Blick auf Mali: Neue (alte) Hubschrauber, neues UN-Mandat, neue alte Probleme

Angesichts der Konzentration auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geraten andere Dinge aus dem Blick – zum Beispiel der derzeit größte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Deshalb (und fürs Archiv) eine Übersicht zur Entwicklung der Mission in Mali:

• Derzeit sind in dem westafrikanischen Land mehr als 1.300 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz – gut 1.100 in der UN-Mission MINUSMA mit Schwerpunkt im nordmalischen Gao; noch knapp 270 in der EU-Ausbildungsmission EUTM Mali. In der Zahl für den EU-Einsatz ist allerdings der Spezialkräfteverband der Operation Gazelle im benachbarten Niger mit eingerechnet; tatsächlich ist in Mali selbst eine deutlich geringere Zahl praktisch mit dem Rückbau der deutschen Beteiligung beschäftigt.

• In der vergangenen Woche übernahmen die – auch nicht mehr ganz so jungen – Transporthubschrauber CH-53 der Luftwaffe von den NH90-Helikoptern des Heeres die Transportaufgaben und vor allem die Bereitschaft zur medizinischen Evakuierung in Gao.

Der Bundestag hatte beide Einsätze im Mai verlängert – mit einer Endperspektive für EUTM Mali, vor allem aber mit einer Ausstiegsklausel für die MINUSMA-Beteiligung: Sollte es keinen aus deutscher Sicht adäquaten Ersatz für den Abzug der französischen Kampfhubschrauber der Anti-Terror-Operation Barkhane geben, sind Maßnahmen zur Anpassung des deutschen Beitrags einzuleiten bis hin zur Beendigung des Einsatzes.

• Der Abzug der französischen Truppen aus Mali rückt näher (das hat eine längere Vorgeschichte, zum Teil hier aufgegriffen). In der vergangenen Woche endete nun offiziell die Spezialkräfte-Mission Takuba – eine Anti-Terror-Operation mehrerer europäischer Staaten (die Deutschland politisch unterstützt, aber zu keinem Zeitpunkt Truppen dafür entsandt hat).

Aus der Mitteilung des französischen Generalstabs dazu (die offensichtlich direkt an Medien verschickt wurde, aber bislang nicht auf der Webseite zu finden ist):

Die Neuorganisation des französischen Militärs in der Sahelzone, die in enger Zusammenarbeit mit den europäischen und nordamerikanischen Partnern beschlossen wurde, führte zur Beendigung der Operationen der TF TAKUBA in Mali mit Wirkung vom 30. Juni.
Die Operation BARKHANE und die TF TAKUBA zeigen, wozu die Europäer in der Lage sind, in komplexen Sicherheitsumgebungen gemeinsam etwas zu erreichen. So werden die aus dieser operativen Erfahrung gezogenen Lehren und der „Geist von TAKUBA“ auch außerhalb Malis fortbestehen. (…)
Die am 27. März 2020 gestartete TF TAKUBA vereinte bis zu 10 beitragende Nationen (Belgien, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Frankreich, Ungarn, Italien, Niederlande, Portugal, Schweden). Die erste Einsatzfähigkeit (IOC – Initial Operational Capability) wurde am 15. Juli 2020 und die volle Einsatzfähigkeit (FOC – Full Operational Capability) am 2. April 2021 erklärt. Mit ihren zwei Task Groups (T G), ihrer motorisierten und helikoptergestützten schnellen Eingreiftruppe (QRF – Quick Response Force) und ihrer Schutzeinheit hat die TF ihre Effizienz bei der kontinuierlichen Unterstützung der FAMa bewiesen.
Die Einbindung der europäischen Partner in die TF TAKUBA trug direkt zur Erreichung der operativen Ziele bei. Die gemischten TGs ermöglichten die Aufrechterhaltung eines stetig steigenden operativen Rhythmus. Die TAKUBA TF vereinte rund 800 Soldaten aus 10 Ländern und stand sogar unter dem Kommando eines dieser Länder: Schweden. Neben einer gemeinsamen Lagebeurteilung wurden auch gemeinsame Vorgehensweisen und Waffenbrüderschaft geschmiedet. Sie ermöglichten es allen beitragenden Nationen, eine gemeinsame Lagebeurteilung und ein gemeinsames Lagebewusstsein zu entwickeln.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die TF TAKUBA ein strategischer und taktischer Erfolg ist. Sie ist ein strategischer Erfolg, da mehr als 10 europäische Länder, die sich der Auswirkungen der Verschlechterung der Sicherheitslage in der Sahelzone auf die Sicherheit Europas bewusst waren, beschlossen, sich gemeinsam im Kampf gegen die GAT zu engagieren. Es ist auch ein taktischer Erfolg, denn die TF TAKUBA ermöglichte die Ausbildung malischer Einheiten, die für den Kampf gegen Terroristen geeignet sind, und verhinderte so die Territorialisierung der GAT, insbesondere des Islamischen Staates in der Großen Sahara (EIGS), im Gebiet der Drei Grenzen.
(Übersetzt mit deepl.com)

Die Esten haben dazu einen Überblick produziert:

• Der UN-Sicherheitsrat verlängerte in der vergangenen Woche das Mandat der Vereinten Nationen für die MINUSMA-Mission (UNSCR 2640/2022). Allerdings zeichneten sich dabei bereits Probleme ab. So stimmten die beiden Sicherheitsratsmitglieder Russland und China der Verlängerung nicht zu, sondern enthielten sich der Stimme:

Amid a shifting political and security landscape in Africa’s Sahel region, the Security Council today decided to renew the mandate of the United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA) for another year, while calling for an assessment of its cooperation with the host country’s authorities, the challenges it faces and options for its reconfiguration.
The move comes on the heels of Mali’s recent announcement that it will withdraw from all institutions of the Group of Five for the Sahel (G5 Sahel) — including the G5 Sahel joint force formed to counter terrorism in the region — as well as the decisions by France and other European countries to withdraw their counter-terrorism forces from the country.
Adopting resolution 2640 (2022) (to be issued as document S/RES/2640(2022)) by a vote of 13 in favour to none against with 2 abstentions (China, Russian Federation), and acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations, the Council also expressed serious concern over increasing allegations of violations of international law by the Malian Defence and Security Forces.

Der Hauptkritikpunkt der russischen und chinesischen Vertreter war offensichtlich der Stellenwert der Menschenrechte, die der Sicherheitsrat in seinem Mandat auch zu einem Untersuchungsgegenstand der Blauhelm-Mission machte. Berichte über den Einsatz der russischen Söldnerfirma Wagner in Mali, verbunden mit möglichen Menschenrechtsverletzungen, schienen dabei Russland besonders zu stören:

Anna M. Evstigneeva (Russian Federation), noting that her delegation abstained in the vote, voiced concern over the resolution’s “intrusive wording” on human rights, which might be used by those who wish to tarnish the work of the Transitional Government and “are not pleased with its independent foreign policy approach”. Western colleagues often try to push “fakes” into the work of the Council, and they do not wish to hear perspectives that contradict their own. Noting that Mali is currently engaged in a difficult fight against terrorism, with hundreds of civilians killed each month, she said MINUSMA is finding it ever more difficult to carry out its mandate. However, for Western colleagues, all those challenges “go to the back burner” when it comes to the support the Russian Federation is providing to Mali. She urged MINUSMA’s leadership to maintain its impartiality and act only in the interest of Mali’s people, and to maintain constructive relations with the host country.

Auch von Mali selbst wurde die neue UN-Resolution kritisiert – und der malische Vertreter bei den Vereinten Nationen kündigte rundweg an, dass sein Land weder das Recht von MINUSMA zur unabhängigen Untersuchung möglicher Menschenrechtsverletzungen akzeptiere noch davon abrücke, die Truppenbewegungen der UN-Mission von vorheriger Genehmigung abhängig zu machen:

Die deutsche Übersetzung der wesentlichen Passagen:

Die Regierung der Republik Mali nimmt die Resolution zur Kenntnis, die Sie soeben verabschiedet haben und mit der das Mandat der MINUSMA um ein weiteres Jahr verlängert wird.
Wie Sie wissen, hat sich die Regierung von Mali für die Verlängerung des MINUSMA-Mandats ausgesprochen, gleichzeitig aber auch klar ihre Erwartungen und starken Vorbehalte gegenüber dem neuen MINUSMA-Mandat formuliert.
Die Regierung von Mali muss jedoch mit großem Bedauern feststellen, dass einige ihrer starken Vorbehalte in der Endfassung der Resolution, über die Sie soeben abgestimmt haben, schlichtweg ignoriert wurden.
Die Regierung von Mali bekräftigt ihren entschiedenen Widerstand gegen die Bewegungsfreiheit der MINUSMA bei der Ausführung ihres Menschenrechtsmandats. Mali hat mit der UN-Truppe seit ihrer Einrichtung im Jahr 2013 stets in gutem Glauben kooperiert. Aus Gründen der Achtung der Souveränität Malis, der Koordination und der Sicherheit können Bewegungen der MINUSMA jedoch nur mit der Zustimmung der zuständigen malischen Behörden erfolgen.
Ebenso ist Mali nicht in der Lage, die Bewegungsfreiheit für Ermittlungen der MINUSMA ohne vorherige Zustimmung der Regierung zu gewährleisten. Daher beabsichtigt Mali nicht, diese Bestimmungen trotz ihrer Annahme durch den Sicherheitsrat umzusetzen.
(
Übersetzt mit deepl.com)

Interessant wird die Frage, ob und wie sich das auf den Einsatz der Bundeswehr auswirkt. Die USA reagierten umgehend auf die malische Erklärung:

The United States is deeply concerned by the statement made by Mali’s transition government expressing its intent to deny MINUSMA the freedom of movement necessary to fulfill its mandate. To do so would be a blatant violation of the status of forces agreement (SOFA) that the transition government is obligated to uphold.
The United States is fully committed to ensuring the safety and security of UN peacekeepers. Any attempt by host countries, foreign security personnel, or other actors to block freedom of movement of peacekeepers can seriously compromise the safety of those peacekeepers and jeopardize the mission itself.
Moreover, freedom of movement is essential for MINUSMA to carry out the duties assigned to it by the UN Security Council.

Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der UN-Truppen betrifft auch die Bundeswehr; das Verteidigungsministerium wollte sich aber auf Anfrage vorerst nicht dazu äußern und verwies für diese Frage des militärischen Einsatzes an das Auswärtige Amt.

Ergänzung: An einer anderen Front scheint Mali Fortschritte zu machen. Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS ist zur Aufhebung eines Teils der Sanktionen gegen die malische Militärregierung bereit, nachdem diese einen Zeitplan für die – mehrfach verschobenen – Wahlen vorgelegt hat, wie Reuters berichtet:

Leaders of the Economic Community of West African States (ECOWAS) on Sunday lifted economic and financial sanctions imposed on Mali, after its military rulers proposed a 24-month transition to democracy and published a new electoral law.
ECOWAS Commission President Jean Claude Kassi Brou told a news conference that the sanctions will be lifted immediately. Borders with Mali will reopen and regional diplomats will return to Bamako.
The bloc imposed stiff sanctions on Mali in January after the junta said it would not organise democratic elections the following month as initially planned.

(wird ggf. ergänzt)

(Foto: Einsatz der Bundeswehr bei MINUSMA in der Nähe von Gao im Juni 2022 – Jan Röllig/Bundeswehr)