Sicherheitspolitische Grundsatzrede von AKK: ‚New Deal‘ mit den USA, Verzicht auf große Rüstungsprojekte?

In einer – coronabedingten – Videoschalte mit der Bundeswehr-Universität Hamburg hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ihre, so die Ankündigung, zweite sicherheitspolitische Grundsatzrede gehalten. Das Bekenntnis zur transatlantischen Partnerschaft verband sie mit der Forderung nach einem New Deal Europas mit den USA, innenpolitisch mit mehr finanzieller Sicherheit für den Verteidigungshaushalt. Und: Sie stellte den Verzicht auf große Rüstungsprojekte in Aussicht – ohne die allerdings konkret zu benennen.

Die Rede der Ministerin am (heutigen) Dienstag gibt es hier zum Nachlesen* (sie hat sich praktisch wörtlich an den Redetext gehalten). Eine kurze Übersicht über die Punkte, die außen- wie innenpolitisch dabei auffielen, über das hinaus, was Kramp-Karrenbauer auch zuvor schon gesagt hat:

• Das Bekenntnis zur transatlantischen Partnerschaft mit den USA wie auch zur nuklearen Teilhabe Deutschlands hatte die Ministerin bereits mehrfach abgelegt. Im Hinblick auf den künftigen US-Präsidenten Joe Biden plädierte sie für ein – formales? – Bekenntnis aller europäischen Staaten dazu:

Wir wollen, dass Europa für die USA starker Partner auf Augenhöhe ist und kein hilfsbedürftiger Schützling.
Der neue amerikanische Präsident Joe Biden muss sehen und spüren, dass wir genau das anstreben. Ich halte es für wichtig, dass wir Europäer der kommenden Biden-Administration daher ein gemeinsames Angebot, einen New Deal, vorlegen. Für mich sind aus der Sicht der deutschen Verteidigungspolitik drei Eckpunkte dabei besonders wichtig:
– Dass wir unsere Fähigkeiten in der Verteidigung ausbauen und dafür die Verteidigungshaushalte auch in der Corona-Zeit zuverlässig stärken.
– Dass Deutschland sich zu seiner Rolle in der nuklearen Teilhabe in der NATO bekennt.
– Dass beim Thema China dort, wo es mit unseren Interessen vereinbar ist, eine gemeinsame Agenda Europas mit den USA möglich und gewollt ist.

Nun ist New Deal ein großes – und auch historisch aufgeladener – Begriff, und Kramp-Karrenbauer weiß, dass für eine solche gemeinsame europäische Initiative kein Weg an Frankreich vorbeiführt. Auch nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron die deutsche Ministerin in einem am Vortag veröffentlichten Interview in ungewöhnlich deutlichen Tönen kritisiert hatte:

Wird der Regierungswechsel in den USA dazu führen, dass die EU-Länder diese Ziele weniger konsequent verfolgen? Ich teile beispielsweise ganz und gar nicht die von der deutschen Verteidigungsministerin in einem Gastbeitrag für Politico geäußerte Position. Ich halte das für eine Fehlinterpretation der Geschichte. Zum Glück verfolgt die deutsche Kanzlerin nicht diese Linie, wenn ich es richtig verstanden habe. Aber die Vereinigten Staaten werden uns nur als Verbündete akzeptieren, wenn wir uns selber ernst nehmen, und wenn wir in unserer eigenen Verteidigung souverän sind.

Uns selber ernst nehmen, das ist auch die Position Kramp-Karrenbauers, in unserer eigenen Verteidigung souverän sieht sie absolut nicht so. In ihrer Rede rechnete sie vor, wie viele Fähigkeiten in der NATO die USA bereitstellen, von 75 Prozent insgesamt bis zu 100 Prozent bestimmter Fähigkeiten wie Abwehr ballistischer Raketen, und kommt zu dem Schluss:

Dieses Paradox müssen wir aushalten: wir bleiben sicherheitspolitisch von den USA abhängig und müssen gleichzeitig in Zukunft als Europäer mehr von dem selbst tun, was uns die Amerikaner bisher abgenommen haben. Die Idee einer strategischen Autonomie Europas geht zu weit, wenn sie die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die NATO und ohne die USA gewährleisten. Wenn es aber darum geht, auch eigenständig als Europäer handeln zu können, wo es in unserem gemeinsamen Interesse liegt, dann ist das unser gemeinsames Ziel und entspricht unserem gemeinsamen Verständnis von Souveränität und Handlungsfähigkeit. (…)
Die Kosten einer strategischen Autonomie im Sinne einer vollkommenen Loslösung von den USA würden im Übrigen ungleich höher ausfallen, als die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zu denen wir uns selbst im atlantischen Bündnis verpflichtet haben.

Trotz der deutlichen Absage an Macrons Lieblingsbegriff strategische Autonomie  sind dennoch vermutlich Kramp-Karrenbauer und der französische Präsident weniger weit auseinander als es den Anschein hat. Aber die Antwort an den Elysee-Palast musste wohl sein.

• Mehr praktische Bedeutung, auch für das deutsch-französische Verhältnis, dürfte dagegen haben, was die Ministerin zu den Großprojekten für die Ausrüstung der Bundeswehr in ihrer Rede sagte:

Ich werde einer Finanzierung von Großprojekten zu Lasten der Grundausstattung und der Mittel des täglichen Betriebs nicht zustimmen. Diesen Fehler hat die Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten gemacht und er hat die Streitkräfte bis ins Mark getroffen. Das darf sich nicht wiederholen.
Neue Großprojekte, so attraktiv sie scheinen und so schön es wäre, die damit versprochenen Fähigkeiten zu haben, können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird – oder wenn andere Großprojekte dafür nicht realisiert werden.
Deswegen bin ich froh, dass wir uns in den aktuellen Haushaltsverhandlungen darauf einigen konnten, einigen dieser Projekte bereits eine mittelfristige Finanzperspektive zu geben:
– dem Eurofighter,
– dem Hubschrauber NH90,
– der Eurodrohne.
Das ist gut für die Truppe, verlässlich gegenüber unseren Verbündeten, fördert europäische Eigenständigkeit, industrielle Fähigkeiten und Technologie, und es ist gelebte Gesamtverantwortung in der Bundesregierung und im Parlament.

Das bildet zwar ab, was im Haushalt bislang hinterlegt ist – aber auffällig ist schon, gerade im Hinblick auf gemeinsame deutsch-französische Aktivitäten, dass sie das gemeinsame Luftkampfprojekt Future Combat Air System (FCAS) von Deutschland, Frankreich und Spanien noch nicht einmal erwähnte. Das wäre ja ein Paradebeispiel für eine gemeinsame europäische Initiative. Und im Hinblick auf die nationalen Beschaffungen darf man gespannt sein auf die Liste der Großprojekte, die möglicherweise gestrichen werden (müssen) – Details nannte Kramp-Karrenbauer in ihrer Rede leider nicht. Ich hätte da zum Beispiel die Frage nach der Zukunft des geplanten Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS).

• Die an die Innenpolitik gerichtete Forderung nachEinrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats wird seit Jahren immer wieder debattiert, und Kramp-Karrenbauer will das auf die Tagesordnung von Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl im September kommenden Jahres gesetzt sehen. Interessanter scheint da ihre Forderung, den Verteidigungshaushalt nicht von Jahr zu Jahr neu festzulegen:

Ich sage gleichzeitig mit Nachdruck: das Verteidigungsministerium allein kann nicht dafür sorgen, dass unsere sicherheits- und verteidigungspolitische Verlässlichkeit als Verbündeter gestärkt wird. Das ist eine gesamtpolitische Aufgabe. So muss auch die langfristige Finanzlinie des Verteidigungshaushalts ein gemeinsames Anliegen einer Regierung sein.
Ich kann mir daher gut vorstellen, in kommenden Legislaturperioden dem Vorbild anderer europäischer Länder zu folgen, und ein Verteidigungsplanungsgesetz zu verabschieden, das die Finanzierung unserer Sicherheit überjährig und langfristig festschreibt. Damit Sicherheit weniger Spielball der Konjunktur und kurzfristiger Stimmungsbilder ist, sondern als absolute Kernaufgabe des Staates stetig unterfüttert bleibt.

Das ist nun ein dickes Brett und eine Ansage an alle Parlamentarier, quer durch die Fraktionen. Denn der Bundestag ist ziemlich kritisch, wenn er sein Königsrecht, die Festlegung des Haushalts, angegriffen sieht – und besteht auf der jährlichen Beschlussfassung. Insofern ist das schon mal ein Hinweis an alle potenziellen Koalitionspartner – auch rechtzeitig vor der Bundestagswahl.

*Vorsorglich eine Sicherungskopie der Rede:
20201117_AKK_Grundsatzrede

(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)