Stabilisierung in Mali, kein Anti-Terror-Kampf – wie einst in Afghanistan?

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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat bei ihrem (derzeitigen) Truppenbesuch in Mali eine sehr grundsätzliche Aussage zu den Aufgaben der deutschen Soldaten in der UN-Mission MINUSMA getroffen. Die Bundeswehr sei im Rahmen dieses Blauhelmeinsatzes dort, um bei der Stabilisierung des Landes zu helfen, keineswegs aber, um Terrorismus im unruhigen Norden des westafrikanischen Landes zu bekämpfen – das sei Aufgabe der Franzosen:

„Gegen den Terror zu kämpfen, das ist die Aufgabe von (dem französischen Einsatz) Barkhane“, sagte die Ministerin am Montagabend bei einem Besuch in der malischen Hauptstadt Bamako. Die Aufgabe des Blauhelm-Einsatzes Minusma sei es dagegen, den Friedensprozess in dem Land zu begleiten.

berichtet dpa von der Reise; im ARD-Morgenmagazin am (heutigen) Dienstag äußerte von der Leyen sich ähnlich: Frieden stiften – keine Terroristen bekämpfen

Formal hat die Ministerin natürlich Recht. Die Kernaufgabe von MINUSMA, so sagen die Vereinten Nationen, sind die Gewährleistung von Sicherheit und die Unterstützung/Wiederherstellung staatlicher Strukturen Malis

By unanimously adopting resolution 2164 of 25 June 2014, the Council further decided that the Mission should focus on duties, such as ensuring security, stabilization and protection of civilians; supporting national political dialogue and reconciliation; and assisting the reestablishment of State authority, the rebuilding of the security sector, and the promotion and protection of human rights in that country.

und auch das Ende Januar beschlossene Bundestagsmandat für den deutschen Einsatz in der Blauhelmmission weist der Bundeswehr im wesentlichen Aufklärungsaufgaben für ganz bestimmte Ziele zu:

Für die an MINUSMA beteiligten Kräfte der Bundeswehr ergeben sich folgende Aufgaben:
• Wahrnehmung von Führungs-, Verbindungs-, Beobachtungs- und Beratungsaufgaben;
• Wahrnehmung von Schutz- und Unterstützungsaufgaben, auch zur Unterstützung von Personal in den EU-Missionen in Mali;
• Aufklärung und Beitrag zum Gesamtlagebild;
• Beitrag zur zivil-militärischen Zusammenarbeit;
• Lufttransport in das Einsatzgebiet und innerhalb des Einsatzgebietes von MINUSMA sowie Unterstützung bei der Verlegung und der Folgeversorgung von Kräften von MINUSMA;
• Einsatzunterstützung durch ggf. temporär bereitgestellte Luftbetankungsfähigkeit für französische Kräfte, die aufgrund eines Unterstützungsersuchens des Generalsekretärs der Vereinten Nationen eine Bedrohung für MINUSMA abwenden sollen.

Nun gibt es für  die Wahrnehmung dieser Aufgaben einen breiten Spielraum der truppenstellenden Nationen – die Niederlande, als deren Unterstützung die Überlegungen für den deutschen MINUSMA-Einsatz mal begonnen hatten, sind mit Spezialkräften und Kampfhubschraubern in Mali präsent. Also schon eine recht robuste Auslegung des Begriffes Stabilisierung. Und natürlich wird irgendwann die Frage gestellt werden, was denn mit den deutschen Aufklärungsergebnissen passiert – die dann womöglich der Terrorbekämpfung dienen.

Aus deutscher innenpolitischer Sicht ist aber interessanter, dass sich hier ein Muster abzeichnet, dass vor gut einem Jahrzehnt schon mal zu besichtigen war. Da gab es in einem fernen Land am Hindukusch zwei Missionen, die ähnlich getrennt schienen wie jetzt die französische Mission Barkhane und die MINUSMA-Operationen: In Afghanistan wurde in der deutschen öffentlichen (und politischen) Wahrnehmung fein unterschieden zwischen den von den USA geführen Operation Enduring Freedom (OEF) und der International Security Assistance Force ISAF. Die einen, OEF, waren nach deutscher Auslegung die Bösen, die mit Gewalt gegen die Taliban vorgingen und dabei auch mal Hochzeitsgesellschaften wegbombten; die ISAF-Soldaten waren dagegen die Guten, die den Wiederaufbau des Landes vorantreiben wollten. Das ging so weit, dass beim Einsatz deutscher Aufklärungs-Tornados am Hindukusch säuberlich getrennt wurde, ob die Aufklärungsergebnisse bei ISAF blieben oder womöglich gar OEF zur Verfügung gestellt werden durften (durften sie nicht).

Da zeichnet sich jetzt eine ähnliche Debatte ab. Aber bestimmt gibt es im MINUSMA-Hauptquartier in Bamako einen deutschen Red Card Holder, der ganz sorgfältig darauf achtet, dass niemand in der UN-Mission womöglich deutsche Aufklärungsergebnisse – geplant ist ja langfristig auch der Einsatz einer Heron-Drohne – an die Franzosen weitergibt. Die könnten das Material ja für Terrorbekämpfung nutzen. Auf die Diskussion bin ich jetzt schon gespannt.

Ach so, in Afghanistan endete das Ganze irgendwann mal damit, dass beide Missionen praktisch eins waren und die Trennung, die irgendwann ohnehin nur noch künstlich war, aufgegeben wurde. Formal wird das in Mali so nicht gehen – am Hindukusch waren der Chef von OEF und von ISAF die selbe Person; bei UN-Missionen ist da die Trennung natürlich stärker. Dennoch wage ich zu vermuten, dass die Trennlinie wir stabilisieren, ihr bekämpft Terroristen auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten sein wird.

Zumal ja noch eine weitere Veränderung ansteht, wie die Bundeswehr selbst mitteilte: Die – von MINUSMA getrennte – EU-Trainingsmission in Mali, bislang auf den recht sicheren Süden des Landes beschränkt, soll langfristig auch im unsicheren Norden aktiv werden.

Anders als die VN-Mission MINUSMA beschränkt sich das Einsatzgebiet der EU-Ausbildungsmission bislang auf den Süden des Landes. Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union in der vergangenen Woche soll es auch auf Gebiete im Norden ausgeweitet werden. Das Mandat der Bundeswehr zum Wiederaufbau der malischen Streitkräfte läuft Ende Mai aus. Nach dem Willen der Bundesregierung soll es entsprechend des Ratsbeschlusses verlängert werden.

Und im deutschen MINUSMA-Mandat, siehe oben, steht Wahrnehmung von Schutz- und Unterstützungsaufgaben, auch zur Unterstützung von Personal in den EU-Missionen in Mali. Da wird die Bundeswehr über den Verzicht auf aktiven Einsatz über Aufklärung hinaus vielleicht noch mal nachdenken müssen.

Das Bundeswehr-Video vom ersten Tag der Ministerinnenreise:

 

Nachtrag: Während des Besuches der deutschen Ministerin hat die Regierung Malis erneut für zehn Tage den Ausnahmezustand verhängt (der erst vor wenigen Tagen aufgehoben wurde), berichten AFP und die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua:

Mali President Ibrahim Boubacar Keita on Monday declared a state of emergency across the entire national territory for a period of 10 days.
‚The imposition of a state of emergency was decided upon during a special cabinet meeting presided over by the president.
„This state of emergency that follows the previous one that ended on March 31, was declared due to the prevailing security situation in Mali and the sub-region which is characterized by constant terrorist threats,“ said a statement from the cabinet.

Das Communiqué, mit dem der Ausnahmezustand verhängt wurde, wurde am späten gestrigen Montagabend auf Facebook veröffentlicht.

Nachtrag 2: So richtig groß scheint der Andrang beim Pressestatement der Ministerin im MINUSMA-Hauptquartier nicht gewesen zu sein…

(Archivbild: Stadtbild in Gao – MINUSMA/Olivier Salgado)