Exzesse im deutschen NATO-Bataillon in Litauen: Verdacht auf sexuelle Nötigung und Extremismus (Nachtrag: AKK)

Im von der Bundeswehr geführten NATO-Bataillon in Litauen ist es nach Angaben des Verteidigungsministeriums möglicherweise zu Straftaten von sexueller Nötigung bis zu extremistischen Verhaltensweisen gekommen. Vier der Tat verdächtige Soldaten wurden bereits nach Deutschland zurückgeflogen.

Die Bundeswehr stellt seit 2017 den Kern der so genannten enhanced Forward Presence (eFP) der Allianz in Litauen, die die NATO 2016 als Reaktion auf das russische Vorgehen in der Ukraine und die Annexion der Krim beschlossen hatte: In Litauen wie in Estland, Lettland und Polen sollen die rotierend von anderen Staaten der Allianz beschickten Battlegroups den östlichen Bündnismitgliedern den Rückhalt der anderen NATO-Staaten signalisieren – und faktisch als Stolperdraht ein vor allem von den Balten befürchtetes russisches Übergreifen auf diese Länder verhindern.

Seit Februar dieses Jahres wird der deutsche Anteil überwiegend vom Panzerlehrbataillon 93 gestellt, verstärkt durch Soldatinnen und Soldaten aus anderen Einheiten. Die fraglichen Vorfälle sollen sich in einem Panzergrenadierzug des deutschen Kontigents ereignet haben, wie das Verteidigungsministerium am (heutigen) Montagabend dem Verteidigungsausschuss des Bundestages mitteilte:

Im Zuge der eingeleiteten Ermittlungen durch den zuständigen Kompaniechef unter Hinzuziehung der vor Ort befindlichen Feldjäger ergab sich der Anfangsverdacht auf Verstöße gegen die Kameradschaftspflicht, Gehorsamspflicht und Pflicht zum treuen Dienen, aber auch auf Straftaten wie sexuelle Nötigung, Beleidigung, ggf. mit rassistischer Konnotation und Nötigung sowie auf extremistische Verhaltensweisen. Betroffen sind nach jetzigem Kenntnisstand zehn Soldaten.

Zuvor hatte der Spiegel über Details der mutmaßlichen Exzesse berichtet: Die Bundeswehr ermittele gegen mehrere Soldaten wegen des Verdachts des Mobbings, der Androhung von Schlägen, der sexuellen Nötigung eines Kameraden – aber auch wegen des Singens antisemitischer Lieder. Nach heftigem Alkoholgenuss in einem Hotel in Rukla, nahe dem Stationierungsort in einer litauischen Kaserne, soll es zu Schlägereien, den extremistischen Äußerungen und zur sexuellen Nötigung gekommen sein.

Nach der Mitteilung des Ministeriums an den Ausschuss wurden bereits vier Hauptbechuldigte nach Deutschland zurückgeschickt; auch ein Geschädigter wurde aus diesem Einsatz abgezogen.

Die Vorfälle in Litauen sind für die Bundeswehr gefährlicher als entsprechende Vorkommnisse in anderen Einsatzgebieten: Seit Beginn der eFP-Mission waren die NATO-Soldaten und vor allem die deutschen Soldatinnen und Soldaten in Rukla immer wieder Ziel von Falschnachrichten und Desinformationskampagnen.

So waren gefälschte Fotos in Umlauf gebracht worden, wie angeblich deutsche Panzer über jüdische Gräber in Litauen walzten. Bereits kurz nach dem Start des deutschen Engagements 2017 war gezielt die Falschinformation verbreitet worden, deutsche Soldaten hätten eine Litauerin vergewaltigt. Exzesse wie der, in dem die Bundeswehr jetzt ermittelt, könnten solche Desinformationskampagnen weiter befeuern.

Nachtrag 15. Juni: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte sich dazu am Dienstag bei einem Statement in Brüssel; Kollegen haben mir dankenswerterweise ihre Mitschrift zur Verfügung gestellt:

Also was genau passiert ist im Zuge einer Feier wird im Moment gerade noch aufgeklärt. Aber eins ist  auf jeden Fall schon dazu zu sagen: Was immer passiert ist, ist in keinter Weise akzeptabel. Es wird mit aller Härte verfolgt werden und auch bestraft werden, und daran sind wir gerade am Arbeiten.
Zuerst müssen wir aufklären, müssen alle Veranwortlichen – sowohl die aktiv einbezogen waren, aber auch die, die möglicherweise etwas gewusst haben und die Information nicht weitergegeben haben – auch zur Rechenschaft ziehen. Und dann werde ich ganz sicherlich auch mit meinem litauischen Kollegen über die Gesamtsituation noch einmal treffen (sic) weil das für uns ein sensibles Thema ist.

(Foto: Übernahme der 9. Rotation des deutschen eFP-Kontingents am 10. Februar 2021 in Rukla – Arnas Čemerka/Litauisches Verteidigungsministerium)