Die neue Arbeitszeitverordnung für die Truppe: Nur noch kürzer auf Übung zur NATO?

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Die neue Arbeitszeitverordnung für die Bundeswehr, mit der seit Jahresbeginn gemäß einer EU-Richtlinie die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Soldaten auf 41 Stunden begrenzt wird, hat hier schon eine sehr umfangreiche Debatte ausgelöst. Ein Bericht der (heutigen) Bild am Sonntag (Link aus bekannten Gründen nicht) dürfte den Streit über diese Arbeitszeitregelung noch befeuern: Die begrenzte Zahl der Wochenenarbeitsstunden und der vorrangige Ausgleich in Freizeit, so berichtet das Blatt, habe dazu geführt, dass deutsche Soldaten selbst an NATO-Übungen nicht mehr  richtig teilnehmen könnten:

Die Truppe, bei der wöchentlich 270.000 Überstunden anfallen, ist zeitlich nur noch bedingt einsatzfähig. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags,Hans-Peter Bartels, zu Bild am Sonntag: „Es kann nicht sein, dass wir NATO-Verpflichtungen wegen drohender Überstunden nicht nachkommen können.“
So kann eine Einheit an einer für vier Wochen geplanten internationalen Übung in Norwegen nur für zwölf Tage teilnehmen, da sonst zu viele Überstunden anfallen würden.

Das ist ein wenig merkwürdig, weil ja in den Regelungen zur Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie Ausnahmen vorgesehen sind, wie die Bundeswehr hier erläutert:

  • Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen
  • Amtshilfe in besonderen Katastrophenfällen, schweren Unglücksfällen, bei Attentaten oder dringender Eilhilfe
  • mehrtägige Seefahrten an Bord von seegehenden Einheiten der Marine
  • Alarmierung und Zusammenziehung sowie Gefechtsausbildungen zur Vorbereitung von Einsätzen, einsatzgleichen Verpflichtungen und Amtshilfen
  • Übungs- und Ausbildungsvorhaben, bei denen Einsatzbedingungen simuliert werden

Und eine NATO-Übung in Norwegen (welche eigentlich? Cold Response war ja schon; BALTOPS ist nicht betroffen, sagt ein Ministeriumssprecher) dürfte unter die beiden letzten Punkte fallen.

Das Verteidigungsministerium zeigte sich am Sonntag verwundert über den Vorwurf: Eine Übung dieser Art werde von der Vorschrift als einsatzgleiche Verpflichtung eben nicht erfasst, sagte ein Sprecher. Außerdem stimme die Aussage der Bild am Sonntag nicht, dass ein finanzieller Ausgleich von Mehrarbeit völlig ausgeschlossen sei.

Mal sehen, ob es noch ein wenig Klarheit gibt und worauf die Angaben des Blattes beruhen.

Nachtrag 11. April: Der stellvertretende BMVg-Sprecher Oberst Boris Nannt hat dazu vor der Bundespressekonferenz was gesagt und ein bislang positives Fazit der Regelung gezogen:

 

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Die Abschrift des Audios:

Nannt: Ich möchte noch einen Punkt aktiv ansprechen. Und zwar gab es am gestrigen Tag eine Berichterstattung in einer großen Sonntagszeitung zum Thema Soldatenarbeitszeitverordnung und der Einführung der 41-Stunden-Woche in diesem Jahr. Der Artikel hat uns insgesamt verwundert. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, das hier kurz richtigzustellen. Ich möchte auch betonen, dass der Artikel ohne Gegenrecherche bei uns stattgefunden hat.

Folgende Behauptungen wurden dort aufgegriffen: Dass bei der Teilnahme an einem Nato-Manöver in Norwegen dieses wegen des Anfalls von Überstunden verkürzt wurde, dass Verbündete hierauf irritiert reagiert hätten, dass Mehrarbeit künftig grundsätzlich nicht mehr durch Geld ausgeglichen werden könnte und es daher auch keinen einzigen Fall von Geldausgleich geben würde, und dass daher die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr durch die neue Regelung bedroht wäre. Wie gesagt, das kann von uns nicht nachvollzogen werden. Die Einlassungen in der Berichterstattung hierzu sind zum Teil auch sachlich falsch.

Dazu konkret: Das einzige Nato-Manöver in Norwegen war in diesem Jahr das Manöver „Cold Response“, und dieses wurde nicht verkürzt, sondern es wurde sogar auf Antrag der Division Schnelle Kräfte ausgeweitet. Grundsätzlich sind wichtige Nato-Manöver genauso wie Einsätze oder einsatzgleiche Verpflichtungen von der 41-Stunden-Regel ausgenommen. Das gilt natürlich – jetzt einmal ganz konkret weg von diesem angeblichen Vorfall – auch für künftige Vorhaben.

Ein Beispiel: Im Rahmen der Rückversicherungsmaßnahmen der Nato ist das Niveau, auf dem wir die Unterstützung leisten, in diesem Jahr dasselbe wie im letzten Jahr. Wir weiten die Unterstützung sogar aus, und zwar von 16 auf 21 Manöver und von 5 000 auf 5 500 Soldaten. Dass es diesbezüglich irgendwelche Irritationen geben könnte, ist darüber hinaus auch deshalb verwunderlich, weil bereits 15 andere europäische Nationen die EU-Arbeitszeitrichtlinie in ihr nationales Recht für die Streitkräfte übernommen haben.

Sachlich richtig ist: Auch künftig kann Mehrarbeit weiterhin durch Geld ausgeglichen werden. Es ist sogar der Anspruch im Rahmen der Agenda Attraktivität verbessert worden. Es gilt aber der Grundsatz im Rahmen des Gesundheitsschutzes für die Soldaten – das ist auch gut so -, dass erst der Versuch unternommen werden muss, diesen Freizeitausgleich zu gewähren. Erst dann ist eine finanzielle Vergütung möglich.

Dies war übrigens genauso im Rahmen der vormaligen Regelung. Deswegen ist natürlich auch logisch, dass nach dem ersten Quartal kein Fall bekannt ist, weil natürlich erst ein Anspruch angemessen im Rahmen von Freizeit ausgeglichen werden sollte.

Grundsätzlich ist nach unserer Bewertung mit der neuen Soldatenarbeitszeitverordnung ein riesiger Schritt für die 250 000 Menschen bei uns gemacht worden. Wir setzen damit europäisches Recht um. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich betont, dass auch unsere Streitkräfte unter die europäischen Vorgaben zur Arbeitszeit fallen. Selbstverständlich – und das ist wichtig – muss die Einsatzbereitschaft natürlich gewährleistet sein. Deshalb berücksichtigen wir die Besonderheiten des militärischen Dienstes, und deshalb sind wichtige Vorhaben ausgenommen. Hier geht es um Einsätze, einsatzgleiche Verpflichtungen, Amtshilfe, mehrtätige Seefahrten, aber genauso um Gefechtsausbildungen zur Vorbereitung von Einsätzen, einsatzgleichen Verpflichtungen oder auch Übungs- und Ausbildungsvorhaben, bei denen Einsatzbedingungen simuliert werden.

Klar ist, dass, wenn man natürlich so ein Vorhaben umsetzt, dieses nicht vom ersten Tag an reibungslos verläuft. Auch Organisationen und Vorgesetzte müssen lernen, damit umzugehen. Mit der neuen Arbeitszeitrichtlinie haben wir aber ein bewusstes Maß an Flexibilität für die Vorgesetzten, sodass eben dort auch entschieden werden kann, wie ich mit dem Zeitausgleich für Pendler oder anderen Dingen umgehe.

Fakt ist: Es ist ein Kulturwandel; es ist ein Paradigmenwechsel. Da wird es bestimmt auch an der einen oder anderen Stelle ruckeln, erst recht bei einer so großen Organisation von 250 000 Menschen. Dass den Wehrbeauftragten von daher eher Beschwerden als Lob erreichen, ist bei der Einführung einer solchen Richtlinie, die gerade erst frisch eingeführt wurde, natürlich klar.

Insgesamt möchte ich betonen: Wir haben wirklich eine ausgezeichnete, eine gute und enge Zusammenarbeit mit dem Wehrbeauftragten, der gewöhnlich gut informiert ist, in diesem Fall aber vielleicht einfach nicht umfassend informiert war. Was wir machen, ist Folgendes: Wir schauen mit den Vorgesetzten und auch von unserer Seite aus auf diese neue Soldatenarbeitszeitverordnung, begleiten sie, haben im Vorfeld an 40 Standorten über 4000 Multiplikatoren informiert und sind dabei, das zu evaluieren. Insgesamt kann bislang ein positives Zwischenfazit gezogen werden.

Mehr wollte ich dazu nicht sagen.

(Foto: German soldiers of 12th Armored Brigade, 10th Panzer Division react to contact from simulated small arms fire while conducting urban operation training during exercise Saber Junction 16 at the U.S. Army’s Joint Multinational Readiness Center in Hohenfels, Germany, March 31, 2016 – U.S. Army photo by Spc. Lloyd Villanueva)