nicht getroffen. Gerade hat ein Treffen der CHODs stattgefunden. Da stand es nicht auf der Agenda. Das ist jetzt kein virulentes Thema, wenn ich das gewichten darf. Das heißt, ich werde jetzt nicht mit Ihnen spekulieren und Argumente hin und her wägen, wenn der Prozess in der Nato andauert.

Frage: Herr Schäfer, nur zum Verständnis und zur Klarstellung: AWACS ist eine Nato-Mission. Der Krieg gegen ISIS ist keine Nato-Mission. Deshalb ist das Anliegen der Amerikaner bezüglich der AWACS in Sachen Anti-ISIS Unsinn. – Richtig?

Schäfer: Wollen Sie vielleicht antworten, Frau Wirtz? Nein, so ist es nicht. Sondern AWACS ist ein technisches Hilfsmittel, das sich in der Nato integriert, aber auch in den Händen von Mitgliedsstatten der Nato befindet, um ein sehr modernes, sehr umfassendes Luftlagebild erzeugen zu können. Dass AWACS dafür geeignet ist, steht völlig außer Zweifel. Ich denke sogar, dass in der derzeitigen Situation AWACS-Flugzeuge – nicht solche der Nato, sondern AWACS-Flugzeuge in den Händen von Mitgliedsstaaten der Nato – im Anti-ISIS-Kampf zum Einsatz kommen.

Wenn irgendwo und irgendwie, aus welchen Gründen auch immer die gemeinsame Einschätzung in der Anti-ISIS-Koalition dahin geht, dass es zusätzlicher Luftaufklärungskapazitäten bedarf – die Lage über Syrien ist schwierig, wie Sie wissen, und kann sich verändern -, dann wäre das auch für uns ein Grund, uns mit dieser Frage und der Anfrage von anderen Nato-Bündnispartnern intensiv zu beschäftigen. Wir gehen selbstverständlich grundsätzlich davon aus, dass die Partner von uns, die solche Wünsche äußern, gute Gründe dafür haben und uns diese Gründe darlegen. Dann ist es eine Frage der Diskussion und einer gemeinsamen Entscheidung, wohin man tendiert.

Ein letzter Satz. Wenn Luftaufklärungskapazitäten tatsächlich erforderlich sein sollten – wie gesagt, müssen wir jetzt erst einmal das militärische Votum der Experten der Nato abwarten -, dann gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie dem eventuellen Bedarf an diesen Luftaufklärungskapazitäten Genüge getan werden kann.

Frage: Herr Schäfer, eine Lernfrage zu Ihrer Formulierung: mit aller Gelassenheit die Prüfung abwarten. Sicherlich läuft auf deutscher Seite parallel die Prüfung, ob mit einem Einsatz von Nato-AWACS für die Anti-ISIS-Koalition die Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung – mit den entsprechenden Konsequenzen – zu erwarten ist, oder?

Schäfer: Ich hatte versucht, gewissermaßen zwischen den Zeilen, auch durch das Substantiv „Gelassenheit“ deutlich zu machen, dass es im jetzigen Stadium weder verfassungsrechtlich noch politisch irgendeinen Ansatz gibt, diese Frage mit irgendjemandem aufzunehmen.

In der Tat gehört es zu ordnungsgemäßem bürokratischen, politischen und Verwaltungshandeln der Bundesregierung, sich mit allen denkbaren Optionen zu beschäftigen. Aber wir sind so weit davon entfernt, an die Schwelle zu geraten, an der nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz oder anderer rechtlicher Vorgaben irgendetwas passieren müsste, dass es wirklich zu früh ist, etwas Konkretes zu tun. Es ist völlig selbstverständlich, dass auch der Bundestag über so etwas informiert wird, wenn dafür Anlass und daran Bedarf besteht. Das ist völlig selbstverständlich. Das hat diese Bundesregierung immer, überall und jederzeit getan.

Zusatzfrage: Sie wissen sehr genau, dass sich meine Frage nicht auf eine Information des Bundestages, sondern auf eine Mandatierung durch den Deutschen Bundestag richtete. Aber da Sie das jetzt nur auf eine Information an den Bundestag bezogen haben, muss ich natürlich die Frage stellen, ob Letzteres überlegt wird.

Schäfer: Es ist völlig klar, dass die Bundesregierung, wenn sie der Überzeugung wäre, in eine Entscheidungssituation zu geraten, in der die einschlägigen Normen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes in §§ 1 und 2 betroffen sein könnten – es ergo womöglich irgendwann in der Zukunft eines Mandates des Deutschen Bundestages bedürfen könnte -, nicht zögern wird, diese Kontakte mit dem Bundestag aufzunehmen.

Frage: Eine Lernfrage. Herr Schäfer, wann findet dieser Nato-Rat statt? Wird das militärische Votum für diesen Rat erwartet oder davor? Wie funktioniert das?

Zum Inhalt: Ist es üblich, dass ein Nato-Mitglied solch einen Wunsch äußert, obwohl noch keine Entscheidung getroffen ist?

Schäfer: Es muss ja ein Wunsch geäußert sein, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann. Ansonsten wäre es ja seltsam.

Und zu den Entscheidungsstrukturen: Die Nato ist jederzeit, 24 hours, jeden Tag, das ganze Jahr über entscheidungsfähig. Der Nato-Rat, vertreten etwa durch die Nato-Botschafter, die sogar in einem Gebäude in Brüssel zusammensitzen, kann jederzeit zusammentreten und jederzeit alle notwendigen Entscheidungen treffen. Aber wie gesagt, hier und heute gibt es gar keinen Grund, sich etwa heute Abend oder morgen früh zu treffen. Sondern es gibt genügend Zeit, sich darüber in Ruhe auszutauschen und entsprechende Entscheidungen vorzubereiten.

Zusatzfrage: Das heißt, es gibt kein Datum für diese Nato-Ratssitzung?

Schäfer: Ich bin mir über das Datum nicht ganz im Klaren, wann die militärischen Experten dem Nato-Rat ihre Optionen oder ihre Meinung vorlegen werden. Ich nehme an, das wird jetzt in den nächsten Tagen oder Wochen passieren. Ich denke, das nächste Zusammentreffen der Nato auf politischer Ebene ist das Treffen der Nato-Verteidigungsminister. Herr Flosdorff, hier ist mir aufgeschrieben worden: am 10. und 11. Februar. Ich halte es für möglich, aber will das überhaupt nicht ankündigen oder gar bestätigen, dass es auf dieser Sitzung zu einer Befassung der Verteidigungsminister kommen könnte.

Flosdorff: Das ist korrekt.

Frage: Herr Schäfer, eine Lernfrage. Mir als Verteidigungslaiin war, ehrlich gesagt, nicht klar, dass einzelne Nato-Staaten im Kampf gegen den IS schon AWACS-Flieger im Einsatz haben, wie Sie eben sagten. Deswegen ist mir jetzt noch unklarer, warum die USA das jetzt noch mit Nato-Bezug einfordern. Ich dachte gerade, es sei ein neues Instrument in dem viel beschworenen Instrumentenkoffer. Aber wenn es das eigentlich schon gibt, können Sie noch einmal erklären, mit welchen Argumenten die Amerikaner – –

Schäfer: Nein, ich denke, wir haben jetzt so viel darüber geredet. Wenn Sie diese Frage wirklich haben – ich kann verstehen, dass Sie sie haben -, dann stellen Sie sie doch bitte meinem amerikanischen Kollegen. Der kann Ihnen dann erklären, warum das geschehen ist. Ich habe jetzt wirklich ganz viel auch zu Motivationen und zu dem Ganzen erzählt. Ich denke, dass es nicht meine Aufgabe ist, Wünsche oder Vorstellungen anderer zu erläutern.

(Archivbild: AWACS-Flugzeuge der NATO auf der temporären Basis in Konya in der Türkei im Mai 2014 – NATO E-3A Component)