Untersuchung zu laufenden Auslandseinsätzen der Bundeswehr – Punkt 3 wird Sie überraschen
Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium haben einen Bericht zu Bewertung der laufenden Auslandseinsätze der Bundeswehr vorgelegt – und den auch mit Schlussfolgerungen verbunden. Die Evaluierung, die am (heutigen) Mittwoch vom Bundeskabinett gebilligt wurde, kommt überwiegend zu wenig überraschenden Ergebnissen. Mit einer Ausnahme.
Ein Bericht der Bundesregierung zu einer Evaluierung der laufenden, mandatierten Auslandseinsätze der Bundeswehr war bereits 2021 im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vereinbart worden. Dass er jetzt erstmals vorgelegt wurde, hat eine sehr offenkundige Folge: Die laufenden Auslandseinsätze sind eben nicht mehr Afghanistan oder Mali, so dass diese Missionen nicht in den Bericht eingeflossen sind.
Die Auslandseinsätze, die von den beiden Ministerien näher betrachtet wurden, sind die Beteiligung an der
• Anti-IS-Koalition im Irak, Counter Daesh/Capacity Building Iraq (OIR/NMI),
• Maritimen Sicherheitsoperation Sea Guardian
• Kosovo Force (KFOR)
• European Union Force ALTHEA in Bosnien-Herzegowina
• European Union Naval Force Mediterranean IRINI (EUNAVFOR MED IRINI)
• und den beiden verbliebenen Blauhelmmissionen United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) und United Nations Mission in the Republic of South Sudan (UNMISS)
Bislang (?) wurde nur eine Zusammenfassung veröffentlicht, noch nicht der Bericht selbst. Enthalten ist aber das grundsätzliche Bekenntnis zur Bundeswehr-Beteiligung an solchen Missionen jetzt und auch in Zukunft: Die Evaluierung hat gezeigt, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr relevante Beiträge zu
den multinationalen Gesamteinsätzen leisten und zur Sicherheit Deutschlands beitragen.
Laut Zusammenfassung komt die Evaluierung zu fünf Schlussfolgerungen – und mit allem gebotenen Respekt: Ein großer Teil davon sind Überlegungen, von denen man erwartet hätte, dass sie vor Beteiligung an einem solchen Auslandseinsatz auch bisher schon angestellt würden:
• Erstens sollte die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen im Rahmen des internationalen Krisenmanagements angesichts wachsender sicherheits- und verteidigungspolitischer Herausforderungen und begrenzter Ressourcen künftig klarer entlang der sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands priorisiert werden.
• Zweitens sollte das Ambitionsniveau der Auslandseinsätze stets realistisch formuliert und ausgestaltet werden.
• Drittens sollten militärische und zivil-militärische Handlungsoptionen der Bundesregierung flexibler und skalierbarer ausgerichtet werden.
• Viertens sollte die Bundeswehr vollumfänglich ausgestattet werden, um ihren Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung erfüllen zu können.
• Fünftens sollten Auslandseinsätze der Bundeswehr an die Realitäten von Multipolarität und wachsender Systemrivalitäten angepasst werden.
Interessant und auch ein wenig überraschend finde ich Punkt 3, der mehr und flexiblere Handlungsoptionen für die Bundesregierung anmahnt. Im entsprechenden Absatz wird das auch weiter ausgeführt, da heißt es unter anderem:
Zugleich muss die Bundesregierung in der Lage sein, flexibel und robust auf akute Krisenentwicklungen zu reagieren. Bei bereits laufenden Einsätzen sollten nationale, einsatzbegründende Beschlüsse, wie z. B. die Bundestagsmandate, hierfür grundsätzlich wichtige Handlungsspielräume bieten.
Das erinnert an zähe Verhandlungen, fast schon ein Feilschen, um die Personalobergrenzen in früheren Mandaten – in denen dann schon mal das politisch noch Durchsetzbare in den Beschluss geschrieben wurde und die Bundeswehr anschließend anfing, in bestimmten Bereichen Soldaten und Soldatinnen nach Hause zu schicken, um andere Bereiche aufstocken zu können. Diese Forderung richtet sich direkt an die Abgeordneten des Bundestages, die bislang mit der Zustimmung eben auch zur Zahl des eingesetzten Personals ein Druckmittel in der Hand haben. Mal sehen, wie es bei denen ankommt.
Die Zusammenfassung des Berichts
20240626_Zusammenfassung_Evaluierung_Auslandseinsaetze
(wenn der Bericht selbst veröffentlicht wird, trage ich das hier nach)
(Archivbild Februar 2024: Feldjäger bei der Einsatzvorbereitung für die KFOR-Mission in Hohenfels – U.S. Army photo by Capt. Harold I. Shorter)
Mir scheint, dass das öffentliche Interesse an Einsätzen deutscher Streitkräfte außerhalb der bündnisbezogenen Landesverteidigung, selbst wenn diese uno-mandatiert sind, erheblich nachgelassen hat. Woran das liegt, darüber darf spekuliert werden. IFOR, KFOR, ISAF, RS und MINUSAM dominierten die Berichterstattung über lange Zeit. Verständlich. Alle zusätzlichen Einsätze geraten schon seit langem aus dem Blick. Was macht eigentlich UNIFIL, zumal keine deutschen Soldaten mehr in Zypern sind, sondern beim UNIFIL HQ südlich von Beirut. Im Blick sind jetzt eher die Vorhaben im Baltikum und die klassische Aufgabe der bündnisbezogenen Landesverteidigung für deutsche Streitkräfte. Das findet ich richtig. Alles zusätzlich dient eher dem Nachweis „wir tun was in der Welt“. Ob das überzeugt?
Das Ergebnis von Missionen ist möglicherweise erst nach längerer Zeit zu erkennen. Man hat aber jetzt den Eindruck, dass die ohnehin ausgedünnte Bundeswehr mit Auslandseinsätzen überfordert ist auch aufgrund der engen politischen Vorgaben und weiterhin ihrer Kernaufgabe Deutschland zu schützen, durch Abgabe von Kräften in Missionen nicht angemessen nachkommen kann.
Einerseits der Bundeswehr mehr Aufgaben zu geben, andererseits über Jahrzehnte dieser unzureichende Mittel zur Verfügung zu stellen, ist widersprüchlich und trägt zu dieser Bewertung bei.
Auch wird die erforderliche Effektivität dadurch eingeschränkt, dass sich in der Bundeswehr eine wuchernde Bürokratie breit gemacht hat, die die Auftragserfüllung zunehmend erschwert. Werden diese Prozesse nicht nach den Anforderungen des Gefechts ausgerichtet, wird auch mehr Geld nicht helfen. Auch dieses Problem ist seit langem bekannt . Trotzdem ist die Bundeswehr und die handelnden Personen darin häufig mehr an Prozesssichherheit orientiert als an Ergebnissen. Da könnte sich die Bundeswehr mehr an der Arbeitsweise der Wirtschaft orientieren.
Dazu bedarf es eines radikalen Umdenkens und Handelns. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Bundeswehr sich dieser Herausforderung in ausreichendem Maße stellt. Die zuletzt geäußerten Hinweise des GI werden in „Lehmschicht“ vernommen, aber vermutlich nicht angemessen umgesetzt werden.
Man wird sehen, ob und was sich tut. Die bisherigen Erfahrungen geben wenig Anlass zum Optimismus. Um so schlimmer angesichts der wachsenden Bedrohung Deutschlands und der NATO. Die Äußerungen des Bundeskanzlers z.B. zum Personalproblem der Bundeswehr lassen erkennen, dass er das Problem entweder nicht versteht, oder nicht verstehen will.
Josef König sagt:
26.06.2024 um 17:58 Uhr: Was macht eigentlich UNIFIL, zumal keine deutschen Soldaten mehr in Zypern sind, sondern beim UNIFIL HQ südlich von Beirut
Auf Zypern sind immer noch deutsche Anteile des UNIFIL Kontingent. Dort ist auch der logistische Umschlagplatz für die deutschen seegehenden Einheiten.
Quelle: https://www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/sicherungszug-zypern-limassol-5580628
[Der verlinkte Text ist eineinhalb Jahre alt – sicher, dass das noch aktuell ist? Ich denke nein. T.W.]
„Vom Einsatz her denken“ war die Generals-Maxime Ende der Nuller / Anfang Zehner Jahre. Als Feigenblatt für die konzeptionelle Abwendung von Vollspektrum-Streitkräften hin zur WehrbeamtInnen-Armee zur Gestellung von Kleinkontingenten für Stabilisierungsoperationen „out of area“, um den damaligen höchsten staatlichen Zielen, Haushaltskonsolidierung zur Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland um jeden Preis, dienlich zu sein. Nebeneffekt: Einsatzkontingente als Dreingaben zwecks Beziehungspflege bei Verbündeten. Es wirkt in der Rückschau alles ein bisschen kleinlich bis albern, was für ein Raum zB der Afghanistan-Einsatz im Denken und Handeln der Bundeswehr gespielt hat. Hätte wohl nie zuende gehen dürfen, das Ding, wenn man sich anguckt, wie sich das konzeptionell bis habituell in der Truppe, inkl. bei meiner einer, manifestiert hatte. Wenn man heute von diesen mandatierten Rest- Einsätzen liest, wirkt es wie aus der Zeit gefallen. Was immer jetzt an neuen Anforderungen & Maßstäben von Seiten Parlament u/o BReg entwickelt wird – es wird wohl strategisch belanglos bleiben.
Zitat Josef König:“Mir scheint, dass das öffentliche Interesse an Einsätzen deutscher Streitkräfte außerhalb der bündnisbezogenen Landesverteidigung, selbst wenn diese uno-mandatiert sind, erheblich nachgelassen hat.“
Das könnte damit zusammenhängen, das die Medien über diese Einsätze und die Einsatzländer nur sehr selten detailliert berichten. Wenn es im Kosovo nicht vor einiger Zeit zwischen den Volksgruppen ‚geknallt‘ hätte, dann wäre auch weiterhin über diesen Einsatz nicht berichtet worden. Wenn private Medien, die gewinnorientiert arbeiten müssen, die Berichte über diese Einsätze nicht gewinnbringend genug vermarkten können, dann ist das deren Sache.
Aber von unseren gebührenfinanzierten öffentlich rechtlichen Medien muss man schon erwarten können, dass sie über die Einsätze und die politische Lage in den betroffenen Ländern (die ja Ursache für die Einsätze sind) regelmäßig und detailliert berichten. Daraus ergeben sich dann automatisch die Antworten auf die Fragen nach Sinn und Zweck der Einsätze.
Ich habe mal auf Youtube geschaut welche aktuellen deutschsprachigen Dokus es zum Irak gibt. Die aktuellste Doku zur „Anti-IS-Koalition im Irak, Counter Daesh/Capacity Building Iraq (OIR/NMI)“ ist fünf Jahre alt.
https://www.youtube.com/watch?v=ypOmUQZn_3g
Eine deutschprachige Doku zu Sea Guardian gibt es nicht (aber jede Menge Videos aus dem Bundestag zu dem Thema).
Aktuelle Dokus zum Kossovo und die Mission KFOR gibt es ebenfalls nicht. Man könnte meinen, dass die Unfähigkeit dieses Problem zu lösen sowohl den Medien als auch der Politik einfach peinlich ist.
Deutschsprachige Dokus zur Mission ALTHEA sind ebenfalls nicht vorhanden
Die letzte aktuelle Doku zur Mission IRINI ist 11 Monate alt.
https://www.youtube.com/watch?v=Ynqcsfp96ks
Das aktuellste Video der Bundeswehr über UNIFIL ist neun Jahre alt. Die Berichterstattung im ÖRR dazu ist Fehlanzeige.
Gleiches gilt für die Mission UNMISS.
Meine kleine Recherche war jetzt mal ad hoc und vielleicht findet man bei genauem Hinsehen doch noch die eine oder andere Doku. Das würde am entstandenen Eindruck aber wenig ändern.
Ob mangelndes Interesse zu mangelder Berichterstattung führt oder mangelnde Berichterstattung zu mangelndem Interesse führt, darüber kann man streiten. Die Konsequenz ist die gleiche.
Diese Auslandseinsätze kosten einen Haufen Geld und binden Soldaten und Material, von dem die Bundeswehr zu wenig hat.
Zitat:“Die Evaluierung hat gezeigt, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr relevante Beiträge zu
den multinationalen Gesamteinsätzen leisten und zur Sicherheit Deutschlands beitragen.“
Ich bin gern bereit den Bericht abzuwarten, um zu erfahren, welche der Erkenntnisse zu dieser steilen These geführt haben.
Für Auslandseinsätze, die jenseits der LV/BV liegen sollte gelten, dass sie von intensiven Bemühungen des Auswärtigen Amtes begleitet werden, den jeweiligen Konflikt diplomatisch zu lösen. In jedem Fall sollte nach spätestens zehn Jahren Schluss sein. Es sei den der Einsatz ist von ausserordentlicher Bedeutung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Aber das muss dann auch klar und eindeutig erklärt werden. Über den Satz, das „Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird“, wird ja heute noch herzlich gelacht.
Viele der Missionen, an denen unsere Bundeswehr in der Vergangenheit beteiligt war, dienten, so mein Eindruck, lediglich der Untermauerung des Anspruchs auf einen ständigen Platz im UN Sicherheitsrat.
Solches Rumgeprotze sollte man sich als Regierung ohne funktionierende Streitkräfte besser sparen.
@Schlammstapfer
Ihre Fragen sind berechtigt – und zum Thema Medien möchte ich dazu aus eigener Erfahrung anfügen: Vor fast 20 Jahren war ich im Sudan (damals noch nicht in Sudan und Südsudan getrennt) für eine Recherche bei der damaligen Blauhelmmission auch mit deutschen Soldaten. Das Thema war schon damals, natürlich auch angesichts des alles überschattenden Afghanistan-Einsatzes, keines das man als Journalist leicht unterbringen und auf Wahrnehmung hoffen konnte. Das dürfte, vielleicht mit Ausnahme des Kosovo, unverändert gelten.
Das Erschreckende an der Zusammenfassung (ähnlich auch am Gesamtteil sowie dem Datenteil) ist, dass alles (!) de facto ja nur eine strukturierte Zusammenfassung ist und statistikfrei wie methodenarm und quellenbegrenzt Worte akkumuliert werden.
Datentriangulation findet begrenzt statt und die Frage nach den Zielkorridoren der Evaluierung ist komplett unklar (übergeordnete Evalutionsziele wie Lernen, Legitimation, Dialog oder Entwicklung). Leider (mal wieder) dünn. Klar kann ich verstehen, dass bestimmte Daten geheim sein müssen im SSoF. Aber komplett datenbefreit? Auch was der „monetary footprint“ ist oder der Expected Combat Value/Risk Quota muss nicht komplett frei sein. Aber ein evaluativer Ansatz stellt Ziele in Frage, prüft diesevund ist daten- wie quellengeleitet.
@Schlammstapfer
„Zitat:“Die Evaluierung hat gezeigt, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr relevante Beiträge zu
den multinationalen Gesamteinsätzen leisten und zur Sicherheit Deutschlands beitragen.“
Ich bin gern bereit den Bericht abzuwarten, um zu erfahren, welche der Erkenntnisse zu dieser steilen These geführt haben.“
Das ist doch klar: es kann nicht sein was nicht sein darf 😎
Relevant war – zumindest der Stärke nach – der Beitrag in AFG und in MLI schon.
@J10, 27.06.2024 um 15:10 Uhr:
„[…] Wenn man heute von diesen mandatierten Rest- Einsätzen liest, wirkt es wie aus der Zeit gefallen. Was immer jetzt an neuen Anforderungen & Maßstäben von Seiten Parlament u/o BReg entwickelt wird – es wird wohl strategisch belanglos bleiben.“
Ich prognostiziere, dass wir im Laufe der nächsten Jahre die Debatte führen werden, ob die Sache mit den Bundestagsmandaten wirklich noch zeitgemäß ist. Im Ministerium scheint man sich jedenfalls schon entsprechende Gedanken zu machen, siehe Punkt 5 der Evaluationszusammenfassung. Anhören sollte man sich dazu auch die Gedanken von GenLt Schneider (AbtLtr MEO) in der neuesten Episode von „Gespräche am Ehrenmal“ (Spotify).
@Schlammstapfer, 27.06.2024 um 16:15 Uhr:
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Bundeswehr die von Ihnen geforderte Berichterstattung in den allermeisten Fällen ermöglichen muss. Ich denke da beispielsweise an den letzten großen IKM-Aufreger ASPIDES und daran, dass andere Nationen „Embedding“ auf ihren Schiffen angeboten haben. Bei uns gab’s ein paar Fotos vom PAO.
Der Informationsraum ist keine Einbahnstraße.
Die mediale Berichterstattung ist ein spannendes Thema. Ich empfehle hier insbesondere die Ausstellung „Vergessene und blinde Flecken – Die mediale Vernachlässigung des Globalen Südens“ (IVR Heidelberg, die Schlüsselerkenntnise gibt es auch online)
Was das mit der Bundeswehr zu tun hat? Zwei Beispiele: Das ARD Studio Nairobi deckt mit zwei Korrespondenten 38 afrikanische Staaten ab, darunter Mali, Niger, Tschad…
Zehn Jahre Bürgerkrieg in Jemen, mit Hunderttausenden Toten, spielten auch nur eine marginale Rolle, bis der Beschuss von Frachtern begann. (Empfehlung: Yemen Listening Project – eine Journalistin sammelte die ungefilterten Erfahrungen von zig Zivilist:innen)
Das allgemeine Wissen um diese Regionen und Länder (oder eben nicht) hat natürlich Einfluss auf unsere Wahrnehmung, Diskussionen – und im Endeffekt politische Entscheidungen.
Vielleicht könnte man sich an der Powell-Doktrin orientieren:
https://en.wikipedia.org/wiki/Powell_Doctrine
i.V.m. der Weinberger-Doktrin, insb. bzgl. des Kräfteansatzes.
@ Schlammstapfer sagt:
27.06.2024 um 16:15 Uhr
„Über den Satz, das „Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird“, wird ja heute noch herzlich gelacht.“
Ja. Aber lediglich bei denen, die sich nicht damit beschäftigten. So falsch war der Satz in Bezug auf die Bundeswehr seinerzeit nicht. Etwas überhöht, aber nicht falsch.
Und mit der selben Überhöhung formulierte und korrespondierte man im politischen Raum dann halt auch Ziele, was man denn nicht alles erreichen wollen. Auch daran war aber ganz sicher nicht alles falsch.
Umgekehrt halte ich aber natürlich auch nichts von Dolchstoßlegenden -die Sie auch nicht aufmachen, also kein direkter Bezug auf Ihr geschriebenes Wort- die besagen, dass die nichtmilitärische Seite allein die unerfolgreichen Komponenten verantwortet.
Mir hatte die Zieljustierung des Weißbuches 1994 stets gefallen. Ebenso die Aussage Horst Köhlers als Bundespräsident: wir sind eine Handelsnation, also schützen wir unsere Märkte und wirtschaftlichen Interessen.
Dass dabei eben jenen Märkten die Perspektive zur sozioökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung ermöglicht wird-zumindest solange wir uns als ordentliche Kaufleute benehmen- klingt mir in den Diskussionen immer noch zu wenig an.
@Bürger
Da stimme ich Ihnen zu, aber man müsste doch eigentlich bei der Bundeswehr ein gesteigertes Interesse an Berichterstattung über diese Internationalen Einsätze haben. Ich könnte nun noch ironisch anmerken, dass angesichts des Personalmangels in den Schiffen doch genügend Kojen für Journalisten frei sein müssten.
@Thomas Melber und Sachlicher
„Relevant“, zumindest was den Aufwand betrifft, waren die Einsätze in AFG und in MLI sicher. Aber wie steht es mit dem Verhältnis von Aufwand zu Nutzen?
Ich würde die beiden Einsätze auch nicht direkt vergleichen. Der EInfluss der Mission in MLI war von vornherein durch die Regeln im Mandat so sehr begrenzt, dass dieser EInsatz, so mein Eindruck, vor allem darin bestand, die UN-Flagge herumzufahren.
Zum Einsatz in AFG hatte man am Anfang ziemlich klare Zielvorstellungen. Vieles von dem was man gerade im zivilen Bereich erreichen wollte, scheiterte an mangelnder Kommunikation und Kooperation.
„Deutschlands Sicherheit“ darunter fiel für mich auch immer klar die Bekämpfung des Drogenanbaus. Aber während des Einsatzes stieg die Opiumproduktion in AFG von Jahr zu Jahr an. Seit die Taliban wieder an der Macht sind, ist der Opiumanbau fast auf Null gesunken.
@Schlammstapfer
Die Bekämpfung des Drogenanbaus war nie im Mandat der Bw und auch die Amerikaner haben sich erst recht spät darum gekümmert, sehr zum Mißfallen des Iran (dort gibt es sehr viele Drogenabhängige).
Mit dem PRT Konzept und dem comprehensive approach waren wir auf dem Papier recht gut aufgestellt, es lag wohl an den Friktionen im Tagesgeschäft, jedes Ministerium wollte „sein Ding“ machen, wobei sich die Bw da vornehm zurück gehalten hat.
Warum wird über die Einsätze so wenig berichtet (heute: Verlängerung von dreien): dann müßte man dem Bürger ja tatsächlich erklären was man dort tut und was denn das Ergebnis sein soll (end state). Und der Bürger würde das a) kritisch hinterfragen und b) dann auch Ergebnisse einfordern und sehen wollen. Daß das eher nicht gewünscht ist sieht man doch am Herumgeeiere bzgl der Evaluierung des AFG Einsatzes und dem Tuch des Schweigens welches über die Ergebnisse ausgebreitet wurde – oder wird hierüber in den Medien diskutiert? Zumindest bisher ist die BReg damit nicht breit an die Öffentlichkeit getreten.
@Thomas Melber
Hätte sich George W. Bush die Doktrin von Powell zu Herzen genommen, dann wäre den Irakern viel erspart geblieben. Powell war ein guter Mann. Leider wird sein Name immer mit seinem Auftritt vor den UN, auf dem er über WMDs im Irak gelogen hatte, in Erinnerung bleiben.
Die USA mögen im Irak einen Diktator und Massenmörder beseitigt haben, aber der Irak ist heute immer noch ein failed State.
Auch die Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg hat letztendlich ihr Ziel verfehlt.
Anstatt anzuerkennen, das Assad diesen Krieg gewonnen hat und dafür zu sorgen, dass die durch westliche Einmischung angerichteten Zerstörungen repariert werden, hält man den Syrien weiter im Würgegriff von (völkerrechtswidrigen) Sanktionen und man hält Teile des Landes (völkerrechtswidrig) besetzt.
Was AFG anbetrifft, haben die Taliban gewonnen.
Apropos, was wurde eigentlich aus der Analyse zum Scheitern dieses Einsatzes?
Es ist jedenfalls geradezu kindisch, dass sich unsere Regierung weigert, die Taliban anzuerkennen und den diplomatischen Kontakt nicht herstellen will. Unsere Bundesregierung ist aus rein pragmatischen Gründen mit vielen Regierungen im diplomatischen Kontakt deren Mitglieder sich schwerster Verbrechen schuldig gemacht haben. Was also soll an den Taliban und dem Assad-Regime so anders sein?
Frau Baerbock aber scheint zu glauben, dass man diese Staaten nur fest genug ignorieren muss, dann verschwinden sie von selbst.
Das ist mindestens realitätsfern. Die Folge der Ignoranz ist ein nicht abreissender Strom von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und auch aus AFG. Verbunden mit der Problematik, dass wir schwerst kriminelle Personen nicht in deren Heimatländer abschieben können.
Besonders letzteres kann nicht unser nationales Interesse sein.
[Es geht um die Bewertung von Auslandseinsätzen, und die Versuche, dass zu Parteipropaganda umzufunktionieren, stoppe ich jetzt sehr deutlich. T.W.]
Moin, – kann der Buerger etwas kritisch hinterfragen????
Wie alle rpt alle Veroeffentlichungen der Regierung(en) sind diese dazu bestimmt, die entsprechende Regierung moeglichst gut aussehen zu lassen.
Es waere nun Aufgabe der Opposition und der „Gentlemen of the Fourth Estate“ die tatsaechlichen Fakten und Ergebnisse herauszufinden und zu publizieren.
Dazu stelle ich fest, dass die erste Forderung in allerseltesten Faellen vor Ort erfuellt wird, sondern ueber Dinge im Irak von einem Korrspondenten in Ankara berichtet, ein Vorgang in Mali aus Nairobi, ein Vorfall in Fiji von Neuseeland aus besprochen wird. Bedeutet: Info aus Dritter Hand und zusaetzlich, je nach politischem Standpunkt des Mediums, mit rosa oder gruenem oder blauen Filter versehen.
Es bleibt dem Buerger nur: Verschiedene Veroeffentlichungen zu vergleichen und moeglichst davon auch auslaendische Presse. (Das ist uebrigens bereits eine Forderung von Tucholski aus den 20er Jahren)
Aber, wer hat die Zeit – und Mittel – dafuer?
Könnte es sein, dass Download Button nicht funktioniert?
[Keine Ahnung, was Sie mit „Download Button“ meinen, hier gibt es keinen. Falls es um die Datei mit der Zusammenfassung des Berichts geht: Die ist mit einem Klick zu öffen; funktioniert bei mir auch. T.W.]
@T.W.
Zitat:“Erstens sollte die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen im Rahmen des internationalen Krisenmanagements… künftig klarer entlang der sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands priorisiert werden.“
Eigentlich habe ich nichts anderes getan, als eine kleine Auswahl vergangener Auslandseinsätze und die daraus erwachsenen Folgen für die „sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands“ genauer zu betrachten. Wobei ich jenen Hintergrund gewählt habe, der die aktuelle politische Diskussion und Berichterstattung in unserem Land dominiert. In wie weit dies „Parteipropaganda“ enthalten soll, erschließt sich mir nicht.
Natürlich könnte ich mich, in meiner Naivität, dahingehend geirrt haben, dass meine Vorstellungen von den „sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands“ nicht mit den Vorstellungen der Macher jener Studie zu den „sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands“ übereinstimmen.
Aber dann wäre es doch mal Zeit die Menschen darüber aufzuklären, welche „sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands“ die Macher der Studie eigentlich meinen.
Und vielleicht könnte mir unbedarften Zeitgenossen jemand erklären, was sich hinter der Bezeichnung „zivil-militärische Handlungsoptionen“ verbirgt.
Beim zweiten Lesen der Empfehlungen ist mir aufgefallen, dass die Folgen der Präsenz unserer Streitkräfte für die betroffenen Staaten / Regionen offenbar keine Rolle spielen. Welchen Impact hat denn die Anti-IS-Koalition im Irak auf die Sicherheitslage?
Müsste hier nicht dem Auswärtigen Amt eine Schlüsselrolle einnehmen? Meiner Ansicht nach müsste jeder Auslandseinsatz durch die Diplomaten des Auswärtige Amt hinsichtlich seiner Wirkung auf das Operationsgebiet in mindestens jährlichen Intervallen kritisch evaluiert werden.
@schlammstapfer:
Es gab gerade diesen Montag eine Buchbesprechung zum Irak in der Sendung Andruck vom DLF. Ist vielleicht nicht viel, aber es gibt auch ein Leben vor Ort, das weit mehr Menschen interessiert, weil greifbarer, nicht so komplex und nicht so widersprüchlich. Die Weltspiegelbeiträge sind grundsätzlich auch sehenswert, wenn man sich mal überwindet, sie anzuschaue: Dort konnte man z.B. schon ein halbes Jahr vor dem überstürzten Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan erahnen, dass die prowestliche Regierung es nicht mehr lange macht. (Allerdings erst im Nachinein gefunden, dennoch sehenswert, da sie auch anschaulich die Landflucht in Afghanistan darstellt, was mittelfristig die Macht der Taliban untergräbt bzw. sie zu einer „normalen“ Diktatur zwingen mag. Chinesen sind in dieser Hinsicht ja auch nicht zimperlich. Nur solche Sachverhalte schaut sich halt niemand an, was von GEZ-Kritikern direkt dazu genutzt wird, sich über mangelnde Einschalt-/Hörquoten zu beschweren.)
Vielleicht ist youtube auch nicht die geeigneteste Suchmaschine, um die Tiefen der deutschen Medienlandschaft auszuloten… Auch wenn unsere kalifornischen Oberherren uns das Glauben machen wollen… Schon one drive angemeldet und Abo abgeschlossen? Jetzt auch mit KI.
Ust eine sehr verkürzte Darstellung. Grundsätzliich akzeptierte man, dass Assad mit brutaler Unterstützung der Russen mittels Tos Raketenwerfern usw. den Aufstand niederrang. Dann tauchten die Verrückten von Isis auf, deren Vorgehensweise selbst die USA und Iraner für eine kurze Zeit zu Waffenvrüdern werden ließ. (Kleine Anekdote: Abu Omar al-Schischani, Der Sohn Omars, der Tschetschene, war ein rothaariger Georgier, derwegen Abchasien einen Groll gg. Russland hegte, im Tschetschenienkrieg gg. die Russen kämpfte, zum Islam konvertierte, bei Isis als Führer der Tschteschenebrigade aufstieg und schließlich Mossul im Irak eroberte. Jo, das sind 30-jähriger Krieg Zustände wie bei Grimmelshausen, Wallenstein usw.). Sind allerdings auch heftige Umwälzungen, die da in der Gegend stattfinden. 19. und 20. Jh. im Schnelldurchlauf seit den ersten Ölfunden in den 50’ern. Nun auch noch Internet. Und hier beschweren sich manche über schnellen gesellschaftlichen Wandel. Was würden solche Leute dort sagen?
@Ex-Soldat im BAAINBw: Es gibt kein Unterstützungselement für UNIFIL mehr auf Zypern. Das Kontingent besteht aus den HQ Anteilen in Naquora und einer schwimmenden Einheit. Letztere kann auf Zypern auch ohne ein Landelement einfach nachversorgen. Also so wie bei anderen Seefahrten auch. Als die Mission 2007 losging waren viel mehr Einheiten dort, zu der Zeit machte es Sinn dort eine Logistikbasis zu haben.
Zum Thema „freundliches Desinteresse“
Heute, spätnachts und nach dem EM Spiel, zur späten Stunde.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/bundeswehr-132.html
Es scheint mir hier in den Kommentaren wieder zu stark um das vermeintlich entscheidende Klein-Klein vor Ort in den Einsatzländern zu gehen, und um die Frage, warum darüber nicht lang und breit und ständig berichtet wurde/wird. Als ob es bei den „besonderen Auslandseinsätzen“ für die deutsche Politik je um die Fragen vor Ort gegangen wäre! Darum ging es ja noch nicht mal für die, die vor Ort waren. Das DEU Rational: Fordert ein wesentlicher Verbündeter unsere Unterstützung, die wir aufgrund unsere strategischen Disposition erfüllen wollen, UND können wir dafür die politische Zustimmung organisieren? Siehe AFG -Konferenz auf dem Bonner Petersberg, die es eigentlich nur geben musste, damit die damalige rot-Grüne Regierungskoalition ihr „Mandat“ für ein deutsches Engagement geben konnte, wieder ein Feigenblatt, um eine deutsche Beteiligung am „Global War on Terror“ zu ermöglichen, der sehr viel mit US-Innenpolitik, vielleicht ein bisschen mit US-Geostrategie, aber sehr wenig mit effektiver und nachhaltiger Terrorbekämpfung zu tun hatte. Dies ist nix ungewöhnliches, die wichtigste Zielgruppe ist immer die Bevölkerung zuhause, die der Bereitstellung von Menschen, Material und Legitimation zustimmen muss. Aber in Deutschland sind dazu fast schon traditionell besonders autosuggestive Verrenkungen nötig, die langfristig Glaubwürdigkeit kosten, wie die Debatte im Bundestag nach dem Fall von Kabul 2021 eindrücklich demonstrierte. Ergo waren die Prioritäten dafür gesetzt: Zuallererst die Zustimmung der Politik und Bevölkerung zuhause sichern; dann die Amerikaner zufrieden stellen. Diese beiden fast unvereinbaren Ziele produzierten schon genug Eiertanz und Heuchelei. Weitere Ziele waren: die Bundeswehr oder Teile davon bei Laune halten, die den Job machen sollten; internationale Gemeinschaft und Hilfsorganisationen. Afghanische Bevölkerung? Ganz zuletzt auf der Liste und nur als Darstellende in unserem „Messaging“, die dann hoffentlich im Einzelnen für ihren Dienst davon profitierten. Schlussendlich ist es wie mit dem „nuclear sharing“ in den Niederlanden: Keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Daher waren wohl viele Verantwortliche in Berlin froh, wenn es keine ausufernden Dokus über deutsche Einsätze gab. Das Interesse zuhause war eh moderat, denn unterbewusst war allen klar: In keinem der Einsätze ging es um existenzielle Fragen für Deutschland. Das ist wohl jetzt wieder anders:
@ J10
was wären Ihre Alternativen zu den Verfahren, wie wir in Deutschland zur Einbindung von Streitkräften (Exekutive) in das parlamentarische Verfahren und dessen Kontrolle kennen und, wie ich selbst auch schätze?
Zugegeben, da ist viel „weiße Salbe“ dabei. So halte ich es für „glatte Augenauswischerei“ von deutschen Streitkräften als „Parlamentsarmee“ zu reden um damit die Gemüter zu beruhigen. Streitkräfte in Deutschland sind Exekutive und sollten es auch immer bleiben. Die Verantwortung für Politik hat immer eine, in Deutschland, frei gewählte Regierung und Deutschland kennt kein Präsidialsystem. Über den Einsatz deutscher Streitkräfte entscheidet der Deutsche Bundestag mit Mehrheit. Der Antragsteller, die Bundesregierung, hat immer eine (eigene) Mehrheit, sonst wäre sie nicht Regierung. Die Zustimmung weitere ist nicht notwendig aber macht Sinn. Selbst das Parlamentsbeteiligungsgesetz kennt nur das Verfahren „stimme zu“ oder „lehne ab“; Änderungen oder gar ein „Rückrufrecht“ sind nicht vorgesehen.
Schlussendlich – lass Sie und doch teilhaben an Ihren Alternativvorschlägen.
Besten Dank
@J10
Die Konferenz auf dem Petersberg hat sich vor allem deshalb im Nachhinein als Feigenblatt erwiesen, weil die USA vor allem ihre eigenen Interessen verfolgt haben und durch ihr brutales Vorgehen bei der Jagd auf die Taliban und Osama Bin Laden jegliche Bemühungen der anderen Player im Kampf um die ‚Hearts and Minds‘ zunichte gemacht haben.
Aber die Schuld liegt nicht nur bei den USA. Maßgeblich für die Bekämpfung eines Aufstands ist die Aufstellung einer Polizei. Diese Aufgabe hatte speziell die Bundesregierung übernommen und sie hat sie sträflich vernachlässigt. Erst als die negativen Meldungen über ein Wiedererstarken der Taliban zunahmen, erinnnerte man sich in Berlin des gegebenen Versprechens, aber da waren schon wertvolle Jahre vergeudet.
Ich warte immer noch gespannt auf die Analyse zum Einsatz in Afghanistan. Ich hoffe darauf, das der Hausherr uns darauf hinweist wenn sie veräffenlicht wird.
@Josef König 30.06.2024 um 16:17 Uhr:
Ich habe nichts gegen das Verfahren, wie in Deutschland Einsätze der Streitkräfte in besonderen Fällen (Also nicht LV/BV) politisch legitimiert werden. Aber gegen Art und Inhalt der Diskurse, die dazu geführt werden. AFG war so ein Bsp der Selbstmanipulation: Die USA wünschen nach den Anschlägen am 11. September 2001 gem. der Busch-Doktrin eine breite internationale Militärkoalition u.a. mit DEU Beteiligung zur weltweiten Terrorbekämpfung (Kill or Capture). Alles schick mit Artikel 5 und Schröder‘scher uneingeschränkter Solidarität, aber nun sollte „blood & treasure“ geliefert werden. Das wäre in DEU der Zeitpunkt gewesen, innerhalb der Regierungskoalition unter Einbindung der interessierten (Medien-) Öffentlichkeit einen ehrlichen strategischen Diskurs zu führen: Sind wir bereit, nicht zuletzt auf nachdrücklichen Wunsch des sicherheitspolitisch wichtigsten Partners, ggf. weltweit als Terroristen identifizierte Individuen und Gruppen gemeinsam mit anderen willigen Nationen militärisch zu bekämpfen? Unter dem Eindruck von 9/11 hätte es dafür sicher politische Zustimmung gegeben, wenn auch mit harten Diskussionen bei den Grünen und Teilen der SPD. Aber das war dem Duo Schröder/Fischer wohl zu heikel oder zu anstrengend, weil man u.a. ohne Beschönigung hätte beleuchten müssen, wer in der westlichen Welt sicherheitspolitisch Koch und wer Kellner ist, und was für Prioritäten sich daraus ergeben. Stattdessen also Flucht nach vorn – nicht einfach Terroristen jagen, sondern das Gute und Schöne in Welt tragen, der SPIEGEL brachte Artikel, wie schon bald wieder Miniröcke auf den Boulevards von Kabul zu sehen sein werden, wenn wir dort für Frieden und Freiheit sorgen. Große Konferenz auf dem Bonner Petersberg, große Pläne, die aber nie und nimmer Aussicht hatten, dafür notwendige Mittel und Kräfte zu erhalten, denn Hauptzweck der Übung waren nicht Effekte in Afghanistan, sondern Zaudernde oder mit sich Ringende in der SPD oder bei den Grünen was zu bieten, um sie zur Mandatierung dieses Unterfangens zu bewegen. Dieses Narrativ vom „Nation Building“ war und blieb unlauter, hier wurden für kurzfristige politische Ziele langfristig Glaubwürdigkeit geopfert. Alles natürlich in guter Absicht, aber doch mit einer gewissen Abgezocktheit durchgezogen. „On the ground“ in Afghanistan war später deutlich: Die Unterscheidung zwischen „guter“ ISAF-Mission und „so naja“ CotW „Enduring Freedom“ existierte nur in der Deutschen Öffentlichkeit und in den Köpfen leider viel zu vieler ParlamentarierInnen. Wozu wir in Uniform fleißig Beihilfe leisteten, immer toxisch positiv. Aber auch unausgesprochene Wahrheiten manifestieren sich in der Realität, sonst wären sie keine, das Wollen zeigt sich im Tun. Was lerne ich daraus? Erstmal ehrliche Debatten über die wahren strategischen Erwägungen führen, auch wenn es weh tut, bevor man sich auf dem Weg macht. Das hätte 20 Jahre „mission Creep“ mit strategischer Niederlage des Westens sowie innenpolitischem Glaubwürdigkeitsverlust verhindern können. Hätte, hätte…
@ J10
Mit Blick auf den noch ausstehenden Abschlussbericht der Enquete „AFG“ und der anschließenden Debatte im Deutschen Bundestag, erlaube ich mir auf ein Papier aufmerksam zu machen, das zutreffend einige Dinge beschreibt und aufgreift, die hilfreich sein könnten. Aber auch hier gilt es festzustellen, dass die Zirkel, in denen darüber reflektiert diskutiert wird, eher überschaubar sind. Trotzdem, zwischenzeitlich scheint es doch gelungen zu sein, Foren zu finden, die diese Sachverhalten aufgreifen. Mithin findet der „sicherheitspolitische Diskurs dort statt. . Hier der link zu dem eingangs genannten Papier https://www.justitia-et-pax.de/jp/publikationen/pdf/2023-06-28-Beitrag-der-GKKE-zur-Auswertung-des-deutschen-Einsatzes-in-Afghanistan.pdf