Großprojekte der Bundeswehr: Neuer STH-Anlauf im Dezember

Das Verteidigungsministerium will noch in diesem Jahr einen neuen Vorschlag für die Beschaffung eines schweren Transporthubschraubers (STH) für die Bundeswehr vorlegen. Das kündigte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor dem Bundestag an. Über weitere noch unklare Großprojekte für die Streitkräfte soll aber erst im kommenden Jahr entschieden werden.

Die Ministerin äußerte sich in der Regierungsbefragung des Parlaments am (heutigen) Mittwoch – dabei ging es unter anderem um ihre Aussage in der sicherheitspolitischen Grundsatzrede in der vergangenen Woche. Darin hatte Kramp-Karrenbauer erklärt:

Neue Großprojekte, so attraktiv sie scheinen und so schön es wäre, die damit versprochenen Fähigkeiten zu haben, können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird – oder wenn andere Großprojekte dafür nicht realisiert werden.

Natürlich wollten Abgeordnete wissen, was das denn konkret bedeute, und fragten nach (ab ca 13.07 Uhr in diesem Video des Bundestages):

Als konkretes Projekt, das noch im Jahr 2020 vorangetrieben werden soll, nannte die Ministerin den schweren Transporthubschrauber, dessen Vergabeverfahren das Wehrressort Ende September gestoppt hatte. Die vorliegenden Angebote seien unwirtschaftlich, hatte das Ministerium erklärt, im Klartext: zu teuer. Die Auswahlentscheidung, als Ersatz für den betagten CH-53 der Luftwaffe (Foto oben) die beiden US-Modelle CH53K und CH-47F Chinook zu untersuchen, gilt allerdings vorerst weiter.

Nach Kramp-Karrenbauers Worten will das Verteidigungsministerium im Dezember eine Empfehlung vorlegen, wie das Vergabeverfahren weitergeführt werden könnte. Eine Vorlage für den Bundestag werde es im kommenden Jahr geben.

In den Antworten auf die Parlamentarierfragen ging die Ministerin auch auf die weiteren Großprojekte ein, über die es zum Teil noch keine Klarheit gibt:

• Die beiden deutsch-französischen Großprojekte Future Combat Air System (FCAS) und Main Ground Combat System (MGCS) sind nach ihren Worten gesetzt, auch weil von der ganzen Bundesregierung gewollt. Derzeit gebe es vor allem bei FCAS Gespräche mit Frankreich, um Finanzierungsfragen zu klären.

• Ebenfalls geklärt und auch im Haushalt finanziell hinterlegt sind nach Angaben der Ministerin das Projekt der Entwicklung der EuroDrohne mit Frankreich und Spanien, die Neubeschaffung von Eurofightern und die Beschaffung des neuen Bordhubschraubers SeaTiger für die Marine.

• Über das Projekt der bodengebundenen Luftverteidigung werden, so Kramp-Karrenbauer, wir uns noch unterhalten müssen. Dabei gehe es nicht nur um die Frage der Beschaffung des milliardenteuren Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS), sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Bereiche von Flugabwehr und Luftverteidigung in den verschiedenen Höhen. Eine Entscheidungsmatrix werde das Ministerium in den ersten Monaten 2021 vorlegen.

• Über die Beschaffung eines zweiten Loses des Schützenpanzers Puma werde erst entschieden, wenn die Einsatzbereitschaft des ersten Loses dieser Kampffahrzeuge zufriedenstellend sei, sagte die Ministerin. Die entsprechenden Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen – damit dürfte es bei dem bereits bekannten Zeitpunkt Februar 2021 [Korrektur, nicht 2020] für die weiteren Entscheidungen bleiben.

• Die Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs ist nach den Worten Kramp-Karrenbauers abhängig von dem Patentstreit, der derzeit zwischen dem bei der Vergabe unterlegenen Unternehmen Heckler&Koch und der siegreichen Firma C.G.Haenel läuft. Dazu ist vor allem ein Verfahren beim Landgericht Düsseldorf anhängig, das aber in diesem Jahr nicht zu einem Ergebnis führen wird. Interessant war in diesem Zusammenhang die Aussage der Ministerin, die Truppe habe ja weiterhin ihre Standardwaffe G36, ein Gewehr, das unabhängig von früheren Untersuchungen seinen Dienst tut.

Kramp-Karrenbauers Vorgängerin Ursula von der Leyen hatte den Ersatz des G36 vorangetrieben, weil teilweise Probleme unter bestimmten Einsatzbedingungen festgestellt worden waren. Allerdings, das räumte auch Kramp-Karrenbauer ein, stehe eine Ablösung des Mitte der 1990-er Jahre eingeführten G36 ohnehin an.

• Von den ganzen Projekten zur Neubeschaffung blieb, wenn ich nicht was übersehen habe, vor allem eines unerwähnt: Die Nachfolge der Seefernaufklärer vom Typ P-3C Orion. Das Ministerium hatte im Juni die Modernisierung der betagten Maschinen gestoppt und eine Marktsichtung für die Beschaffung neuer Flugzeuge angekündigt. Immerhin ist die Nutzungsdauer der Orion jetzt bis 2025 begrenzt – nicht allzuviel Zeit, ein neues Muster zu finden, zu beschaffen und einzuführen.

Nachtrag: Auszüge aus dem Plenarprotokoll der Befragung:

Siemtje Möller (SPD):
Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Ministerin, soeben hier im Plenum wie auch in Ihrer Grundsatzrede am 17. November 2020 an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg kündigten Sie an, einer Finanzierung von Großprojekten zulasten der Grundausstattung und Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten nicht mehr zuzustimmen.Die benötigte Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten liegt uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern besonders am Herzen; daher haben wir auch im Verteidigungsausschuss einen entsprechenden Antrag zur besseren persönlichen Ausstattung der Angehörigen der Bundeswehr eingebracht. Gleichwohl müssen wir feststellen, dass wir bei Großprojekten auch Mängel zu verzeichnen haben.Nach welchen Kriterien entscheidet das BMVg, welche Großprojekte weiter verfolgt, welche geschoben und welche gestrichen werden? Was heißt das insbesondere für die großen deutsch-französischen Vorhaben MGCS und FCAS?

Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin der Verteidigung:
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Wir haben in einem Kabinettsbeschluss zu den Haushaltsentwürfen, die auch dem Bundestag zugeleitet worden sind, eine Reihe von Projekten benannt, die vor die Klammer gezogen wurden. Damit ist auch deutlich gemacht worden, dass diese Projekte sozusagen in der Gesamtverantwortung der Regierung gesehen werden, und darunter fallen auch die beiden großen deutsch-französischen Projekte MGCS und FCAS.
Wir haben jetzt mit den Vorlagen zur Eurodrohne und zum Eurofighter, Tranche 1 – Ersatz – und Tranche 4, sowie zum Marine-Bordhubschrauber entsprechende Ausfinanzierungen vorgelegt. Wir werden uns über die Frage bodengebundener Luftverteidigung unterhalten müssen. Das ist nicht nur eine Frage der technischen Fähigkeiten mit Blick auf das Thema TLVS, sondern es bedarf einer Gesamtbetrachtung der unterschiedlichen Schichten – wenn Sie so wollen –, in denen Verteidigung stattfindet. Dazu gehören auch die Fragen, wo wir Fähigkeitslücken haben, wo wir in die Modernisierung gehen, wie wir in den internationalen Kooperationen stehen und wie das Ganze über die Zeitachsen finanziert werden könnte.
Ich habe im Haushaltsausschuss angekündigt, dass ich diese Entscheidungsmatrix in den ersten Monaten des nächsten Jahres vorlegen werde.
Eine zweite Großbeschaffung, Puma 2. Los, hängt insbesondere davon ab, wie weit wir mit der Einsatzbereitschaft und der Verbesserung beim 1. Los kommen. Diese Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Das sind zwei große Fragen, die wir im nächsten Jahr noch zu klären haben. Davon hängen auch Priorisierungen ab.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Danke sehr. – Nachfrage, Frau Kollegin?

Siemtje Möller (SPD):
Ich habe sogar zwei Nachfragen. – Wir reden schon hinlänglich lange über die Projekte MGCS und FCAS. Da gibt es zähe Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich.
Erste Frage. Wir als Ausschussangehörige haben von der Sache bedauerlicherweise erst aus der Presse erfahren und waren entsprechend überrascht. Was passiert denn eigentlich, und welche Kriterien legen Sie an? Welche Auswirkungen halten Sie für absehbar, wenn es zu einem Scheitern von FCAS und/oder MGCS kommen würde, auch für das deutsch-französische Verhältnis?
Zweite Frage. Es gibt eine ganze Reihe von Großprojekten, die – das muss man einfach festhalten – gescheitert sind, unter anderem der schwere Transporthubschrauber, aber auch die Auftragsvergabe für das Sturmgewehr G36. Hierzu meine Frage: Für wann können wir als Parlament die Vorlage einer Liste an Beschaffungen erwarten, mit denen dafür gesorgt werden kann, dass die Soldatinnen und Soldaten ordentlich ausgerüstet werden? Es geht nicht, dass Sie das immer weiter ins nächste Jahr hinein verschieben.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Frau Ministerin.

Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin der Verteidigung:
FCAS und MGCS sind die zwei wichtigen deutsch-französischen Kernprojekte, die wir mit aller Kraft vorantreiben wollen und auch werden.
Bei FCAS sind wir in entscheidenden Verhandlungen über den nächsten Schritt. Ich habe dazu vor wenigen Tagen noch einmal mit meiner französischen Kollegin telefoniert. Wir beide wollen diese Verhandlungen vorantreiben. Es gibt im Moment Probleme mit dem Finanzrahmen, nicht nur für die deutsche Seite, sondern auch für die französische Seite. An dem Punkt arbeiten wir gemeinsam, im Übrigen auch mit dem spanischen Partner. Je schneller wir diese Vertragsverhandlungen abschließen, desto schneller können wir die weiteren Schritte auch im Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorlegen.
Bei MGCS haben wir die Forschungsfelder festgelegt, die im nächsten Jahr zu den weiteren Schritten führen werden bis hin zur Entwicklung von Demonstratoren. Auch hier sind wir gemeinsam mit Frankreich fest entschlossen, das Projekt voranzutreiben. Im Übrigen gibt es gerade für MGCS viele Interessenten aus ganz Europa, die sich gerne stärker an diesem Projekt beteiligen möchten, weil sie ebenfalls Modernisierungsbedarf haben.
Zum G36. Wir haben mit dem G36 ein Gewehr, das – auch unabhängig von früheren Untersuchungen – seinen Dienst tut, von dem man aber sagen muss: Es wird am Ende dieses Jahrzehnts in die Jahre gekommen sein. Insofern ist es richtig, dass wir über die Modernisierung reden. Wir haben jetzt drei Gewehrmuster im Verfahren, die den technischen Anforderungen, die die Bundeswehr gestellt hat, erprobter- und erwiesenermaßen gerecht werden. (…) Welches dieser Muster genommen wird, hängt davon ab, wie die Patentrechtstreitigkeiten ausgehen.Zum schweren Transporthubschrauber – wenn ich das noch abschließend sagen darf – wird noch im Dezember eine Empfehlung des Verteidigungsministeriums auf den Tisch kommen, und das wird dann im nächsten Jahr dem Bundestag zur Entscheidung zugeleitet werden.

(Archivbild: (Foto: Ein CH-53-Hubschrauber nach einer Sicherheitslandung am 11. März – Foto Luftwaffe via Twitter)