Ein „Mandat“ für Taurus-Lieferung an die Ukraine? Ich hätte ein paar Fragen (Nachtrag)

Die lang anhaltende Debatte über eine mögliche Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist um eine Wendung reicher: Seit dem (heutigen) Freitag taucht aus mehr oder weniger unklarer Quelle der Hinweis auf, dafür könne doch ein Mandat des Bundestages nötig sein. Da hätte ich doch ein paar Fragen:

• Taurus ist, darauf weist auch die Herstellerfirma MBDA hin, mit seinem Navigationssystem aus GPS-Anbindung und Trägheitsnavigation besonders störunanfällig:

Its unique navigation system utilises INS continuously supported by
GPS: image based and terrain reference sensors.

Dafür brauchen die Marschflugkörper natürlich präzise Geoinformationsdaten einschließlich eines Modells mit Höhendaten. Die hat die Bundeswehr, nachdem das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrtforschung (DLR) mit seinen Satelliten erstellte und aus Steuergeld bezahlte System Tandem-X vom Verteidigungsministerium für eine knappe halbe Milliarde Euro erneut gekauft wurde.

Dass eine Taurus-Lieferung ohne diese Daten wenig Sinn machen würde, ist offensichtlich. Allerdings ist das so ähnlich wie Haubitzen ohne  Munition zu liefern – ohne wesentliche Daten für den Betrieb ist auch so ein Marschflugkörper nur Metall und tote Elektronik.

• Ob eine Lieferung mit den Geodaten – anders als die bisherigen Materiallieferungen an die Ukraine – die Schwelle zur Kriegsbeteiligung überschreiten würde, ist zumindest fraglich. Völkerrechtler haben vielleicht eine differenziertere Meinung dazu; gehört habe ich dazu bislang nichts.

• Ein Mandat im Zusammenhang mit der Bundeswehr sieht das deutsche Rechtssystem nur so genannten Parlamentsbeteiligungsgesetz vor – und da heißt es gleich in den Grundsätzen in Paragraph 1:

Dieses Gesetz regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland. (…) Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundestages.

Nun dürfte im Zusammenhang mit Waffenlieferungen aber nicht zur Debatte stehen, deutsche Soldat*innen in die Ukraine zu schicken – auch andere NATO-Staaten haben davon mit gutem Grund Abstand genommen. Um eine Mandatierung wie bei den bislang üblichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr kann es also nicht gehen.

Andererseits, das mag bei diesen Aussagen eine Rolle spielen, waren in der Vergangenheit auch die Einsätze von AWACS-Luftraumüberwachungsflugzeugen der NATO mit teilweise deutscher Besatzung selbst dann mandatspflichtig, wenn sie über dem Territorium des Bündnispartners Türkei stattfanden – aber die AWACS ihre Lageinformationen an Kampfjets der internationalen Anti-IS-Koalition übermittelten, die über Syrien im Einsatz waren. Allerdings: Da ging es um die Übermittlung von Echtzeitdaten zur aktuellen Luftraumsituation. Davon kann bei einer Lieferung von Marschflugkörpern nicht die Rede sein.

• Selbst wenn eine entsprechende rechtliche Konstruktion überlegt würde: Die Begründung für solche Mandate ist immer die Beteiligung an einem System kollektiver Sicherheit, wie es das Grundgesetz in Artikel 24 vorsieht:

Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen;

Und welches System kollektiver Sicherheit den Rahmen für einen Einsatz in/für die Ukraine liefern sollte, ist auch nicht so recht klar. Selbst wenn die Unterstützung der Ukraine rechtlich auf dem Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta beruht.

Unterm Strich: Wer eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aus Deutschland an die Ukraine mit der Idee eines Mandats durch den Bundestag verbindet, sollte erst einmal sagen, was er denn ganz konkret in welchem rechtlichen Rahmen meint. Ohne eine solche Faktengrundlage ist das… nicht so recht sinnvoll.

Nachtrag: Interessant in diesem Zusammenhang das Interview des Deutschlandfunks mit dem SPD-Außenpolitiker Michael Roth; die entsprechende Passage ab 03:30:

https://www.deutschlandfunk.de/nach-treffen-biden-selenskyj-interview-michael-roth-spd-aussenpolitiker-dlf-1a66c29a-100.html

Das Transkript der Passage (ich hoffe, die Kolleg*innen des DLF halten das für ein im Umfang vertretbares Zitat):

Frage Thilko Grieß: Ich würde gerne noch ein bisschen etwas besprechen mit Ihnen zum Marschflugkörper Taurus. Da wird ja viel darüber gesprochen, dass ein wichtiger Hinderungsgrund sei, das mit seinen 500 Kilometern Reichweite der Taurus möglicherweise russisches Staatsgebiet treffen könnte, und inzwischen stellt sich doch aber heraus, es geht eigentlich auch um andere Fragen, und danach würde ich Sie gerne präzise fragen. Also, der Taurus braucht Koordinaten, um präzise zu treffen. Diese Koordinaten müssten vielleicht sogar aus westlicher Aufklärung stammen, und es geht auch die Rede, dass man möglicherweise dafür Bundeswehrsoldaten brauchen würde, um den Taurus korrekt zu programmieren, und wenn das so ist, Herr Roth, dann müsste vielleicht sogar der Deutsche Bundestag beteiligt werden. Sind das die eigentlichen Hinderungsgründe, weshalb so lange überlegt wird? 

Roth: Naja, man kann sich oberflächlich mit der Sache beschäftigen, oder man kann ins Detail gehen, so wie Sie das jetzt tun. Und ja, es gibt eine Reihe von Fragen, die geklärt werden müssen. Ich selber habe ein großes Vertrauen in die Ukraine. Sie hat bislang alle Verabredungen erfüllt, denn es gibt eine klare Ansage von vielen Partnern, nicht nur den USA und Deutschland, dass die zur Verfügung gestellten Waffen nicht auf russischem Staatsterritorium zum Einsatz kommen dürfen. Das wird bislang vollumfänglich von der Ukraine erfüllt. Ich will auch mal daran erinnern, dass schon jetzt beispielweise die Panzerhaubitze 2000 eine Reichweite von 40 Kilometern hat, und sie ist nie auf russischem Staatsterritorium zum Einsatz gekommen. Und Sie haben einen weiteren wichtigen Punkt genannt. Man braucht Daten. Das läuft also nicht über Satelliten, nicht über GPS, und das muss geklärt werden. Und Sie wissen selber, für uns gibt es eine rote Linie: Wir dürfen nicht zur Kriegspartei werden, das heißt, wir dürfen keine Soldatinnen und Soldaten auf ukrainischem Staatsterritorium einsetzen. Und deswegen ist es eine Frage, die man eben nicht so leicht beantworten kann, und deswegen nehme ich auch dem Verteidigungsminister, aber auch dem Bundeskanzler ab, dass das sorgfältig abgewogen werden muss, und Sie sehen ja, auch, in Washington tut sich Herr Biden ja auch sehr schwer. 

Frage: Sie kennen ja auch alle diese Details. Kann der Taurus ohne die Beteiligung und Zustimmung des deutschen Bundestages eingesetzt werden?

Roth: Darüber wird ja jetzt gesprochen, das wird geprüft. Noch einmal, der Bundestag müsste zustimmen, wenn Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr dort unmittelbar auf ukrainischem Staatsterritorium zum Einsatz kommen müssten, und das ist für uns ein No Go. Das wollen, das dürfen, das können wir nicht. Damit würden wir zur Kriegspartei werden. Das ist auch die Position vieler andere Länder, und insofern schließt sich das aus, und ich bin jetzt kein Wehrexperte und kann ihnen nicht sagen, inwieweit man beispielsweise bei den Daten das so umstellen kann, dass diese rote Linie nicht überschritten werden muss.

(Archivbild 2014: Die Erderkundungssateliten TanDEM-X und TerraSAR-X umkreisen als Paar in 350m Abstand die Erde – DLR, TDX-Formation, CC BY 3.0)