BGH lässt „Schöpfungshöhe“ militärischer Lageberichte offen – Veröffentlichung kein Verstoß gegen Urheberrecht


Nach einem sieben Jahre andauernden Rechtsstreit hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Veröffentlichung militärischer Lageberichte zu Auslandseinsätzen durch eine Zeitung nicht gegen das Urheberrecht verstoßen hat. Der I. Zivilsenat des Gerichts ließ allerdings offen, ob solche Lageberichte vom Urheberrecht geschützt sind; entscheidend sei in diesem Fall die zulässige Berichterstattung über Tagesereignisse.

Der Rechtsstreit war 2013 vom Verteidigungsministerium unter dem damaligen Minister Thomas de Maizière angestoßen worden. Nachdem die Westdeutsche Allgemeine Zeitung zahlreiche Ausgaben der Unterrichtung des Parlaments (UdP) über die Auslandseinsätze unter dem Titel Afghanistan-Papiere veröffentlicht hatte, ging das BMVg dagegen juristisch vor – aber eben nicht wegen eines Verstoßes gegen Geheimhaltungsbestimmungen für die als Verschlusssache eingestuften Papiere, sondern wegen Verletzung des Urheberrechts.

In den vorangengangenen Instanzen hatte das Ministerium mit der Schöpfungshöhe und eigenständigen Leistung bei der Zusammenstellung dieser Lageberichte argumentiert und damit auch Recht bekommen. Der Bundesgerichtshof hatte sich bereits 2017 mit dem Fall befasst und ihn dem Europäischen Gerichtshof zur Frage der Abwägung zwischen Urheberrecht und Pressefreiheit vorgelegt.

Der EuGH entschied im vergangenen Jahr etwas trickreich, es könne schon einen Urheberrechtsanspruch für diese Papiere geben, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen: Sie können nämlich nur dann urheberrechtlich geschützt sein, wenn es sich bei ihnen um eine geistige Schöpfung ihres Urhebers handelt, in der seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt und die sich in seinen bei ihrer Ausarbeitung frei getroffenen kreativen Entscheidungen ausdrückt.

Militärische Lageberichte als frei getroffene kreative Entscheidung, sozusagen als literarisches Werk? So weit wollte der Bundesgerichtshof, der nach der EuGH-Entscheidung wieder am Zug war, dann doch nicht gehen:

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es kann offenbleiben, ob die UdP urheberrechtlich als Schriftwerke geschützt sind. Die Beklagte hat durch die Veröffentlichung der UdP jedenfalls ein daran bestehendes Urheberrecht nicht widerrechtlich verletzt. Zu ihren Gunsten greift vielmehr die Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) ein.

heißt es in der BGH-Mitteilung zu dem am (heutigen) Donnerstag verkündeten Urteil. Das ist, nach langen Mühen, zwar ein Erfolg für die Pressefreiheit. Aber es wäre doch schon interessant gewesen zu wissen, ob die Verfasser im Verteidigungsministerium Literatenrang haben und ihre kreativen Entscheidungen bei der Verfassung von Lageberichten frei treffen.

Das Verteidigungsministerium wollte vor Vorliegen und Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung nicht zur dem Urteil Stellung nehmen.

Was bei der Entscheidung für Medien und Öffentlichkeit über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist: Der Bundesgerichtshof hat dem Wehrressort ziemlich deutlich aufgezeigt, warum der Versuch, mit dem Urheberrecht eine Veröffentlichung zu verhindern, für eine Behörde oder ein Ministerium nicht zulässig ist:

Im Blick auf die Interessen der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten ausschließlichen Verwertungsrechte zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Zugänglichmachung der UdP allenfalls unwesentlich betroffen sind, weil die UdP nicht wirtschaftlich verwertbar sind. Das vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte Interesse an einer Geheimhaltung des Inhalts des Werks erlangt im Rahmen der im Streitfall vorzunehmenden Grundrechtsabwägung kein entscheidendes Gewicht. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt nicht das Interesse an der Geheimhaltung von Umständen, deren Offenlegung Nachteile für die staatlichen Interessen der Klägerin haben könnte. Dieses Interesse ist durch andere Vorschriften etwa das Sicherheitsüberprüfungsgesetz, § 3 Nr. 1 Buchst. b IFG oder die strafrechtlichen Bestimmungen gegen Landesverrat und die Gefährdung der äußeren Sicherheit gemäß § 93 ff. StGB – geschützt. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt allein das urheberrechtsspezifische Interesse des Urhebers, darüber zu bestimmen, ob er mit der erstmaligen Veröffentlichung seines Werkes den Schritt von der Privatsphäre in die Öffentlichkeit tut und sich und sein Werk damit der öffentlichen Kenntnisnahme und Kritik aussetzt. Dieses Geheimhaltungsinteresse kann nach den Umständen des Streitfalls das durch die Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geschützte Veröffentlichungsinteresse nicht überwiegen. Dem Interesse an einer Veröffentlichung der hier in Rede stehenden Informationen kommt im Blick auf die politische Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz und das damit berührte besonders erhebliche allgemeine Interesse an der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle von staatlichen Entscheidungen in diesem Bereich größeres Gewicht zu.

Mit anderen Worten: Wenn etwas geheim gehalten werden muss, dann gibt es dafür genügend andere Gesetzesvorschriften. Der Versuch, das – wirtschaftlich begründete – Urheberrecht dafür zu missbrauchen, ist gescheitert.

(Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 139/15)

Die BGH-Mitteilung fürs Archiv:
20200430_BGH_Afghanistan-Papiere

Nachtrag: Nach der BGH-Entscheidung sind die 2013 vorübergehend offline gestellten Papiere wieder online; jetzt auf einer Webseite von correctiv und Frag den Staat:

#Zensurheberrecht: Hier sind die Afghanistan-Papiere!

(Grafik: Screenshot des Headers der WAZ-Webseite ‚Die Afghanistan-Papiere‘ unter Verwendung eines Fotos von Timo Vogt/randbild)