Die Bundeswehr und ihre Sanitätsoffiziere: Ausgeheuchelt.

Die gestrige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die auch Sanitätssoldaten der Bundeswehr das Recht zubilligt, einen Antrag als Kriegsdienstverweigerer zu stellen, ist hier in etlichen (OT-)Kommentaren mit Unverständnis aufgenommen worden. Ich drösele diese Entscheidung gerne noch mal auf – und sage gleich dazu: die war überfällig und ist genau richtig.

Über Jahrzehnte nämlich hat sich die Bundeswehr ihren Sanitätsoffizieren als gespaltene Persönlichkeit präsentiert. Oder, das trifft es vermutlich besser: ihnen etwas vorgeheuchelt. Auf der einen Seite wurden schon immer Sanitätsoffiziere gesucht, bei denen der Begriff Offizier nicht nur eine hohle Phrase war und die sich nicht nur als Ärzte zufällig in Uniform verstanden – sondern bewusst auch als Soldaten. Auf der anderen Seite hat eben diese Bundeswehr eben diesen Sanitätsoffizieren erklärt, sie leisteten doch gar keinen Dienst an der Waffe (und hätten deshalb auch kein Recht, den Dienst zu verweigern). Sie hätte auch gleich sagen können: Ihr seid ja gar keine richtigen Soldaten.

(Ja, mir ist schon klar, dass dieser  Fiktion vom waffenlosen Sanitätsdienst nicht nur die Haltung der Bundeswehr, sondern ebenso auch Gerichtsentscheidungen und Ansichten des Bundesamtes für Zivildienst zu Grunde liegen. Und dass es Sanitätssoldaten gab und gibt, die genau mit diesem Ansatz angetreten sind. Aber so was entsteht ja nicht im luftleeren Raum – gehen wir mal davon aus, dass die Bundeswehr so was schon aktiv betrieben hat.)

Spätestens seit in Afghanistan auf dem ersten San-Fuchs das Rote Kreuz abgeklebt und ein Maschinengewehr aufmontiert wurde, weil die Aufständischen das Schutzzeichen gerne als Zielmarkierung benutzten und den Beweglichen Arzttrupp als Hochwertziel rausschießen wollen, dürfte sich die Vorstellung erledigt haben, dass der Soldat im Sanitätsdienst keinen Dienst an der Waffe leistet. Die Regeln der Genfer Konvention spielen am Hindukusch für den Gegner offensichtlich keine Rolle, und wenn die Bundeswehr selbst natürlich daran gebunden bleibt, hat es doch Konsequenzen für die Truppe.

Und diese Einsatzdynamik trifft nun auf Soldaten des Sanitätsdienstes, denen man immer was vom waffenlosen Dienst erzählt hat. (Dass das auf Dauer schief geht, war spätestens seit der – ebenfalls gerichtlich umstrittenen – Entscheidung vor einigen Jahren klar, die auch Sanitätssoldaten zum Wachdienst mit der Waffe in der Hand verpflichtete.)  Die Heuchelei fällt so richtig auf – und deshalb ist es gut, dass das Bundesverwaltungsgericht dem nun ein Ende gesetzt hat.

Dass mich da keiner falsch versteht: Das Recht für einen Sanitätsoffizier, ebenso wie jeder andere Soldat einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu stellen, ist die eine,  begrüßenswerte Seite. Was deren Verweigerung selbst angeht, kann man natürlich fragen, zum welchem Zeitpunkt sie kommt – nicht etwa zufällig, wenn ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Dienst gut in die berufliche Laufbahn eines Mediziners passt?

Ja, jeder muss auch das Recht haben, seine Gewissensgründe zu erkennen, Jahre nachdem er einen Vertrag als Soldat unterschrieben hat. Ich wäre gerade aufgrund meiner Biographie der letzte, der einem Sanitätsoffizier dieses Recht absprechen würde. Aber ich verstehe auch, dass unter Umständen der gewählte Zeitpunkt mindestens für Stirnrunzeln sorgen kann. Andererseits: Diesen Leuten hat die Bundeswehr vielleicht besonders lang etwas vorheucheln können?

(Ich erlaube mir sozusagen als Disclosure den persönlichen Hinweis: Wie die meisten meiner Leser wissen, bin ich anerkannter Kriegsdienstverweigerer. Übrigens erst im zweiten Anlauf: mein erster Antrag wurde mangels Rechtsschutzinteresse abgelehnt – ich studierte damals Theologie und würde, so die damalige Argumentation, als Geistlicher ja ohnehin nicht zum Wehrdienst eingezogen. Erfolgreich war erst mein zweiter Antrag nach dem Studium.)