Der entfernte Krieg
Die – wie es ja medial vermittelt wird – Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen scheint Deutschland nichts anzugehen: An diesem Krieg, so die offizielle Regierungshaltung, sind wir nicht beteiligt.
Die bislang fast 150 Kommentare zu dem Eintrag über die deutsche Entscheidung zeigen allerdings, dass dieser Krieg auch ohne deutsche Beteiligung für Deutschland ein Thema ist. Also beobachten wir das mal weiter – und da gab es am Sonntagabend zwei wichtige Ereignisse:
Die NATO hat offensichtlich beschlossen, das Waffenembargo gegen Libyien durchzusetzen (da wäre dann die Frage: wenn diese Entscheidung fiel, kann sie nur mit allen Verbündeten gefallen sein, also auch mit Deutschland – und wird Deutschland sich daran beteiligen?). Auf eine Beteiligung der Allianz an der Durchsetzung der Flugverbotszone hat sich das Bündnis offensichtlich (noch?) nicht verständigt.
Und: Angeblich gab es Raketenangriffe auf die Gebäude des Regierungsbereichs von Muammar Gaddafi in Tripolis. Jedenfalls berichtete CNN in der Nacht live von beschädigten Gebäuden, deren Zustand auf den Angriff mit Marschflugkörpern hindeuten. Ob das stimmt, ist noch unklar – aber wenn es stimmt: ist das mehr als die Durchsetzung einer Flugverbotszone. (Obwohl auch gerüchteweise die Version kursiert, in diesem Compound habe es Radarstellungen gegeben… Dem widerspricht wieder die Angabe des US-Militärs, es habe keine Erkenntnisse über libysche Radaremissionen von Flugabwehrstellungen gegeben.)
Die Entwicklung der Ereignisse ist rasant. Und noch, siehe das erste erwähnte Ereignis, bin ich nicht sicher, dass Deutschland wirklich völlig außen vor ist.
Die folgende Quelle gilt eigentlich nicht als besonders seriös, aber diese ca. 40 Stunden alte Meldung nimmt das Ereignis vorweg:
„It was agreed that France, Britain, Norway, Qatar and Canada would take part in the offensive with 31 targets planned for first stage, 2 military airfields and Qaddafi’s palace in the second and Libyan forces in the third. “
http://www.debka.com/article/20784/
@Thomas Wiegold:
Der Text der Resolution umfasst eben nicht nur die Durchsetzung einer Flugverbotszone, sondern auch die, schoen schwammig ausgedrueckt, „protection of civilians under threat of attack“. Das kann alles moegliche implizieren, der einzige Stolperstein ist das Verbot von „Besatzungstruppen“. Ansonsten ist quasi alles erlaubt, was F, UK, USA fuer den echten Zweck – die Rebellen zu unterstuetzen – fuer noetig halten. Ein Blankoscheck fuer jegliche militaerische Operation aus der Luft und von See. Wo ist da also der Widerspruch?
Die Wahrnehmung dieser Operation in den Medien als (primaer) dem Zweck einer Flugverbotszone dienlich ist unglaublich irrefuehrend, obwohl Umfang und Implikationen doch schwarz auf weiss vom Resolutionspapier abzulesen sind. Von Gaddafis Fliegern ist kein einziger in der Luft, Panzer werden zerstoert, etc…da haette man schon viel eher Dinge komisch finden muessen. Nichts fuer ungut…
Effektiv gesehen ist der Teil der Resolution ueber die No-Fly Zone komplett irrelevant. Die jetzigen Operationen dienen doch eher dem Eigenschutz der westlichen Beteiligten (gibts schon einen „catchy term“ fuer die?), um die „Zivlisten“ (ie. Rebellen) zu schuetzen. Die Verwendung von Luftstreitkraeften durch Gaddafi kann man jedenfalls kaum als elementare Komponente seines Vorgehens ansehen, egal wie sehr das in den Medien (Hat Tip zu SpOn) propagiert wurde.
Zitat: „Die NATO hat offensichtlich beschlossen, das Waffenembargo gegen Libyien durchzusetzen (da wäre dann die Frage: wenn diese Entscheidung fiel, kann sie nur mit allen Verbündeten gefallen sein, also auch mit Deutschland – und wird Deutschland sich daran beteiligen?). “
Damit haben sich dann die geplanten US-Waffenlieferungen an die Aufständischen in Libyen wohl auch erledigt und die NATO wird notfalls mit Gewalt dafür sorgen, dass dies auch eingehalten wird. Oder? ;-) ;-)
MOSKAU, 17. März (RIA Novosti).
„Das russische Außenministerium hat in einer Stellungnahme zu Äußerungen von Vertretern der US-Administration, laut denen Waffenlieferungen an die libysche Opposition möglich seien, betont, dass dies von einer entsprechenden Resolution des UN-Sicherheitsrates verboten ist.“
@para | 21. März 2011 – 2:32
Sobald ein ausländischer Soldat libyschen Boden betritt, ist die Stelle wo er steht besetzt.
Die Sicherheitsratsmitglieder Indien, China und Russland sowie die Afrikanische Union und die Arabische Liga haben die „Koalition der Willigen“ scharf kritisiert, da die militärischen Handlungen weit über das Ziel hinaus gingen.
@Stefan
„Besatzung“ bezeichnet im Völkerrecht einen Zustand, in dem die Besatzungsmacht Regierungsfunktionen ausübt. Eine umfangreichere Präsenz von Kräften am Boden muss daher (wie in Afghanistan der Fall) völkerrechtlich nicht gleichbedeutend mit „Besatzung“ sein. Man könnte z.B. die Aufständischen als Regierung anerkennen und mit diesen ein Abkommen („Status of Forces Agreement“, „Military Technical Agreement“ etc.) abschließen, welches die Befugnisse der Interventionstruppe regelt. Das Ergebnis mag wie Besatzung aussehen, wäre es völkerrechtlich aber nicht. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist das Völkerrecht mit entsprechendem politischen Willen dehnbar genug, um fast jedes politische Ziel irgendwie zu ermöglichen.
Ich bin kein Jurist und möchte Nachfolgendes nicht beurteilen, aber vielleicht mal zu Diskussion stellen.
Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die Resolution des UN-Sicherheitsrates, die die Militäreinsätze gegen Libyen legitimiert, in Wirklichkeit nicht legitim sei, da der Sicherheitsrat nach der UN-Charta nur dann berechtigt ist Gewalt zu beschließen, wenn der Weltfrieden in Gefahr ist.
Das der Weltfrieden im Fall Libyen nicht in Gefahr ist bzw. war, ist so glaube ich, unstrittig. Aber zu dem Rest hätte ich gern mal einige plausible Meinungen gehört. Gibt es Ausnahmen?
@Orontes | 21. März 2011 – 3:06
Demnach waren die Russen in der DDR und die Westmächte in der BRD keine Besatzungsmächte, denn beide Staaten hatten ja eigene Regierungen, sogar eigene Streitkräfte, waren beide vollwertige UNO-Mitglieder und von allen Staaten international anerkannt. Man sprach aber immer von Besatzungstruppen.
@Stefan
„Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die Resolution des UN-Sicherheitsrates, die die Militäreinsätze gegen Libyen legitimiert, in Wirklichkeit nicht legitim sei, da der Sicherheitsrat nach der UN-Charta nur dann berechtigt ist Gewalt zu beschließen, wenn der Weltfrieden in Gefahr ist.“
Zwei Positionen dazu:
a) Es ist egal, ob die Resolution völkerrechtlich legitim ist oder nicht, da sich Politik faktisch immer nur durch Macht legitimiert bzw. Macht sich ihre formale Legitimation selbst schafft. Kosovo 1999 oder Irak 2003 waren völkerrechtlich möglicherweise auch nicht legitim, wurden aber nach geschaffenen Fakten aufgrund von Machtverhältnissen bzw. politischen Gründen von den VN nachträglich legitimiert.
b) Die völkerrechtliche Legitimation im Fall der aktuellen Resolution erfolgte über Art. 51 VN-Charta bzw. Berufung auf vorliegenden „threat to international peace and security“. Der Artikel spricht von „the authority and responsibility of the Security Council under the present Charter to take at any time such action as it deems necessary in order to maintain or restore international peace and security“, und was eine Bedrohung für „international peace and security“ darstellt, entscheidet der Sicherheitsrat. Die völkerrechtliche Legitimation hört sich für mich belastbar an.
Orontes | 21. März 2011 – 3:33
Danke! Aber bitte nicht soviel Englisch. Russisch wäre mir lieber. Am liebsten aber Deutsch. Meine Schulenglischkenntnisse liegen über 40 Jahre zurück.
@Stefan
Für Deutschland (BRD und DDR) wäre der Begriff „Besatzung“ völkerrechtlich nur bis 1955 zutreffend (in Berlin auch danach). Danach lag ein Zustand eingeschränkter Souveränität vor.
Eine besondere Situation galt für (bis zum Zeitpunkt der Anerkennung durch das wiedervereinigte Deutschland 1990) für den Osten Deutschlands (Ostpreussen, Schlesien, Pommern). Dieser war nicht besetzt (völkerrechtlich prinzipiell zulässig), sondern völkerrechtswidrig annektiert. Auch hier galt allerdings, dass Macht sich ihre Legitimation nachträglich immer selbst verschafft.
@Orontes | 21. März 2011 – 3:33
Nun, dann können wir das Völkerrecht ja in die Tonne kloppen. Uns das ganze Theater sparen. Was wollen wir dann im UN-Sicherheitrat. Mit einer BW Truppenstärke 5 Millionen Mann und entsprechende Militärtechnik hätten wir mehr Einfluß auf das Weltgeschehen.
@Stefan
„Nun, dann können wir das Völkerrecht ja in die Tonne kloppen.“
Das Völkerrecht hat durchaus seinen praktischen Nutzen. Man kann es z.B. gut für Ausbildungszwecke verwenden, u.a. in dem man im Rahmen von Übungen konkurrierende Gruppen mit der völkerrechtlichen Verteidigung oder Anfechtung bestimmter Vorgehensweisen beauftragt. Das schult u.a. Rhetorik und Argumentationsvermögen und schärft das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung von Interessen hinter jedem politischen Handeln sowie für die Oberflächlichkeit und Relativität moralischer Weltsichten.
@Orontes | 21. März 2011 – 4:18
;-)
@Stefan:
„Sobald ein ausländischer Soldat libyschen Boden betritt, ist die Stelle wo er steht besetzt.“
Versteh nicht, warum das an mich gerichtet war. Was hat das mit meinem Kommentar zu tun?
„scharf kritisiert, da die militärischen Handlungen weit über das Ziel hinaus gingen.“
Da haetten sie sich vielleicht die Resolution genauer durchlesen muessen oder sie muessen schaerfer definieren, warum die militaerischen Handlungen ueber ein Ziel hinausgehen. Wie ich bereits dargelegt habe, inkl des original Resolutionstextes, ist die Komponente zum Schutz von Zivilisten so schwammig, dass man darunter alles moegliche verstehen kann, ohne gegen die Resolution zu verstossen. Also (bekanntes Muster in dem ganzen Theater bisher) die Russen und Chinesen sind entweder inkompetent, Heuchler oder beides. Haetten vor allem diese beiden Staaten bei der Abstimmung im Einklang mit den Problemlagen gehandelt, die sie jetzt anklagen, haetten sie ihr Veto einlegen muessen.
@para | 21. März 2011 – 5:08
Vielleicht habe ich Sie falsch verstanden. Daum bitte ich um Entschuldigung.
Da die Inder, die Russen und Chinesen am Tisch saßen, glaube ich schon, dass sie wissen in welchem Zusammenhang welche Formulierungen verstanden werden sollten. Dort wird ja gefeilscht, gestritten und überzeugt. Und nicht nur ein vorgefertigtes Dokument einfach bestätigt oder abgelehnt.
Eindeutig ist selbst für Außenstehende nachzulesen, das sich Fugverbot, Waffenruhe, Schutz der Zivilisten usw. auf beide Parteien beziehen, also auch auf die Aufständigen. Und das es nicht um eine einseitige Unterstützug dieser geht. Die Unterstützung der Rebellen ist nicht Gegenstand der Resolution, sondern der Schutz der Zivilisten.
Eindeutig ist auch das die Anhänger Gaddafis auch schützenswerte Zivilisten sind. Und das Aufständische mit schweren Kriegswaffen eben keine Zivilisten, sondern kämpfende Kriegspartei sind.
Es ist also keineswegs „quasi alles erlaubt“, wie Sie schreiben..
Ich stimmte dem komplett zu. Dass quasi alles erlaubt ist, ist natuerlich im Kontext des ganzen Kommentars zu verstehen. Ansonsten muessten wir auch darueber diskutieren, ob man da nicht Nuklearwaffen einsetzen koenne, „zum Schutz der Zivilisten“. Gewisse Sachen eruebrigen sich automatisch.
Das einzige, das klar nicht erlaubt ist, sind Besatzungstruppen und das waere also der einzige Punkt, wo von China oder Russland Widerspruch und Kritik kommen kann, wenn es denen denn gelaenge, nachzuweisen, dass sich auslaendische Soldaten auf libyschem Boden befinden. Derzeit konzentriert sich die Kritik aber nach meiner Beobachtung darauf, dass es ueberhaupt zu militaerischen Massnahmen kommt (vollkommen absurd) und dass Dinge getan werden, die die Resolution nicht vorsieht. Was das genau ist und wie es der Resolution widerspricht, darauf kann aber scheinbar keiner in Moskau oder Peking Antwort geben.
Natuerlich sehen wir die Praesenz von „Bodentruppen“ faktisch als gegeben an, weil die Luftschlaege ungleich effektiver sind, wenn auf dem Boden Beobachter vor Ort sind und Ziele designieren. Aber das ist eben nur die faktische Seite (und wenn man das rational sieht, haben diese Soldaten klar keine Besatzungsfunktion), aber der Nachweis duerfte schwierig werden und der Einspruch ohne Beweis substanzlos.
Hinsichtlich Gaddafis „Anhaengern“ kommt das gleiche zum Tragen wie bei den Rebellen. Solange einer nach Gutduenken die Waffe in die Hand nimmt und fuenf Sekunden spaeter wieder ablegt, ist die faktische Uebersicht ueber das Geschehen nicht gegeben. Realistisch betrachtet ist ein Schutz von Zivilisten in Libyen vollkommen unmoeglich durchzusetzen, gerade aus der Luft und ohne bodengebundene Beobachter. Die diesbezuegliche Formulierung in der Resolution ist nichts anderes als ein Feigenblatt zur Unterstuetzung der Rebellen, die mindestens von den USA nach wie vor offenbar noch nicht mal als Kombattanten angesehen werden (wie realistisch das ist, ist eine andere Frage.).
Lange Rede, kurzer Sinn: Es gibt bisher so gut wie nichts, worueber sich China und Russland wirklich aufregen koennen, ohne als Heuchler dazustehen, weil sie die Resolution abgesegnet haben.
Ich habe noch keinen NATO/US/EU-Krieg erlebt, der so wenig Berichterstattung erfährt. Selbst auf CNN gibt es relativ dürftige Informationen. Keine grünen Videos, keine US-Soldaten die Waffensysteme erklären.. Ist das Teil der Strategie oder sind die Journalisten alle in Tokyo?
Das spannende an dieser Intervention sind langfristig doch eigentlich die Signale an den Rest der arabischen Welt. Was ist mit der bahrainischen Monarchie die auf Demonstranten schießen lässt und dazu saudische Truppen reinlässt? Was ist mit Jemen, unserem Partner im Kampf gegen al-Qaida, in dem auf Demonstranten geschossen wird? Was ist mit Syrien, wo seit einigen Tagen die Proteste zunehmen?
Die alte arabische Ordnung löst sich innerhalb weniger Monate blitzartig auf. Damit können wir nur überfordert sein, das ist eine Umwälzung wie es sie selten in der Weltgeschichte gibt.
Nur ergibt sich ähnlich wie im Falle des Iraks und Iran wieder eine unschöne Situation: „Unsere“ Truppen sind jetzt in Libyen gebunden. Das Drohpotenzial ist damit nicht mehr vorhanden, und könnte allen anderen Regimen signalisieren, dass jetzt das Zeitfenster für eine brutale Niederschlagung der Proteste gekommen ist. Andererseits: Wäre das Drohpotenzial glaubhaft gewesen, wenn man in Libyen nicht eingegriffen hätte?
Zur Resolution des Sicherheitsrates ein nicht uninteressantes Interview.
Einen ähnlichen Tenor schlug General a.D. Kujat unlängst an.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1415989/
Ich frage mich als Jurist (zumindest bisher genauso Jurist wie unser ex Verteidigungsminister;)) ernsthaft warum diese Diskussionen hier immer ins Völkerrecht abgleiten?
Sind hier nur Juristen unterwegs? Oder nur Nichtjuristen (die meist eine weit höhere Meinung vom Recht haben als Juristen;))
Silent leges inter arma…
@Benjamin:
„Die alte arabische Ordnung löst sich innerhalb weniger Monate blitzartig auf. Damit können wir nur überfordert sein, das ist eine Umwälzung wie es sie selten in der Weltgeschichte gibt.“
Das sehe ich anders, so schnell geht es ja nun nicht. Gerade am Golf zeigt sich gerade, dass die Regime mit einer Mischung aus Gewalt und materiellen Verbesserungen (Jobs etc) noch einige Zeit die Lage unter Kontrolle halten koennen. Natuerlich wird das Potential nicht verschwinden und der Druck mit der Zeit wohl nu groesser, man sollte sich aber auch vor Augen fuehren, dass sich die Ursachen leicht voneinander unterscheiden. Am Golf ist es ganz erheblich ein Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten. Die Saudis sehen ueberall nur iranische Geheimagenten und generell null Bereitschaft, die Schiiten politisch zu integrieren und strahlen diese Politik in die Nachbarlaender ab, wo die Verhaeltnisse identisch sind.
In Libyen wird die Unruhe von der staedtischen Bevoelkerung getragen, die frustriert ist von 30 Jahren Stagnation. Im Jemen will man scheinbar vor allem einen zweiten Mubarak loswerden, jedenfalls hat Saleh auch Gegenwind im eigenen Kabinett.
Wenn man mal historische Vergleiche ziehen moechte, kommt mir die Restaurationsbewegung unter Oesterreich, Preussen, Russland in den Sinn. Die haben ein paar Jahrzehnte durchgehalten. Auch im 21. Jhd kann so eine Dynamik schon ein Jahrzehnt oder mehr brauchen. Vor allem, wenn man sieht, wie unkoordiniert und fraktioniert die Opposition ueberall ablaeuft.
Selbst in Aegypten ist nicht wirklich eine Revolution von statten gegangen. Mubarak wurde von seinen eigenen Leuten fallengelassen, die nach wie vor in Amt und Wuerden sind. Die mittelfristige Entwicklung bleibt abzuwarten.
So allmählich wird klar das hier wieder mal ein Krieg angefangen wurde ohne zu überlegen wie der enden soll.
Was ist denn jetzt das Ziel? „Regime Change“? Spaltung Libyens in einen Ost- und Westteil? Aufbau einer Demokratie?
Wer soll das bezahlen? Wer sorgt für Sicherheit in Libyen? Wer soll die Migration nach Europa eindämmen?
Admiral Mullen und andere haben offensichtlich keine Antwort auf die obigen Fragen: Questions raised about U.S. role and goals in Libya
Das wird vermutlich enden wie im Irak jetzt absehbar. Eine anti-„westliche“ Regierung die tatsächlich genausowenig demokratisch ist wie die vorhergehende,
Es ist absolut vernünftig das sich die beiden größten europäischen NATO Staaten sich da heraushalten. Soll diese merkwürdige Koalition der Willigen, alle mehr innen- als aussenpolitisch zu dieser Aktion motiviert, den Sch…. auslöffeln den die sich da einbrocken.
Wenn man die NATO gegen Libyen ins Spiel bringt, tritt ein neuer Akteur auf den Plan.
Nämlich der türkische Ministerpräsident Erdogan. Und der ist bekanntlich Träger des Muammar Gaddafi Menschenrechtspreises. Bekanntlich hat er sich geweigert diesen, mit kolportierten 250.000 USD dotierten Preis abzulegen, als Gaddafi schon Demonstranten aus der Luft bombardieren ließ.
Soviel ich weiß, erfreut sich Erdogan des Preises immer noch.
http://www.gaddafiprize.org/English.htm
@ JCR
Ein Sachverhalt: http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=37808&Cr=libya&Cr1=
Drei Juristen
Acht Meinungen.
Es spricht einiges dafür, dass sich die Amerikaner in die eigenen Füße schießen.
Eine Studie der US Militärakademie in West Point aus dem Jahr 2007 ergab, dass die im Irak tätigen ausländischen Terroristen überproportional aus dem östlichen Libyen stammen. Alleine aus der 80.000-Einwohner-Stadt Darnah kamen 52 Djihadis, aus Bengasi 21.
Wenn es diesen Kreisen gelingt, Gaddafi mit westlicher Hilfe zu stürzen, so wird das neue (islamistische) Regime Zugriff auf viele Milliarden Dollar haben.
Die Behauptung Gaddafis, dass es sich bei den Rebellen um Al Quaida Leute handelt, war möglicherweise nicht so absurd, wie es sich für westliche Ohren anhörte. Diejenigen Oppositionellen, welche BBC, CNN und Al Jazeera Interviews in gepflegtem Englisch geben, sind möglicherweise nicht repräsentativ.
Angeblich soll einer von Gaddafis Söhnen getötet worden sein: http://www.gmx.net/themen/nachrichten/aufruhr-arabien/867e38e-berichte-gaddafi-sohn-tot
Bericht von dpa.
@chickenhawk: Das Thema gabs schon mal kurz, bitte keine Panikmache in der Richtung: :-)
@para
Ich wage lieber gar keinen historischen Vergleich. Aber meines Erachtens spielt es erst mal keine große Rolle, wie erfolgreich diese Aufstände sind. Allein dass sie wie eine Kettenreaktion im gesamten arabischen Raum entstehen, ist von immenser Bedeutung. Die letzten arabischen Revolution sind ja mittlerweile auch wieder 60 Jahre her. Es ist doch beeindruckend, dass diese Protestwelle so ansteckend ist, obwohl die Lage in jedem Land eine andere ist. Damit ist ein jahrzehnte-altes Gleichgewicht kollabiert.
Außerdem sollte man bei der Bewertung der Ereignisse nicht so tief stapeln. In Ägypten wurde gerade über eine neue Verfassung abgestimmt, bald gibt es Wahlen.. das sind tiefgreifende Umwälzungen. Ich denke, dass das Land nicht morgen oder in 5 Jahren eine konsolidierte Demokratie sein wird, ist common sense. Transitionsprozesse können sehr lange dauern. Aber immerhin: Der Prozess hat begonnen.
Btw, hat irgendwer eigentlich mal überlegt, was passiert, wenn Gaddafi den Krieg glasklar gewinnt, während die Koalition der Willigen über dem Land kreist? Welch verwegenes Szenario..
@Nico
Prima, dass Sie den Stand der Diskussion immer so gut überblicken…
Tue ich nicht. Sollte nur ein freundlicher Hinweis sein. Deswegen auch der Smiley. ;-)
@Nico
Okay ;-)
@ Benjamin:
Ich sehe nicht so wirklich einen Beleg fuer all diese Thesen in der tatsaechlichen Entwicklung, die momentan ablaeuft. Das ist nicht persoenlich gemeint, aber der Wortlaut erinnert mich mehr an das, was viele unserer Medien mit ihrem analytisch „scharfen“ Auge so selbstbewusst verkuenden, aber nicht unbedingt, was tatsaechlich passiert. Ist das Gleichgewicht nun kollabiert oder waren die „Revolutionen“ eben nicht so erfolgreich – und damit kaum Revolutionen? Das war ja der Punkt, den ich angesprochen habe und wo ich „tiefstapel“.
„llein dass sie wie eine Kettenreaktion im gesamten arabischen Raum entstehen, ist von immenser Bedeutung. Die letzten arabischen Revolution sind ja mittlerweile auch wieder 60 Jahre her. “
„Damit ist ein jahrzehnte-altes Gleichgewicht kollabiert.“
Die Sunniten sind weiterhin an der Macht am Golf, in Aegypten herrschen die gleichen Leute, die mit Mubarak perdu waren, in Tunesien ist der Praesident auf der Flucht und die Nachfolger haben sich dadurch hervorgetan, um die Macht zu streiten und Wahlen „bis auf weiteres“ zu verschieben. Orientierungspunkt ist Juli. Bahrain hat niedergeschlagen, im Jemen wird eine Entwicklung ungefaehr nach dem Muster in Aegypten ablaufen. Revolution = fundamentaler Wandel der Regierung eines Landes…na ja. Vermutlich war frueher einfach alles besser, auch die Revolutionen.
Vor 60 Jahren gabs „Revolutionen“, die den Sachstand produziert haben, der heute wieder Revolutionen erfordert. Also welche Prognose ist nun wahrscheinlicher…dass nun „tiefgreifende Veraenderungen“ bevorstehen, oder dass nicht doch ein erhebliches Potential dafuer besteht, dass „Business as usual“ geregelt wird? ;-)
„Außerdem sollte man bei der Bewertung der Ereignisse nicht so tief stapeln. In Ägypten wurde gerade über eine neue Verfassung abgestimmt, bald gibt es Wahlen.“
Das ist inkorrekt. Die Abstimmung fand ueber Verfassungszusaetze ab, nicht ueber eine neue Verfassung. Tatsaechlich wurden alle substantiellen Aspekte, besonders die diktatorischen Rechte des Praesidenten, nicht angetastet, die diesbezueglichen Aenderungen sollen erst nach den Wahlen zum Parlament erfolgen, ebenso wie eine neue Verfassung. Bisher wurde lediglich die Amtszeit des Praesidenten verkuerzt und ein Maximum von zwei Amtszeiten eingefuehrt.
Ob sich der neuzuwaehlende Inhaber daran haelt und wie das neue Parlament aussieht, das sollte man lieber mal abwarten. Nichts fuer ungut, aber tiefgreifende Veraenderungen sehen anders aus, und was bisher passiert ist, als solches anzusehen ist Augenwischerei. Die bisherigen Massnahmen sind wohl eher ein Spiel auf Zeit, so wie die wiederholten Wechsel von Ministern, die man im Amt belassen wollte und dann Stueck fuer Stueck getauscht hat, waehrend der Tahrir-Platz von Demonstranten geraeumt wurde.
Ich schliesse gar nicht aus, dass es zu einigen Veraenderungen im Land kommen wird, aber wie tiefgreifend diese sein werden, bleibt eben abzuwarten. Zuviele Beobachter im Westen haben sich die Meinung zu eigen gemacht, in Aegypten gabs eine Revolution nach Schema F, was einfach nicht den Tatsachen entspricht, ausser natuerlich man will es als „Revolution von oben“ beschreiben (daher der historische Vergleich, es hilft eben manchmal mit der Perspektive). Selbst dann ist es eher ein Revolutioenchen, wie will man es sonst beschreiben, dass sich bisher ausser dem Abgang Mubaraks und des Austauschs einiger Minister nichts administrativ geaendert hat?!
Nebenbei bemerkt hat Mohammed El Baradei, der als Praesident kandidieren will, auch eine neue Verfassung gefordert, VOR der Wahl und gesagt, jegliche Zusaetze seien Augenwischerei. Ich bin versucht, zu glauben, der Mann kennt sein Land und denkt sich was dabei. Aber vielleicht stapel ich ja zu tief. ;-)
@chickenhawk , 21. März 2011 – 12:19
Wo steht, dass die Dschihadisten nicht von Gaddafi gefördert wurden, oder überhaupt gegen den Willen von ihm dorthin gelangt sind?
@Rado: Sie wissen, dass Gaddafi seinen eigenen AQ-Ableger vor Ort hat (LIFG)? Gefördert hat er die sicherlich nicht, er mochte diese Leute nie.
@Benjamin | 21. März 2011 – 9:12
Zitat: „Ich habe noch keinen NATO/US/EU-Krieg erlebt, der so wenig Berichterstattung erfährt.“
Aber zumindest wird nicht weniger Desinformation von den Medien verbreitet, als früher.
Da wird im ZDF behauptet, der Chef der Arabischen Liga hätte heute die Resolution des UN-Sicherheitsrates unterstützt und damit zu seine gestrige Kritik zurückgenommen. Wahr ist, er hat die Resolution immer unterstützt und nie kritisiert. Er hatte gestern lediglich die Ausführung des Mandats durch den Westen kritisiert, nach dem Zivilisten geschützt und nicht bombardiert werden sollen.
Der russische Premier Wladimir Putin hat am heutigen Montag die Libyen-Resolution des UN-Sicherheitsrates scharf kritisiert, die eine ausländische Intervention in einem souveränen Staat gestatte.
Er sagte „Die Resolution des UN-Sicherheitsrates ist nicht vollwertig und mangelhaft“ und „Sie erinnert an einen mittelalterlichen Aufruf zu einem Kreuzzug. Faktisch erlaubt sie eine Invasion in ein souveränes Land.“
Die Regierung Russlands beschäftigt sich laut Putin nicht mit außenpolitischen Aktivitäten. „Wir sind für sozialökonomische Fragen zuständig. Eine persönliche Meinung ist aber vorhanden.“
Wäre Putin Präsident, dann hätte es vermutlich wohl ein Veto gegeben.
Scheint, als betreibt Putin eher Wahlkampf gegen Medjedew.
Und ob er ein Veto eingelegt haette, nur weil er sich jetzt so aufplustert, halte ich zumidnest fuer fragwuerdig. Dass er jetzt auf einmal aufgrund seines Amtes mit Aussenpolitik nichts zu tun haben will, das ist der Treppenwitz des Jahrzehnts. Da war ja fast Ulbricht ueberzeugender.