BMVg-Papiere vom Urheberrecht geschützt? Jetzt soll EU-Gerichtshof entscheiden

Die Frage, ob eingestufte Papiere aus dem Verteidigungsministerium durch das Urheberrecht geschützt sind und auf diesem Weg eine Veröffentlichung verboten werden kann, wird nun den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beschäftigen. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe erklärte in einer am (heutigen) Donnerstag veröffentlichten Entscheidung, das Verfahren werde ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt: Es gehe um eine Abwägung zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten auf Informations- und Pressefreiheit.

Der Hintergrund des seit Jahren anhaltenden Rechtsstreits steht hier. Kurz gefasst: Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) hatte im Faksimile etliche der so genannten Unterrichtungen des Parlaments (UdP) veröffentlicht, in denen das Verteidigungsministerium wöchentlich den Bundestag über die Lage in den Einsatzgebieten der Bundeswehr informiert. Dagegen klagte, noch unter dem damaligen Minister Thomas de Maizière, das Wehrressort – aber nicht wegen Verletzung der Geheimhaltung, sondern wegen Urheberrechtsverletzung. Sowohl das Landgericht Köln als auch das Oberlandesgericht Köln hatten im Sinne des Verteidigungsministeriums entschieden.

Aus der Pressemitteilung des BGH:

Beschluss vom 1. Juni 2017 – I ZR 139/15 – Afghanistan Papiere
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Abwägung zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten auf Informations- und Pressefreiheit vorgelegt.
(…)
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vorgelegt.
Nach Ansicht des BGH stellt sich die Frage, ob eine widerrechtliche Verletzung eines Urheberrechts an den UdP ausscheidet, weil das Recht der Klägerin zur Vervielfältigung (Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG*) und zur öffentlichen Wiedergabe (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG**) der Berichte oder die von der Beklagten geltend gemachten Schrankenregelungen der Berichterstattung über Tagesereignisse (der Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG***) und des Zitatrechts (Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG****) im Lichte der im Streitfall betroffenen Grundrechte und Interessen auszulegen und anzuwenden sind, und die von der Beklagten geltend gemachte Behinderung der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit durch das Urheberrecht an den UdP schwerer wiegt als der Schutz von Verwertungsinteressen und Geheimhaltungsinteressen der Klägerin.
(…)
Der BGH hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta*****) und der Pressefreiheit (Art. 11 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta******) Einschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke außerhalb der in der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Schranken dieser Rechte rechtfertigen. Diese Frage stellt sich, weil die Voraussetzungen der – hier allein in Betracht kommenden – Schranken der Berichterstattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts nach dem Wortlaut der betreffenden Regelungen der Richtlinie nicht erfüllt sind.

Das wird also noch dauern – aber es geht ja um sehr Grundsätzliches. Das Verteidigungsministerium hatte am Vortag noch einmal deutlich gemacht, dass aus Sicht des Ressorts das Urheberrecht sehr wohl ein Instrument ist, die Sicherheit deutscher Soldaten zu schützen: Die Abwägung ist damit aus Sicht der Ministerialen recht einfach, obwohl die seit Jahren vor Gericht verhandelte Frage um die Wiedergabe der Dokumente im Original geht, nicht eigentlich um den Inhalt. Der allerdings, das fällt da unter den Tisch, für die Frage einer Gefährdung wesentlicher sein dürfte, wie ja auch Ministeriumssprecher Jens Flosdorff vor der Bundespressekonferenz am 31. Mai 2017 erklärte:

Frage: Ich habe im weitesten Sinne eine Frage zur Sicherheitslage in Afghanistan. Herr Flosdorff, morgen entscheidet der BGH über eine Klage des Bundes gegen die „WAZ“. Es geht dabei um diese sogenannten Afghanistan-Papiere, mehrere tausend Seiten militärische Lageberichte, die veröffentlicht werden sollten. Das Verteidigungsministerium hat versucht, das zu verhindern. Warum gehen Sie so vehement gegen diese Veröffentlichung vor?

Flosdorff: Hier handelt es sich um einen Fall aus dem Jahr 2013. Um es gleich vorweg zu sagen: Das Verteidigungsministerium vertritt nach wie vor die Position, dass diese als vertraulich eingestuften Informationen an das Parlament nicht veröffentlicht werden dürfen. Das hat folgenden Hintergrund: Diese Unterrichtungen des Parlaments lassen Rückschlüsse auf Einsatzstrategien nicht nur unserer Streitkräfte, sondern auch der anderen in Afghanistan vertretenen Streitkräfte zu. Sie sind, wenn es dort um bestimmte Details geht, im Ergebnis dazu geeignet, Leib und Leben der im Einsatz eingesetzten Soldatinnen und Soldaten zu gefährden.

Ebenso regelmäßig wie wir die Parlamentsunterrichtungen vornehmen, unterrichten wir auch die Öffentlichkeit. Es gibt eine Version von Unterrichtungen über Berichte aus dem Einsatz, wo diese Details ausgespart werden und die frei verwendbar für die Presse sind. Über die kann man sich auch sehr gut ein Lagebild verschaffen, ohne dass die Soldatinnen und Soldaten gefährdet werden. Deswegen warten wir jetzt ab. Diese Rechtsauffassung, die wir haben, wurde bereits im Jahr 2014 vom Landgericht Köln bestätigt. Das Oberlandesgericht Köln hat im Juni 2015 diese Rechtsauffassung bestätigt. In diese Woche steht eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs an, und diese bleibt abzuwarten.

Zusatzfrage: Einen Eingriff in die Pressefreiheit sehen Sie nicht?

Flosdorff: Es ist eine Gewichtung, die auch die Richter der vorherigen Instanzen vorgenommen haben. Auf der einen Seite steht die Pressefreiheit und das berechtigte Interesse, voll umfänglich über alles berichten zu können. Auf der anderen Seite stehen Leib und Leben der Soldaten, die Gefährdung und das Risiko für die eingesetzten Truppen. Das ist immer eine Abwägung. Die Waagschale hat sich in den beiden vorherigen Instanzen in Richtung Leib und Leben der Soldatinnen und Soldaten gesenkt, was ich hier ausdrücklich begrüße. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof das Thema sieht.