EU und Verteidigung: Es hapert nicht nur am Geld
Wenn es um die Europäische Union und die Verteidigung Europas geht, steht meistens das Geld im Vordergrund. Dabei hapert es, so zeigt ein Bericht des Europäischen Rechnungshofes, unter den 27 Mitgliedsstaaten schon an ganz anderen Dingen, wenn es um die schnelle Verlegung von Truppen und Gerät geht.
Die EU-Behörde veröffentlichte am (heutigen) Mittwoch ihren Sonderbericht 04/2025: Militärische Mobilität in der EU – Konzeptionsschwächen und Hindernisse stehen zügigeren Fortschritten im Weg. Sehr viel davon ist typische EU-bürokratische Beschreibung; aber der Rechnungshof mit Sitz in Luxemburg zeigte auch einige sehr plastische Beispiele:
Schade eigentlich, dass die Behörde aufgrund des sensiblen Charakters dieses Themas die konkreten Länder nicht nennt. Vermutlich bekommt man irgendwann aber doch raus, welche Mitgliedsstaaten mit diesen eklatanten Einschränkungen auffallen.
Der Europäische Rechnungshof wäre nicht der European Court of Auditors, wenn er nicht auch Vorschläge machen würde, die genannten Probleme anzugehen. Ganz oben steht der Hinweis, die zersplitterten Zuständigkeiten zusammenzufassen. Und wenn schon in der Veröffentlichung einer EU-Institution der Vorwurf überbordende Bürokratie auftaucht, ist klar, dass da schnell etwas passieren muss.
(Grafik: Aus dem Bericht des EU-Rechnungshofs)
Herr Wiegold, Sie haben da Table Briefings verlinkt. Schreiben Sie da mit? Super Sache. Diese bezahlten Fach-Newsletter scheinen eine Möglichkeit für zielgruppengerechten Qualitätsjournalismus zu sein. Ich hoffe da verdient man auch was.
Bei der Brücke würde mich es nicht wundern, wenn es die Öresundbrücke ist. Dort gab es schon mehrmals Komplikationen bezüglich nationaler Regelungen.
Die EU scheitert an sich selber. Was soll man dazu sagen? Da helfen auch keine 5 Prozent des BIP was. Der Schuß wurde immer noch nicht gehört.
Hallo zusammen,
Im Jahr 2017 hatte ein „vertraulicher“ NATO-Bericht, über den das deutsche Wochenmagazin Der Spiegel berichtete, dass es für die alliierten [und insbesondere die amerikanischen] Streitkräfte schwierig sei, im Bedarfsfall schnell in Osteuropa einzugreifen.
Im Einzelnen verwies das Dokument auf bürokratische Komplikationen beim Wechsel von einem Land in ein anderes sowie auf Probleme mit der Infrastruktur, von der einige aufgrund unterschiedlicher Konstruktionsstandards als nicht robust genug für die Durchfahrt von Panzern mit einem Gewicht von mehr als 60 Tonnen, wie dem M1A2 Abrams, angesehen wurden. Darüber hinaus beklagte er auch den Mangel an Versorgungspunkten für gepanzerte Fahrzeuge und an Zügen für den Transport von schwerem Gerät.
Damals wurde die Einrichtung eines „militärischen Schengen-Raums“ diskutiert, um einen Großteil dieser Schwierigkeiten zu beseitigen. Die EU schlug einen Plan zur Verbesserung der militärischen Mobilität zwischen ihren Mitgliedstaaten vor. Und zu diesem Zweck war im Entwurf des mehrjährigen Finanzrahmens für den Zeitraum 2021-27 ein Budget von 6,5 Milliarden Euro vorgeschlagen worden. Im Juli 2020 wurde jedoch beschlossen, „nur“ 1,5 Milliarden dafür bereitzustellen.
Wie groß diesen Schwierigkeiten sind, hat auch die Armée de Terre erlebt, als sie VBCI (Schützenpanzer) des 152. Infanterieregiments und Leclerc-Panzer des 1. Jägerregiments nach Cincu (Rumänien) im Rahmen der Mission Aigle, die zugunsten der NATO entsandte. So enthüllte die Tageszeitung Le Monde am 4. November 2022, dass den französischen Panzern eine kategorische Ablehnung der Durchfahrt auf der Straße durch Deutschland verweigert wurde […] aufgrund von Gewichtsbeschränkungen.
Mit dem Anhänger der Armée de Terre hat ein TRM700-100 ein Leergewicht von 36,79 Tonnen. Und ein Leclerc-Panzer wiegt 56,6 Tonnen (einsatzbereit). Das ergibt insgesamt etwas mehr als 93 Tonnen.
Die Bundeswehr verwendet für den Transport ihrer Leopard 2A7-Panzer (63,9 Tonnen) einen SLT 2 Mammut-Panzertransporter, dessen zulässiges Höchstgewicht 130 Tonnen beträgt.
Tatsächlich berücksichtigt die deutsche Straßenverkehrsordnung, wie in Frankreich und anderswo, die ‚Achslast‘, also die maximal zulässige Last pro Achse eines Fahrzeugs. Und in Deutschland liegt die zulässige Grenze bei 12 Tonnen pro Achse.
Die Erklärung, die Jean-Dominique Merchet von der Zeitung l’Opinion auf Twitter nach Rücksprache mit der deutschen Botschaft in Frankreich gegeben hat: ‚Die nicht erteilte Genehmigung hängt mit dem Gewicht der Panzer, aber auch mit der Route über bestimmte Brücken zusammen. Die zulässige Achslast darf 12 Tonnen nicht überschreiten.’
In der Tat hat der SLT 2 Mammut elf Achsen (vier für den Traktor und sieben für den Anhänger), während der TRM 700-100 nur neun Achsen hat (3+6). Wenn die Dinge einfach wären, läge die Achslast für einen PEB, der einen Leclerc-Panzer transportiert, grundsätzlich innerhalb der zulässigen Grenze (10,36 Tonnen/Achse). Allerdings sind noch andere Feinheiten zu berücksichtigen, wie die Unterscheidung zwischen Antriebsachsen und Tragachsen, wobei die zulässigen Grenzen für erstere höher sind als für letztere.
https://www.opex360.com/2022/11/08/les-chars-leclerc-nont-pas-ete-autorises-a-emprunter-les-routes-allemandes-pour-rejoindre-la-roumanie/
Für den amerikanischen General Ben Hodges muss Deutschland seine Infrastruktur verbessern, um den Transit der NATO-Truppen zu erleichtern. Diese Aussagen wurden 2017 nach der Übung Saber Strike 17 im Schwarzmeerraum gemacht. Und laut ihm ist Deutschland besonders betroffen. Falls eine schnelle Intervention der NATO in den baltischen Staaten (oder anderswo) erforderlich wäre, würde Deutschland aufgrund seiner geografischen Lage eine zentrale Rolle spielen. Daher appellierte General Hodges, dass Deutschland im Rahmen seiner Bemühungen, seine Militärausgaben auf 2 % seines BIP zu erhöhen, wie es im September 2014 zugesagt wurde, mehr in seine Infrastruktur investieren sollte.
https://www.opex360.com/2017/07/26/pour-un-general-americain-lallemagne-doit-ameliorer-ses-infrastructures-pour-faciliter-le-transit-des-troupes-de-lotan/
Die EU wäre gut beraten zuerst den ursprünglichen Plan für 2021-2027 erfolgreich durchzusetzen, bevor man nach einem neuen Plan denkt. Klingt fast so, als die 1,5 Mds EUR nichts bewirkt haben…
„EU und Verteidigung: Es hapert nicht nur am Geld“
Es hapert auch an Legitimität. Wer den Text der römischenen Verträge gelesen hat, dem wird aufgefallen sein, dass eine gemeinsame Verteidigung an keiner Stelle vorkommt. Rüstungsanstrengungen der Mitgliedsstaaten sind sogar von den Wettbewerbsregeln weitgehend ausgenommen. Gemeinsame Rüstungsprojekte zwischen einzelnen Staaten sind legitim, eine durch die EU gesteuerte gemeinsame Rüstungspolitik hat dagegen keine Grundlage.
Wie wir an den Abkommen von Maastricht, Schengen und Dublin gesehen haben, ist bezüglich der EU und ihrer Institutionen der Eindruck entstanden es regiert das Prinzip des „Legal, Illegal, Sch***egal“. Aber soll das tatsächlich so weitergehen? Wozu sind Regeln da, wenn man sie nach Belieben missachten kann?
Natürlich kann man die Regeln der EU ändern, bzw. ergänzen, wenn die Regierungen der Mitgliedsstaaten der Ansicht sind, dass diese nicht mehr zeitgemäß sind. Aber dann muss man das auch tun. Ich vermisse dazu jedwede Anstrengung der EU Kommission, des EU Rats und des Parlaments. Die EU hat als solche ohnehin schon den Makel, einer demokratisch unzureichend legitimierten Institution. Die wiederholten Regelbrüche sind nicht dazu geeignet das Vertrauen in das Projekt „EU“ zu erhöhen.
[Ich weiß nicht, welche EU-Verträge Sie so lesen. Ich bin da für die aktuelle Fassung, einschließlich der Beistandsklausel in Art. 42,7
https://www.europarl.europa.eu/topics/de/article/20160119STO10518/eu-bundnisfall-rechtliche-grundlagen-und-praktische-auswirkungen
so dass ich Ihre Behauptung „dass eine gemeinsame Verteidigung an keiner Stelle vorkommt“ für zumindest eine äußerst kühne Darstellung halte.
T.W.]
Wie war das mit den Zügen, die mit den KpPZ nicht durch den Tunnel passen… Das Land ist uns allen bekannt.
Im Krisenfall sind die Themen Anträge und Verkehrsordnung sofort vom Tisch. Darüber würde ich mir keine Gedanken machen. Die Infrastruktur für die Transportstrecken in Gang zu halten bzw. in Gang zu bringen ist allerdings sehr wichtig, Da kann man nicht mal schnell was ändern. Also vor allem in West-Ost-Richtung alle Brücken ertüchtigen und vielleicht auch mal über zusätzliche Pontonbrücken bzw. Fähren nachdenken.
@AoR:
Sind Sie sich da sicher? Wann sollte sich denn da das Lichtraumprofil geändert haben?
Quelle: Tagesschau online Stand: 05.05.2024 10:43 Uhr
„Der Zustand der deutschen Infrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren nochmals verschlechtert. Mehr Straßen- und Schienenabschnitte sind sanierungsbedürftig. Und das, obwohl das Problem „Sanierungsstau“ kein neues ist. Es steht nicht gut um Deutschlands Autobahnen und das Schienennetz. Trotz angekündigter umfassender Sanierungsprogramme hat sich deren Zustand in den vergangenen Jahren noch weiter verschlechtert. Das ergab die Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Anfrage des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW).Das Ministerium bezog sich in seiner Antwort auf die jüngste Zustandserfassung für Straßen 2021/22, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete. Das Ergebnis für die Autobahnen: 7.112 Kilometer werden als sanierungsbedürftig eingestuft. Damit ist der Reparaturbedarf gegenüber der vorangegangenen Zustandserfassung für die Jahre 2017/18 nochmals deutlich gestiegen – um genau 1.315 Kilometer. Auch bei den Autobahnbrücken hat sich laut Ministerium kaum etwas geändert. Nach wie vor werden etwa 8.000 von ihnen als sanierungsbedürftig eingestuft. Auch wenn zwischen 2021 und 2023 510 sogenannte Modernisierungsmaßnahmen abgeschlossen worden seien.“
„Der Blick auf das deutsche Schienennetz fällt dem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland zufolge kaum besser aus. Der Umfang der zu sanierenden Bahnstrecken nahm demnach zwischen 2021 und 2023 nochmals zu und stieg von 17.529 auf 17.636 Kilometer. Auch die Zahl der Bahnbrücken, die durch einen Neubau ersetzt werden müssen, habe sich in diesem Zeitraum von 1.089 auf 1.160 erhöht.“
Jetzt kann man die Bewertung von Frau Wagenknecht teilen oder nicht, die diesen Bericht als Anfrage initiiert hat, aber die Schlußfolgerung teile ich: „Ein riesiger Sanierungsfall“
Quelle ntv, 08.10.2022, 12:59 Uhr
„Die großflächigen Ausfälle im Zugverkehr in Norddeutschland gehen nach Aussage der Bahn auf Sabotage zurück. Es seien Kabel durchtrennt worden, sagte Verkehrsminister Volker Wissing in Landau in der Pfalz. Der FDP-Politiker sprach von „Sabotagehandlungen“. „Es wurden Kabel mutwillig und vorsätzlich durchtrennt, die für den Zugverkehr unverzichtbar sind.“ Weiter dazu: „Aus Sicherheitskreisen hieß es, es seien am Karower Kreuz in Berlin und in Herne in NRW vorsätzlich so genannte Lichtwellenleiterkabel beschädigt worden. Auch das Backup-System sei damit ausgefallen.“
Zu der latenten politischen Unfähigkeit, im Transitland Deutschland zumindest die grundlegende Infrastruktur betriebsbereit zu halten, kommt dann ggf. noch gegnerische Sabotage hinzu, die notwendigen Handlanger vor Ort sind ja reichlich vorhanden und aktionsbereit. Siehe Bauschaumkampagne gestern:
Quelle: Auto-Motor-Sport 05.02.2025
„Die Ermittlungen zu den Hintergründen und möglichen weiteren Beteiligten dauern an. Die Bundesanwaltschaft prüft derzeit, inwieweit eine nachrichtendienstliche Steuerung durch russische Akteure vorliegt. Ziel sei es, weitere mögliche Zusammenhänge zwischen den Tätern und russischen Auftraggebern zu ermitteln sowie eine mögliche Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch gezielte Desinformationskampagnen festzustellen.“
Wenn sich die „Drehscheibe Deutschland“ also nicht dreht, was dann?
[Uff. Leute. Das ist hart an der Grenze zum Missbrauch des Zitatrechts, wenn nicht schon drüber. So geht das nicht; ich lasse es ausnahmsweise mal stehen; greife aber ggf. durch, wenn sich so was wiederholt. T.W.]
@Nachhaltig
Wie man am Beispiel Ukraine gesehen hat kocht so ein Krisenfall aber gerne langsam hoch. Dass schon Truppenteile zu ‚Übungen‘ an den grenznahen Raum verlegen, während noch alle diplomatischen Möglichkeiten ausgetestet werden ist nichts neues – und mit den entsprechenden Kräften, die schnell verfügbar sind, verhandelt es sich auch direkt ganz anders. Ob in diesen Pufferzeiten, in denen viele noch auf eine friedliche Lösung hoffen oder das Problem kleinreden, solche Vorschriften auch ignoriert werden, ist fraglich. Auch im Februar 2022 war der russische Überfall auf die Ukraine für viele ein Schock – obwohl Truppen und Material schon längere Zeit an der ukrainischen Grenze standen.
Moin,
vielleicht könnte man die eine oder andere überfällige Ertüchtigung der Infrastruktur ja mit militärischer Notwendigkeit begründen und somit auch aus entsprechenden, aufwachsenden Titeln finanzieren.
Die zivile Nutzung wäre dann nur ein Nebenprodukt.
Auf europäischer Ebene ist etwa die Standardisierung des (strategischen) Eisenbahnverkehrs überfällig…
Wie einige der anderen Kommentatoren befürchte ich, dass wir das betreffende Land nur zu gut kennen.
Und, auch hier liegt es dann vermutlich irgendwann wieder am Geld. Den auch Infrastruktur muss kriegsfähig sein. Und da haben wir ja einen dezenten Stau geschaffen was die Finanzierung angeht.
Aber ja: auch bürokratische Hindernisse müssen reduziert werden und eine bessere Vernetzung gegeben sein.
Und das Ganze am besten gestern. Denn aus unserer Sicht dürfte, sicherheitspolitisch gelten „clowns to the left of me jokers to the right, here i’m stuck in the middle with EU“
Die nächsten Jahre werden…..“toll“
Ich hatte in einem anderen Forum auf den Bericht der EU verwiesen und erhielt die Antwort, daß auch der Verkauf der DB Tochter SCHENKER, die wohl einen Großteil des Schienentransports der Bw u.a. SK durchführt, an die Fa. DSV hier „nicht hilfreich“ sei.
Tatsächlich muß dem BMVg bei der Veräußerung verteidigungswichtiger Unternehmen ein Mitsprache- bzw. Vetorecht eingeräumt werden.
Da geht es aber auch um Geld. Im Rahmen der Friedensdividende hat man in Deutschland die Wallmeisterorganisation effektiv aufgelöst. Hier waren „alte Pioniere“ in der Fläche aktiv um u.a. Brücken etc. zu bewerten mit welcher „Military Load Class“ -MLC- sie wie (Einbahn- oder Gegenverkehr) befahren werden können. Da kamen die gelben Schilder her die man jetzt nur noch sehr selten sieht. Auch hatte man dort die Aufgabe mit den zuständigen öffentlichen Strassenbauherren sicherzustellen dass in der Planung militärischer Verkehr mit seinem Bedarf berücksichtigt wird. Hat man seit mehr als zwei Jahrzehnten komplett vernachlässigt. In Deutschland gibt es komplette Landkreise die für höhere MLC (höhere Fahrzeuggewichte) Sackgassen sind. Andere Aspekte wie die Erhaltung von Verladegleisen und -Rampen mit hoher MLC sind genauso vernachlässigt worden wie der Platzbedarf von militärischer Zuladung auf Güterwaggons (Tunnelabstände zu Gleisen, lichte Höhe von Stromleitungen etc.) und auch die Erhaltung und Neubeschaffung eben dieser Waggons. Eines der ersten „Konversionsprojekte“ der 90er war die Schliessung der militärisch betriebenen Verladekaje in Bremerhaven und so weiter und so fort.
Deutschland hat nicht nur nicht seinen Beitrag zum „Kräfteanteil“ der NATO Verteidigung geleistet sondern ist auch ein „Roadblock“ für die Logistik aller NATO Kräfte. Man versucht seit ein paar Jahren wieder gegenzusteuern aber da fehlt es an Geld, sehr viel Geld, und der Bereitschaft der „Verkehrsbürokratie“ wieder Verteidigung mitzudenken und zu praktizieren.
@T.W.
Vielen Dank für die Information. Zu ihrer Frage. Ich hatte den Originaltext der römischen Verträge in der deutschen Fassung gelesen. Eine europäische Verteidigungspolitik und entsprechende Maßnahmen kommen darin nicht vor.
Der Artikel 42.7 kam erst mit dem Vertrag von Lissabon 2007 dazu. Artikel 42.7 der Beistandsklausel verpflichtet die Mitglieder zur gegenseitigen Hilfeleistung ohne genauer festzulegen, in welcher Form diese Hilfeleistung erfolgen soll. Das änderte sich erst mit der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS).
Der Focus der ESS lag allerdings in der Bekämpfung von Terrorismus, Piraterie und der Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Die ESS fordert die Mitgliedsstaaten zu verstärkter Zusammenarbeit bei Entwicklung und Beschaffung von Ausrüstung auf.
Javier Solana schrieb dort auch folgenden bemerkenswert Satz hinein: „Wir müssen uns weiter um engere Beziehungen zu Russland bemühen, das einen wichtigen Faktor für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand bildet. Die Verfolgung gemeinsamer Werte wird die Fortschritte auf dem Weg zu einer strategischen Partnerschaft bestärken.“
(Hätte man mal tun sollen.)
Die Entschließung des EU-Parlaments von 2012, ist eine Aufforderung an die Kommission und den Rat die Möglichkeiten von Artikel 42.7 voll auszuschöpfen. Das allein hat aber keine Gesetzeskraft.
Was die Frage der Legitimität anbetrifft. Auch wenn die Militarisierung der EU seit dem Vertrag von Lissabon vorangetrieben wird, so gibt es auch weiterhin kein EU Verteidigungskommission und keinen entsprechenden Kommissar. Die EU hat mit Athena ein gemeinsames Budget für Militärmissionen aber kein Budget für Verteidigung und eigentlich noch nicht mal eins für gemeinsame Rüstungsforschung. In den letzten Monaten kam auch im Zusammenhang mit der Unterstützung der Ukraine der Plan auf, dass die EU-Kommision Rüstungsgüter beschafft. Aber egal ob die EU Kommission nun Waffen und Munition für die Ukraine oder stellvertretend für ihre Mitgliedsstaaten kaufen möchte, dann geht das nicht, weil es dafür an Legitimität fehlt. Aktuell baut zum Beispiel Polen Sperranlagen an der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad und zu Belarus (siehe „Panzersperren zur Absicherung der polnischen Ostgrenze“ von Gerhard Heiming in ES&T vom 17.03.2023).
Man könnte diese Sperranlagen als Teil einer gemeinsamen europäischen Verteidigung definieren. Aber um den Bau mit EU-Geldern mitzufinanzieren fehlt es an einer entsprechenden Regelung.
Bzgl. des von Ihnen freundlicherweise zitierten Sonderbericht 04/2025: (Zitat) „Schade eigentlich, dass die Behörde aufgrund des sensiblen Charakters dieses Themas die konkreten Länder nicht nennt.“
Damit könnte, angesichts unserer vielen maroden Brücken, durchaus auch unser Land gemeint sein.
@Schlammstapfer
Das ist falsch. Es gibt laut Artikel 42 Absatz 7 eine Beistandsklausel, die allerdings nicht explizit auf militärische, sondern allgemein auf Hilfe verweist, sobald ein EU-Staat angegriffen wird.
Diese besteht seit 2009.
da brauchen wir gar nicht lange drum herum zu reden, neben der großzügig eingefahrenen „Friedensdividende“ und den daraus resultierenden Sparhaushalten , die die Bundeswehr nahezu handlungsunfähig gemacht haben, gibt es eine weitere Ursache, die stark daran beteiligt ist. Nämlich die Schuldenbremse. DEU steht haushälterisch im Vergleich mit den anderen EU-Staaten glänzend da, wenn man den Verschuldungsgrad im Vergleich zum BIP sieht.
Bezahlt hat man das mit üppigen Sparmaßnahmen in nahezu allen Bereichen, die die Bevölkerung nicht gleich auf die Straße bringen. Infrastruktur ist da ganz vorne mit dabei. Ein „Dank“ an die damaligen Regierungen.
@TBR
Alles was territoriale Strukturen in der Bundeswehr mal war, hat man 2006 gr0ßzügig zerschlagen und die Reste 2007 in den Landeskommandos zusammengefegt. zuletzt wurden die Wehrbereichskommandos 2013 aufgelöst. Das bekommen wir auch nicht wieder, man war dabei sehr gründlich. Wenn ich mir jetzt das rumgerudere im OpFüKdo zur territorialen Aufgaben oder gar Verteidigung ansehe und mir gleichzeitig anschaue, das die meisten Landkreise gar nicht wissen, was Zivile verteidigung ist oder gar funktioniert, sieht das ganz düster aus.
Viele Kommentatoren verweisen darauf, dass im Spannungs- / Verteidigungsfall viele zivile und bürokratische Regelungen wegfallen.
Fakt ist aber, dass davon auszugehen ist, dass sich die mehreren 100k NATO Truppen an die Ostgrenze (Flanke ist einfach fachlich nicht richtig) bewegen werden, BEVOR der erste Schuss fällt bzw. wir noch keinen Spannungsfall haben.
Neue Wallmeister auszubilden, die dann MLC Bewertungen durchführen, ist das eine. Allerdings kann die Bundeswehr die zivile Infrastruktur nicht aufbauen.
Es ist erschütternd, dass viele große Bauprojekte länger dauern als die Dauer des II. Weltkriegs. Und damit meine ich nur die Planungszeiten. Wenn bis 2029 alle Teilstreitkräfte Kriegstüchtig sein sollen, ist das faktisch die kommende Legislaturperiode.
Da wir uns im aktuellen Spannungsfeld USA und Europa nicht mehr auf die Unterstützung durch die USA verlassen können, muss die EU-Verteidigung zusammen mit anderen europäischen Staaten autark werden.
Das ist ein großer Schritt, der einen langem Atem erfordert.
Die Bundestagswahl wird hoffentlich zu einer Regierung führen, die Europa weiter stärkt.
Gelten diese bürokratischen Hürden eigentlich nur für die eigenen Kräfte oder auch für einen potentiellen Gegner?
@Schorsch52: Der Anekdote der Lanser aus einem bestimmten Land verlegte man auf einen Truppenübungsplatz und das Unternehmen das für die Züge und Schienen zuständig war sagte: Nö, Stop! andere Strecke. Joa, und dann sstanden die da…. echt jetzt.
Also ich rechne mal: 2% BIP für Verteidigungshaushalt + 3% BIP für kriegstüchtige Infrastruktur macht 5% Anteil BIP für die Gesamtverteidigung: Deal?
@Schlammstapfer:
„Die Verfolgung gemeinsamer Werte wird die Fortschritte auf dem Weg zu einer strategischen Partnerschaft bestärken.“
(Hätte man mal tun sollen.)“
Fordern Sie jetzt eigentlich ein faschistisches Europa oder immer noch ein demokratisches Russland, Stichwort gemeinsame Werte? und da wird Linken oft Weltfremdheit vorgeworfen….
Man kann doch einfach mal akzeptieren, dass Putin sich dagegen entschieden hat, aus Russland eine westlich orientierte Demokratie werden zu lassen. Ist nun einmal so, dass manche Menschen schlicht Egoisten sind, und für Putin wird sich seine diktatorische Herrschaft im Geldbeutel bestimmt gelohnt haben.
@Realist:
Bin da nicht so sicher, schließlich ist die Partei der „schwarzen Null“ aktuell führend. Sinnvolle Beiträge bezüglich der Finanzierung der nötigen Investitionen in Infrastruktur zusätzlich zu Steuersenkung im dreistelligen Milliardenrahmen kamen da bislang eher nicht. Tatsächlich feuert die Union sogar permanent gegen die umfassenden Investitionen in die Bahn, Stichwort Generalsanierung.
Der BUND ist Eigentümer der Bahn, Schenker ist eine DB-Tochter (gewesen). Insofern war der BUND bei der Entscheidung voll mit involviert, um nicht zusagen: der gesamte Prozess ging vom BUND aus. Schenker ist letztlich aber nur Spediteur, Waggons und Traktion haben DB Cargo etc gestellt. Aus BW-Logistiksicht sehe ich da eher wenig Probleme mit dem Verkauf and DSV.
Als Logistiker bin ich aber auch der Meinung, dass die Kirche mal im Dorf bleiben sollte. Seit dem Ende des kalten Krieges sind mehrere West-Ost-Autobahnen (z.B. A20) hinzugekommen, wurden neu aufgebaut und/oder massiv aufgeweitet. Die Infrastruktur ist erheblich gewachsen, insbesondere im Bereich Straße. Als Relation: der Elbtunnel wird täglich von 100.000 Fahrzeugen genutzt, die A2 melden zwischen 65 und 140.000 Fahrzeuge täglich. In allen Ehren: das ist Luft und Kapazität, auch bei größeren Konvois. Schön? Nein. Machbar? Ziemlich sicher. Heißt nicht, dass es keine Reparatur- oder Ersatzbedarfe gibt – die gibt es definitiv – es ist aber ganz bestimmt auch nicht alles rott. Sondern im Gegenteil: wir haben eine ziemlich leistungsfähige Infrastruktur, neigen derzeit nur dazu, viel schlechtzureden.
Gleiches gilt auch für die Bahn. Die Hauptstrecken sind leistungsfähig, viele in einer Generalertüchtigung. Und Rolling Stock: ein paar Platten auf Containertragwagen schweißen inkl. Laschaugen. Containertragwagen gibt es zu Hauf, für 60+ to sind die meisten Waggons auch ausgelegt. Da schafft man schon viel weg . Mobile Rampe holen oder schnell eine stationäre Bauen, dann läuft das.
Und Binnenwasserwege und Häfen: auch da ist viel Verkehrsleistung darstellbar, Nord-Süd oder West-Ost ist egal.
@Dominik
Ich habe lediglich aus dem ESS zitiert. Damals, im Jahr 2009, hätte man das tun sollen. Es gab auch genügend Fachleute die gewarnt hatten. Aber die USA haben es auf die Konfrontation ankommen lassen.
Wie wir aus dieser Situation wieder, möglichst unbeschadet, herauskommen, dass ist die Frage. Scharfmacherei wird jedenfalls keinen Beitrag dazu leisten.
Trumps aktuelle Strategie dazu scheint darin zu bestehen, erstmal unerfüllbare Forderungen zu stellen. Wenn die europäischen Partner diese nicht erfüllen, wird Trump die NATO zu einem schlechten Deal erklären und austreten. Und dann?
Trump zeigt uns aktuell wie hässlich die Fratze der USA sein kann. Nicht nur, dass er sich aus der Unterstützung für die Ukraine zurückziehen wird, Er verlangt auch noch, das wir Europäer den Wiederaufbau in der ukraine allein bewältigen. In einem Artikel des Journal für internationale Politik und Gesellschaft werden die Kosten für den Wiederaufbau auf 500 Milliarden US–Dollar geschätzt. Unser Land, als größter Netto-Zahler der EU, wird den größten Anteil daran zu tragen haben. Dazu kommen die Verluste aus ausfallenden Kreditrückzahlungen (rund 44 Milliarden). Und der deutsche Anteil an den von der EU gewährten Krediten. Egal ob der Krieg in der Ukraine nun in diesem Jahr oder innerhalb der nächsten 4 Jahre endet, die nächste Regierung wird vor dem Problem stehen, diese Kosten zu bewältigen. Ich sehe da ziemlich schwarz für die Fiananzierung der Bundeswehr.
Den Weg der Diplomatie haben wir gründlich versaut und für eine Abschreckung durch Stärke fehlt das Geld. Wie also soll es Ihrer Ansicht nach weitergehen?
Ganz einfach:
– Mannheim-Sandhofen und
– https://home.army.mil/poland/
Muss man wahrnehmen wollen .
Aber nachdem ein Bericht die Runde macht, daß die Bw nicht einmal in ausreichender Zahl Gewehre hat … (Business Insider: „Wieder Panne mit Waffen: Hat die Bundeswehr überhaupt noch genug G36-Gewehre für ihre Soldaten?“).
Es sollte dabei ja nicht nur die aktive Truppe ausgestattet werden sondern auch ein erforderlicher Aufwuchs im Fall der Fälle. A propos: wie sieht es mit der dann erforderlichen Durchführung des Wehrersatzes aus ? MobStp gibt es ja keine mehr.
@Mannerheim:
Worauf bezieht sich ihr Post?
Militärische Mobilität (MilMob) wird im Rahmen der (ich bleibe Mal bei den Englischen Fachbegriffen) Connecting Europe Facility gefördert. Dies ist ein langfristiges Infrastrukturprogramm. Eine Fördervorraussetzng ist, das auch ein nichtmilitärischer Nutzungsanteil vorliegt. Dann gib es aus dem MilMob Topf 50% Förderung. D.h. für Infrastrukturprojekte mit militärischem Nutzen stehen also insgesamt deutlich mehr als 1.5 Millarden Euro zur Verfügung. Dazu kommt, dass je nach strukturstärke oder -schwäche noch ein Eigenanteil der betroffenen Länder hinzukommt. Ein ganz normales Förderprogramm mit den EU-typischen Rahmenbedingungen also. Für schnelles Handeln ist dieses Programm ungeeignet, weil es dafür nicht gedacht ist. Es gibt auch MilMob relevante Förderungen in anderen Programmen, z.B. im Verteidigungsfonds. Dazu gibt es regelmäßige, öffentliche Fortschrittsberichte. Viele der vom ECA angeführten Beispiele sind dem Umstand geschuldet, daß die EU-Ebene die Subsidiarität achten und den Mehrwert einer EU (Kommissions) Intervention nachweisen muss, bevor sie Handeln darf. Die EU besitzt ein sehr scharfes Schwert im Zusammenhang mit Mobilität: die gemeinsame Verkehrspolitik (Artikel 90 AEUV ff.). Dieses hat sie aus den oben genannten Gründen (Subsidiarität und Mehrwert) bisher nicht gezogen, sondern geht den Weg über finanzielle Anreize. Gesetzgebung gibt es auch, man Denke z.B Führerscheine und Zulassungsbescheinigungen, deren einheitliche Einführung Jahrzehnte dauert. In der Verteidigungdpolitik funktioniert das Handeln auf EU Kommando natürlich noch weniger als in der Verkehrspolitik, und die Mitgliedsstaaten sind in diesem Bereich hochgradig resistent gegenüber allen Integrationsversuchen. Vor einigen Tagen haben 19 Staats- und Regierungschefs der EU an den 20. (Tusk, aktueller Ratsvorsitz) sowie die Präsidenten des Europäischen Rates und der Europäischen Investionsbank geschrieben, man müsse doch mal was machen, damit mehr Geld für die Verteidigung da ist. Das Problem dabei: sie haben quasi an sich selbst geschrieben … denn genau das ist ihr Job: für das gemeinsam auszugebende Geld zu sorgen. Auf der EU Ebene ist alles da, was man für Verteidigung braucht – ausser der Wille der Entscheider.