DroneWatch: Folgt auf die Debatte über bewaffnete Drohnen die Entscheidung? (Nachtrag: Protokoll)
Die Debatte über eine Bewaffnung von Bundeswehrdrohnen im Verteidigungsausschuss des Parlaments am (heutigen) Montag hat nach meinem ersten Eindruck keine wirklich neuen Argumente zutage gebracht. Bedeutung hat sie aber aus einem anderen Grund: Ist damit die – im Koalitionsvertrag angelegte und vom Bundestags-Haushaltsausschus explizit geforderte – ausführliche völkerrechtliche, verfassungsrechtliche und ethischen Debatte über die Beschaffung bewaffneter Drohnen damit abgeschlossen – und folgt jetzt die Abstimmung über die tatsächliche Beschaffung?
Die gesamte dreistündige Anhörung zur völkerrechtlichen, verfassungsrechtlichen und ethischen Bewertung einer möglichen Bewaffnung ferngeführter, unbemannter Luftfahrzeugsysteme der Bundeswehr habe ich, das muss ich zugeben, wg. anderer Termine nur teilweise verfolgen können. Aber sie lässt sich hier anschauen
und hoffentlich recht bald auch im Wortprotokoll nachlesen – wie schon die frühere Anhörung des Ausschusses zu diesem Thema im Jahr 2014.
Nach dem, was ich hören konnte, sind allerdings Befürworter wie Gegner einer solchen Bewaffnung, unter den Abgeordneten wie unter den angehörten Fachleuten, in ihrer Argumentation, nun, weitgehend stringent bei der seit Jahren zu hörenden Linie. Die Befürworter heben vor allem den Schutz der Soldaten am Boden hervor, die ablehnende Haltung wird mit der Gefahr einer Rutschbahn zu autonomen tödlichen Systemen, den extralegalen Tötungseinsätzen von US-Drohnen gerade auch außerhalb von Kriegshandlungen und einer sinkenden Hemmschwelle für die Billigung militärischer Einsätze begründet.
Entscheidend dürfte da in nächster Zeit sein, wie sich der Koalitionspartner SPD verhält. Denn der hatte die heutige Anhörung, so sagen die Sozialdemokraten selbst, auf die Tagesordnung gesetzt. Und von der Haltung innerhalb der SPD-Fraktion wird es abhängen, ob die vom Haushaltsausschuss beschlossenen Bedingungen als erfüllt angesehen werden und das Verteidigungsministerium eine so genannte 25-Millionen-Vorlage für die Finanzierung der Bewaffnung mit Aussicht auf Erfolg in diesen Ausschuss einbringen kann.
Der SPD-Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu schien das am Nachmittag via Twitter zu signalisieren:
Allerdings, ohne Felgentreu und anderen Verteidigungspolitikern seiner Fraktion Unrecht zu tun: Ob das auch in seiner Fraktion mehrheitsfähig ist, muss sich erst noch zeigen. Dabei geht’s dann nicht um die Frage gezielter Tötungen oder autonomer Waffensysteme, die in Deutschland auch die härtesten Befürworter bewaffneter Drohnen nicht anstreben. Sondern um die Bewaffnung an sich.
Mit anderen Worten: Ist nach der Anhörung vor der Entscheidung – oder ist der Prozess der Drohnendebatte noch nicht am Ende? Das ist die Frage nach der Anhörung. Eine Antwort wird vermutlich recht bald kommen.
Fürs Archiv noch die Hinweise auf die bislang veröffentlichten Statements von
Christian Marxsen vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (der die Position vertrat, dass mit der Beschaffung die Hemmschwelle für bewaffnete Einsätze sinken könne)
und
Andreas Zimmermann von der Universität Potsdam
(von den anderen Experten gibt es leider keine eingestellten Papiere)
Der Vollständigkeit halber der Hinweis auf eine Ausarbeitung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die auch in der Anhörung mehrfach zitiert wurde
Anja Dahlmann
Heron TP – und dann? Implikationen einer Bewaffnung deutscher Drohnen
und die die mögliche Beschaffung als Pfadentscheidung auf dem Weg zu autonomen Waffensystemen sieht.
Update: Felgentreu sagte am Abend in der ARD-Tagesschau, für den Fall, dass der Einsatz bewaffneter Drohnen für den Schutz der Soldaten am Boden festgeschrieben werde, könne er sich eine Zustimmung der SPD vorstellen. Allerdings bleibt auch da abzuwarten, wie sich die – bisherigen? – Gegner einer solchen Bewaffnung in der Fraktion positionieren.
Nachtrag: Das Wortlautprotokoll der Anhörung ist jetzt beim Bundestag online; zur Sicherheit auch hier:
20201005_VA_Drohnen-Anhoerung_Protokoll
Ein Antrag aus den Reihen der Bundesregierung (oder aus der sie tragenden Fraktionen) zur Beschaffung bewaffneter Drohnen für deutsche Streitkräfte als zusätzliches Wirkinstrument im Falle eines Einsatzes außerhalb der bündnisbezogenen Landesverteidigung wird dann erfolgen, wenn es in den eigenen Reihen einer klare Mehrheit dafür gibt. Wenn sich die Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU und SPD Bundestagsfraktion sicher sind und ihnen gemeldet wird, dass es nur einige wenige Abgeordente sein werden, die gegen einen Antrag stimmen werden, dann kommt der Antrag auf die Tagesordnung in einer der Sitzungswochen bis zum Ende der Legislatur. Aber, die Mehrheit aus den eigenen Reihen muss garantiert sein. Das gleich gilt für den Einsatz deutscher Streitkräfte insgesamt – wie für jedes Vorhaben einer Regierung. Egal warum es sich handelt. Erst die eigene Mehrheit sicherstellen und dann ins Parlament.
Hier die Aufzeichnung der heutigen Anhörung:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw41-pa-verteidigung-790764
Interessant sind aus meiner Sicht ab 1:22 die Fragen von Siemtje Möller (SPD). Der Vertreter des MPIL argumentiert fernab von seinem Fachgebiet (Völker- und Verfassungsrecht) und kommt daher in seinen Antworten erheblich ins Schlingern.
Die Frage zur unmittelbaren Gefahr legt nahe, dass die Rechtsgrundlagen (humanitäres Völkerrecht) und deren Umsetzung (RoE, SOP, SPINS, etc) nicht wirklich präsent sind.
Der Kern der Diskussion – und völlig unabhängig vom eingesetzten Material.
Falls interessiert hier noch etwas mehr dazu:
https://augengeradeaus.net/2020/05/dronewatch-zehn-jahre-heron-tp/#comment-344728
[Sinnvollerweise in den neuen Thread zur Anhörung verschoben. T.W.]
Fritz Felgentreu deutet Zustimmung seitens der SPD an, unter Bedingungen. ( tagesschau)
[Habe das als Update oben aufgenommen. T.W.]
Sollte sich die SPD final auf die Position verständigen es mitzutragen, bewaffnete Drohnen zum Schutz der eigenen Soldaten zu beschaffen, muss ich sagen: Hut ab! Wichtige Diskussion sachlich geführt, abgewogen Position gefunden, die den eigenen Leuten nicht einfach zu verkaufen ist und die den realen Bedürfnissen der Truppe Rechnung trägt. So eine Debatte zu führen und eine entsprechende Position zu finden zeugt mE wirklich von staatstragender Verantwortung!
Man darf nun gespannt sein, ob das BMVg seinen Bericht zur Drohnendebatte vom 03. Juli d.Js. auf die auch mehrfach in der Anhörung hingewiesen wurde, https://www.bmvg.de/resource/blob/274160/f5d26b7af1a024551e4aafc7b587a01d/20200703-download-bericht-drohnendebatte-data.pdf mit Ausgang der heutigen Anhörung überarbeiten wird oder ob es das BMVg dabei belassen wird. Ich denke hiervon hängt die Zustimmung der SPD Bundestagsfraktion ab. Ich denke, dass die heutige Anhörung zur pflichtgemäßen Abarbeitung der Koalitionsvereinbarung diente, es letztendlich aber bei BMVg 03,Juli 2020 bleiben wird.
Nur mal als Erinnerung ein Goldkorn aus dem „Archiv“ des Hausherren zum Thema gezielte Tötungen:
„Es gibt eben Personen, die aufgrund ihrer Führungsfunktion auf der gegnerischen Seite ein derartiges Potenzial darstellen, dass letztendlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, wenn man ihrer nicht anders habhaft werden kann, auch die gezielte Tötung im Einklang mit dem Völkerrecht steht. So handeln eben auch in diesem speziell diskutierten Fall die Amerikaner. Was uns selbst betrifft, so haben wir eben ausgeführt, wo unsere De-facto-Selbstbeschränkung liegt.“
Sprecher BMVg, KzS Dienst, RegPK am 28.07.10
Quelle:
https://augengeradeaus.net/2014/12/ueberraschung-bundeswehr-war-in-afghanistan-im-krieg/
Gezielte Tötung ist eben nicht gleich extralegale Tötung.
Nach Jahren der Debatte werden diese Themen immernoch – bewusst oder unbewusst – vermischt.
Im Kern geht es um die Rolle von Streitkräften in bewaffneten Konflikten.
Die Drohnendebatte ist da nur der exemplarische Aufreger.
Nun wird man hoffentlich bald sehen, ob in der SPD-Fraktion die Fachpolitiker oder der linke Flügel eine Mehrheit findet.
Die SPD hat ihre Position dauerhaft stark dargestellt, die kritischen Geister wurden gehört, sie werden letztlich nicht im Wege stehen.
… und ich warte dann auf den ersten taktisch offensiven (!) Einsatz, für den Schutz der Soldaten am Boden und zum Schutz der operativen Defensive …
Die Position der SPD scheint mir noch nicht endgültig geklärt.
Laut einer AFP-Meldung von heute sieht der SPD-Generalsekretär Klingbeil weiterhin viele offene Fragen, die noch von Fachpolitikern geklärt werden müssten.
Auf jede Frage zu diesem Thema gab es mittlerweile mehr als genug Antworten. Was wirklich fehlt ist der Mut zu Entscheidungen.
Die anstehenden Entscheidungen zum Bundeshaushalt 2021 (Bewaffnung für HERON TP und Entwicklung der Eurodrohne) bringen nach jahrelanger Verzögerungen einen gewissen Entscheidungsdruck auf.
Oder man schreibt die Passage zur umfassenden Debatte rundum bewaffnete Drohnen auch in den nächsten Koalitionsvertrag.
Dann sehr wahrscheinlich ohne die SPD.
Einfacher wird es dann sicherlich nicht (Frau Keul war heute ja erneut ziemlich grundlegend ablehnend eingestellt).
Wenn ich mir ansehe, wie die Aseris derzeit mit ihren Drohnen die Armenier niederknüppeln, scheint mir der Wiederaufbau der Heeresflugabwehr mit leistungsfähigen Sensoren und Effektoren für den Nah- und Nächstbereich wesentlich wichtiger als die Frage, ob wir an unsere Herons endlich ein paar Hellfire dranschrauben dürfen.
@ Memoria sagt:
05.10.2020 um 20:56 Uhr
Den Punkt hat Carlo Masala auch in etwa aufgegriffen, als ihm eine Nachfrage gestellt wurde bezogen auf sein Argument, das Drohnen keine Gamechanger sind/den Angriff auf den iranischen General. Nach Masala, sind Drohnen insbesondere bei Hochwertzielen nicht unbedingt das Mittel der Wahl. Zumindest die USA sind da dann „oldschool unterwegs“ und haben bei Bin Laden und Al Bagdadi Spezialkräfte geschickt.
Mir war gerade in diesem Punkt, dass Drohnen gezieltes Töten und Handlungen außerhalb von Mandaten provozieren von den Kritikern deutlich zu schwammig argumentiert. Die Argumentation fußten dabei für meinen Geschmack zu sehr auf Vermutungen und waren all zu sehr auf den amerikansichen/CIA Umgang mit Drohnen fokussiert. Den Umgang unserer Europäischen Partner wurde fasst gar nicht thematisiert.
Bemerkenswert fand ich im Übrigen auch das Statement von Herrn Zimmermann, dass der Bundestag eine Bewaffnung von Drohnen ablehnen könne, dann aber nicht so scheinheilig sein darf und deutsche Soldaten durch bewaffnete Drohnen von Verbündeten (er brachte glaube ich das Beispiel Frankreich in Mali) schützen lassen soll. (sinngemäß aus dem Kopf wiedergegeben)
Cheers
Flip
@muck,
auch ich finde die Debatte fast schon erschreckend historisch, in einer untergegangenen unipolaren Welt verhaftet, in der wir mit in das Lager einer damals, vor fast zwanzig Jahren, technologisch scheinbar uneinholbar fuehrenden „Hypermacht“ gehoerten. Deutschland sollte sich tatsaechlich mehr Gedanken ueber den Schutz des eigenen Informationsraums (Digitale Souveraenitaet?) UND des Luftraums (Drohnen-/ Flugkoerperabwehr) ueber dem eigenen Staatsgebiet und von eigenen Militaereinheiten Gedanken machen oder besser noch zuegig Massnahmen ergreifen, Schutz eigener Kraefte durch das Vaporisieren technologisch chronisch unterlegener Gegner („Hard to find, easy to kill“) und die damit verbundenen ethisch-moralischen Noete sind so Nuller Jahre, ich koennte fast sentimental werden. Aber: Es ist auch eine Komfortzone der politischen Diskurskultur in Deutschland, es gibt klare Demarkationlinien zwischen den eingegrabenen Positionen der in dieser Sache gut unterscheidbarer Parteiprogrammatik. Die wirklichen strategischen Implikationen der Nutzung von Drohnen zur Bekaempfung von lohnenden Zielen im Rahmen des „globalen Krieges gegen den Terror“ koennen wir, wie @muck richtig aufzeigt, nun an Schauplaetzen im Krisenbogen vom Kaukasus ueber Nahost bis Nordafrika besichtigen. Was dem einen ein Terrorist oder Aufstaendischer, ist dem anderen ein Freiheitskaempfer, und opportun sei, was technisch moeglich ist. Art und Umfang der formal vorbildlich gefuehrten innerdeutschen Debatte zwischen den Akteuren ist symptomatisch fuer eine Nabelschau-Mentalitaet und folgt aus meiner Sicht dem Ansatz: Viel Aktivitaet, wenig Produktivitaet bezueglich der tatsaechlichen strategischen Herausforderungen.
Leidiges Thema.
Ich bin bis heute von keinem Argument der Gegner bewaffneter Drohnen überzeugt worden. Weder die recht diffusen „Slippery Slope“- Argumente hin zur angeblichen „Automatisierung des Krieges“, noch von den hinreichend konkreten Bedenken in Bezug auf das, was andere mit ihren Waffensystemen anstellen. Nichts, aber auch gar nichts beim Thema bewaffnete RPVs in der angestrebten Form stellt in meinen Augen eine neue Dimension dar. Der Lobhudelei auf die „staatstragende Verantwortung“, die mancher bei diesem Thema der SPD recht kreativ andichtet, kann ich mich angesichts einer recht späten Erledigung für seit spätestens 2008 versäumte Hausaufgaben nicht anschließen. Die CDU, durchgängig in Regierungsverantwortung, kommt bei dieser Betrachtung aber auch nicht besser weg und selbst eine FDP, die sich ja überwiegend klar für bewaffnete Drohnen positioniert, war rückblickend diesbezüglich recht wenig engagiert. Man mag sich erinnern, ehedem wäre auch die MQ-1 eine Option gewesen. Jedoch selbst eine unbewaffnete Predator wäre angesichts eines Verweises auf den schlechten Eindruck des Modells durch „andere“ politisch zu heikel und warf so bereits seine Schatten voraus auf eine Debatte, die wir viel zu spät begannen und nun schon zu lange führen.
Ich würde mir wünschen, wir würden über alle Fragen der Sicherheitspolitik so lebhaft diskutieren, wir über die relativ schnöde „Drohnen-Frage“. Wirklich interessant wäre es doch mal mit der Frage, wie wir es generell halten mit der Moral und dem „Burden Sharing“, womit ich dem Kommentar beipflichte, der zurecht auf das dahinter liegende Thema deutscher Streitkräfte in bewaffneten Konflikten abstellt. Ob wir den Zustand der fast zum Dogma stilisierten Denke „Deutsche machen kein Targeting“ dauerhaft und an jeder Einsatzrealität vorbei fortzuführen gedenken. Ob wir den Willen aufbringen, offensichtliche Fehler im System auszumerzen, die zu so irrwitzigen Truppenlösungen führten, den jeweils mit der günstigsten ROE gesegneten JTAC vorzuschicken, um nationale Vorbehalte pragmatisch zu umschiffen. Alles letztlich, weil die Politik nach dem Erteilen des Mandats der Mut zu konsequentem Handeln verließ… Ich würde mir ferner wünschen, sie würde Ihre Verantwortung dort wahrnehmen, wo sie entsteht: Im eigenen Hause. Dies würde bedeuten, gewisse Entscheidungen erst dann zu treffen, wenn man die nötigen Vorraussetzungen geschaffen hat, anstatt hinterher umständlich und wenig vermittelbar die Scherben eigenen Handelns durch „breite gesellschaftliche“ Scheindebatten unter den Teppich kehren zu wollen. Die Drohnen sind IMHO lediglich ein Platzhalter für längst überfällige und eigentlich schon vorgezeichnete Entscheidungen. Aber es ist leider nicht das erste mal, dass wir Jahre verschenken um Lösungen zu finden, die wir gestern gebraucht hätten.
Laut sueddeutsche.de („SPD offen für Kampfdrohnen“) gab es in der heutigen SPD-Fraktionsitzung wenig Widerspruch zu bewaffneten Drohnen.
Das BMVg soll bis Jahresende eine Beschaffungvorlage dem Bundestag vorlegen. Diese soll die Bedenken der SPD und wesentliche Aspekte der gestrigen Anhörung berücksichtigen.
Hut ab vor der Ministerin, die durch ihren Besuch in Kunduz und dem dortigen Pressestatement die Diskussion wieder begonnen hat. Ebenso Respekt vor den damals dort eingesetzten Soldaten (Oberst E. und sein Beraterteam), die die Lage ungeschminkt darstellten (was auf dem Dienstweg offenbar nicht geschah).
Merke:
Besuche von Politikern im Einsatz müssen nicht nur viel Aufwand sein, sondern können wirklich etwas verändern.
@Memoria sagt: 06.10.2020 um 20:18 Uhr
„Das BMVg soll bis Jahresende eine Beschaffungvorlage dem Bundestag vorlegen. Diese soll die Bedenken der SPD und wesentliche Aspekte der gestrigen Anhörung berücksichtigen.“
Bis Jahresende ist zwar sportlich, aber wenn man bedenkt, was alles schon für vorarbeiten geleistet wurden sicherlich machbar. Und durch den unmittelbaren, zeitlichen Zusammenhang besteht die Hoffnung, dass jetzt nicht schon wieder irgendwelche sachfremden Punkte eine Einigung in der Koalition zerschießen.
„Hut ab vor der Ministerin, die durch ihren Besuch in Kunduz und dem dortigen Pressestatement die Diskussion wieder begonnen hat.“
In der Tat. AKK hält was sie verspricht. Sie ist sicherlich nicht die charismatischte Politikerin und begabteste Rednerin, aber sie lässt sich beraten und geht Dinge an,
„Ebenso Respekt vor den damals dort eingesetzten Soldaten (Oberst E. und sein Beraterteam), die die Lage ungeschminkt darstellten (was auf dem Dienstweg offenbar nicht geschah).“
Sorry, aber hier muss ich widersprechen. Es war doch jedem bekannt, was die Sachlage ist! Dazu muss man ja nur in die verschiedenen öffentlichen Unterlagen der letzten 8 Jahre schauen.
Der Dienstweg hat sicherlich viele Fehler, aber AKK (und der in dieser Frage glaube ich treibende ParlSts Tauber) wussten schon vor dem Besuch in AFG alles. Sie haben lediglich die Möglichkeit ergriffen und das Eisen geschmiedet als es heiß war (wurde).
@Koffer:
Ob vorab jeder alles wusste und alles bekannt war, ist eine Möglichkeit.
Jedoch ist es auch möglich, dass die Dringlichkeit des Themas bei RSM nicht bis in die politische Ebene vorgedrungen ist. Mein Eindruck ist, dass erst beim Besuch wirklich eindringlich deutlich wurde wie die Lage in Kunduz ist (kein Kampfeinsatz..). Das legen für mich auch öffentliche Äußerungen von Abgeordneten nahe, die bei der Reise dabei waren.
Oder es war sehr professionell inszeniert – dann aber wohl ohne Einbindung verschiedener Abteilungen im BMVg. Denn nach der Reise gab es ja erstmal eine Art Findungsphase – die wiederum PSts Tauber ziemlich geschickt moderiert hat.
Wobei manche seiner Debattenbeiträge eher widersprüchlich waren.
Aber vielleicht fehlt mir da auch – im Gegensatz zu Ihnen – der wirkliche Überblick und tiefe Einblick.
Ich zweifle im Allgemeinen und Speziellen daran, dass Politik vorallem durchdacht und planmäßig vorgeht.
Öfter als man gemeinhin glaubt wird Politik durch Ereignisse und individuelle Erfahrungen getrieben.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bedanke mich das hier ein Kommentar abgeben darf.
Ich sehe diese Diskussionen auf politischer Ebene, zum Thema Drohnen und frage mich, warum so sehr über die Bewaffnung gestritten wird. Die Entscheidung über den Einsatz militärischer Mittel wird vom Bundestag getroffen. Das Primat der Politik.
Die Bundeswehr, wenn man es streng auslegt, besitzt bereits autonome Waffensysteme. Jede Panzerabwehrmine stellt doch sowas dar. Artillieregeschosse mit moderne Submunition die Endphasen gelenkt ist, funktioniert auch autonom. Die Regierung hat hunderte Marschflugkörper beschafft, die über weite Entfernungen Ihr Ziel treffen. Da drückt der Pilot im Flugzeug auch nur einen Knopf.
Ich bin davon überzeugt, dass es garnicht so sehr um die Bewaffnung der Drohnen an sich geht. Die Politik hat Angst vor eine Senkung der Schwelle für den Einsatz von Luftangriffen. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die politischen Entscheidungen. Wir machen halt einfach lieber Fotos.
Vielen Dank.
Mit Blick auf die internationale Lage noch ein Hinweis:
Die Ukraine plant die Beschaffung von 48 (!) bewaffneten Drohnen aus der Türkei:
https://www.dailysabah.com/business/defense/ukraine-considers-buying-48-bayraktar-tb2-drones-from-turkey
Auch Serbien möchte türkische Drohnen beschaffen:
https://www.aa.com.tr/en/europe/serbia-eyes-buying-turkish-made-combat-drones/1996795
Und in Deutschland glaubt man immernoch die deutsche Entscheidung über die Bewaffnung von einer Handvoll Drohnen wäre ein signifikantes Ereignis eines Rüstungswettlaufes.
Das mediale und öffentliche Interesse an der Debatte und der Vorentscheidung hält sich übrigens sehr in Grenzen.
Kontrovers ist alldas offenbar nur innerhalb einer ziemlich kleinen Blase.
@Memoria sagt: 06.10.2020 um 23:16 Uhr
„Jedoch ist es auch möglich, dass die Dringlichkeit des Themas bei RSM nicht bis in die politische Ebene vorgedrungen ist. Mein Eindruck ist, dass erst beim Besuch wirklich eindringlich deutlich wurde wie die Lage in Kunduz ist (kein Kampfeinsatz..). Das legen für mich auch öffentliche Äußerungen von Abgeordneten nahe, die bei der Reise dabei waren.“
Ich sehe nicht, dass KDZ wirklich der Beleg dafür wäre, dass die Bewaffnung unserer Drohnen unabdingbar wäre.
Ja, in der Tat KDZ kann als gutes Beispiel für die Nützlichkeit mit Blick auf Schutz unter aktuellen Szenaren (nicht Kampf, wenig Kampf) dienen, aber genau diese Argumente wurden auch schon zuvor wieder und vorgebracht. Natürlich nicht mit der Eindringlichkeit wie es im „Feld“ passiert, denn auch wenn man „Fachpolitiker“ ist, können sich die meisten MdB ja kaum in militärische Sachzusammenhänge versetzen. Und das ist kein Vorwurf, denn wenn jeder aus der Ferne Soldatsein verstehen könnte, dann hätte ich nicht 20+ Jahre, drei Laufbahnprüfungen und zahlreiche Verwendungen gebraucht um mein heutiges Systemverständnis zu erzielen.
„Oder es war sehr professionell inszeniert – dann aber wohl ohne Einbindung verschiedener Abteilungen im BMVg.“
Wie man es nimmt. Ohne jetzt zu sehr aus dem Nähkästchen zu plaudern (ich habe gewisse Anknüpfungspunkte zu den relevanten Abteilungen), aber es war vorher durchaus bekannt, was gebrieft werden würde und die Delegation war deswegen entsprechend aufgestellt um zu sekundieren ;)
„Denn nach der Reise gab es ja erstmal eine Art Findungsphase – die wiederum PSts Tauber ziemlich geschickt moderiert hat.“
Da ich nur indirekt mit dem Thema Verbindung habe, spekuliere ich mal und rechne das zur Frage des „eine günstige Gelegenheit nutzen, aber nicht sicher sein, dass sich die Tür auftun würde“.
„Aber vielleicht fehlt mir da auch – im Gegensatz zu Ihnen – der wirkliche Überblick und tiefe Einblick.“
Na, jetzt stellen Sie mal bitte nicht Ihr Licht unter den Scheffel ;) Ich selbst habe auch nur indirekte Anküpfungspunkte zum Thema und Ihre Einsichten in Planungs-/Haushalts-/Beschaffungsprozesse etc. beeindrucken mich immer wieder.
„Ich zweifle im Allgemeinen und Speziellen daran, dass Politik vorallem durchdacht und planmäßig vorgeht.
Öfter als man gemeinhin glaubt wird Politik durch Ereignisse und individuelle Erfahrungen getrieben.“
Da stimme ich zu. Ich glaube man hat hier eine günstige Gelegenheit genutzt, nicht aber diese gezielt und planmäßig herbeigeführt.
@muck Jein, das ist auch etwas einseitg betrachtet. Die Tatsache, dass TUR erfogreich mit ihren Drohnen agiert liegt schlicht an der 100%igen Lufüberlegenheit, welche mit den trürkischen F-16 erreicht wird. History repeating. Im ersten Golfkrieg haben die Amerikaner alles was rus. Rüstungschieden zu bieten hatten vom Himmel „gesweept“. Das hat sich in Syrien wiederholt. Putin wird sich ferner massiv ärgeren der Türkei sein heiligstes Luftabwehrsystem verkauft zu haben, wodurch Vermutungen seit MH17 bestätigt wurden: Das System ist unfassbarer MIst(extrem grobkörniges, unzuverlässiges Radar, keine funktionierende FoF Erkennung etc pp). Rein technisch gesehen sind alle am Markt befindlichen Drohnen recht langsam d.h. acht Acht-Acht würden mit ziemlicher Sicherheit zur Luftverteidigung reichen. Boings loyal Wingman könnte das allerdings ändern, ist aber bis jetzt auch nur ein Prototyp. Man kann aber auch fetshalten, dass die Bundeswehr mit der Beschafung der F-18 ihre Hausaufgaben diesbezüglich gemacht hat.
Interessant an dem ARM./AZE Konflikt ist aber der gleichrangige Einsatz von „Cyber“ zur konventionellem Kriegsführung. Wir sehen auf der einen Seite das volle Arsenal von 85. GTsSS auf der Seite von ARM und alles was Beer Sheva zu bieten hat auf Seiten von AZE. Witzigerweise ist das, international(cybersecuritywise) betrachtet, nicht viel, aber immer noch genug um deutsche Infrastruktur vor massive Probleme zu stellen. Auch hier haben wir die Entwicklung der letzen 15 Jahre einfach ignoriert, weil Hipster Berlin ja lieber mal so ganz Grundsätzlich und so und mit sich selbst ganz friedensbewegt und „wissenschaftlich“ diskutieren wollte. Jetzt ist es wie es ist, wenn Hipster Berlin „[…]looks to the [Cyber-]heavens scenes, they will find the streets are guarded by United States Marines“.
Aber was erwarte ich, wenn die Hipster-Berlin-Trottel mir allen ernstes erklären, dass IS und al-Quaida laut ihrer „Wissenschaft“ Sozialrevolutionäre seien. Deren Annahmen basieren also rein auf Propaganda und active measures, welche einfach mal als wahr angenommen wurden und das ist traurigerweise auch das Wesen all dieser Diskussionen auch zum Thema Drohnen. Das was dort immer als Drohnenkrieg bezeichnet wird passierte auf Geheiß und Einsatzführung der CIA (Definition CIA: ein Haufen Verwaltungsjuristen und Ivy League Helden, die in den USA sitzend. Bücher über ferne Konflikte geschrieben haben. Leider haben weder alSarkawi oder alBaghdadi noch bin Laden je deren Bücher gelesen, konnten daher nicht wissen was die CIA von ihenen erwartete.). Die Bundeswehr ist nicht die CIA, hoffe ich mal.
@White flame
Ihr Kommentar ist mir zu einseitig,
Die Türkei hat ein ernstzunehmendes Drohnenprogramm aufgebaut und wie alle Drohneneinsätze kann man die nur bei Luftüberlegenheit der eigenen Seite voll einsetzen.
Die türkischen Drohnen auf der libyschen Staatsseite waren für den Konflikt ein „Game Changer“. Genauso wie der Drohneneinsatz der Vereinigten Arabische Emirate auf der Haftar-Seite.
Das russische Flugabwehrraketensystem S-400, das die Türkei gekauft hat, hat wenig bis nichts mit dem Radar einer einzelnen BUK-Abschussrampe zu tun. Insofern ist ihr Vergleich mit dem MH-17 Abschuss fehl am Platze. Das russische S-400 System ist so leistungsfähig und „datensammlungsfähig“, dass die Amerikaner die Türkei dafür aus dem F-35 Program ausgeschlossen haben. Sie wollen nicht, dass ihre F-35 mit dem S-400 Radarsystem in der Türkei vermessen werden.
Die Drohnenproblematik in Deutschland hat etwas von den Umständen der Ausphasung der Kavallerie zu Beginn des 1. Weltkrieges. Motorisierte Kampfwagen, sprich Panzer waren damals die Neuerung. Manch tradierter Offizier wollte aber an seiner geliebten Kavallerie festhalten. Seit der Ritterzeit erprobt und bewährt, wie kann da eine technische Neuerung eine grundsätzliche Veränderung der Kriegsführung bewirken ?
@Koffer:
Vielen Dank für die Erläuterungen.
Da griffen wohl verschiedene Rädchen sehr gut ineinander – mit Kunduz als Auslöser.
Das Thema könnte also nun wirklich noch vor der Wahl entschieden werden. Da die Ministerin politischen Mut und Geschick bewiesen hat.
Während in Deutschland noch die Diskussionen von vor mehr als 10 Jahren geführt werden, hier ein Blick auf die Rolle von bewaffneten Drohnen in aktuellen und wohl auch künftigen Konflikten:
https://rusi.org/publication/rusi-defence-systems/key-armenia-tank-losses-sensors-not-shooters
Notwendig wären weniger ideologisierte und ritualisierte Diskussionen über bewaffnete Drohnen und deutlich mehr Debatte in Politik, Bundeswehr (militärisch und zivil), Wissenschaft, Fachpresse und Industrie über den Wandel von Konfliktformen und die daraus folgenden Konsequenzen.
Der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan befördert eine neue Art der Drohnendebatte im Ausland:
„advanced drone capabilities have enabled Azerbaijan to adopt a lower-risk strategy of attrition, relying on precision strikes to destroy high-value Armenian military assets (such as air defense missile systems and armored vehicles). “
https://www.forbes.com/sites/pauliddon/2020/10/07/how-effective-is-azerbaijans-growing-drone-arsenal/
Während in Deutschland die Vorentscheidung der SPD in der öffentlichen Aufmerksamkeit eigentlich keine Rolle mehr spielt.
Zeigt eigentlich recht gut, wie sehr verteidigungspolitische Debatten in einer sehr kleinen Blase geführt werden.
@Georg Ja, genau das kritisiere ich ja. Ihre Informationlslage ist gealtert wie Milch oder unterstellen sie dem USAF Chief er würde lügen ? Wenn man nicht mehr weiter weiß und keine Pseudoargumente mehr hat geht man einfach gleich ad hominem. Willkommen in Berlin. Sie passen gut dort hin.
@Memoria Wenn es denn nur 10 Jahre wären. Die alte Bonhoefer Debatte „Darf ich Hitler töten ?“ ist sogar noch älter. Als Christ darf ich nicht nur, ich muss, war Bonhoefers Antwort. Der Rest ist ein uralter Ideologiekrieg der Fiedensbewegung, die genau diesen Aspekt einfach ignoriert oder versucht ihn wegzudiskutieren mit dem Argument z.B. al Bagdadi sei nicht mir Hitler vergleichbar. Ab wie vielen zivilen Opfern ist denn eine Vergleichbarkeit hergestellt ? Auch dieser Diskursbereich ist eigentlich komplett sinnlos, zumal die Westallierten, Russland, China und so ziemlich jedes Land dieser Erde die Ausgangsfrage mit einem klaren „Ja“ beantworten.
Ähnliches gilt für die 10 Jahre alten Technologiedebatten, die in Berlin geführt werden.
[Huhu, persönliche Anpöbeleien lassen wir hier, und der nächste Kommentar dieser Art fliegt gleich raus… T.W.]
@white_flame:
Die Drohnendebatte ist auch aus meiner Sicht seit Jahren Teil einer viel grundsätzlichen Diskussion um die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik. Leider wird dabei allzuoft der Kern der Debatte (Gewalteinsatz zur Erreichung von Zielen) ausgeblendet.
Siehe dazu auch:
https://augengeradeaus.net/2015/10/drone-watch-bewaffnete-drohnen-die-usa-und-die-rolle-deutschlands/#comment-214662
Auch das BMVg hat sich in der #drohnendebatte2020 an den ebtscheidenen Punkten wegeduckt und seine Argumentation auf Selbstverteidigung und Notwehr aufgebaut.
Ich stimme Ihnen auch zu, dass diese Debatte im Kern bis zur Wiederbewaffnung zurück reicht.
Das finde ich aber auch völlig legitim.
Aus meiner Sicht wird über diese Themen eher zu wenig diskutiert.
Zur Demokratie gehört aber dann auch, dass die Mehrheit entscheidet.
Dies erfolgte viel zu lange nicht, da die CDU vor AKK zu feige war und die SPD zu sehr auf Anti-Drohnen-Aktivisten hörte.
Mir scheint aber dass die Mehrheit der Wähler zu diesen Themen eine deutlich pragmatischere Einstellung hat als es in vielen Debatten in Berlin vermutet wird.
Mich freut es, dass in das Thema nun wirklich noch Bewegung kommt und es vor Jahresende eine Beschaffungsentscheidung gibt.
Ob und wie man die Bewaffnung dann wirklich einsetzt wird dann das nächste Thema.