Piraten entführen sechs Seeleute und verzichten auf Waffenfrachter

Die – man muss es leider so sagen – Erfolgsgeschichte der Piraten vor Somalia ist um eine bizarre Wendung reicher. Inzwischen scheint festzustehen, dass die Seeräuber bereits am vergangenen Mittwoch den dänischen Frachter Leopard südöstlich des Hafens Salalah in Oman kaperten, dann aber das Schiff verließen. Die sechs Seeleute an Bord, zwei Dänen und vier Filippiner, nahmen sie aber offensichtlich mit auf das Piraten-Mutterschiff, ein ebenfalls gekapertes taiwanesisches Fischerboot. Die Ladung des Frachters, nach Annahme der EU-Anti-Pirateriemission Atalanta Waffen und Munition, blieben unangetastet.

Eine solche Entführung hat es bislang nicht gegeben – zwar wurden Seeleute von gekaperten Schiffen immer wieder vorübergehend an Land verschleppt, mitunter – wie im Fall von Seglern – auch für lange Zeit. Ziel der Piraten war jedoch bislang immer, möglichst viel Lösegeld für das erbeutete Schiff zu kassieren. Wenn sie einen Frachter zwar erstürmen, dann aber nicht Richtung Somalia fahren konnten und die Besatzung sich in einem sicheren Raum verschanzt hatte, verließen die Seeräuber in der Regel das Schiff.

Der Frachter Leopard, aufgenommen von der türkischen Marine. Deutlich erkennbar der NATO-Draht, der das Schiff vor dem Boarding durch Piraten schützen sollte.  (Foto: Genelkurmay Başkanlığı/Türkischer Generalstab)

Soldaten der türkischen Marine von der Fregatte Gaziantep (Teil der NATO-Mission Ocean Shield) hatten die Leopard am Donnerstagabend geboarded und durchsucht, aber keine Spur von der Besatzung gefunden. (Pressemitteilung des Türkischen Generalstabs hier; die englische Widergabe beim Bloggerkollegen von Bosporus Naval News).

Die NATO geht davon aus, dass die entführten Besatzungsmitglieder an Bord des taiwanesischen Bootes Shiuh Fu No. 1 sind, allerdings ohne endgültige Klarheit. (Bericht der dänischen Zeitung Politiken; und die gewöhnungsbedürftige Google-Übersetzung)

Soldaten der türkischen Fregatte Gaziantep beobachten die Leopard (Foto: Genelkurmay Başkanlığı/Türkischer Generalstab)

Die ganze Geschichte bleibt bizarr. Dazu gehört auch das unbestätigte Gerücht, dass der Frachter eine (vermutlich bewaffnete) Sicherheitsmannschaft an Bord hatte, die aber das Schiff kurz vor dem Überfall im Oman verließ.

Wenn die Piraten die Leopard aufgaben – warum nahmen sie die Besatzung mit? Sollten sich die Seeräuber von der – bislang äußerst profitablen – Entführung ganzer Schiffe auf die Entführung von Personen verlegen? Gibt es – und das ist jetzt wirklich pure Spekulation – einen Zusammenhang mit sechs mutmaßlichen somalischen Piraten, die in Dänemark vor Gericht gestellt werden sollen?

(Und natürlich: wie konnte es zu einer solchen Ballung erfolgreicher Kaperungen in dieser Gegend kommen?)

(Pardon, heute ein überwiegender Piratentag, aber das musste sein.)

Nachtrag: Jetzt kam die offizielle Mitteilung der NATO, die das ganze noch ein bisschen bizarrer erscheinen lässt:

Turkish warship TCG Gaziantep – part of the NATO’s counter piracy mission, Operation Ocean Shield, boarded and searched Motor Vessel (MV) Leopard after it had been attacked by armed pirates.

In the afternoon of January 12th MV Leopard was attacked by two pirate skiffs. As the pirates fired small calibre weapons, the crew retreated to a secure area in the ship known as a ‘citadel’.

A Japanese maritime patrol aircraft soon arrived at the scene and established communications with the crew. In a short message the master of MV Leopard informed the Japanese aircraft that armed pirates were on board. In the meantime TCG Gaziantep, who was about 250 nautical miles away, was tasked to steam to the position of MV Leopard.

As TCG Gaziantep approached the area, her helicopter over flew MV Leopard, however, there was no sign of the crew or the pirates on board. The Turkish boarding team subsequently searched the ship and it became clear that the pirates had left, and, having taken the 6 man crew with them, boarded a pirate ‘mother ship’.

The crew of the NATO warship is now guarding MV Leopard, ensuring it remains navigationally safe, whilst arrangements are being made to transport it back to port.

Also: Die Besatzung hatte sich in den Schutzraum zurückgezogen. Und bereits Kontakt mit einem japanischen Aufklärungsflugzeug aufgenommen. Warum haben die Seeleute dann doch das Schiff verlassen?

Die Nato-Fotos, ein bisschen näher dran:

Das Heck der Leopard (Foto: NATO)

Die Leopard und die türkische Fregatte Gaziantep im Hintergrund (Foto: NATO)

Auch das International Maritime Bureau ist besorgt: Latest attack changes dynamic of Somali piracy