Bundesregierung will bis zu 400 Soldaten zur Flugabwehr in die Türkei schicken (Zusammenfassung, mehr Einzelheiten)

Patriot-Startgerät der Bundeswehr, hier für PAC-2-Raketen, die zusammen mit den – moderneren – PAC-3-Raketen in der Türkei eingesetzt werden sollen (Foto: Bundeswehr/Michael Mandt via flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)

Das Bundeskabinett hat am (heutigen) Mittwoch einen Einsatz von Patriot-Flugabwehrsystemen der Bundeswehr in der Türkei beschlossen, um eine befürchtete Bedrohung des NATO-Partnerlandes  durch Kurzstreckenraketen aus Syrien abzuwehren. Das Mandat, das dem Bundestag in der kommenden Woche zur Billigung vorgelegt wird und bis zum 14. Dezember beschlossen werden soll, sieht dafür eine Obergrenze von bis zu 400 Soldatinnen und Soldaten vor. Darin enthalten sind auch deutsche Besatzungsmitglieder in AWACS-Überwachungsflugzeugen der NATO, die unter Umständen vom NATO-Oberbefehlshaber (SACEUR) zur Aufklärung und Überwachung in der Region eingesetzt werden können. Das Mandat soll für gut ein Jahr bis Ende Januar 2014 gelten, der Einsatz rund 25 Millionen Euro kosten.

Die Bundesregierung folgt mit ihrem Antrag an das Parlament einer Anfrage der Türkei an die Bündnispartner und einem Beschluss der NATO-Außenminister vom (gestrigen) Dienstag. Neben den deutschen Patriot-Einheiten sollen gleiche Flugabwehrsysteme der Niederlande und der USA eigene Flugabwehrsysteme an der türkisch-syrischen Grenze stationiert werden.

Nur die drei Länder verfügen in der Allianz über die modernste Ausbaustufe der Patriot-Systeme mit den so genannten PAC (Patriot Advanced Capability)3-Raketen, die auf den Abschuss ballistischer Raketen optimiert sind. Allerdings sollen nach Informationen von Augen geradeaus! nicht allein Systeme mit PAC3, sondern auch Raketen des älteren Typs PAC2 in der Türkei stationiert werden, die mit geringeren Leistungen begrenzt ebenfalls zur Raketenabwehr eingesetzt werden können. (Die NATO erklärt den Unterschied so: PAC-2 is a proximity fusing missile, whereas PAC-3 has been specifically designed to intercept and destroy missiles by impacting them directly with kinetic energy – “Hit-to-Kill” technology.)

Der vom Kabinett beschlossene Mandatsentwurf nennt neben der Obergrenze von 400 Soldaten keine einzelnen Waffensysteme, sondern wie in solchen Mandaten üblich militärische Fähigkeiten, die in den Einsatz geschickt werden sollen: Bodengebundene Luftverteidigung, Führung und Führungsunterstützung, Aufklärung und Überwachung, Logistische und sonstige Unterstützung, sanitätsdienstliche Versorgung, Sicherung und Schutz. Deshalb wird auch die Einbeziehung der AWACS-Überwachungsflugzeuge im eigentlichen Mandatstext nicht genannt, allerdings in der Begründung:

Im Rahmen seiner bereits bestehenden Befugnisse kann der Aliierte Oberbefehlshaber der NATO auch Fähigkeiten zur luftgestützten Luftraumüberwachung und Koordinierung (Airborne Warning and Control System – AWACS) einsetzen, um so im Rahmen der integrierten Luftverteidigung der NATO den bestmöglichen Schutz der türkischen Bevölkerung und des türkischen Territoriums zu gewährleisten. Deutsche Soldatinnen und Soldaten, die an der luftgestützten Frühwarnung im Rahmen der Luftraumüberwachung sowie bei dem Austausch und Abgleich gewonnener Lagebildinformationen mitwirken, sind für diesen Zeitraum durch das vorliegende Mandat abgedeckt.

Die Mission, Teil des bereits im Jahr 2007 beschlossenen NATO-Operationsplans Active Fence, sei eine ausschließlich defensive Maßnahme, die als Mittel militärischer Abschreckung verhindert, dass sich der Konflikt innerhalb Syriens auf die Türkei ausweitet, betont die Bundesregierung in der Mandatsbegründung. Ähnlich äußerte sich auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière nach der Kabinettssitzung:

Die Unterstützung der Türkei hat einen klaren defensiven Charakter und zielt auf militärische Abschreckung. Bereits im türkischen Antrag und in unserer Zustimmung ist enthalten, dass dieser Einsatz in keiner Weise der Einrichtung oder Überwachung einer Flugverbotszone dienen wird und auch nicht der Überwachung des syrischen Territoriums oder anderen offensiven Maßnahmen gewidmet ist.

Die deutschen Soldaten sollen nach den Worten de Maizières Anfang des kommenden Jahres im Einsatzgebiet ihre Aufgabe wahrnehmen. Die Mission beginnt allerdings bereits am 15. Dezember dieses Jahres – die Patriot-Systeme müssen aus Norddeutschland in die Türkei verlegt werden, was allein für den Transport auf dem Seeweg knapp zwei Wochen erfordert.

Die bis zu 400 deutschen Soldaten sind mehr, als für den Betrieb der zwei Patriot-Feuereinheiten erforderlich sind – dafür werden rund 170 Soldatinnen und Soldaten gebraucht. Die übrigen bis zu einer Grenze von 350 (weitere 50 sind als Reserve vorgesehen) dienen zur Unterstützung, von Logistik bis zu Sanitätern, und als deutscher Anteil im AWACS-Kontingent. Allerdings ist nach internen Berechnungen die gefundene Zahl ein politischer Kompromiss und setzt voraus, dass die Türkei ebenfalls Unterstützung für den Einsatz der Verbündeten leistet. Ohne diesen sogenannten Host Nation Support wäre auch mit 400 Soldaten eine eigenständige Operation der deutschen Einheiten nicht möglich.

Der Verteidigungsminister wies übrigens Vermutungen zurück, der vorgesehene Einsatz sei aus Sorge um einen möglichen Chemiewaffeneinsatz syrischer Streitkräfte beschlossen worden – entsprechende (und später wieder dementierte) Berichte über eine Vorbereitung auf den Gebrauch chemischer Waffen hatte es in den vergangenen Tagen aus den USA gegeben:

Es geht nicht um die Hinweise, dass Chemiewaffen eingesetzt werden könnten, sondern es geht darum, das Syrien im Besitz von Chemiewaffen ist. In Libyen war die Sache so, das es dort entsprechende Materialien gab, es umfangreicher weiterer Arbeiten, die über Wochen und Monate gedauert hätten, bedurft hätte, um solche Waffen einzusetzen. In Syrien sind sie bereit und verwendungsfähig. Das heißt, man muss unterscheiden, wie wir das nennen, zwischen Fähigkeiten und Absichten. Wir erkennen keine Absicht der syrischen Seite, diese Waffen einzusetzen, aber die syrische Seite hat die Fähigkeit dazu. Und deswegen dient Abschreckung dazu, dass aus der Fähigkeit keine Absicht wird.

(Der O-Ton des Pressestatements von de Maizière und Außenminister Guido Westerwelle hier; die Abschrift hier.)