SPD-Fraktion nominiert Högl ohne Gegenstimmen als Wehrbeauftragte, Kahrs wirft hin

Die Nominierung der SPD-Abgeordneten Eva Högl als neue Wehrbeauftragte wirbelt die Sozialdemokraten kräftig durcheinander: Nachdem die Fraktion die Berliner Parlamentarierin offiziell als Kandidatin benannte, legte der ebenfalls an dem Amt interessierte SPD-Haushälter Johannes Kahrs sein Abgeordnetenmandat und alle anderen Ämter nieder.

Die Spitze der SPD-Bundestagsfraktion unter ihrem Vorsitzenden Mützenich hatte Högl in der vergangenen Woche überraschend als Nachfolgerin des bisherigen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels vorgeschlagen, dessen Amtszeit nach fünf Jahren im Mai ausläuft. Der in der Truppe wie in der Politik geschätzte Bartels hatte sich zuvor für eine zweite Amtszeit ins Gespräch gebracht. Aber auch Kahrs, bislang als einflussreicher Abgeordneter im Haushaltsausschuss für den Verteidigungsetat bedeutsam, hatte sein Interesse an dem Amt angemeldet.

Am (heutigen) Dienstag nominierte die Fraktion nun Högl für die Wahl am kommenden Donnerstag – nach Angaben eines Fraktionssprechers ohne Gegenstimmen. Unmittelbar danach gab Kahrs seinen Rückzug von allen politischen Ämtern in Fraktion und Partei bekannt. Die Erklärung dazu veröffentlichte er auch prominent auf seiner Webseite:

Für das Jahr 2020 habe ich mir seit Langem einen persönlichen Neuanfang vorgenommen. Nach 21 Jahren im Deutschen Bundestag, seit fast 40 Jahren in der SPD, wird es Zeit, für mich andere Wege zu gehen. Ich wollte einen Neuanfang in der Politik. Da mir die Bundeswehr sehr am Herzen liegt, als Oberst der Reserve, ehemaliges Mitglied im Verteidigungsausschuss oder als langjähriger Berichterstatter für das Verteidigungsministerium im Haushaltsausschuss, hätte ich gerne für das Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages kandidiert. Für das Amt des Wehrbeauftragten bewirbt man sich nicht, man wird vorgeschlagen. Der Fraktionsvorsitzende hat Eva Högl vorgeschlagen. Ich akzeptiere dies und wünsche ihr viel Erfolg.
Nun suche ich außerhalb der Politik einen Neuanfang und trete mit Ablauf des 05. Mai 2020 von meinem Mandat und allen politischen Ämtern zurück. Ich danke all meinen Weggefährten, meinen Freunden und politischen Begleitern vieler Jahre. Ich bin meiner Partei zutiefst verbunden und wünsche ihr von ganzem Herzen Glück und Erfolg.

Zeitgleich löschte Kahrs seinen Account bei Twitter – das ist deshalb bedeutsam, weil er diesen Kanal so intensiv nutzte wie wenige andere Politiker.

Mit dem Abschied des Abgeordneten aus Bundestag (und offensichtlich der Politik insgesamt) hat das Vorgehen von Fraktionschef Mützenich Auswirkungen, die weit über die Neubesetzung des Amtes der Wehrbeauftragten hinausgehen. Kahrs war durch seine Schlüsselrolle im Verteidigungsausschuss mitbestimmend für das Schicksal von Rüstungsprojekten – positiv wie negativ.

2016 hatte der Hamburger Abgeordnete in einem Überraschungscoup mit seinem CDU-Gegenpart Eckart Rehberg die Beschaffung von fünf neuen Korvetten für die Deutsche Marine eingeleitet – und dann auch dafür gesorgt, dass das nötige Geld im Haushalt bereitgestellt wurde. Die Marine hatte diese Schiffe zwar nicht bestellt, sagte aber auch nicht Nein. Und in den Wahlkreisen von Kahrs und Rehberg fand die neue Arbeit für die Werften auch Anklag. Der Grünen-Haushälter Tobias Lindner sprach später auch spöttisch von den Korvetten der Kahrs-Klasse.

Die Entwicklung am heutigen Dienstag ist der vorläufige Höhepunkt einer für die Sozialdemokraten in den vergangenen Tagen eher unglücklich verlaufenen Debatte zu sicherheitspolitischen Themen. Mit dem Widerstand gegen die von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer eingeleitete Beschaffung von US-Kampfjets, der Nominierung der künftigen Wehrbeauftragten ohne Rückkoplung mit den Verteidigungspolitikern in der eigenen Fraktion, der überraschend auf die Tagesordnung gesetzten Debatte über die Nukleare Teilhabe und jetzt mit dem Rücktritt eines prominenten Genossen wirkt die SPD-Spitze  derzeit nicht unbedingt so, als hätte sie auf diesem Feld eine glückliche Hand – nicht in der derzeitigen Regierungskoalition, aber auch nicht in der eigenen Partei und Fraktion. Und auch nicht in der Öffentlichkeit.

(Mir ist bewusst, dass der Ausstieg von Kahrs für die SPD auch in anderen Themen als der Sicherheitspolitik von Bedeutung ist. Das ist aber hier nicht das Thema – bitte auch nicht in den Kommentaren.)

(Archivbild: Kahrs mit Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn am 13. Juni 2016 beim Soli-Lauf an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg – Felix Netzer)