Sturmgewehr-Streit: Etappensieg im Patentstreit für Heckler&Koch
Im Streit zwischen den Waffenherstellern Heckler&Koch und C.G.Haenel, die beide den Zuschlag für das künftige Sturmgewehr der Bundeswehr wollen, hat Heckler&Koch in einer Patentauseinandersetzung einen Etappensieg errungen. Auf das Vergabeverfahren für die neue Standardwaffe der Streitkräfte dürfte sich das allerdings nicht auswirken.
Im Patenstreit zwischen den beiden Unternehmen entschied das Landgericht Düsseldorf am (heutigen) Dienstag gegen Haenel. Dabei ging es um eine technische Vorrichtung in der halbautomatischen Waffe CR233 des Suhler Unternehmens, nicht in der der Bundeswehr angebotenen vollautomatischen Version MK556. Aus der Mitteilung des Gerichts:
Mit Urteil vom 16. November 2021 hat die 4a. Zivilkammer (Patentkammer) des Landgerichts Düsseldorf (4a O 68/20) in einer Patentrechtsstreitigkeit entschieden, dass das Sturmgewehr „Haenel CR 223“ das Patentrecht der Klägerin verletzt.
Die Klägerin ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 2 018 508 B1 (Klagepatent), das sich mit einer bestimmten Ausgestaltung eines Waffenverschlusssystems beschäftigt. Die Beklagte zu 1) bietet ein Sturmgewehr mit der Bezeichnung „Haenel CR 223“ (angegriffene Ausführungsform) an. Die Parteien streiten vor dem Landgericht Düsseldorf darum, ob die angegriffene Ausführungsform der Beklagten das Klagepatent verletzt, indem sie das geschützte Waffenverschlusssystem – insbesondere Öffnungen für eine schnelle Wasserableitung aus der Waffe – aufweist.
Bei dem bereits 2007 von angemeldeten Patent für ein Waffenverschlusssystem (EP 2 018 508 B1) geht es um die so genannte over the beach-Funktion, die den Gebrauch des Gewehrs auch nach Untertauchen im Wasser sicherstellen soll:
Allgemein haben Feuerwaffen, Gasdrucklader, Rückstoßlader und auch manuelle Repetiersysteme den Nachteil, daß sie bei einem Einsatz aus einer Flüssigkeit heraus, beispielsweise bei einem Auftauchen aus dem Meer, bzw. nach einem Eintauchen oder nach einem Aufenthalt in einer Flüssigkeit, nicht funktionssicher, zumeist überhaupt nicht funktionsfähig sind. Die Flüssigkeit, insbesondere Wasser, dringt nämlich in das Waffeninnere, insbesondere das Waffenverschlußsystem, ein. (…)
Dringt Flüssigkeit in das Waffeninnere, etwa das Verschlußsystem, ein, kann die Zündung einer Patrone verhindert werden. Die zur Zündung erforderlichen beweglichen Elemente, beispielsweise der Schlagbolzen, können von der Flüssigkeit so stark abgebremst werden, daß beispielsweise der Schlagbolzen nur noch mit einer für eine Schußauslösung unzureichenden Energie auf das Zündplättchen auftrifft. (…)
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Waffenverschlußsystem bzw eine damit ausgestattete Waffe gegen etwaige Funktionsstörungen robuster zumachen, insbesondre Störungen aufgrund eines etwaigen Aufenthaltes im Wasser oder einer anderen Flüssigkeit.
Diese Aufgabe lösen jeweils die Gegenstände der Ansprüche 1 und 21. Danach sind beim erfindungsgemäßen Waffenverschlußsystem der Verschlußträger und der Schließfederkolben derart zusammenwirkend ausgelegt, das der Schließfederkolben bei zurücklaufendem Verschlussträger Flüssigkeit aus der wenigstens einen Fluid-Durchtritts-Öffnung verdrängt.
Ferner umfasst das Waffenverschlusssystem wenigstens einen Funktionsraum, insbesondere Funktionshohlraum, mit der Umgebung verbindende Fluid-Durchtritts-Öffnung, so daß etwa in den Funktionsraum eingetretenes, die Funktion des Verschlußsystems beeinträchtigendes Fluid durch die Fluid-Durchtritts-Öffnung(en) einfach und schnell nach außen ableitbar ist. So bleiben die Funktionsfähigkeit der beweglichen mechanischen Elemente sowie die Funktionssicherheit des Verschlußsystems bzw. einer damit ausgestatten. Waffe gewährleistet, sollte Flüssigkeit in das Innere des Verschlußsystems bzw. der Waffe eingedrungen sein.
Interessant ist in Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit, dass das Patent unter anderem von dem Waffenkonstrukteur Robert Hirt angemeldet wurde, der damals für Heckler&Koch tätig war und das HK416 mit entwickelte. Hirt war später für Caracal tätig, die Waffenfirma in den Vereinigten Arabischen Emiraten, deren Mutterkonzern auch die Thüringer Waffenschmiede C.G. Haenel gehört. Das MK556 soll wiederum dem von Caracal produzierten CAR816 sehr ähnlich sein, an dessen Entwicklung Hirt beteiligt war.
Parallel läuft auch eine Klage von Haenel mit dem Ziel, dieses Patent für nichtig zu erklären. Das Düsseldorfer Gericht wollte aber aus formalen Gründen den Ausgang dieser Klage nicht abwarten:
Da die Klägerin das Klagepatent in hiesigem Verletzungsrechtsstreit durch eine Kombination der erteilten Patentansprüche nur in einer eingeschränkten Fassung geltend gemacht hat, sah die Kammer sich nicht dazu veranlasst, den Rechtsstreit im Hinblick auf das beim Bundespatentgericht anhängige Nichtigkeitsverfahren (Az.: 7 Ni 29/20) auszusetzen.
Noch Ende vergangenen Jahres hätte der heutige Ausgang dieses Patentverfahrens eine Wende bedeuten können – auch wenn es formal um das CR223 ging, hätten sich unter anderem die Fragen gestellt, ob dieses Patent auch bei der vollautomatischen Waffe MK556 verletzt wurde und ob die Vergabestelle der Bundeswehr das bei ihrer Vergabentscheidung hätte berücksichtigen müssen. Inzwischen geht der Streit jedoch um die Frage, ob Heckler&Koch entgegen der ursprünglichen Einschätzung der Behörde doch das wirtschaftlich günstigere Angebot abgegeben hatte und ob Haenel vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden durfte. Diese Frage steht im kommenden Frühjahr vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Verhandlung an.
(Grafik: Zeichnung aus der Patentschrift, ebenso wie die Zitate dem vom Deutschen Patent- und Markenamt wortgleich zur Europäischen Patentschrift unter der Nummer DE202006007925U1 veröffentlichten Dokument entnommen. Als amtliche Veröffentlichung ist die Nutzung der Zeichnung urheberrechtlich zulässig. )
Der Link zur Caracal CAR 816 geht nicht mehr. Vielleicht einfach auf den Wikipedia-Artikel verweisen.
Die hier getroffene Unterscheidung zwischen halb- und vollautomatischer Waffe verstehe ich nicht ganz. Wenn (soweit ich das als Rechtskundiger technisch korrekt nachvollziehe) der Verschluss einer Waffe in bestimmter Weise konstruiert ist, dann hat das zwar Auswirkungen auf die Funktion des Verschlusses, nicht aber auf die Schußfolge bzw. den Feuermodus. Denn der wird regelmäßig unabhängig vom Verschluss durch die Abzugsvorrichtung geregelt, ohne dass der Verschluss hierfür ein anderer sein müsste.
Wer der vom Hausherrn angegebenen Dokumenten-Nummer DE202006007925U1 folgt (auf dpma.de – der Webseite des Patentamts), findet zur seiner Überraschung „nur“ ein deutsches Gebrauchsmuster. Da 2006 angemeldet, ist es bereits seit 2016 abgelaufen. Das hat mich anfangs irritiert.
Es stellte sich jedoch heraus: Die Wirkung des Europäischen Patents (EP….) besteht weiter. Wegen der extrem langen Bearbeitungszeiten melden Firmen in Deutschland oft zusätzlich denselben Gegenstand zum Gebrauchsmuster an. Diese werden vergleichsweise bald erteilt und geben damit schneller durchsetzbaren Rechtsschutz.
Bin gespannt, ob der Idee, unerwünschtes Wasser durch Löcher abfliessen zu lassen, vom Gericht die für ein Patent notwendige „Erfindungshöhe“ zugebilligt wird. Damit ist, vereinfacht gesagt, eine Idee gefordert, die für einen Fachmann (hier: Waffenfachmann) nicht unmittelbar naheliegend wäre, also „Gehirnschmalz“ erfordert hat.
@ Metallkopf
Die Antwort auf ihre Frage liegt vermutlich schon in ihrer Aussage.
Da der Verschluss der halbautomatischen Waffe (CR223) in einem gleichen oder ähnlichen Konstruktionsstand in der vollautomatischen Waffe (MK556) eingesetzt wird, wird eben die festgestellte Patentverletzung bei dem halbautomatischen Gewehr bei der vollautomatischen Waffe fortgesetzt.
@Metallkopf
Die vollautomatische Variante nutzt laut C.G.Haenel eine andere technische Lösung für die over the beach-Funktion als die halbautomatische. Wenn letztere das Patent von H&K verletzt hätte das dementsprechend keine Auswirkung auf erstere.
@Metallkopf
da nur der Verschluss des CR223 bzw das CR223 als Ganzes Gegenstand der Klage war kann auch nur über Patentrechtsverletzungen dieses Modells entschieden werden. Das Gericht wird nicht hingehen und prüfen lassen, ob denn das Portfolio der Beklagten weitere Modelle mit gleicher Patentrechtsverletztung beinhaltet.
Das ist Sache des Patentinhabers seine Rechte durchsetzen zu lassen.
Cheers
Flip
Wenn ich das Patent richtig deute läuft das ohnehin nur noch 6-20 Monate. Ich glaube kaum dass das die Auslieferung einer darauf basierenden Lösung in drei Jahren behindert, meiner Meinung nach könnte HK da bestenfalls für Verkäufe vor diesem Zeitraum eine Kompensation verlangen. Wohlgemerkt, in der ENTWICKLUNG gibt es keinen Patentschutz, der gilt nur für die wirtschaftliche Verwertung. Oder anders gesagt, solange Haenel ein darauf basierendes Produkt enwickelt, testet und anbietet aber noch keine Verkäufe tätigt greift das Patent sowieso nicht.
Eigentlich muß Haenel nur bis zum Ablauf des Patentes warten und das dürfte beim Tempo deutscher Beschaffungsämter kein Hindernisgrund sein.
Da C,G, Haenel zugleich das Patent von H&K in seinem Bestand angreift, wird man mit Sicherheit in Berufung gehen. Diese Farce ist noch lange nicht vorbei.
@All:
Danke für die Antworten. Aber genau das ist es ja. Es kommt entscheidend auf die Konstruktion und Funktionsweise des Verschlusses des in dieser Ausschreibung konkret angebotenen Gewehrs an.
Ist der Verschluss (konstruktiv) der gleiche im MK556 wie im CR223, wäre damit auch bei diesem Gewehr die Hürde gerissen, dass Rechte Dritter betroffen sind. Ist er es nicht, dann dürfte Haenel zumindest Chancen haben, den Ausschluss ihres Angebots vergaberechtlich anzugreifen.
Es sei denn, der Verschluss des MK556 verletzt seinerseits trotz konstruktiver Unterschiede zum Verschluss des CR223 das Patent. Das müsste dann aber separat festgestellt werden.
Die Rechtslage ist oft gar nicht so furchtbar kompliziert. Schwierig ist immer, die Faktenlage abschließend so zu klären, dass eine stringente Rechtsfindung möglich ist.
@Metallkopf
Die Konstruktion des Verschlusses ermöglicht das vollautomatische Feuer, wenn die Form des Verschlusses geändert wird, ist das nicht mehr möglich. Alle halbautomatischen Gewehre, die in D zivil legal erhältlich sind, müssen z. B. So konstruiert sein, dass ein Umbau zu einer vollautomatischen Waffe nicht mit einfachen Mitteln möglich ist. Es gibt dazu ein Info-Dokument des BKA, in dem z. B. die Unterschiede zwischen dem Verschluss für das M-16 und zivile AR-15 gut zu erkennen sind.
Man möchte doch von Seiten der Bundesregierung (alt wie neu) z.B. noch stärker mit Frankreich militärisch zusammenarbeiten und schafft neue gemeinsame Verbände (C-130J). Die Franzosen haben das HK-416 als Standardsturmgewehr eingeführt (2016 beschlossen), genauso wie Norwegen und auch in der Bundeswehr und der (Bundes)polizei ist es bei den Spezialkräften seit Jahren im Einsatz (und auch bei einer Reihe anderer NATO Mitglieder). Warum konnte man unter diesen Umständen nicht eine klare politische Entscheidung treffen und den Auftrag, ohne Ausschreibung, an HK vergeben, dann hätte man sich dieses juristische tauziehen sparen können oder sehe ich das falsch? Geht dieser ganze Vorgang nicht wieder an der militärischen und politischen Realität vorbei? Hier ist Ausnahmsweise ein marktreifes und bewährtes Produkt verfügbar und man schafft es trotzdem den Beschaffungsprozess zu verzögern und möglicherweise durch fällige Entschädigungszahlungen an Haenel zu verteuern. Zum Glück ist das G36 besser als sein Ruf.
@MFG:
Ebenfalls danke für die Information. Das entsprechende BKA-Merkblatt habe ich gefunden, stehe jetzt wegen der einschlägigen Internetrecherchen zu Waffenverschlüssen vermutlich auf diversen Listen, ohje.
In der Tat ist offenbar auch die Beschaffenheit des Verschlusses bzw. des Verschlussträgers von Bedeutung. Naja wieder was gelernt.
@MBM vielleicht wollte man auch einen neuen Lieferanten ? Heckler Koch war nicht mal in der Lage die 1700 Gewehre für das Ksk pünktlich zu liefern , von den Mängeln ganz zu schweigen . Genau so sieht es bei Lieferungen für Polizeibehörden aus ( Brandenburg ) . Es vergeht auch kein Jahr in dem die Firma nicht kurz vor der Pleite steht