Afghanistan-Papiere: Nächste Runde für die Literaten im Verteidigungsministerium

Die juristische Auseinandersetzung um die Veröffentlichung als Verschlusssache eingestufter Lageberichte des Verteidigungsministeriums geht in eine weitere Runde: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das Recht des deutschen Verteidigungsministeriums bestätigt, die Veröffentlichung unter Berufung auf das Urheberrecht zu untersagen – aber nur, falls diese Lageberichte auch tatsächlich unter das Urheberrecht fallen sollten. Das soll nun der Bundesgerichtshof prüfen.

Hintergrund des seit sechs Jahren andauernden Rechtsstreits ist die Veröffentlichung der so genannten Afghanistan-Papiere in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), die zur Funke-Mediengruppe gehört: Das Blatt hatte zahlreiche Unterrichtungen des Parlaments (UdP), mit denen das Ministerium den Abgeordneten einen wöchentlichen Überblick über die Auslandseinsätze gibt, als Darstellung der Lage vor allem in Afghanistan im Faksimile veröffentlicht.

Dagegen klagte 2013 das Ministerium unter dem damaligen Ressortchef Thomas de Maizière – nicht etwa, weil die Verwendung der als Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD) eingestuften Dokumente gegen Geheimhaltungsvorschriften verstoße. Sondern wegen eines vermuteten Verstoßes gegen das Urheberrecht.

Nach Urteilen in mehreren Instanzen hatte der Bundesgerichtshof (BGH) 2017 entschieden, dass die Frage dem EuGH vorgelegt werden sollte – die europäische Instanz sollte prüfen, ob diese internen Papiere durch das Urheberrecht geschützt sind. Das bejahte der EuGH im Grundsatz*:

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, vor allem zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen urheberrechtlichen Schutz militärischerLageberichte vorliegen. Diese können nämlich nur dann urheberrechtlich geschützt sein, wenn es sich bei ihnen um eine geistige Schöpfung ihres Urhebers handelt, in der seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt und die sich in seinen bei ihrer Ausarbeitung frei getroffenen kreativen Entscheidungen ausdrückt. Sollten diese Voraussetzungen erfüllt und die militärischen Lageberichte damit als „Werke“ anzusehen sein, können die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit außerhalb der in der Urheberrechtsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen keine Abweichung von den Urheberrechten, insbesondere von den ausschließlichen Rechten des Urhebers zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe, rechtfertigen.

Also: Das Verteidigungsministerium muss jetzt dem BGH belegen, dass es sich bei der regelmäßigen Unterrichtung des Parlaments mit den Lageberichten aus den Einsatzgebieten der Bundeswehr um eine geistige Schöpfung ihres Urhebers handelt, in der seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt und die sich in seinen bei ihrer Ausarbeitung frei getroffenen kreativen Entscheidungen ausdrückt. Diese Argumentationslinie hatte das BMVg auch schon vorher vertreten.

Die Literaten im Verteidigungsministerium haben nun die Aufgabe, die in den Lageberichten zum Ausdruck kommende Persönlichkeit glaubhaft zu machen – die ganzen Oberstleutnante und Obersten, die für die Lageberichte verantwortlich zeichnen, wird diese literarische Adelung sicherlich freuen.

Als Beobachter der Bundeswehr ist mir allerdings bislang nicht aufgefallen, dass militärische Lageberichte sich durch frei getroffene kreative Entscheidungen auszeichnen und darin die Persönlichkeit des Urhebers zum Ausdruck kommt. Mein Eindruck war eher, dass solche Lageberichte auf eine möglichst einheitliche Sachdarstellung unabhängig vom Bearbeiter abzielen. Aber vielleicht habe ich mich ja getäuscht.

Das Landgericht Köln hatte jedenfalls eine etwas andere Sicht auf die intellektuelle Leistung bei einem militärischen Lagebericht (von frei getroffenen kreativen Entscheidungen ist da, soweit ich sehe, jedoch nicht die Rede):

Die persönliche geistige Schöpfung ergibt sich dabei gerade aus der systematisierten und denknotwendig teilweise verkürzenden Aufbereitung der Sachinformationen, die einheitlich in allen UdP einem bestimmten Konzeptionsmuster folgt und auch visuell angepasst ist.

Ich bin auch kein Jurist, deshalb kann ich die – über den Bereich der Bundeswehr weit hinausgehenden – Implikationen für den Umgang mit Regierungsdokumenten nicht wirklich bewerten. Aus journalistischer Sicht scheint mir aber ein Einfallstor dafür geschaffen, jegliche Dokumente von Verwaltung und Regierung über die Anwendung des Urheberrechts einer journalistischen Aufarbeitung und damit öffentlichen Auseinandersetzung zu entziehen.

Allerdings hat der EuGH mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine weitere Möglichkeit aufgezeigt, trotz Urheberrecht die Veröffentlichung solcher Dokumente zu ermöglichen – Stichwort: Berichterstattung über Tagesereignisse:

Wie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu entnehmen ist, hat dieser mit Blick auf die Abwägung zwischen dem Urheberrecht und dem Recht auf freie Meinungsäußerung u.a.auf die Notwendigkeit hingewiesen, zu berücksichtigen, dass die Art der betreffenden „Rede“ oder Information insbesondere im Rahmen der politischen Auseinandersetzung oder einer Diskussion, die das allgemeine Interesse berührt, von besonderer Bedeutung ist. Unter diesen Umständen stellt der Gerichtshof unter Hinweis auf die Modalitäten, unterdenen Funke Medien die militärischen Lageberichte im Internet veröffentlicht hat, fest, dass nicht ausgeschlossen ist, dass eine solche Nutzung von der in der Urheberrechtsrichtlinie vorgesehenen Ausnahme für die Berichterstattung über Tagesereignisse erfasst ist.

Mit anderen Worten: Die juristische Auseinandersetzung ist noch lange nicht beendet. Aber darauf sind die Dichter wie die Juristen im Ministerium bestimmt eingestellt.

*Fürs Archiv die komplette Pressemitteilung des EuGH:
20190729_EuGH_Afghanistan-Papiere

(Grafik: Teaser der WAZ zur Veröffentlichtung der Afghanistan-Papiere)