… notfalls gegen Aufständische
Ach, dieser offizielle Bundeswehrsprech. Da hat bundeswehr.de eine (lobens- und lesenswerte) Geschichte über die letzten Vorbereitungen des Gebirgsjägerbataillons 232 für die künftige Rolle als Ausbildungs- und Schutzbataillon Masar-i-Scharif. Und dann muss da drin stehen:
Das so genannte „Partnering“ bedeutet, dass Soldaten der internationalen ISAF-Truppe gemeinsam mit den Kräften der Afghan National Army (ANA) agieren, sie ausbilden, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten weitergeben und notfalls auch gemeinsam mit ihnen gegen Aufständische vorgehen.
Ach so. Notfalls auch gemeinsam gegen Aufständische vorgehen. Dabei hätte man doch fast den Eindruck gewinnen können, das sei die eigentliche Aufgabe. So kann man sich täuschen.
Es wäre mal interessant an konkreten Zahlen zu erfahren, inwiefern es Erkenntnisse über Fahnenflucht bei ANA gibt bzw. inwiefern die Soldaten der ANA überhaupt kampffähig sind. Habe nun schon mehrmals Berichte gelesen, nach denen afghanische Soldaten und Sicherheitskräfte mitten in einer Gefechtspause anfingen zu kiffen und danach mehr oder minder den Rambo raushingen ließen. Kann leider momentan keine Quelle angeben, bemühe mich aber, dies nachzureichen.
@Hekto
Wenn sie denn ueberhaupt erscheinen! In letzter Zeit gab es ja auch oefters zu lesen, dass die ANA-Kraefte zu verabredeten gemeinsamen Operationen gar nicht aufschlagen.
Das schwankt sehr stark zwischen den Einheiten. Es gibt welche, die sehr unzuverlässig sind (und sich wie beschrieben verhalten) und es gibt welche die wirklich Fortschritte machen.
Das größte Problem sind gar nicht mal unbedingt die einfachen Soldaten, sondern deren Vorgesetzte. Bei denen fängt das Problem mit Korruption, Privilegien und Betrug an ISAF an (was z.B. die Zuteilung von Geld und Material betrifft). Und diese sind es die schließlich die Regierung gegenüber der Bevölkerung repräsentieren.
Der letzte mir bekannte Bericht zum Zustand der afghanischen Sicherheitskräfte ist dieser: Actions Needed to Improve the Reliability of Afghan Security Force Assessments – June 29, 2010 – SIGAR Audit- (pdf).
Darin finden sich einige Zahlen zur Zuverlässigkeit und zu Abwesenheitsquoten.
Der Bericht stellt auch fest das das ISAF Einstufungsschema für diese Einheiten untauglich war bzw. falsch gehandhabt wurde und der tatsächliche Zustand der Einheiten wesentlich schlechter war als offiziell verkündet.
Das wird sich seitdem wohl nicht sonderlich geändert haben.
Wobei der SIGAR-Bericht ja so ein Fall fuer sich ist – da wurden gerade mal 18 ANSF-Einheiten tatsaechlich kontrolliert.
Generell ist wohl das Abschneiden von ANA und ANP eins der kritischsten fuer den Missionserfolg. Umso erstaunlicher finde ich ja, dass man kaum etwas davon erfaehrt. Insbesondere von der Bundeswehr, welche ja angeblich seit 8 Jahren mit der ANA zusammenarbeitet.
Und wenn, dann ist da ein ziemlicher Hochmut rauszuhoeren. Man mockiert dass die ANA nicht rechtzeitig zu ISAF-Operationen erscheint, kommt aber selbst der ANP nur sehr unzuverlaessig zu Hilfe. Meine Guete, es faengt schon damit an, dass man die ANA nach dem eigenen Vorbild ausbilden will – als ob die deutsche Performanz in Afghanistan bisher so erfolgreich gewesen sei…
Die Kritik am Einsatzwillen der Afghanen finde ich auch extrem heuchlerisch. Wieviele Bundeswehr-Soldaten haben das Feldlager Kundus ueber Jahre kaum verlassen, gepanzerter Fahrzeuge, zuverlaessiger Luftunterstuetzung und funktionierendem Medevac?
Und wenn jetzt das uebliche „zu wenige Soldaten“ kommt – die ANA hat ein CORPS (das 209.) fuer den gesamten Norden. Das besteht aus 2 Kandaks (je rund 600 Soldaten) plus HQ, Artillerie, Kommandos und Logistik. Vermutlich wohl so um die 2000 Mann. Ach ja, das Fahrzeug der Wahl ist der Pickup – was ja deutschen Soldaten schon nicht mehr zugemutet werden kann. Die Bewaffnung besteht mittlerweile aus M16 (da wird der deutsche Soldat wohl sicher neidisch), und ueber so Kleinkram wie Marder, Nachtsichtgeraete, Medevac oder CAS reden wir lieber nicht.
Aber die Bundeswehr bringt ihnen ein Manoevrieren bei, dass sie sich trotz doppelter Truppenstaerke mit dieser Ausruestung selbst nicht zutrauen wuerde. Ich bin nicht beeindruckt.
Mal ein paar Quellen von vor Ort:
– Ann Jones zeichnet aus erster Hand ein sehr kritisches Bild: Meet the Afghan Army
– Eine Bestandsaufnahme eines US-Soldaten wird auf 270 Days in Afghanistan
– Die kanadischen Soldaten in Khyber scheinen auf ihre Kameraden von der ANA einiges zu halten (etwa 30 days through Afghanistan)
– Vampire 06 von Afghanistan Shrugged berichtet von Frust, scheint aber auch mit der ANA Ergebnisse erzielen zu koennen
– Aehnlich sieht es bei Old Blue von Afghan Quest aus, der nach seiner ersten Tour eine eher positive Bilanz zieht.
Weitere OMLT-Blogs:
– Afghanistan Experiences
– 270 Days in Afghanistan
Weitere ETT-Blogs:
– Bouhammer
Filme mit ANA-Bezug:
– Scott Kesterson’s „At War“
„Wir gehen nun in die Fläche“, um „die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen“ und „notfalls gegen Aufständische vorzugehen.“
Claudia Roth dürfte begeistert sein. Ein die Wahrheit verschleierndes Polit-Gequatsche zur weiteren Sicherstellung von Mandatierungsmehrheiten im Deutschen Bundestag. Es wird einem nur noch schlecht.
@Hekto – „Fahnenflucht“ Anteil und performanz
Heute erschienen ein NYT Artikel von CJ Chivers, einem der besten Reporter vor Ort (und als ehemaliker Marine Captain vom Fach), über die Ausbildung der Afghanen:
Afghan Training Makes Gains, Though War Struggles
Und zur Fähigkeit afghanischer Kräfte:
Chivers war selbst mehrfach in Marjah auf Patrollie, seinen Angaben kann man daher ziemlich vertrauen.
Vor allen Dingen bringt es ja nichts… Den „Formulierern“ muss doch klar sein, dass durch Euphemismen exakt das Gegenteil erreicht wird. Die Leute fühlen sich nicht ernst genommen, die Soldaten fühlen sich veralbert usw. Ich glaube, die Umfragewerte zum Einsatz wären erheblich besser, wenn man mit den guten Nachrichten und Erfolgsmeldungen offensiver in die Medien gehen würde. Man hat Angst vor dem angeblich tief verwurzelten Pazifismus des Lesers. Wobei mich mal interessieren würde, wieviele Deutsche überhaupt richtige Pazifisten sind. Ich halte das für einen weit verbreiteten Trugschluss.
Die meisten Menschen in diesem Land sind erwachsen. Und sie können damit umgehen, wenn ihre Soldaten kämpfen. Nur muss man es erstmal ehrlich sagen, nech. „notfalls […] gegen Aufständische vorzugehen“ am Ende einer friedlichen Aufzählung hört sich irgendwie nicht danach an :) Stattdessen wird in „Walldorfschulenmodus“ geschaltet ^^.
Ich hoffe nur, dass das mit der ANA in Zukunft besser hinhaut. Sowas braucht halt extrem lange. Gerade auch was das Umdenken angeht. Vor einiger Zeit gab es mal gehäuft Berichte von ANA-Soldaten, welche sich oft an irgendwelchen Dorfjungen vergangen haben. Ich glaube, sowas ist auch in Afghanistan nicht sehr beliebt.
@T.Wiegold – können wir bitte einen „Preview Button“ haben?
@b
Sie meinen einen Preview-Button, um den Kommentar vor Absenden noch mal genauer zu lesen? Aber das geht doch auch im Textfeld…
(Schon verstanden. Ich führe mal technische Gespräche. Die verunglückte Blockquote in dem einen Kommentar habe ich repariert.)