Zusätzlich zur Langfristplanung setzt Marine auf schnelle Erhöhung der Kampfkraft (m. Nachtrag)
Die Deutsche Marine will neben den langfristigen Plänen für eine Aufstockung und Modernisierung der Flotte ihre Kampfkraft mit Sofortmaßnahmen erhöhen. Das zunehmend aggressive Verhalten der russischen Marine in der Ostsee erhöhe die Gefahr der Eskalation zwischen Russland und der NATO, sagte Marineinspekteur Jan Christian Kaack. Die Marine müsse deshalb bereits deutlich vor dem Jahr 2029 verteidigungsbereit und abschreckungsfähig sein.
Der Vizeadmiral stellte am (heutigen) Mittwoch in Berlin vor Journalisten den Kurs Marine für die Jahre bis 2035 vor. Darin wird vor allem das Ziel der Teilstreitkraft für die Ausrüstung mit Schiffen, Luftfahrzeugen und zunehmen unbemannten Systemen präzisiert.(*Nachtrag s. unten) Die dafür nötigen Entscheidungen müssten allerdings jetzt schnell getroffen werden, um bis Mitte des nächsten Jahrzehnts die entsprechende Ausrüstung zu haben, sagte Kaack. Das gelte zum Beispiel für die Beschaffungsentscheidung für das nächste große Kampfschiff, die Fregatte F127, die bislang nur geplant wird.
Allerdings wäre es illusorisch zu erwarten, dass bereits in den kommenden Jahren bis zum Ende des Jahrzehnts die Flotte grundlegend erneuert werden könnte, sagte der Inspekteur. Die Marine müsse deshalb als Sofortmaßnahme alles nutzen und ertüchtigen, was sie derzeit als kleinste deutsche Marine habe. Dazu gehöre unter anderem, in Zusammenarbeit mit der Industrie die Wartungszeiten für Kriegsschiffe so zu optimieren, dass tatsächlich jederzeit zwei Drittel der Flotte für Operationen zur Verfügung stünden.
Als weitere Maßnahme nannte Kaack eine Vereinbarung mit dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), dessen für Entwicklung und Erprobung eingesetzte Schiffe für die operative Nutzung der Marine vorzubereiten. Einheiten wie das Wehrforschungsschiff Planet, aber auch neue Schlepper sollten zum Beispiel mit Funkeinrichtungen oder Schienen zur Minenverlegung für den Krisen- oder Kriegsfall ausgerüstet werden. Geklärt werden müsse auch, wie andere Behördenschiffe und -Boote eingebunden werden könnten: Der Fischereischutz wird dann keine Dorsche zählen, sagte der Inspekteur.
Die Kriegsschiffe der Marine sollten möglichst schnell mehr Munition an Bord nehmen und nicht wie bisher nur mit einem Minimalbestand in See stechen, kündigte der Vizeadmiral an. Unter anderem werde geprüft, ob Schiffe der Deutschen Marine mit US-Marschflugkörpern des Typs Tomahawk ausgerüstet werden könnten. Das sieht gar nicht schlecht aus, sagte Kaack.
Eine weitere Planung für eine schnellere Erhöhung der Kampfkraft sind nach Worten des Inspekteurs die derzeit laufenden Versuche, bislang nur an Land eingesetzte Flugabwehrsysteme vom Typs Iris-T SLM auf den Fregatten des Typs F125 einzurüsten. Im Herbst solle es einen ersten scharfen Schuss in einem Testgebiet vor Nordnorwegen geben. Generell werde die Marine versuchen, crossfunktional Waffensysteme von Heer oder Luftwaffe, die als stand-alone-Lösung an Bord genommen werden könnten, auf ihren Schiffen einzusetzen. Auch die Ausrüstung mit Loitering Munition sei geplant.
Kaack kündigte an, die Marine werde in ihrer Eigensicherung mehr als bisher auf Resilienz und Schutz ihrer Anlagen Wert legen. Wir können es nicht zulassen, dass zwei russische Fischer im Hafen von Eckernförde einlaufen und U-Boote gucken, warnte der Inspekteur. Zum Schutz der maritimen Infrastruktur sei die Bundeswehr zudem dabei, die Fusion von Daten voranzutreiben, von der Satellitenüberwachung bis zu den Mess-Informationen der Betreiber von Unterseekabeln: Da kann man was draus lernen.
*Der Kurs Marine ist online hier verfügbar, zudem die Sicherungskopie:
Kurs_Marine_14mai2025
Und das Statement des Inspekteurs als Audio zum Nachhören:
Liest sich grundsätzlich gar nicht so verkehrt. Mich interessieren dabei vor allem der Aspekt der Magazintiefe, besonders in Hinblick auf die F127 und andere mögliche zukünftige Schiffe. Wird in diesem Zusammenhang zukünftig über mehr VLS Zellen nachgedacht ? Auch bei laufenden Projekten ? Wie kann ich Laie mir das vorstellen ?
Macht Sinn und ist eine gute Fortschreibung!
kurzfristig ist es wichtig mehr Schiffe ins Wasser zu bringen und diese dabei besser auszurüsten!
1) das 2. Los K130 muss endlich einsatzbereit gemacht werden
2) die Mehrzweckkampfboote müssen schnell kommen
3) die F123 dürfen für ihr MLU nicht zu lange in der Werft liegen
4) die F125 benötigen schnell Iris-t SLM
5) mehr Munition für alle Schiffe (RAM, ESSM Block2, NSM)
Dann müssen alle Grossprogramme auf den Weg gebracht werden!
die ersten Skizzen der FCSS und MCM Drohnen bis 2029 (siehe Esut Beitrag dazu) schauen übrigens nach SeaGull von Elbit aus… vermutlich für den Sofortbedarf!?
„Das zunehmend aggressive Verhalten der russischen Marine in der Ostsee erhöhe die Gefahr der Eskalation zwischen Russland und der NATO, sagte Marineinspekteur Jan Christian Kaack. Die Marine müsse deshalb bereits deutlich vor dem Jahr 2029 verteidigungsbereit und abschreckungsfähig sein.“
Ich fände es wichtig, mal zu sehen, was wirklich kurzfristig für Beschaffungen geplant ist. Insbesondere für die Nutzung in der Ostsee (ich lasse also die Fregatten-Diskussion erst einmal beiseite). Im Zielbild der Marine liegen ja viele Themen auf dem Tisch:
– FCSS (Future Combat Surface System zur Ergänzung der Korvetten)
– UAS (Unmanned Aerial System ergänzt Seefernaufklärer),
– UAV (Unmanned Aerial Verhicle ergänzt Bordhubschrauber)
– LUUV (Large Unmanned Unterwater Vehicle)
– diverse Minenbekämpfungssysteme.
Davon soll vieles kurzfristig, d.h. bis 2029, einsatzbereit sein. Das halte ich für völlig unrealistisch.
Für realistisch erreichbar halte ich erstens die Einsatzfähigkeit der bereits laufenden Beschaffungen:
– der P-8 Poseidon
– der NH90 Sea-Tiger
– des neuen Loses Korvetten K130
Bei zügiger Umsetzung sehe ich zudem sehr gute Chancen für:
– Aufklärungsdrohnen auf den Korvetten
– IDAS bei den U-Booten
– die Raketenausstattung für die Sea-Tiger
– die Raketenausstattung für die Poseidons
– Kampfboote für das Seebataillon
Bei den oben erwähnten anderen unbemannten Systemen müsste man jetzt einfach mit der Argumentation „Sofortbedarf“ in eine Beschaffung der marktverfügbaren Systeme einsteigen und sie einfach in der Ostsee zusammen mit den vorhandenen Marineeinheiten testen.
Als „out of the box“ würde ich die Beschaffung von JSMs und der Befähigung der Tranche 3 Eurofighter mit JSMs – quasi als „Reaktivierung Marineflieger“ in Betracht ziehen. Auch dies wäre bei entsprechendem Willen aus meiner Sicht bis 2029 erreichbar.
Ist auch die Anschaffung von Drohnenbooten geplant? Die Ukraine hat damit ja durchaus Erfolge erzielt: Zurückdrängung der russischen Schwarzmeerflotte, Versenkung von Kriegsschiffen und neuerdings sogar den Abschuss von Kampfflugzeugen. Drohnenboote sind billiger und dürften viel früher zur Verfügung stehen als das noch zu beschaffende Großgerät.
Puuuh… Jetzt erstmal durchschnaufen.
Wenn man jetzt mal hier auf der Website mal durchscrollt, und sich das Archiv der letzten Jahre durchschaut…
Eines haben alle Rüstungsbeschaffungen- und vorgeblichen Strukturveränderungen – gemeinsam. Es war alles gemächlich. Langsam.
Und nun diese Meldung. Im Prinzip Notmaßnahmen. Einbindung der zivilen Struktur. (Not)Konstruktion von eigentlich zivilen Schiffen zu Minenlegern, Vorpostenbooten und Aufklärern.
Einrüsten diverser Nothilfsmitteln, um Schönwetterpötte wie die F125-Klasse irgendwie doch noch verteidigungsfähig zu bekommen.
Das alles liest sich, als ob man innerhalb kürzester Zeit von einer kriegerischen Auseinandersetzung ausgeht. und das ganze weit vor 2029. Wahrscheinlich sogar noch vor 2027.
Und dies ist nur die Meldung der Marine, ähnliche Hinweise gibt es ja von den anderen Teilstreitkräften.
Und nicht nur in Deutschland, sondern auch bei unseren Nachbarn.
Siehe Beschaffungsprogramm der Schweizer für Marschflugkörper (!!!).
Es scheint ernst zu werden. Sehr ernst.
Ob wir der Konfrontation noch ausweichen können?
Gretchenfrage: bedingt unser Verhalten das unseres zukünftigen Gegenübers? Oder ist das, was gerade geschieht, ein notwendiges Übel?
Ich schrieb es schon in einem anderen Post – die Geschichte wird es weisen.
In der Online-Ausgabe der ESuT („Zwischen Abschreckung und Zukunftsfähigkeit: Kurs Marine 2025“) finden sich die ersten Übersichtgrafiken. Grob ist das wie das schon bekannte Zielbild 2035+, aber mengenmäßig wurde an mehreren Stellen noch einmal nach oben geschraubt, so z.B. bei den U-Booten („9-12“ statt „6-9“), den Poseidon („8-12“ statt „8“) und vor allem bei den umbenannten Systemen, bei denen meistens aus „bis zu“ ein „mindestens“ wurde. Die F125 sind wieder bei „3-4“ statt „3“. Interessant ist, dass zukünftig alle Fregattenklassen die Aufgabe „maritime strike“ können sollen. Bei den F126 und F127 dürfte hier der Kommentar des Inspekteurs bezüglich Tomahawk hingehören, bei den F125 weiß ich nicht, wie man das dort hinkriegen will.
[Die Grafiken finden sich auch im „Kurs Marine“ selbst, den ich oben verlinkt habe. T.W.]
Ich sehe aber leider keine geplanten Schiffe für die Ostsee. Oder übersehe ich etwas?
Die neuen Korvetten sind schon lange geplant, aber uns fehlen eher schnelle, kompaktere Einheiten wie die schwedische Visby-Klasse für die Ostsee als Ergänzung der Korvetten.
Könnte man was von dem Zeug, das noch im Marinearsenal liegt, also F122 zum Beispiel, nicht noch reaktivieren oder ist der Zug abgefahren?
@ Julian
Und die Gorch Fock aufrüsten – damit die eine Breitseite abgeben kann #sarc off
@Der Realist
In wie weit sind größere Überwassereinheiten in der Ostsee überhaupt überlebensfähig ? Ich würde eher setzen auf:
– Seekrieg aus der Luft
– mobile landgestützte Anti-Schiff FK
– sog. Drohnenboote / unbemannte Unterwassereinheiten (z.B. GREYSHARK)
für A2/AD
Die RUS Baltische Flotte tut mir leid 😎
Das sind alles zweifellos sehr sinnvolle Maßnahmen. Die definitiv durchgeführt werden sollten. Aber leider hängt man immer noch im alten Denken fest, praktisch nur auf die (teuren) seegestützten Systeme zu schauen.
Dabei ließe sich die Leistungsfähigkeit der Marine durch die sehr kostengünstige Addition landgestützter Systeme ganz erheblich erhöhen:
Am sinnvollsten – und kostengünstigsten („best bang for the buck“) – wäre die Erweiterung der Fähigkeiten mit landgestützten Seezielflugkörpern, wie dem RBS 15 Mk. III / IV. Die Effektivität von landgestützten Seezielflugkörpern hat die Ukraine mit ihren Neptun Erfolgen ja bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Die RBS 15 haben eine Reichweite von 200+ Km. Damit ließe sich die Verteidigung der Ost- und Nordsee ganz erheblich verbessern, und das zu minimalen Kosten: Denn mehrere dieser Systeme auf LKW (HX 81) kosten nur einen kleinen Bruchteil einer Korvette.
Zwei weitere Vorteile dieser Lösung:
1) Es werden weniger Schiffe zur Verteidigung der Ost- und Nordsee benötigt. Es werden also Kapazitäten frei für den Einsatz dieser frei gewordenen Einheiten im Atlantik.
2) Diese landgestützten Seezielflugkörper auf LKW sind extrem flexibel und schnell verlegbar. Sie können auch problemlos zur Bündnisverteidigung eingesetzt werden, also z.B. Verlegung nach Polen, um in Falle eines rus. Angriffs auf das Baltikum die rus. Baltische Flotte auszuschalten.
Finnland, Schweden, Estland nutzen bereits landgestützte Systeme. Dänemark hat die Vorteile dieser Lösung ebenfalls wiederentdeckt, und will jetzt wieder landgestützte Seezielflugkörper einführen (hatten sie früher bereits mit landgestützten Harpoon).
Frage an die Schwarmintelligenz:
Kann es sein, daß die beiden verbleibende Fregatten der Bremen-Klasse (F122) nicht abgewrackt werden, sondern noch einmal reaktiviert werden sollen?
Hoffentlich wird der Kurs Marine 2035+ nicht wieder vorschnell von Ministerium einkassiert. Dein Zielbild 2035 war das der Fall.