Durchmauscheln, bitte
Jetzt zeichnen sich die Konturen des neuen Afghanistan-Mandats für die Bundeswehr ab, das das Parlament noch im Januar beschließen soll. Zur Erinnerung: es ging darum, die kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen der Regierungspartei FDP, den Regierungsparteien CDU/CSU und der Oppositionspartei SPD zu finden. Die FDP und ihr Außenminister Guido Westerwelle wollen den Beginn eines Abzugs deutscher Truppen vom Hindukusch in diesem Jahr. Na ja, wenn möglich. Die SPD will einen Beginn des Abzugs deutscher Truppen vom Hindukusch. Auf jeden Fall. Die Union und ihr Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sind zwar nicht prinzipiell gegen den Beginn eines Abzugs deutscher Truppen vom Hindukusch in diesem Jahr, pochen aber darauf, das von der Lage abhängig zu machen.
Und was kommt dabei raus? So eine Durchmauschel-Formulierung, über die gestern abend Focus Online berichtete (heute Spiegel Online und Reuters, offensichtlich wird der Text auf der Westerwelle-Reise in Pakistan gestreut…): Angelehnt an die Aussagen von Westerwelle beim Dreikönigstreffen der Liberalen soll es in dem Mandat heißen, die Bundesregierung sei zuversichtlich, im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können. Dabei werde sie jeden sicherheitspolitischen vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden.
Also: Abzug wollen wir dieses Jahr beginnen. Wenn’s nicht geht, dann eben nicht. Aber uns ist doch wichtig, der Opposition und der Bevölkerung zu sagen, dass wir schon da raus wollen, dieses Jahr.
Die Formulierung zielt natürlich vor allem, wenn nicht ausschließlich, auf den innenpolitischen Gebrauch; findet – wie ich es schon mal formuliert habe – in einem von der afghanischen Realität entkoppelten Paralleluniversum statt und klingt nur vordergründig nach Einmütigkeit im Bündnis. Der Verweis auf den größten Truppensteller USA führt ein wenig in die Irre: Wenn die Vereinigten Staaten von ihren rund 100.000 Soldaten in Afghanistan ein paar tausend abziehen, hat das immer noch weniger Auswirkungen als wenn die Deutschen von ihren rund 5.000 (effektiv wird nach den aktuellen Statistiken ja noch nicht mal wirklich die Obergrenze ausgeschöpft) um ein paar hundert Soldaten reduzieren. Mal ganz davon abgesehen, dass die deutsche Diskussion, an Kopfstärke ausgerichtet, ohnehin immer in die Irre führt: Welche, um es mal im Militärsprech zu sagen, Fähigkeiten sollen als erstes reduziert werden? Und wie verträgt sich das mit der von ISAF-Kommandeur David Petraeus ausgegebenen Linie, Reduzierungsmöglichkeiten an einzelnen, ruhigen Orten da zu reinvestieren, wo Truppen gebraucht werden?
Andersrum gefragt: Geht’s darum, eine getane Arbeit zu beenden, oder geht’s darum, an der Heimatfront verkünden zu können: wir holen unsere Jungs (und Mädels natürlich) zurück?
Dazu passt sehr schön, was gerade keine große Aufmerksamkeit findet: Der NATO-Rat hat gestern einen neuen Anlauf für den Einsatz von AWACS-Überwachungsflugzeugen über Afghanistan beschlossen. Aber offensichtlich, so entnehme ich einer nur spärlich verbreiteten AFP-Meldung, sind die Deutschen nicht dabei. Muss die AWACS-Flotte halt auf ein Viertel ihrer Besatzungen verzichten. Der Bundestag hatte zwar 2009 schon mal einem AWACS-Einsatz zugestimmt, für den es damals schon gute Gründe gab (und seitdem hat der Luftverkehr noch erheblich zugenommen). Aber die Bundesregierung mag nicht mit einem um einen AWACS-Einsatz erweiterten Mandat in den Bundestag gehen, weil die Bundesregierung gar nichts ins Mandat schreiben mag, was nach Ausweitung und nicht nach Reduzierung aussieht.
Nun gut. Über die derzeitigen Operationen der Bundeswehr im Norden Afghanistans in Deutschland wird ja ohnehin recht wenig bekannt. Obwohl, wie man amerikanischen und afghanischen Berichten entnehmen kann, da eine ganze Menge abgeht. Merkwürdigerweise gibt es Fotos von der Zusammenarbeit mit den örtlichen Milizen auch nur bei den U.S.-Truppen. Dabei bin ich sicher, dass es auch Fotos von deutschen Soldaten gemeinsam mit Arbaki auf Patrouille gibt. Aber die kriegen wir ja nicht zu sehen.
Nachtrag: In dem Mandatstext – genauer: vermutlich in der Begründung – steht ja noch ein bisschen mehr. Einem (noch unbestätigten) Hinweis auf die Formulierungen entnehme ich, dass der Text doch eher von der Haltung des Verteidigungsministeriums getragen wird – wo sich dann Petraeus‘ Ziele thin out, don’t hand off und reinvest the transition dividend wiederfinden:
Der mit der Summe dieser Maßnahmen mögliche Beginn der Übergabe in Verantwortung ist nicht gleichzusetzen mit dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte, er erlaubt allenfalls deren allmähliche Verringerung in bestimmten Bereichen. Transition ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess. Erst wenn die afghanischen Kräfte die Sicherheitslage tatsächlich beherrschen können, wird abhängig vom Erfolg der Übergabe eine Reduzierung der internationalen Präsenz möglich. Diese „Übergabedividende“ soll zunächst in die Vorbereitung noch nicht übergabereifer Gebiete im Verantwortungsbereich der jeweiligen Führungsnationen reinvestiert werden, um damit die Lageentwicklung dort zielgerichtet zu beeinflussen.
Die Bundesregierung ist zuversichtlich, im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können und wird dabei jeden sicherheitspolitisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden.
Ein weiterer Akt des so gerne gepflegten und mittlerweile zu Höchstformen kultivierten „Herumeierns“ deutscher Nachkriegspolitik… Wie hieß es – Teflonpolitik?
Als ob die Masse der deutschen Bevölkerung völlig verblödet und realitätsfremd ist und das nicht durchschauen würde… mir fehlt gerade ein Emoticon, das man mit :wall: einblendet.
Merkwürdigerweise gibt es Fotos von der Zusammenarbeit mit den örtlichen Milizen auch nur bei den U.S.-Truppen.
Das ist so nicht ganz richtig, es gibt ein Bundeswehr-Video über einen gemeinsamen Wachposten.
Aber insgesamt haben sie recht: Milizen sind in Deutschland kein Thema, erst recht nicht von offizieller Seite. Wenn man bedenkt, dass so ziemlich alles deutschsprachige Material zur Renaissance der Milizen im RC Nord von zwei Leuten stammt (Uli Gack und Susanne Kölbl), dann ist das schon ziemlich deprimierend.
@Voodoo: Die Masse der deutschen Bevölkerung ist nicht verblödet sondern hat ganz einfach andere Probleme – es interessiert einfach kaum jemanden. Gestern wurde ich erst von Bekannten darauf angesprochen (nicht repräsentativ natürlich ;-) ): „Die Bundeswehr soll ja dieses Jahr aus Afghanistan abziehen… gut so… was bringt uns das überhaupt.“
Die Politik ist aber auch an dem mangelnden Verständnis, für das man selbst gesorgt hat, gefangen. Die Nummer ist durch – niemand wird die Bevölkerung noch vom Sinn des Einsatzes überzeugen. Schuld daran ist insbesondere die SPD, die sich jetzt schonmal für die nächste Bundestagswahl als Friedenspartei aufstellt und ihrer eigenen Verantwortung als Initiator des Engagements am Hindukusch nicht nachkommt. Da kann man sich als konservativer oder Christdemokrat kaum hinstellen und sagen dass wir länger Krieg führen sollen in einem Land das kein S****** interessiert. Es heisst jetzt konsequent nur noch blenden und in einem Zuge ausweichen.
Schon im Kaiserreich am 4. August 1914 genehmigte die SPD-Fraktion im Reichstag die Kriegskredite für den Ersten Weltkrieg. Mit den berühmt-berüchtigten Worten ihres Vorsitzenden Hugo Haase, „wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich“, stellte sich die SPD in der bisher blutigsten Massenschlächterei der Weltgeschichte hinter Kaiser Wilhelm II und seine Regierung. Das die Genossen heute mit der konservativen schwarz/gelben Regierung für eine Verlängerung der Truppenpräsenz in Afganistan bis mindestens 2013 stimmen, wundert niemanden. Es gibt ohnehin keinen geordneten, halbwegs würdevollen Abzugsplan aus dem Desaster dort und die eingebunkerte Situation der deutschen Truppe erinnert fatal an den Ersten Weltkrieg.
Wir dürfen gespannt sein, wie KT das seinen amerikanischen Freunden erklärt. Ein einfaches dumb ass Westerwelle dürfte nicht reichen, das stand ja schon in den cables …
Ich find’s ja immer wieder interessant, wie hier fast immer zuersteinmal die Stellungnahmen der SPD kritisiert werden. Nicht dass die Kritik nicht nachvollziehbar wäre, aber die SPD ist „nur“ eine Oppositionspartei.
Wie ja bereits angesprochen: Die Mandatsobergrenze wird bereits jetzt nicht ausgenutzt, Diskussionen über eh nicht besetzte Stellen gehen an den eigentlichen Problemen des Einsatzes vorbei.
Und da muss man gerade der Regierung vorwerfen, dass da nichts kommt. Und da sieht’s halt ziemlich mau aus:
– Die Kanzlerin bezieht zu Afghanistan eh keine Stellung
– Der Verteidigungsminsiter ist mit seinen Bundeswehr-Kürzungen anscheinend voll ausgelastet
– Der Außenminister ist politisch grad ziemlich angeschlagen und hat persönlich drängendere Probleme
Wie mau die Regierung dasteht , das sieht man etwa daran, dass die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, Frau Hoff, dieses Jahr als „Konzept“ vorgeschlagen hat, aus Kostengründen die ISAF-Mission doch durch eine Blauhelm-Mission mit Kräften der Nachbarstaaten zu ersetzen. Und niemand springt drauf an, weil sie eh niemand ernst nimmt…
Das Problem sind nicht die Zahlenspielchen der Oppositionspartei SPD (auch wenn die sicher nicht helfen), das Problem ist die verlogene Konzeptlosigkeit der Regierungsparteien. Ein aussitzendes „Weiter so“ um die Diskussion möglichst klein zu halten, während man darauf hofft, dass die USA vor Ort die Arbeit machen. Aber das „Weiter so“ heißt ja jetzt „Strategiewechsel“; dann wird ja alles gut…
@J.R.
Na ja alles eine Frage des Standpunktes ;-)
Aus Sicht der Oppositions eiert die Regierung rum. Aus Sicht der Regierung verabschieden sich Teile der Opposition, hier namentlich die SPD, aus bisherigen sicherheitspolitischen Konsensen.
Alles dient nur einem politischem Ziel : Machterhalt oder Machtgewinnung !
Jeder der einmal vom Nektar der politischen Macht in diesem unserem Lande genascht hat wird dieses Erhalten wollen oder wieder an diese Tröge.
In diese Schatten der poltischen Ränkespiele hat sich eine Verwaltung verselbstständigt, die es nahezu meisterhaft versteht die jeweiligen politischen Akteuere in die beliebigen Bahnen zu lenken und leibgewonnene Erbhöfe zu verteidigen.
Gesunder Menschenverstand, selbst einfache Hausfrauengrundrechenarten scheinen für diesen Personenkreis nicht zu bestehen.
Und unter allen steht das Volk, als Auftraggeber und Kostenträger dieses Molochs.
Es hat allle vier Jahre die Aufgabe den jeweiligen politischen Führerverein zu wählen.
Aber mal ehrlich, worauf basiert den die politische Entscheidung des überwiegenden Teils der Bevölkerung? Auf Wissen, auf Zielen oder gar auf Überzeugungen ?
Heutzutage zählt die Beliebigkeit, das vorgauckeln der Befreidigung des Mainstreams, der nächsten Steuersenkung, Urlaubsverlängerung etc.
Man sollte die Nationalhymne daringehend auch Konsequenterweise abändern :
„Einigkeit auf recht viel Freizeit, …….
Und da passen doch Forderungen, die eine effektive Erfüllung des ISAF – Auftrages durch das deutsche Kontingent sicherstellen, doch nicht wirklich ins Bild um das nächstre Kreuzchen zu erhalten.
Also wir weiter herumgeeiert und das eigene Versagen mit immer neuen Worthülsen versehen. Der deutsche Michel mit seinem ausgeprägten Kurzzeitgedächtnis nimmt das ja jederzeit ab.