Kabinett will Bundeswehr-Beteiligung an NATO-Mission im Mittelmeer verlängern – Mandat der Grünen-Position angepasst

Die Bundeswehr soll sich auch weiterhin an der maritimen NATO-Überwachungsmission Sea Guardian im Mittelmeer beteiligen, allerdings wird das Mandat auf Wunsch der Grünen als neue Regierungspartei verändert. Vor allem der so genannte Kapazitätsaufbau für Mittelmeer-Anrainerstaaten wurde aus dem Auftrag der Deutschen Marine herausgenommen. Über das neue Mandat wird der Bundestag entscheiden.

Die Maritime Sicherheitsoperation Sea Guardian (MSO SG) ist eine umfassende Überwachungsoperation der NATO für das Mittelmeer, mit weitreichenden Befugnissen bis hin zur Beschlagnahme und Umleitung von Schiffen. Sie wurde als Nachfolge der Operation Active Endeavour geschaffen, die noch auf den Bündnisfall der Allianz nach den Angriffen von New York und Washington am 11. September 2001 gestützt war. Die NATO  hatte diese Mission 2016 begonnen.

Im Vergleich zum bisherigen Mandat (Bundestagsdrucksache 19/26558) enthält der am (heutigen) Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf der Fortführung der Bundeswehr-Beteiligung an Sea Guardian nicht mehr den Auftrag zum Kapazitätsaufbau mit Staaten in der Mittelmeerregion. Bei der vorangegangenen Abstimmung im März vergangenen Jahres hatten die Grünen fast geschlossen gegen das Mandat gestimmt, auch die heutige Außenministerin Annalena Baerbock hatte sich dagegen ausgesprochen.

Grund dafür war Möglichkeit im Mandat, NATO-Streitkräften die Ausbildung der Küstenwache von Mittelmeer-Anrainerstaaten zu erlauben. Eine parlamentarische Kontrolle, welche Länder davon profitierten, sei nicht möglich, hatte der damalige Grünen-Verteidigungspolitiker und heutige Staatsminister im Auswärtigen Amt Tobias Lindner im Parlament argumentiert.

In einem Schreiben an die Abgeordneten hatten Baerbock und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht allerdings erklärt, dieser Auftrag sei ohnehin nicht genutzt worden:

Die Möglichkeit zum Kapazitätsaufbau ist nicht mehr im Mandat enthalten, da sie in der bisherigen Einsatzpraxis keine praktische Relevanz hatte. Das Einsatzgebiet wurde entsprechend begrenzt und umfasst nunmehr grundsätzlich das Mittelmeer außerhalb der Küstenmeere. Die Erfüllung unserer Bündnisverpflichtungen wird hierdurch nicht eingeschränkt.

In der Begründung des bisherigen Mandats las sich das jedoch noch ein wenig anders:

Die Operation sieht zudem die Möglichkeit von Kapazitätsaufbau in den Anrainerstaaten u. a. durch Ausbildung vor. So wurden bei Hafenbesuchen (unter anderem in Algerien, Ägypten und voraussichtlich im Februar 2021 in Marokko) allgemeine Informationsvorträge zu MSO SG durch Einheiten im Rahmen von Fokusoperationen sowie durch den Ständigen Marineverband SNMG2 gehalten. Darüber hinaus wurden bisher eine gemeinsame Maritime Sicherheitsübung mit Israel sowie Passageübungen mit Algerien und Tunesien durchgeführt. Ursprünglich geplante weitere Übungen mussten aufgrund der COVID-19-Pandemie abgesagt werden. Voraussetzungen für die Aufnahme von Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau mit weiteren Anrainerstaaten sind ein Beschluss des Nordatlantikrats sowie deren Zustimmung.

Die Aufgabendefinition im neuen Mandat wurde angepasst; der Passus Informationsaustausch und Kapazitätsaufbau mit Staaten in der Mittelmeerregion wurde ersatzlos gestrichen:

Im Rahmen dieses Auftrages ergeben sich dabei für die Bundeswehr unter anderem folgende Einzelaufträge:
• Erstellung und Bereitstellung eines Lagebildes;
• Aufklärung und Beitrag zum Kampf gegen den Terrorismus und Waffenschmuggel im maritimen Umfeld, insbesondere durch das Anhalten, Durchsuchen, Beschlagnahmen und Umleiten von Schiffen und Booten und damit im Zusammenhang stehende Sicherungsmaßnahmen im Einklang mit dem Völkerrecht auch unter Bedrohung;
• Sichern und Schützen eigener Kräfte, unterstützter Kräfte und sonstiger Schutzbefohlener;
• Informationsaustausch und logistische Unterstützung zur Umsetzung des Waffenembargos im Rahmen des EU-Einsatzes EUNAVOR MED IRINI, sobald hierfür eine entsprechende Vereinbarung zwischen NATO und Europäischer Union zur Zusammenarbeit erreicht ist.

Verschärft wurde auch grundsätzlich die Regelung für einen Einsatz in in Küstenmeeren, also in den Hoheitsgewässern einzelner Länder: Bisher war dafür ein Beschluss des Nordatlantikrates und die Zustimmung durch den jeweiligen Anrainerstaat Voraussetzung. Im neuen Mandat wird für Nicht-NATO-Staaten eine zusätzliche Befassung des Parlaments vorgeschrieben:

Ein Einsatz in Küstenmeeren erfolgt nur nach Zustimmung durch den jeweiligen Anrainerstaat und, sofern dieser nicht Mitglied der NATO ist, auf Beschluss des Nordatlantikrates und nach Zustimmung des Deutschen Bundestages.

Nach dem neuen Mandat für die deutsche Beteiligung an der Koalition im Kampf gegen den Islamischen Staat ist Sea Guardian das zweite Mandat der neuen Bundesregierung, dass entsprechend den Wünschen der Grünen angepasst wurde – auch wenn die offizielle Sprachregelung ist, dass diese Anpassung den praktischen Erfahrungen der vergangenen Zeit entspreche.

Mit dem neuen Mandat wird auch die Personalobergrenze von bislang 650 auf künftig 550 Soldatinnen und Soldaten gesenkt. In der Regel wird diese Obergrenze aber ohnehin nicht ausgeschöpft: Die Deutsche Marine entsendet nicht gezielt Kriegsschiffe in diese Region, sondern unterstellt durchfahrende Einheiten im Mittelmeer oder, wie derzeit die Fregatte Lübeck, die in der Agäis-Mission eingesetzten Schiffe dieser NATO-Operation.

(Archivbild Oktober 2020: Die Fregatte LüŸbeck mit angetretener Besatzung beim Seemanöšver Vision 2020 im Skagerrak – Marcus Mohr/Bundeswehr)