Bundeswehr-Sondervermögen und Digitalfunk: Geld allein macht nicht glücklich
Die veraltete Funktechnik der deutschen Landstreitkräfte – neben dem Heer auch die Logistik in der Streitkräftebasis und der Sanitätsdienst – ist seit Jahren ein Problem für die Bundeswehr: Schon die Kommunikation mit Verbündeten in gemeinsamen Einsätzen wie der NATO-Battlegroup in Litauen ist nur unter Einschränkungen möglich. Mit dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, in dem Milliarden für die so genannte Führungsfähigkeit vorgesehen sind, sollte da eine schnelle Wende kommen. Inzwischen zeigt sich: Geld alleine macht nicht glücklich.
Weiterhin hakt es nämlich an der Einführung der Digitalisierung Landbasierter Operationen (DLBO), einem wesentlichen neuen und eben digitalen und verschlüsselten Kommunikationssystem für die Landstreitkräfte. Zwar gab der Haushaltsausschuss des Bundestages im vergangenen Dezember einen Rahmenvertrag mit einem Volumen von knapp 2,9 Milliarden Euro für die Beschaffung so genannter Führungsfunkgeräte frei. Dieser Vertrag, der an die deutsche Firma Rohde&Schwarz ging, wird allerdings vom französischen Konkurrenten Thales juristisch angefochten – inzwischen in der dritten Instanz. Damit verbunden und mit weitaus gewichtigeren Folgen hat der Bundestagsausschuss das ganze Haushaltskapitel für die DLBO-Beschaffung vorerst gesperrt.
Die für Außenstehende etwas undurchsichtige juristische und haushaltspolitische Gemengelange spitzt sich sichtbar zunächst in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu. Dort ging eine sofortige Beschwerde von Thales gegen die Funkgeräte-Vergabe ein; unter dem Aktenzeichen VII Verg 22/23 soll nach Angaben des Gerichts darüber am 8. November um 11.30 Uhr erstmals werden.
Zuvor hatte das Unternehmen die Vergabe direkt beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) gerügt und sich danach an die Vergabekammer des Bundeskartellamts gewandt – dem Vernehmen nach (und auch offensichtlich, sonst wäre der Schritt zum OLG nicht nötig) ohne Erfolg. (Eine Mitteilung des Kartellamtes gab es, im Gegensatz z.B. zur Entscheidung über das neue Sturmgewehr, dazu nicht.)
Nun hat, das ist das etwas Bizarre an diesem Fall, die juristische Auseinandersetzung vorerst keine Auswirkungen auf den Vertrag. Seit der Unterschrift von BAAINBw gleich nach der Billigung im Haushaltsausschuss im Dezember begann Rohde&Schwarz mit Herstellung und Auslieferung der bestellten Funkgeräte und wird dafür auch bezahlt. Die Vergabekammer des Kartellamtes stoppte die laufende Vertragserfüllung, also die Lieferungen, nicht.
Allerdings gilt, mittelbar eine Folge des Streits über diesen Vertrag, eine Sperre der Gelder für den Digitalfunk von Heer, SKB und Sanitätsdienst. Diese Sperre wiederum gilt nicht für den Vertrag mit Rohde&Schwarz, weil genau der ja vom Haushaltsausschuss über eine gesonderte Vorlage gebilligt wurde.
Auswirkungen hat diese Haushaltssperre also nicht auf die Beschaffung der digitalen Funkgeräte – aber zum Beispiel auf den Einbau dieser Geräte: mehr als 10.000 Fahrzeuge müssen dafür überprüft werden, zum Teil ist eine Adapterplatte erforderlich. Der Vertrag dafür kann nicht geschlossen werden, ähnliches gilt für weitere Projekte. Rund 20 Vorhaben allein beim Heer sind betroffen, darunter auch etliche, die weit unterhalb der Schwelle von 25 Millionen Euro liegen, ab der eine gesondere Billigung des Haushaltsauschusses erforderlich ist. In der größten Teilstreitkraft werden bereits Stimmen laut, die warnen, dass bei weiter andauernder Sperre die der NATO zugesagte einsatzbereite Division 2025 nicht gestellt werden könne – jedenfalls nicht mit der geforderten sicheren Kommunikationstechnik.
Das Verteidigungs- wie das Bundesfinanzministerium baten bereits den Ausschuss, die Sperre aufzuheben; bislang ohne Erfolg. Unklar ist vorerst, ob eine erneute Bitte aus dem Wehrressort noch vor der Sommerpause dazu führt, dass die Projekte für die moderne Funkausstattung der Landstreitkräfte fortgesetzt werden können.
Als Randbemerkung: Thales ist auch die Firma, die zum Zug gekommen wäre, wenn die Bundeswehr tatsächlich im so genannten Retrofit neu gebaute Funkgeräte mit Technik der 1980-er Jahre bestellt hätte. Dieser Auftrag hat sich allerdings mit Sondervermögen und dem vorhandenen Geld für Geräte nach heutigem Stand erledigt.
(Archivbild November 2016: Gefechtsstand des Artilleriebataillons 131 bei der Übung Iron Sword 2016 – Jane Schmidt/Bundeswehr)
Vergaberecht ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern es wurde von der Politik so gemacht. Jetzt ernten wir die Früchte europäischer Regulierungswut. Das gilt ja mittlerweile für alle Bereiche, Wir lähmen uns selbst, in Sachen Sicherheit schneiden wir uns damit die Gurgel durch.
Man muss das Prozessrisiko für Firmen extrem heraufsetzen die meinen sich penetrant durch zu klagen wenn sie bei einer Ausschreibung nicht zum Zuge gekommen sind.
Beispielsweise 25% des Auftragswertes als Schadensersatz an den Bund wenn die Klage keinen Erfolg hat…. damit sich die Rechtsabteilungen in diesen Buden sehr sehr… wirklich sehr genau überlegen ob sie eine Klage anstrengen wollen. Derzeit können die Firmen außer ein bisschen Geld für die Prozesskosten nix verlieren aber viel gewinnen, da klagt man gerne einfach um zu sehen ob nicht doch noch ein Stück vom Kuchen abfällt. Hängt da aber ein großes Preisschild dran im Fall eines Scheiterns überlegen die Kaufläute sehr genau ob sie wirklich denken Erfolg zu haben.
Oder man beschneidet den Instanzen Weg.
Ich weiß, dass Rechtsstaatlichkeit ein hehres und wichtiges Prinzip ist – aber mich stört, dass in einem Bereich der nationalen Sicherheit (= Bundeswehr) letztendlich wirtschaftliche Interessen (in diesem Fall von Thales) wichtiger sein sollen als die Beschaffung von wehrtechnisch wichtigem Material zur Stärkung der Einsatz- und Verteidigungsbereitschaft.
Wahrscheinlich ist das jetzt viel zu kurz gedacht…..
@Fussgaenger
Ich kann ihnen nur bei-pflichten.
In Zeiten wie diesen sollten alle Beteiligten das Wohl der Bundeswehr im Target behalten und nicht „nur“ sein eigenes Wohlbefinden befeuern.
Allerdings muss man beim Vergeben von Aufträgen nicht gleich so Vorgehen das möglichst viele Unternehmen von Aufträgen profitieren?
Das Beginnt beim lächerlichen Dugitalen Funk und endet zb beim Radpanzer Patria.
Warum unnötig ein Fass aufmachen, das Vollkommen unnötig scheint.
Mit dem neuen Truppentransportpanzer Fuchs A9 gäbe es bereits ein marktverfügbares System und der Hersteller kann die Masse auch in Deutschland produzieren.
Ich weiss der Fuchs A9 ist etwas teurer aber lieber etwas teurer und hab dafür den eigenen Industriestandort gestärkt.
Es wird aber ein No-Name Hersteller bevorzugt der nur in Kooperation die Masse an Patria Radpanzer herstellen kann.
Ähnliches gilt beim Digitalen Funk.
Sollte der Staat sich nicht gegen etwaige Klagen besser schützen?
Zumindest so lange wie der Krieg in der Ukraine läuft?
.
Als Nachtrag zu meinen Vorrednern: Und Thales ist es im Grunde völlig egal, da die Firma durch ihr Verhalten lediglich die Beschaffung einer ausländischen Armee verzögert und nicht etwa der Armée française; sie muss also keinen Aufschrei aus den eigenen Reihen befürchten. Ohne Worte…
Dieses Gebaren könnte gerne bei zukünftigen Ausschreibungen der Bundeswehr berücksichtigt werden, wo Produkte von Thales dann leider immer „etwas schlechter“ oder „etwas teurer“ sind und sich deswegen „im Vergleich nicht durchgesetzen konnten“. Wie schade, liebe französische „Freunde“.
Es ist einfach ein Krampf. Nach 13 Jahren mit diversen Übungsplätzen in ganz Deutschland, sehe ich nur negatives in unseren Funkverbindungen. Sei es die SEM Familie, die nur gewisse Distanzen halten kann (wenn überhaupt) oder Tetrapol, die notgedrungen auf Fahrzeugen irgendwie, irgendwo verstaut wird. Ein einziges Chaos. Frag mich, wie die Polizeien es so einfach hinbekommen..
Das originär militärische Beschaffungswesen sollte m.E. pauschal aus dem Geltungsbereich des Vergaberechts herausgenommen werden können. Meinetwegen auch unter bestimmten Voraussetzungen. Die VSVgV bietet da ja auch schon grundsätzlich einiges an Befreiungen, aber in der Tat ist es unbefriedigend, wenn Unternehmen eine Beschaffung blockieren oder signifikant erschweren und verteuern können.
Dem Zweck der Wettbewerbsförderung und der sparsamen Verwendung öffentlicher Gelder kann grundsätzlich ja auch durch entsprechende Regeln vor Auftragserteilung und nachträgliche Preisprüfung Rechnung getragen werden.
Allerdings würde das auch die Übernahme von Verantwortung bedingen, wenn eine Beschaffung dann schief läuft. Da bin ich mir angesichts der heutigen politischen Kultur nicht so ganz sicher, ob man darauf seitens der politischen Verantwortlichen vertrauen darf.
SEM-Retrofit? Dass das überhaupt jemand ernsthaft in Betracht zog, ist schon fast kriminell und für die Truppe lebensgefährlich.
Was ist denn konkret aus dem veröffentlichten Entwicklungsvertrag geworden? Ist das Ziel überhaupt erfüllt und das Geld komplett gezahlt worden? Wie hätte die Bundeswehr denn heute militärisch im Vergleich mit Russland gestanden. wenn sie nur mit den SEM-Nachbauten antreten würde? Unverschlüsselt und nicht störfest kann doch keine Lösung sein.
Zur Blockade: Das ist doch jetzt bei den Gerichten. Wie kann der Haushaltsausschuss da reinfunken, es gibt doch Gewaltenteilung. Oder ist da wer von Frankreich bzw. Thales „motiviert“ worden, damit in Deutschland garantiert nichts passiert? Das schreit zum Himmel.
@Schwermetaller:
Ich hatte das ja damals schon so eingeschätzt, dass der Versuch, neuen (Digital-)Wein in alten (SEM70/80-)Schläuchen zu bestellen, vergaberechtlichen Schiffbruch erleiden dürfte. Allein schon die Möglichkeit, den modernen Inhalt der Funkgeräte mittels Firmwareupdates zu modernisieren, macht das zu einem völlig anderen Produkt und löst somit m.E. die Ausschreibungspflicht bei Erreichen des Schwellenwerts aus.
Wer immer an entscheidender Position dieses Vorgehen für einen cleveren Winkelzug gehalten haben mag, sollte dienstrechtliche Konsequenzen erfahren. Oder politische, je nachdem, über welche Ebene wir uns da unterhalten.
Hatte Thales nur Retrofit, oder auch was aktuelles angeboten? Um retrofit kann es Thales nun nicht wirklich gegangen sein oder?
Vergaberecht und Klage ist doch jetzt gar nicht so das Problem. Die Juristen im Staatsdienst sollten die Erfolgsaussichten von Thales einschätzen (bei mehreren Stellen bisher ohne Erfolg) und der Haushaltsausschuss mal „Eier“ zeigen und die Gelder für den Einbau freigeben.
Mittelfristig wäre vielleicht sinnvoll für „Vergabejustiz“ eine einzige Stelle zu schaffen,ohne Revision usw.
Auch @Voodoos Idee in Kombination mit @Küstengangs Strafidee, wäre wohl eine Regelung wie „geklagt und verloren = Ausschluss von Ausschreibung für x Jahre“ ne ganz interessante Maßnahme.
@allexm78
Patria wird nur von mehr als halb Osteuropa genutzt plus Polen baut sich die aks Rosomak selbst und angeblich zukünftig auch die Ukraine in 4 stelliger Anzahl.
Leider ein gutes Beispiel dafür, dass wirtschaftliche Interessen oft nicht mit dem Allgemeinwohl korrespondieren. Das gibt es auch in anderen Bereichen, bei der LV/BV ist es jedoch schlicht gefährlich. Hier müsste es eine juristische Möglichkeit geben, Partikularinteressen eines Marktteilnehmers auszuhebeln. Es kann nicht sein, dass die Rendite von Thales und co. wichtiger ist, als unsere Sicherheit. Schon gar nicht in einer solchen kritischen Situation wie aktuell.
Ein neuer Tag ein neuer Fall von „die französische Rüstungsindustrie tut, was die französische Rüstungsindustrie eben so tut“.
Alles hat immer an die Grande Nation zu fallen und der europäische Rest soll halt Kuchen essen, wenn sie Hunger haben. FCAS wird vor diesem Hintergrund bestimmt absolut reibungslos laufen und sämtliche deutsch-französischen Rüstungsprojekte der Vergangenheit, seien es Panzer oder Flugzeuge sind ja bekanntlich immer von großem Erfolg gekrönt gewesen. Das Prozessrisiko muss dringend verschärft werden, bis es weh tut. Oder man schafft eine Möglichkeit, Hersteller die sich derart verhalten selbst aufgrund von Gefährdung der Interessen der BRD verklagen zu können – mit höheren Strafen, als allem was sie bei diesem Kindergarten je hoffen könnten zu gewinnen.
Ich sehe das anderst als die meisten Kommentatoren hier. Erst wird Jahrelang Däumchen gedreht bei der Beschaffung, obwohl ja schon lange absehbar ist, dass man neue Funkgeräte braucht. Dann ist irgendwann die Lage so dramatisch, dass plötzlich alles hopplahopp geht (gehen muss). Und jetzt ist in der öffentlichen Warhnehmung nicht mehr das vorangegangene jahrelange Nichtstun Schuld am Fehlen der Funkgeräte, sondern die böse Marktwirtschaft?
Vielleicht sollten die Kommentatoren sich hier einmal entscheiden, was sie wollen:
Wollen wir eine AUSWAHL aus verschiedenen Angeboten unterschiedlicher Hersteller oder wollen wir DEN STANDARD eines (wahrscheinlich) amerikanischen Monopolisten?
Wenn wir letzteres wollen, dann müssen wir nur die Einwände und das Vergaberecht komplett aushebeln, denn sowohl eine Thales, als auch Rhode & Schwarz, als auch…. müssen mit diesen Winkelzügen arbeiten, weil sie alle in der Nische der Nische arbeiten und da der Kuchen sehr klein geworden ist.
Die Funkkomponente von Thales ist aus Alcatel SEL hervorgegangen, das selbst einmal als Standard Elektrik Lorenz firmierte und uns die SEM-Familie vermacht hat.
Alcatel musste verkauft werden, weil Nachrichtentechnik und Bahnsignalbau keine für sich wirtschaftlich sinnvollen Geschäftsfelder mehr waren.
Rhode & Schwarz macht sein Geld vornehmlich mit Körperscannern, Mess- und Satelitentechnik – für die ist Nachrichtentechnik eher ein „Abfallprodukt“.
Ja, wenn man den Zuschlag erhält, ist das sicher sehr lukrativ, aber wenn nicht, ist man schnell weg vom Fenster und es gäbe wirklich nur noch einen Monopol-Anbieter mit freier Preis- und Service wahl.
Und durch die eher spärliche Beschaffung, Nachbeschaffung und/oder Ablösung von Gerät, werden hier die Bandagen in den nächsten Jahren noch härter werden.
Wenn die Nachfolger dann irgendwann mal da sind und funktionieren, geht das Spiel von Neuem los. Neubeschaffung wohl erst Ende 2040er Jahre.
Wer da dann noch lebt, hat gute Chancen……aber es werden noch weniger sein.
Man sollte wirtschaftlichen Unternehmen daher nicht entgegenhalten, dass sie ihre Interessen vertreten (bei Börsennotierung oder allgemein als Kapitalgesellschaft, sind sie sogar dazu verpflichtet).
Wir/die Bw/das BAAINBw sollten uns/sich lieber selbst fragen, was hier falsch lief.
Selbst bei weniger komplexen Beschaffungen, kam das BAAINBw nicht rechtzeitig aus den Startblöcken – siehe G36.
Schon mit Einführung in den 1990ern war klar, dass Anfang der 2020er-Jahre der Lebenszyklus eines (BV/LV)-Strurmgewehres erreicht sein würde. Bei Auslandseinsätzen eigentlich schon vorher, aber das war bei ursprünglichen der Beschaffung so nicht vorgesehen.
Ein cleverer Einkäufer hatte sich spätestens Anfang der 2010er-Jahre auf den Weg gemacht und die Ablösung vorbereitet. Den Markt zu sondieren etc.
Die Bw war aber der Meinung, dass in der Zeit bis zum Ausphasen noch sooooooviel Zeit sei und die technische Weiterentwicklungen dermaßen bahnbrechend sein würden, dass es sinnvoll und vollkommen ausreichend sei, 2 Monate vorher mal eine Ausschreibung zu machen.
Diese auch noch auf dem Niveau einer 5-Mann-Bastelbude – mit den bekannten Verzögerungen durch Preisverhandlungen, Einsprüchen, Patentklagen etc..
Hier können wir UvL nur danken, ein fachlich völlig unnötiges Fass aufgemacht zu haben, sonst wäre die Beschaffung des HK416 A8 bis heute noch nicht eingeleitet….
Also halten wir – bei aller Lächerlichkeit und allem „mit-Anlauf-an-den-Kopf-fassen“ – hier doch einmal den Ball flach.
Es ist noch nicht alles gut in der Beschaffung, aber es scheint eine steilere Lernkurve zu geben, als erwartet.
[Vielleicht ein bisschen OT, aber…]
[Schon ein bisschen OT und einige falsche Prämissen drin… T.W.]
Gibt es hier einen schlauen Menschen, der mir erklären kann, warum
Art. 346 (ex-Artikel 296 EGV)
(1) Die Vorschriften der Verträge stehen folgenden Bestimmungen nicht entgegen:
a) Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht;
b) jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem Binnenmarkt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen.
(2) Der Rat kann die von ihm am 15. April 1958 festgelegte Liste der Waren, auf die Absatz 1 Buchstabe b Anwendung findet, einstimmig auf Vorschlag der Kommission ändern.
aus dem: „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ hier keine Anwendung findet/finden kann?
Und warum wir uns selber mit dem „Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ feiern (siehe: https://www.bmvg.de/de/aktuelles/gesetz-fuer-schnellere-beschaffung-tritt-in-kraft-242180#:~:text=Das%20%E2%80%9EGesetz%20zur%20beschleunigten%20Beschaffung,wichtiger%20industrieller%20Wehrtechnik%20%E2%80%93%20den%20sogenannten), wenn wir dann wieder mal über unsere eigenen Füße und Vorschriften stolpern?
Und wo fängt eine Schlüsselindutrie an? Mit U-Booten und Überwasserschiffen haben wir es doch inzwischen auch geschafft, nicht mehr dem Vergaberecht der EU zu unterliegen, Warum schaffen wir das nicht auch mit den benötigtne Funkgeräten?
Und letzte Frage: hält sich Frankreich auch so sklavisch an das Vergaberecht wie wir es tun?
Leider kann ich auf den Inhalt dieses Artikels (nicht der Artikel selber) nur mit Kopfschüttlen reagieren. Die Fragen die sich mir stellen, habe ich oben aufgeschrieben. Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen schlauen Menschen, der mir etwas auf meine Fragen antworten kann, oder kann der Hausherr dort noch etwas zu ergänzen?
Aber um es kurz zu machen: Ich kann es nicht verstehen.
Es wird hier sehr gegen Thales gescholten, Fakt ist das das neue Digital Radio von R&S keine Nato wellenform hat.
Und nur Bundeswehr intern verwendet wird.
Und in der Nato das PR4G von Thales verwendet wird.
Bis eine neue Nato weite Wellenform kommt werden wohl noch 10 Jahre vergehen.
Wo ist bei der Beschaffung von zb Funkgeräten eigentlich der Unterschied zu zb dem THW oder der Bundespolizei? Dort schafft man es ja nun trotz Vergaberechts jedenfalls halbwegs zügig genug Material (na gut, ausreichend Material) zu besorgen. Klar, läuft auch nicht alles rund, aber so ein drängen darauf, die Regeln für sich selbst nicht anwenden zu müssen, hört man dort nicht. Oder ich habe nicht gut genug aufgepasst
Die Legende, dass angeblich SEM 80/90 neu gebaut werden sollten, wird wohl nie aussterben.
Es werden TRC mit Wellenform SEM80/90.
Hoffentlich nicht so viele.
Die Bundeswehr verfügt doch über Digitalfunk. Seit 2007 über das Bündelfunksystem TETRAPOL Bw basierend auf dem französischen TETRAPOL System (geliefert von Airbus).
Das Nachfolgesystem ZNV – Zellulare Netze verlegefähig sollte doch auch bald einsatzbereit sein. Es handelt sich um ein TETRA/LTE-System (TETRA für Spracheübertragung/LTE für Datenübertragung) von Motorola und ESG.
[Ja, Ihr Handy ist auch Digitalfunk. Könnten wir damit aufhören, Äpfel und Bananen zu addieren und das ganze in Liter anzugeben? T.W.]
@Oli und @Rekom:
Aus den presseöffentlichen Meldungen vor Weihnachten und dem Griephan-Abdruck der Beschaffungsvorlage geht hervor, dass die europäische Wellenformfamilie ESSOR hier auf die neuen Geräte kommt. Die wird mittels STANAG auch NATO-weit geöffnet. Wir reden hier also entweder von Äpfeln und Birnen bei „NATO-Wellenform“ oder hier ist etwas viel Wunschdenken dabei.
SEM: Das ist ja das Problem. Man hat alles so lange ausgesessen, bis die alten SEM in die technische Obsoleszenz gelaufen sind. Von ihrer Funktion her gehören die schon seit den frühen 2000ern ins Technikmuseum und haben nur zum Geldverdienen gedient. Vor Zeitenwende war nur eine logistische Maßnahme als Fähigkeitserhalt zulässig, also mit den alten Wellenformen. Sonst und als Softwareradio wäre es ja was Neues. Und das muss halt ausgeschrieben werden.
Frage: In den Veröffentlichungen zur Vergabe steht auch was von einem Flugfunkgerät. Wäre das der Ersatz auch der SEM91 etwa in Tiger und NH90? Dann würde das ja mal ein gesamtes System ergeben. Wer weiß was?
Ich verstehe das Lamentieren nicht. Man hat sich durch die EU und andere Institutionen (z.B. WHO, andere Baustelle) in der nationalen Souveränität beschränken lassen. Ob man dann trotzdem anders Ausschreiben kann, sollten die Juristen in Berlin eigentlich wissen.
[Es wird ein bisschen abstrus, wenn Sie jetzt die Weltgesundheitsorganisation als „Beschränkung der nationalen Souveränität“ hier reinbringen. Geht hart in Richtung Corona-Leugner. So was findet hier bitte nicht statt. Danke. T.W.]
Ich bin kein Funker und geben offen zu dass ich der „Wellen“-Diskussion nicht folgen kann. Ich danke aber dem Hausherrn und den Kommentatoren, die sich um die Erklärung des Problems bemühen.
Wenn es um solche Beschaffungsgeschichten geht frage ich mich, soll ich nun lachen oder heulen.
Das ist doch genau der Beschaffungswahnsinn, der die Modernisierung der Bundeswehr nun schon seit Jahrzehnten ausbremst. Thales ist ein französischer Konzern. In Frankreich bestimmt letztendlich der Präsident was angeschafft wird. Und dann gibt es darüber keine Diskussion. Wenn der entscheidet, er will Gerät xy von Thales, dann bräuchten Rhode und Schwarz nicht mal zu versuchen zu klagen.
Man könnte den Eindruck bekommen, dass wir dieses komplizierte Vergaberecht nur deshalb haben, weil von den amtlichen wie von den politisch Verantwortlichen niemand Verantwortung übernehmen will. Letztendlich überlässt man die Entscheidung den Gerichten und wenn sich in ein paar Jahren herausstellt, dass die Anschaffung doch keine gute Idee war, dann schiebt man es auf die Gerichte. Das ist kein Entscheiden, das ist „Schwarzer Peter“.
@Sakrileg:
Es fängt damit an, dass der Fuhrpark einer Landespolizei fast nur aus handelsüblichen Fahrzeugen besteht, die weder geschützt sind noch gegen ABC schützen sollen.
„Mal eben so“ Funkgeräte austauschen ginge nur, wenn die immer den gleichen Formfaktor, Strombedarf, Antennenanlage hätten.
Das ist aber nicht so.
Und viele Fahrzeuge haben aktuell gar keinen Funk, und noch mehr keine verbaute IT.
@Schwermetaller:
ESSOR ist eine mögliche Wellenform. Es wird aber weitere geben, zB für national eingestufte Bedarfe.
SEM90R soll die SEM90-Wellenform nutzen, die für das SVFuA entwickelt wurde.
Was das Vergaberecht angeht kann ich nur dem Vorredner „Versteht es nicht“ recht geben. Die Bundeswehr könnte sich davon komplett lösen, es ist unsere Politik die es nicht zulässt.
Was das Geschäft der Fernmederei angeht kann ich als „Funkmeister“ in der Marine nur sagen, das beim Heer was das angeht Hopfen und Malz verloren ist. Es wird beim Heer seit Jahrzehnten eine Interoperabilität mit der NATO vernachlässigt. Überhaupt auf den Gedanken zu kommen, Funkgeräte zu beschaffen, die nicht voll interoperabel mit NATO Standards sind ist für jemanden wie mich aus der Marine absolut unverständlich.
@Schlammstapfer
Unser politisches System ist sehr stark von den Gerichten geprägt. War aber schon immer so, manchmal bekommt man etwas den Eindruck dass das noch mehr wird. Aber schauen Sie sich mal die Juristendichte im Bundestag an.
Wie Herr Macron dass aber in Einklang mit EU Vergabegesetzen bringt wäre mal interessant, davon könnte man ja lernen…
Nun ja, was ist NATO-Standard? Eine gemeinsame, herstellerübergreifende Wellenform sehe ich noch nicht in greifbarer Nähe. Beschaffen muß man aber etwas. Also werden SDR beschafft, welche dann eine zukünftige gemeinsame Wellenform (ESSOR, sonstwas) per Software-update bekommen und dann interoperabel sind. Sein sollten. Hoffentlich sein werden.
Solange schlagen wir uns eben mit Interimslösungen herum, bei denen teilweise schon vor der Auslieferung klar wurde, daß essentielle Funktionen nicht bestellt wurden und damit nicht geliefert werden. Und besagte Adapterplatte resultiert eben genau aus dem Bauraum und den Anschlüssen, welche in existierenden Fahrzeugen vorhanden sind, um eine schnelle Nachrüstung der Bestandsfahrzeuge zu ermöglichen.
Es ist…kompliziert.
@Dominik,
Versteht-es-nicht hat doch den Text dazu gepostet:
„b) jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem Binnenmarkt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen.“
Ich lese diesen Paragraphen so, dass jede Regierung im Fall von „Waffen, Munition und Kriegsmaterial“ das Recht hat von den Regeln abzuweichen. Die einzige Einschränkung ist die, dass diese Regeln den Wettbewerb beim Handel mit Gütern, die nicht in eine der drei Kategorien fallen, nicht einschränken.
So wie ich diese Regel vestehe, hat die Bundesregierung durchaus das Recht beim Kauf von zum Beispiel militärischen Funkgeräten auf die euopäischen Wettbewerbsregeln zu pfeiffen. Würde man dagegen Essbesteck für die Kantine oder Bettwäsche für die Kasernen einkaufen, dann müsste man sich an die Regeln halten.
Natürlich ist die Regel nicht wasserdicht. Mal angenommen man würde 5-tonner Lkw kaufen, die sich von zivilen Fahrzeugen nur durch den Tarnanstrich unterscheiden, dann müsste man die Regeln vermutlich einhalten. Tragen diese Lkw eine militärische Nutzlast (Funkbude, Radargerät, etc), dann würde zumindest die Nutzlast nicht der Regel unterworfen sein. Aber vielleicht kann ja mal jemand mit mehr Ahnung dazu ein paar Sätze schreiben.
@TomCat, Dominik, Versteht es nicht:
EU-Vergaberecht ist eigentlich nicht das Problem, da es im Bereich Verteidigung/Sicherheit den Staaten recht weitgehende Möglichkeiten eröffnet, abweichend zu beschaffen. (Wie @Versteht es nicht erkannt hat.), insbesondere für Waffen, Munition und Kriegsmaterial (mit einiger Auslegubgsfreiheit) entspr. der Öffnungsklausel des WTO-Government Procurement Agreement,
DEU hat diese Freiheiten in der Vergangenheit kaum genutzt und sich selbst ein enges Korsett (in den nationalen Regeln GWB und VgVsVo) angelegt. Warum auch immer.
Akutes Problem ist offenbar, dass nun aus Angst (wovor???) ALLES am Thema DLBO gesperrt wurde.
Danke an Landmatrose für die Klarstellung. Gehört das zu den Regeln, die Herr Pistorius ohne großen Aufwand abschaffen wollte, oder muss das durchs Parlament?
@Schlammstapfer:
Die VSVGV ist eine Verordnung der Bundesregierung. Diese entsprechend anzupassen, bedeutet also einen Aufwand, der über der Ressortkompetenz des BMVg liegt, aber unterhalb des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses.
Siehe auch: https://www.bundestag.de/services/glossar/glossar/R/rechtsverord-245520
Soll das Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) noch zusätzlich geändert werden, ist natürlich parlamentarische Befassung erforderlich.
@ Schlammstapfer sagt:
30.06.2023 um 7:55 Uhr
Seit Inkrafttreten des Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetzes (BwBBG) vor ca. 1 Jahr hat sich hier jüngst tatsächlich schon viel geändert. Als man in DEU wollte, ging es halt auf einmal doch. Das Gesetz schafft eine Reihe von Ausnahmen zum „Standard“-Vergaberecht nach GWB und schöpft die Freiheiten des EU-Rechts mehr aus, steht aber etwas seltsam neben dem GWB und die ganzen Ausnahmen sind bis Ende 2026 befristet. Irgendwie fühlt es sich aber noch nicht so an, als wenn Verwaltung/Beschaffung mutig die Regelungen des BwBBG anwenden. Beachtenswerterweise gelten die Regelungen des BwBBG auch für „alte“, aber noch nicht abgeschlossene Vergabeverfahren gelten und lassen es sogar zu, auch einen Vertrag, der unter Vergaberechtsverstoss (Hier gilt immer DEU-Recht als Maßstab! EU-Recht hat da keine auf Parteien wirkende Rechtskraft) geschlossen wurde, aufrecht zu erhalten. MIt der möglichen Sanktion falls entgegen Rechtslage vergeben wird gem. BwBBG über max. 15% eines Auftragswertes sollte DEU dann „im Notfall“ leben können. Daher verstehe ich auch nicht die Vollbremsung, die gerade im ganzen DBLO-Thema passiert.
Das Gesetz, erlassen durchs Parlament, regelt das Wichtige und schafft den Rahmen, eine Verordnung, erlassen durch die Regierung, regelt die Durchführung. Bei beiden Ebenen gibt es Stellschrauben.
@Landmatrose3000,
im Endeffekt wirkt das EU-Vergaberecht, ob’s da Ausnahmen gibt oder nicht. Deutschland ist doch nicht Polen oder Ungarn. Wir sind die Guten!
@Sakrileg
„Wo ist bei der Beschaffung von zb Funkgeräten eigentlich der Unterschied zu zb dem THW oder der Bundespolizei? Dort schafft man es ja nun trotz Vergaberechts jedenfalls halbwegs zügig genug Material (na gut, ausreichend Material) zu besorgen.“
Die halbwegs zügige Beschaffung sieht so aus, daß der Digitalfunk zur Fußballweltmeisterschaft flächendeckend vorhanden sein sollte. (Der in Deutschland, nicht der in USA/Kanada/Mexiko. ;-) ) Real wird die Einführung irgendwann in den nächsten Jahren abgeschlossen werden. Baden-Württemberg hat gerade mit der Ausbildung für den digitalen Einsatzstellenfunk begonnen.
„Klar, läuft auch nicht alles rund, aber so ein drängen darauf, die Regeln für sich selbst nicht anwenden zu müssen, hört man dort nicht. Oder ich habe nicht gut genug aufgepasst“
Frankreich funkt seit den 90er Jahren digital, weil Matra einen technischen Vorsprung hatte. Man hatte nun die prinzipiell nicht falsche Idee, daß die EU nicht von einem einzigen Lieferanten abhängig sein wolle. Also mußte ein offener Standard her, woraufhin man seine Funkgeräte von vielen konkurrierenden Firmen würde kaufen können. Ergebnis ist, daß deutsche BOS, die ihre Geräte nicht von einem Hersteller mit chinesischem Besitzer kaufen möchten, die Auswahl von Motorola, Motorola, oder Motorola haben.
Deutschland exportiert für ca. 115 Milliarden nach Frankreich, und importiert für ca. 70 Milliarden. Vielleicht darf man den Franzosen unter diesen Umständen auch mal das Schwarze unterm Fingernagel gönnen. Die deutsche BOS-Funkausstattung zu Beginn der 90er Jahre bei Matra bzw. EADS zu kaufen, hätte dem deutschen Steuerzahler viel erspart. BOS-Funk, das ist im Vergleich zu Mobiltelefonen ein derart mikroskopisch kleiner Markt, daß es einfach nicht klappen will mit der kostensenkenden Konkurrenz.
Gut, das war jetzt off-topic, aber genau so etwas wie in diesem Beispiel passiert ja ständig: Irgendjemand klagt, daß es bei XYZ viel viel besser klappt als bei der Bundeswehr, aber wenn man danach mal genauer hinschaut bei XYZ, dann stimmt das gar nicht. Bestimmte Erscheinungen wie das Umherschleppen selbstgeschaffenen Ballastes, der irgendwann bei seiner Einführung gut gemeint war, diese Erscheinungen findet man eben nicht nur bei der Bundeswehr, sondern bei fast allen Behörden und Großbetrieben.
@ TomCat sagt:
01.07.2023 um 7:51 Uhr
“im Endeffekt wirkt das EU-Vergaberecht, ob’s da Ausnahmen gibt oder nicht”
Nochmal: Das EU-Vergaberecht hat viel mehr Freiheiten im Bereich von Rüstungsgütern gelassen, als das DEU-Vergaberecht genutzt hat. Das BwBBG nutzt den Rahmen des EU-Vergaberechts nun weiter aus – aber DEU hat hier sich selbst eine Frist eingebaut, und man agiert in DEU immer noch stark selbstbeschränkend.