Mehr europäische Verteidigung? Bleibt noch vage (Zusammenfassung, mehr Material)

Nach der offenkundig gewordenen Spaltung des Westens beim G7-Treffen in Kanada am vergangenen Wochenende ist viel die Rede davon, dass die Europäer jetzt zustammenstehen und mehr tun müssen. Zum Beispiel auch bei der Verteidigung. Dazu hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Rückkehr aus Kanada zwar recht eindeutig bekannt – aber was das praktisch bedeutet, ist viel weniger klar.

Die Kanzlerin äußerte sich am (gestrigen) Sonntagabend sehr ausführlich in der ARD-Sendung Anne Will; ihre Aussagen zur Verteidigungspolitik:

Frage: Sie haben in dieser Truderinger Bierzeltrede vom vergangenen Jahr auch gesagt, wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen. Wer ist eigentlich wir noch in Europa?

Antwort: Deutschland, Frankreich erst einmal, aber natürlich – soll ich jetzt alle Mitgliedsstaaten aufzählen? Nein. Ja, da ist Streit. Es ist auch so, dass in Europa schon öfters mal Streit war. Es wird auch Bereiche geben, in denen wir vorangehen müssen. Aber wir haben jetzt schon sehr erstaunliche Erlebnisse gehabt – zum Beispiel haben wir nur ein Jahr gebraucht, um eine strategische Kooperation in der Verteidigungspolitik auf den Weg zu bringen, mit einem Verteidigungsfonds. Es wird jetzt daran gearbeitet, dass aus 178 europäischen Waffensystemen so viele werden, wie die Amerikaner haben, nämlich 30. Das wird 20-30 Jahre dauern, weil die Entwicklung solcher Systeme lange dauert. Ich habe mich dafür ausgesprochen, dass wir teilnehmen an einer Interventionstruppe, das werden nicht alle machen. Das wird auch für Deutschland gar nicht einfach sein, weil wir natürlich eine Parlamentsarmee haben und die auch weiter haben wollen. Aber wir müssen jetzt schneller…

Frage: Sie haben ja am Sonntag auch schon gesagt, wir müssen nicht bei jedem Einsatz dabei sein.

Antwort: Nein, keiner muss bei jedem Einsatz dabei sein, aber wir müssen eine gemeinsame strategische Kultur entwickeln. Und so, wie nicht jedes europäische Land jetzt bei dem Einsatz in Mali dabei ist, sondern wir rotieren, und mal dabei ist und mal nicht, so wird das auch in Zukunft sein. Aber der große neue Wert ist doch, dass wir ergänzend, nicht gegen die NATO gewandt, aber ergänzend eigene Fähigkeiten aufbauen, wo wir dann unseren gemeinsamen Ansatz, politische Lösung, Entwicklungshilfe plus militärisches Agieren als Europäer auch gemeinsam gestalten können. Das finde ich ist richtig und wichtig.

(…)

Und ein Thema, was zum Beispiel extrem unpopulär ist, das ist das Thema der Verteidigungsausgaben. Viele Menschen sagen: Investiert in die Rente, investiert in die Straßen. Tun wir auch alles. Aber gerade das, wir müssen unser Schicksal mehr in die eigene nehmen, bedeutet eben auch, dass wir für unsere eigene Sicherheit mehr tun müssen. Sowohl für die Nachrichtendienste – weil wir hier sehr viel von Kooperation mit anderen leben und auch unsere Beiträge leisten müssen -, als auch für die Verteidigung.

Und wenn der amerikanische Präsident zu mir sagt, ich gebe über drei Prozent aus für die Verteidigung vom Bruttoinlandsprodukt und ihr gebt jetzt mal gerade 1,3 Prozent aus, und ihr habt nach dem Ende des Kalten Krieges gedacht, ihr braucht nichts mehr für eure Verteidigung auszugeben, dann hat er in gewisser Weise Recht. Und deshalb müssen wir diesen Verteidigungsetat steigern.

Neben dem altbekannten Streit um das in der NATO vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel (Deutschland wird, das hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Bundeswehrtagung Mitte Mai gesagt und Merkel vergangene Woche vor dem Bundestag bekräftigt, bis 2025 die Verteidigungsausgaben auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern), richtet sich der Blick auf die europäische Zusammenarbeit vor allem mit Frankreich. Und da ist dann interessant, wie die deutsche Kanzlerin auf die Vorschläge des französischen Präsidenten zum Beispiel zu einer europäischen Interventions-Initiative antwortet, über ihre bisherigen recht allgemeinen Aussagen hinaus.

Das waren am Montag natürlich Fragen an Regierungssprecher Steffen Seibert. Dessen Antworten blieben da allerdings, man muss das so sagen, hinreichend vage:

BPK_Verteidigung_11jun2018     

 

Das Transkript des Audios:

Frage: Herr Seibert, eine Frage zu einem konkreten Thema bei dem ganzen Komplex „Europa stärken“, das die Kanzlerin gestern ja bei Anne Will selbst angesprochen hat, und zwar die Frage, wie man die Verteidigungsfähigkeit Europas und vor allem auch Deutschlands stärkt – das hat sie ja gestern relativ klar und deutlich formuliert und auch davon gesprochen, dass man dann eben auch einmal unpopuläre Maßnahmen treffen muss. Es geht ja konkret um die Frage, wie wir vor allem den deutschen Verteidigungsetat stärken. Mich würde deswegen interessieren, was sich die Kanzlerin jetzt konkret vorstellt. Was soll denn da passieren? Denn die Widerstände sind ja bekannt, und die sind ja immens. Was folgt denn jetzt konkret daraus?

StS Seibert: Das Thema steht ja schon seit geraumer Zeit auf der Tagesordnung und ist vielfach besprochen worden. Im Übrigen gibt es die Erklärung des Nato-Gipfels in Wales aus dem Jahre 2014, die ja für uns als Nato-Mitglied genauso gültig ist wie für alle anderen, und darin enthalten ist das politische Bekenntnis, dass man sich in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels bewegt. Die Kanzlerin hat ja in den vergangenen Wochen mehrfach über die Notwendigkeit einer auch künftig einsatzbereiten Bundeswehr gesprochen, sie hat sich zu der Wales-Zielsetzung bekannt, und wir haben immer gesagt: Es geht um Ausrüstung, um auftragsgerechte Ausrüstung für unsere Bundeswehr, und deswegen ist es richtig und wichtig, die Tendenzwende beziehungsweise die Trendwende beim Verteidigungshaushalt, die ja vor einiger Zeit eingeleitet worden ist, tatsächlich auch fortzusetzen.

Es gibt die Ansage, die jetzt gegenüber der Nato gemacht wurde und der Nato angezeigt wurde, dass Deutschland bis 2025 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben will. Das ist kein Präjudiz für die jetzt anstehenden nächsten Haushaltsverhandlungen; vielmehr ist das ein Ziel, zu dem sich Deutschland gegenüber den Nato-Partnern und dem Bündnis insgesamt für 2025 bekennt.

(…)

Frage: Zu dem Verteidigungsaspekt, den Sie ja auch in Bezug auf die Nato angesprochen haben: Es gibt ja inzwischen nicht nur das
2-Prozent-Ziel, sondern es gibt das deutlich kurzfristigere Ziel der Nato Readiness Initiative, das die Verteidigungsminister vergangene Woche vereinbart haben und das auf dem Gipfel, glaube ich, bekräftigt werden soll. Darin ist ja von erheblichen Anstrengungen bis 2020 die Rede. Wird sich das denn auf die Haushaltsverhandlungen auswirken müssen?

Zweite Frage: Die Kanzlerin hat gestern zum Thema „European Intervention Initiative“ von Macron gesagt, dass sie das Ziel einer gemeinsamen strategischen Kultur – ich glaube, so lautete die Formulierung – unterstütze. Der Streitpunkt ist aber weiterhin, wenn ich das richtig verstehe, ob das ein Teil von PESCO sein soll beziehungsweise an PESCO angeflanscht werden soll oder nicht. Ist dieser Punkt denn zwischen Deutschland und Frankreich auf der Ebene der Kanzlerin und des Präsidenten inzwischen geklärt?

StS Seibert: Wir bewegen uns ja zusammen mit der französischen Regierung in intensiven Gesprächen auf den 19. Juni zu. Der 19. Juni bringt einen deutsch-französischen Ministerrat mit sich, bei dem man sich auf vielerlei Themen einigen soll beziehungsweise bei dem vielerlei Themen in diesem Sinne besprochen werden sollen. Ich glaube nicht, dass es jetzt sinnvoll ist, bis dahin über Einzelheiten aus den laufenden Gesprächen mit den Franzosen zu berichten. Aber die Bundeskanzlerin hat ja sehr klar gesagt, dass sie diese Initiative einer Interventionstruppe unterstützt, dass sie keinen Grund dafür sieht, warum dass nicht im Rahmen der europäischen Verteidigungszusammenarbeit stattfinden oder sehr eng an sie angelehnt sein sollte, dass sie der Meinung ist, dass Großbritannien zur Mitwirkung aufgerufen oder dazu eingeladen werden könnte, auch wenn es kein europäisches Mitgliedsland mehr ist, und dass es ihr wichtig ist, dass dabei natürlich auch die Besonderheit, dass wir eine Parlamentsarmee haben, zu berücksichtigen ist.

Zusatzfrage: Die Nato-Frage?

StS Seibert: Wenn wir näher auf den Nato-Gipfel zukommen, werden wir sie sicherlich noch einmal besprechen können, aber heute kann ich Ihnen da nicht mit Detailauskünften dienen, es sei denn, der Kollege aus dem Verteidigungsministerium möchte es.