Sammler Türkei-Syrien: Doch eine deutsche Reaktion?

Knapp zwei Wochen nach dem Beginn der türkischen Offensive gegen kurdische Milizen im Norden Syriens nimmt in Deutschland die Debatte über mögliche Reaktionen an Fahrt auf. Außenminister Heiko Maas kritisierte das Vorgehen der Türkei als völkerrechtlich nicht legitimiert. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter verlangte eine von der EU militärisch geschützte Zone in Nordsyrien.

Maas sagte am (gestrigen) Sonntagabend im ZDF, selbst nach den eigenen Aussagen der Türkei sei nicht erkennbar, dass sie bei ihrem Vorgehen das Völkerrecht auf ihrer Seite habe. Bereits in der vergangenen Woche hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Ausarbeitung zu Völkerrechtlichen Aspekten der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ in Nordsyrien die türkische Rechtfertigung des Einmarsches als Selbstverteidigung verneint:

Im Ergebnis lässt sich selbst bei großzügiger Auslegung des Selbstverteidigungsrechts eine akute Selbstverteidigungslage im Sinne des Art. 51 VN-Charta zugunsten der Türkei nicht erkennen. (…)
Mangels Vorliegen einer Selbstverteidigungslage lässt sich in der Errichtung einer türkischen „Sicherheitszone“ in Nordsyrien auch keine völkerrechtlich zulässige Selbstverteidigungshandlung sehen.(…)
Eine nachfolgende Besetzung und Errichtung einer bis zu 30 Kilometer tiefen „Sicherheitszone“ – die angesichts sechsstelliger Flüchtlingszahlen praktisch eine Art „Bevölkerungsverschiebung“ (quasi eine „ethnische Flurbereinigung“) in den nordsyrischen Kurdengebieten nach sich zieht bzw. diese zwecks Ansiedlung syrischer Flüchtlinge in den besetzten Gebieten nachgerade intendiert – geht jedoch über das zur Abwehr etwaiger Angriffe erforderliche Maß hinaus. Besatzungsrechtlich sind jegliche Formen der Umsiedlung geschützter Personen in besetzten Gebieten untersagt (vgl. Art. 49 der 4. Genfer Konvention von 1949).

Der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter, bezweifelte in einem Gespräch mit dem Sender RBB, dass diplomatische Schritte derzeit die Situation verbessern könnten. Statt dessen müsste eine humanitäre Zone in Nordsyrien eingerichtet werden:

Diese müsse in Absprache mit Russland von EU-Kräften geschützt werden, sagte Kiesewetter im Inforadio. Dazu brauche man ein Mandat der Vereinten Nationen. Für die Aufgabe seien 30- bis 40.000 Soldaten nötig. Deutschland müsse bereit sein, auch die Bundeswehr dorthin zu schicken, so der Politiker. Wichtig seien außerdem Sanitätskräfte, Entwicklungshelfer und Wiederaufbaupersonal.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sagte im Deutschlandfunk, es herrsche auch in Koalition und Bundestag weitgehend Einigkeit, dass die Türkei im Norden Syriens einen rechtswidrigen Angriffskrieg führe. Der SPD-Politiker plädierte allerdings in erster Linie für wirtschaftliche Sanktionen gegen das Land:

Und wir sehen ja auch in den letzten Tagen, dass zum Beispiel VW eine große Investition in der Türkei zurückstellt. In der vergangenen Woche waren wir Sozialdemokraten in der Diskussion auch der Meinung gewesen, man muss sich genau die Möglichkeiten innerhalb der Zollunion, des Vertrages mit der Europäischen Union anschauen. In der Tat: Hermes-Bürgschaften müssen nicht gewährt werden in einer Situation, wo wir ja wissen, dass zum Beispiel in der Türkei noch weiterhin Deutsche festgehalten werden, die sich dort haben nichts zu Schulden kommen lassen, außer der Tatsache, dass sie Erdogan kritisiert haben. Das sind alles Dinge, die aber auch nicht neu sind, sondern ich glaube, das Verhältnis zur Türkei, einem NATO-Partner, ist so belastet, dass wir uns aber auch nicht scheuen, zu entsprechenden Konsequenzen weiterhin zu kommen.

Weiter ggf. nach Entwicklung.

(Archivbild 4. Oktober 2019, vor dem Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien: U.S. and Turkish military forces conduct the third ground combined joint patrol inside the security mechanism area in northeast Syria, Oct. 4, 2019 – U.S. Army photo by Staff Sgt. Andrew Goedl)