Somalias Piraten: neue Taktik, neue Dynamik und ein neuer Rekord

Die Pirateriesituation am Horn von Afrika hat seit Jahresbeginn kräftig an Dynamik und Dramatik zugenommen. Genau genommen vermutlich schon stetig über die vergangenen Wochen, aber jetzt wird es langsam sichtbar: Mit der bislang nördlichsten erfolgreichen Kaperung haben die Seeräuber aus Somalia eine neue Rekordmarke gesetzt. Die Entführung der Mannschaft eines dänischen Frachters – unter Zurücklassung des Schiffes – ist neu. Die zunehmende Zahl gekaperter Schiffe, die als schwimmendePlattform dienen, hat den Piraten eine Basis See verschafft. Und auch weitere Details des Vorgehens deuten darauf hin, dass das ganze Piraterie-Business eine neue Stufe erreicht hat.

Aber der Reihe nach. Mit der Kaperung des südkoreanischen Chemikalientankers Samho Jewelry vor der Küste des Oman bei 22 Grad nördlicher Breite und 64 Grad östlicher Länge haben die Piraten so weit nördlich wie nie zuvor mit Erfolg zugeschlagen (einzelne Angriffe hatte es in den vergangenen Jahren bereits noch ein wenig weiter nördlich gegeben). Das NATO Shipping Centre bestätigte, dass es sich um die nördlichste Kaperung handelte , die EU-Anti-Piraterie-Mission Atalanta die Identität.

Piratenangriffe vor der Küste Omans – nur im Januar 2011 (mehr Karte und Daten hier)

Auffällig daran: In relativer Nähe zum Entführungsort der Samho Jewelry wurden in diesem Jahr bereits Schiffe angegriffen – in 76 Kilometern entfernt am 6. Januar ein Massengutfrachter, ebenfalls am 6. Januar 73 Kilometer entfernt der Tanker Front Warrior und der Flüssiggastanker BW Austria, am 7. Januar in 100 Kilometern Entferung, etwas weiter östlich, ein weiterer Öltanker. Und: zunehmend werden auch größere, zuvor gekaperte Schiffe als Mutterschiffe eingesetzt. Wenn nun gut eine Woche später in der Nähe erneut ein Handelsschiff entführt wird, liegt eine Vermutung nahe: Die Piraten sind in der Lage, eine Weile auf See auszuharren und auf Beute zu warten. In ihre Stützpunkte an der somalischen Küste müssen sie erst mal gar nicht zurück: Die Basis See für ihre Aktionen haben sie sich schon verwirklicht. Und, wie die Art der angegriffenen Schiffe zeigt: sie sitzen gerade ziemlich genau auf der Hauptroute aus dem Persischen Golf nach Fernost. Wo etliche Öl- und andere Tanker vorbeikommen.

Aus dem Raster fällt dagegen die Kaperung des dänischen Frachters Leopard bei der noch ziemlich viel unklar ist. Gesichert scheint aber, dass die sechs Seeleute an Bord entführt wurden, während das Schiff sich selbst überlassen blieb. Das ist auch aus Sicht des International Maritime Bureau (IMB) eine besorgniserregende neue Wendung: Whilst the use of hijacked vessels as mother ships is not a new phenomenon, the abduction of crew members could signal a significant new development, sagt IMB-Direktor Pottengal Mukundan. Damit ändere sich die Dynamik der somalischen Piraterie.

Auf diese Dynamik können auch andere Änderungen in der Taktik der Seeräuber Einfluss haben. Der Kommandeur der NATO-Operation Ocean Shield, der Niederländer Michiel Hijmans, beklagte bei einer Pressekonferenz in Mombasa nicht nur grundsätzlich, dass die Piraten immer smarter würden – und zugleich die zunehmende Nutzung von Mutterschiffen, mit der ursprünglichen Besatzung als Geiseln an Bord, den Anti-Piraterie-Truppen das Vorgehen erschwerten. Er hatte auch besorgniserregende Details zu berichten: Die Zitadelle auf einem Handelsschiff, der geschütze Raum, in den sich die Besatzung bei einem Piratenangriff zurückziehen sollte, würde nun auch von den Piraten selbst genutzt – als Schutz vor einer Erstürmung durch Soldaten. Und auf die Technik moderner (Straf)Verfolgung und Überwachung hätten sich diese Seeräuber auch längst eingestellt – durch einen regelmäßigen Wechsel der SIM-Karte ihrer Mobiltelefone (was ja als Taktik aus der Organisierten Kriminalität bekannt ist).

Nach erfolgreichem Kampf gegen die Piraterie klingt das irgendwie nicht. Und alle diese Details werden vielleicht auch beim so genannten Piratengipfel von Industrie und Bundesregierung am 24. Januar eine Rolle spielen…