Problemfall KSK: Abschlussbericht, aber noch kein Abschluss (Nachtrag: Berichtstext)

Gut ein Jahr nach Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die nach Bekanntwerden rechtsextremistischer Vorfälle das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr durchleuchten sollte, hat Generalinspekteur Eberhard Zorn seinen Abschlussbericht vorgelegt. Die strukturellen Veränderungen des vergangenen Jahres kämen faktisch einer Neuaufstellung dieses Verbandes gleich, bilanzierte der General. Die Entscheidung über die Zukunft des KSK werde aber Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nach einem erneuten Besuch der Einheit in Calw treffen.

Die Ministerin hatte Ende Mai vergangenen Jahres eine hochrangige Arbeitsgruppe ihres Ressorts eingesetzt, um eine Strukturanalyse des Eliteverbandes durchzuführen. Auslöser waren zahlreiche rechtsextremistische Verfachtsfälle in dem Kommando und die Entdeckung von Munition und Sprengstoff auf dem Privatgelände eines Kommandofeldwebels. Im Rahmen der breiten Untersuchungen kamen allerdings neue Problemfelder hinzu, neben dem nicht korrekten Umgang mit Munition vor allem mögliche ungenehmigte Nebentätigkeiten und Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe der Einheit.

Als eine erste Konsequenz hatte Kramp-Karrenbauer bereits im vergangenen Jahr entschieden, die 2. Kommandokompanie des KSK aufzulösen. Dieses Vorgehen wertete der Generalinspekteur in seinem am (heutigen) Mittwoch veröffentlichten Bericht* als Erfolg:

Die sichtbarste strukturelle Veränderung im Zuge des laufenden Reformprozesses war die Auflösung der 2. Kompanie Kommandokräfte, die am 31. Juli 2020 erfolgt ist. Diese Entscheidung basierte auf den Erkenntnissen, die im Nachgang der Abschiedsfeier des damaligen Kompaniechefs im Jahr 2017 bis zum Waffenfund bei einem Soldaten der Kompanie im Mai 2020 zu Tage traten. Diese manifestierten sich in toxischer Führungskultur in Verbindung mit fehlgeleitetem Eliteverständnis sowie extremistischen Tendenzen, die bei dem betroffenen Personenkreis zu umfangreichen Ermittlungen führten. Insgesamt war festzustellen, dass die verkrusteten Strukturen innerhalb der Kompanie nicht mehr reformierbar und somit in Gänze aufzubrechen waren.
Im Zeitraum zwischen der Abschiedsfeier 2017 und der Auflösung der Kompanie im Jahr 2020 wurden bereits 26 Angehörige der 2. Kompanie, die an der Abschiedsfeier teilnahmen, versetzt oder im Zuge disziplinarer oder strafrechtlicher Ermittlungen aus dem KSK bzw. den Streitkräften entfernt. Im selben Zeitraum kamen 32 Soldaten neu in die 2. Kompanie hinzu, so dass insgesamt 66 Soldaten von der Auflösung betroffen waren.
Diese wurden mit Wirkung vom 31. Juli 2020 zunächst innerhalb des Verbandes auf ein „Dienstpostenähnliches Konstrukt“ versetzt und einzeln in einem vierstufigen Prüfverfahren hinsichtlich ihrer gesicherten Verfassungstreue betrachtet. Neben dem KSK und den vorgesetzten Dienststellen waren sowohl das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) als auch die zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft fest eingebunden. Bisher wurden bei 65 Soldaten keine Bedenken bezüglich ihrer charakterlichen Eignung und gewissenhaften Bindung an die freiheitlich demokratische Grundordnung festgestellt. 61 von ihnen werden daher an anderer Stelle innerhalb des KSK bzw. im AusbStpSpezKrH oder in den nunmehr der DSK zugehörigen PWT weiterverwendet. Zwei Soldaten wurden regulär außerhalb des Verbandes versetzt; ein Soldat ist in den Ruhestand getreten. Ein Soldat wird aus gesundheitlichen Gründen heimatnäher verwendet werden. Die Personalmaßnahmen sind abgeschlossen. (…)
Seit der Entscheidung zur Auflösung der 2. Kompanie ist seitens BAMAD [Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst] kein Angehöriger des KSK als Extremist eingestuft worden. Ein Angehöriger des KSK, der zum Zeitpunkt der Auflösung der 2. Kompanie bereits als Extremismusverdachtsfall bearbeitet wurde, ist zwischenzeitlich aufgrund der fortlaufenden Ermittlungen als Person mit fehlender Verfassungstreue (Kategorie „Orange“) eingestuft worden.
Ein rechtsextremistisches Netzwerk, d.h. ein Personenzusammenschluss nach der Definition des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, der ziel- und zweckgerichtet an dem Beseitigen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung arbeitet, wurde nicht erkannt. Bekannt wurde ein Geflecht von Kontakten und Kennverhältnissen unterschiedlicher Art und Intensität
zwischen einzelnen im Fokus stehenden Personen, welche durch eine übereinstimmende Geisteshaltung getragen zu sein scheint und das weiterhin aufgeklärt und bearbeitet wird.

Als weitere Maßnahmen gegen eine Radikalisierung im Verband wurden unter anderem die Rotationszeiten für Stabsoffiziere und führende Kommandofeldwebel verändert; außerdem wurden bereits per Gesetz die Fristen für umfangreiche Sicherheitsüberprüfungen verkürzt.

Allerdings: Neben den Rechtsextremismus-Vorwürfen, die zur genaueren Betrachung des Kommandos führten, zeigten sich im Laufe der Untersuchungen immer neue strukturelle Probleme der Eliteeinheit. Das Grundproblem bringt der Bericht auf die Formel:

Aus ministerieller Perspektive ergibt sich das Bild, dass auf der Grundlage eines in Teilen ungesunden Eliteverständnisses – auch einzelner Führungskräfte – sich im KSK in Teilen eine nicht angemessene Kultur und Aufgabenwahrnehmung entwickelt hat, denen zuvor nicht effektiv begegnet worden war. Diese Entwicklung galt es zu stoppen, mit Verbesserung der Dienstaufsicht auf sämtlichen Führungsebenen und mit Hilfe externer übergreifender Expertise.

Darüber hinaus war die Einheit, die seit ihrer Aufstellung 1996 immer wieder in – meist geheim gehaltenen – Missionen im Ausland unterwegs war, offensichtlich für ihre Aufgaben unzureichend strukturiert. Das KSK trug die Einsatzlast einer Brigade, war aber seit den Gründerjahren mit dem Unterstützungsbereich eines Bataillons augestattet worden, heißt es in dem Bericht. So seien zum Teil auch die gravierenden Mängel bei der Bewirtschaftung von Munition zu erklären.

Allerdings habe es auch einen nachlässigen und fahrlässigen Umgang mit Vorschriften und Weisungen gegeben – ebenso jedoch Vorschriften für den Umgang mit Munition, die der Einsatzsituation des KSK nicht gerecht geworden seien. Als Abhilfe seien sowohl zusätzliche Dienstposten für die Logistik des Verbandes geschaffen als auch die entsprechenden Vorschriften angepasst worden. Das geht bis zu – offensichtlich bisher nicht vorhandenen – Vereinbarungen mit dem Auswärtigen Amt, vorübergehend Waffen und Munition in einer Botschaft zwischenlagern zu können.

Interessant ist die Passage am Schluss des Berichtes

Rückblickend muss konstatiert werden, dass die Ursachen von Missständen und Fehlentwicklungen in die Vergangenheit zurückreichen, die Auswirkungen sich über die Jahre kumuliert und bisweilen als unheilvolle Fehlkultur etabliert haben.
Damit stellt sich unwillkürlich die Frage nach der Verantwortung ehemaliger Vorgesetzter. Stellungnahmen der Kommandeure des KSK und deren Vorgesetzter, der Kommandeure der Division Schnelle Kräfte (ehemals Divison Spezielle Kräfte) liegen vor.

denn zu diesem Personenkreis gehört auch der heutige Generalinspekteur, der von Juni 2014 bis Oktober 2015 Kommandeur dieser Division war. Das Fazit des Berichtes ist jedenfalls:

Das KSK ist seit seiner Gründung ein geforderter Verband mit überdurchschnittlicher Einsatzlast und hohem „operativen Tempo“. Strukturelle und personelle Aufwüchse der Vergangenheit zielten vornehmlich auf die Stärkung der Kommandokräfte. Ziel war es, neben zahlreichen anderen Aufträgen die nahezu durchgängige Entsendung von durchschnittlich 100 Angehörigen des KSK nach Afghanistan durchhaltefähig zu gewährleisten. Die „tragenden Säulen“ des Unterstützungsbereichs (Logistik, Materialwirtschaft, Personalmanagement und Militärische Sicherheit) wuchsen hingegen nicht proportional mit und hielten folglich der Auftragslast in Einsatz, Ausbildung und Grundbetrieb nicht Stand. Folgen dieser Entwicklungen waren Überlastung, Frustration, Vorschriftenverstöße sowie schließlich die Entstehung weitgehend regelungsfreier Räume. Strukturen wurden zwar auf Drängen der jeweiligen Kommandeure hin „erweitert“, allerdings bei oftmals langsamer Realisierung und verzögerter Besetzung der neu geschaffenen Dienstposten. Die resultierende Disbalance lässt sich auf eine markante Formel prägen: Das KSK trug die Einsatzlast einer Brigade, war aber seit den Gründerjahren mit dem Unterstützungsbereich eines Bataillons ausgestattet worden.
Hinzu traten organisatorische Defizite. Die truppendienstliche Verortung des KSK im Heer bei gleichzeitiger „operativer Unterstellung“ in Ausbildung und Einsatz unter das EinsFüKdoBw führten zu einer Sonderstellung in der Führungsorganisation. Die Entkopplung des truppendienstlichen und des fachlichen Führungsstrangs leistete Verantwortungsdiffusion Vorschub und erschwerte die Führung der Kommandeure im Sinne der Wahrnehmung ihrer unteilbaren Verantwortung für das KSK. Folge dieser Entwicklung waren Verselbstständigung, Abschottung, in einzelnen Bereichen die Entstehung eines überzogenenen Eliteverständnisses. Zudem diente der Sonderstatus oftmals als unzutreffende Begründung für Abweichungen von den allgemeingültigen Regeln des Truppendienstes.

Mit diesem Bericht, formal Abschlussbericht zur Umsetzung des Maßnahmenkatalogs der Arbeitsgruppe Kommando Spezialkräfte, ist das Thema KSK allerdings noch nicht abschließend aufgearbeitet. Zum einen steht die endgültige Entscheidung der Ministerin noch aus, ob der Verband in seiner – in den vergangenen Monaten zum Teil geänderten – Struktur erhalten bleibt – auch wenn das weitghend positive Fazit des Generalinspekteurs da eine Richtung andeutet.

Und zum anderen muss auch dieser Abschlussbericht noch einiges offen lassen. So sind die Ermittlungen zu möglichen Vergaberechtsverstößen noch lange nicht abgeschlossen. Allerdings kommt die bisherige Bewertung des Ministeriums zu dem Ergebnis, dass mögliche Verstöße keinen Hinweis auf rechtsextreme Seilschaften und auch nicht auf Korruption von Kommandosoldaten bedeuteten – sondern eher einen schlampigen Umgang mit Vergaberegeln.

Und auch die Konsequenzen aus dem regelwidrigen Umgang mit Munition stehen noch aus. Prominentestes Beispiel dafür ist KSK-Kommandeur Markus Kreitmayr, gegen den wegen der Rückgabeaktion für Munition dienst- und strafrechtlich ermittelt wird.

Mit anderen Worten: Das Thema ist noch nicht durch, auch wenn die Ministerin im Juni nach ihrem geplanten gemeinsamen Besuch mit dem Generalinspekteur beim KSK in Calw eine Entscheidung trifft. Und auch die Debatte im Verteidigungsausschuss des Bundestages, der voraussichtlich am 20. Juni in einer Sondersitzung über dieses Thema berät, steht noch aus.

*Nachtrag: Inzwischen hat das Verteidigungsministerium den Bericht – ohne die zum Teil eingestuften Anlagen – auf seiner Webseite veröffentlicht.
Vorsorglich die Sicherungskopie:
20210608_KSK_Abschlussbericht_Massnahmen

(Archivbild November 2020: Ein Kommandosoldat beim Training im Gelände – KSK/Bundeswehr)