Blick auf die Bundeswehr-Personallage: Weniger Bewerber, ein Viertel Abbrecher – und zu wenig Geld

Die Bundeswehr hat ein Personalproblem – das ist nicht überraschend für jeden, der die Entwicklung der Personalstärke verfolgt. Was aber Ministerium und Truppe zusätzlich zu schaffen macht, sind die widrigen Umstände, die die geplante Vergrößerung der Streitkräfte verhindern: Von einer Abbrecherquote von derzeit 27 Prozent bis zu fehlenden Haushaltsmitteln für neues Personal.

Die Zahlen und die dahinter stehenden Probleme nannte Oda Döring, Abteilungsleiterin für Personal im Verteidigungsministerium, am (heutigen) Dienstagabend bei einer Veranstaltung der FDP-Bundestagsfraktion. Die schlichten Fakten, die sie nannte:

• Bis 2031 soll die Bundeswehr auf 203.300 aktive Soldatinnen und Soldaten aufwachsen. Davon, so die Planung, sollen 190.800 Zeit- und Berufssoldaten sein, 12.500 Freiwillig Wehrdienst Leistende (FWDL). Hinzu kommt eine Planung von 60.000 beorderten und 200.000 unbeorderten Reservisten. (Ob die 203.300 überhaupt ausreichend sind, dazu unten mehr.) Derzeit liegt die Zahl der aktiven Soldaten und Soldatinnen bei rund 180.000, ohne wesentliche Steigerung über die vergangenen Jahre.

• Die Mangelsituation betrifft vor allem Fachkräfte im Unteroffzierskorps: für 85 Prozent sei eine abgeschlossene Berufsausbildung erforderlich, faktisch also für sechs von sieben Feldwebel-Anwärtern.

• Derzeit hat die Bundeswehr rund 171.000 Berufs- und Zeitsoldaten, also für die Planung bis 2031 einen Bedarf von 23.000 zusätzlichen Männern und Frauen. Aber die Streitkräfte haben nicht über 20.000 vakante Dienstposten: Die könnten wir aktuell nicht bezahlen, sagt die Abteilungsleiterin. Schon für das laufende Jahr gäben die Personalmittel nicht genügend Personalstellen her, und für 2025 seien nicht wie vom Verteidigungsministerium beantragt weitere genehmigt worden.

Das bedeute, dass zum Beispiel für Offiziere bereits jetzt 99 Prozent der Planstellen für das ganze Jahr ausgeschöpft seien. Als Folge könnten viele Offiziere ihre Dienstzeit nicht verlängern; es sei noch nicht einmal die Beförderung aller Offizieranwärter zum Leutnant gesichert. Das Problem sei, dass wir wachsen wollen, aber nicht können, weil es an den nötigen Finanzen fehlt, sagte Döring. Wenn keine neuen Planstellen kommen, wird es Probleme auch bei den Neueinstellungen geben. Wie viel mehr Mittel der Verteidigungshaushalt dafür benötige, ließ sie offen: Ich hab das im Kopf, ich sag das aber nicht, weil die Haushaltsberatungen noch nicht abgeschlossen seien.

• Der Altersdurchschnitt der Soldaten und Soldatinnen liege inzwischen bei 33,8 Jahren. Allein in diesem Jahr komme für 22.700 das Dienstzeitende, deshalb sei dringend Attraktivität für das Bestandspersonal und eine weitere Personalbindung erforderlich (was sich dann wieder mit den Finanzen beißt, siehe oben).

• Zwar ist nach Dörings Worten wieder ein leichter Anstieg der Bewerberzahlen zu verzeichnen. Aber im Vergleich zu den Jahren vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine liege diese Zahl deutlich niedriger: 2022 und 2023 waren es rund 44.000 Bewerber; vor dem Krieg in der Ukraine zwischen 53.000 und 57.000 im Jahr. Selbst in der Corona-Pandemie hätten sich 48.000 Männer und Frauen beworben: Statistisch gesehen haben wir pro Jahr 10.000 Bewerber verloren – dies schmerzt.

• Die Truppe verzeichnet überproportionale Bewerbungen für die Kampftruppe wie Fallschirmjäger oder Gebirgsjäger – diese Verbände sind aber bereits erheblich gesättigt.

• Selbst mehr Interessenten, Bewerber und Einstellungen werden aus Sicht der Abteilungsleiterin nicht reichen: Die Abbrecherquote in den ersten sechs Monaten liege derzeit bei 27 Prozent. Selbst die beste Personalgewinnung kann das nicht kompensieren. Die Gründe dafür seien vielschichtig, was es schwierig mache, das Problem anzugehen: Es gibt nicht den einen Hebel, der das alles lösen kann.

Die Interessen der Bewerber vor allem an der Kampftruppe brachte Heeresinspekteur Alfons Mais, ebenfalls Redner bei dieser Veranstaltung, auf die Formel: Wir könnten zwei Fallschirmjägerbrigaden aufstellen, aber haben nur 60 Prozent desw Logistik- und IT-Personals. Das Heer als größte Teilstreitkraft habe formal zwar fast 61.000 Dienstposten – könne aber nur 48.200 als einsetzbar betrachten: Der Rest ist in Ausbildung oder Ausschleusung.

Mais sagte dazu, in seiner etwas zugespitzen Art, von den rund 180.000 Uniformträgern seien nur rund 80.000 operativ tätig – aber 100.000 in Stäben oder Ämtern, und die sitzen auf der Tribüne, während 80.000 versuchen, den Krieg zu gewinnen.

Der Heeresinspekteur betonte zugleich, aus seiner Sicht werde die Bundeswehr die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber der NATO nur mit einer Wehr- oder Dienstpflicht erfüllen können. Die Zusagen würden sich über eine reine Freiwilligen-Armee nicht alimentieren lassen. So sehe zum Beispiel der Operationsplan Deutschland insgesamt zwölf Heimatschutzregimenter vor (bislang gibt es vier, ein fünftes wird demnächst in Mecklenburg-Vorpommern in Dienst gestellt). Nur mit ersten Schritten zu einer Dienstpflicht sei auf die Aufwuchsfähigkeit für diesen Heimatschutz zu hoffen.

Mais und Döring wollten sich nicht konkret zu der Frage äußern, ob die deutschen Zusagen an die Allianz insgesamt mit dem derzeit geplanten Aufwuchs auf 203.000 aktive Soldaten und Soldatinnen zu bewerkstelligen wären. Die damit verbundenen Zahlen seien eingestuft, sagte der Heeresinspekteur, nur so viel könne er sagen: Wir sind Verpflichtungen eingegangen, die deutlich darüber liegen. Schon die vorgesehene Stationierung einer deutschen Kampfbrigade in Litauen sei in diesen Zahlen nicht enthalten.

Der Initiator der Veranstaltung, der FDP-Verteidigungspolitiker Nils Gründer, bezeichnete die Finanzierung der Bundeswehr (und damit auch des Personals) als eine Kernaufgabe des Staates – blieb aber auf der Linie seiner Partei. Dafür müssten bei den Prioritäten gesetzt werden: mit Umschichtungen im Haushalt, so dass wir genug Personal einstellen können.