Waffen für die Kurden: Einige landen auf dem Schwarzmarkt

Operation Inherent Resolve

Mindestens zwei Waffen, die von der Bundeswehr an kurdische Peshmerga-Kämpfer für den Kampf gegen die ISIS-Terrormilizen geliefert wurden, sind offensichtlich auf dem Schwarzmarkt gelandet. In einem ARD-Bericht waren am (gestrigen) Donnerstag ein Sturmgewehr G3 und eine Pistole gezeigt worden; die dabei erkennbaren Seriennummern sprächen aller Warscheinlichkeit nach dafür, dass es sich um Waffen aus Bundeswehrbeständen handele, sagte BMVg-Sprecher Jens Flosdorff am Freitag.

Der Bericht über die illegale Abgabe der von Deutschland gelieferten Waffen sind ebenso wie die Vorwürfe gegen die kurdische Regionalregierung, sie habe systematisch arabisch bewohnte Dörfer im Norden des Irak zerstört, für die Bundesregierung Anlass energischen Nachfragen bei den Kurden. Die Anschuldigungen müssten schnell und konsequent aufgeklärt werden, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer. Dafür sei der Berliner Vertreter der kurdischen Regionalregierung ins Außenministerium gebeten worden.

Die Bundeswehr hatte für den Kampf gegen ISIS unter anderem 20.000 Sturmgewehre der Typen G3 und G36 an die Peshmerga geliefert, zudem Milan-Panzerabwehrlenkflugkörper, Pistolen und weitere Ausrüstung. Die nächste Lieferung sei gegen Ende des ersten Quartals vorgesehen, sagte BMVg-Sprecher Flosdorff. Bis dahin bleibe genügend Zeit, die Vorwürfe zu klären.

Unklar bleibt allerdings nach wie vor, ob der Verkauf der Waffen auf dem Schwarzmarkt ein Einzelfall oder ein größeres Phänomen ist. Nach dem ARD-Bericht verkauften Peshmerga-Kämpfer ihre Waffen, um ihre Flucht aus dem Irak nach Europa zu finanzieren, weil sie schon länger keinen Sold erhielten und keine Perspektive in ihrer Heimat sahen.

Die Aussagen von Schäfer und Flosdorff in der Bundespressekonferenz zum Nachhören:

BPK_Peshmerga_22jan2016     

 

Die Abschrift:

Frage: Ich habe eine Frage an Frau Wirtz oder gegebenenfalls Herrn Flosdorff. Es gibt jetzt Berichte, dass die Waffenlieferungen an die Peschmerga auf Waffenmärkten verkauft worden sind. In Berlin sagt ein Flüchtling, er hat seine Reise damit bezahlt. Wie geht die Bundesregierung damit jetzt um? Was passiert jetzt mit den Waffenlieferungen? Was tun Sie da?

SRS’in Wirtz: Dazu möchte ich an meine Kollegen Herrn Schäfer und Herrn Flosdorf abgeben.

Schäfer: Die Regionalregierung von Irak-Kurdistan hat immer wieder, aber auch vor Aufnahme der Lieferung militärischer Ausrüstungsgegenstände an die Peschmerga durch Deutschland beziehungsweise durch die Bundesregierung zugesichert, dass sie die gelieferten Gegenstände ausschließlich für den Kampf gegen ISIS verwenden wolle und natürlich nicht weiterzugeben gedenkt. Wenn es jetzt – im Übrigen nicht zum ersten Mal, solche Anschuldigungen gab es bereits in der Vergangenheit schon einmal – Hinweise darauf geben sollte, dass im Einzelfall Waffen in die falschen Hände geraten sein sollten oder gar verkauft werden sollen, dann muss das natürlich schnell und konsequent aufgeklärt werden.

Aus einem anderen Anlass haben wir hier vorgestern schon einmal darüber gesprochen, dass es Anschuldigungen gegen die kurdische Regionalregierung wegen des Vorgehens gegen Häuser von Menschen arabischer ethnischer Zugehörigkeit, die angeblich zerstört worden sein sollen, und zwar unter Verstoß gegen Regeln des humanitären Völkerrechts, gibt. Da hatte ich erläutert, wie wir weiter vorzugehen gedenken. Ich kann das jetzt konkretisieren. Im Hinblick auf beide Fragen, also die Frage einer möglichen Weitergabe deutscher Waffen, die an die Peschmerga für den Kampf gegen ISIS geliefert worden sind, und die Frage, ob die Peschmerga in den von ISIS befreiten Gebieten tatsächlich Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht begangen haben könnten, indem dort Häuser von Menschen arabischer Volkszugehörigkeit zerstört wurden, haben wir für den heutigen frühen Nachmittag den Vertreter der Regionalregierung ins Auswärtige Amt gebeten.

Sie können sich denken, welches unsere Botschaft sein wird. Es stehen ernste Vorwürfe und Anschuldigungen im Raum. Wir erwarten, dass die Regionalregierung Kurdistans und die verantwortlichen Peschmerga diesen Vorwürfen unverzüglich und konsequent nachgehen und solche Praktiken, sofern sie sich bestätigen lassen, sofort und umfassend eingestellt werden.

Zusatzfrage: Gibt es, wenn Ihnen das nicht bestätigt wird, Möglichkeiten seitens der Bundesregierung darauf zu reagieren? Was können Sie ganz konkret tun, um das zu unterbinden?

Schäfer: Ich wäre jetzt versucht, Sie auf das Protokoll der Regierungspressekonferenz von vorgestern oder auf das von dem Kollegen aufgenommene Video von vorgestern zu verweisen. Aber ich sage es gern noch einmal. Wir haben in Erbil ein Generalkonsulat. Dort sind Kollegen von mir im Einsatz, die dort allerdings unter außerordentlich restriktiven Sicherheitsbedingungen arbeiten müssen und das Generalkonsulat nur unter größten Sicherheitsmaßnahmen verlassen können.

Aber Sie können sicher sein, dass wir uns nicht nur darauf verlassen, mit unseren kurdischen Partnern zu sprechen, um diesen Anschuldigungen und Vorwürfen nachzugehen, sondern es ist selbstverständlich, dass wir die Quellen, die eine diplomatische und konsularische Mission auch zur Hand hat – mit Zeugen, mit Partnern zu sprechen, mit Menschen zu sprechen, die sich auskennen -, andere Anhaltspunkte und Hinweise zusammentragen, die Dinge vielleicht selber in Augenschein nehmen, die da geschehen sein mögen. All das tun wir natürlich, soweit das physikalisch möglich oder menschenmöglich ist, unter den wirklich sehr schwierigen Sicherheitsbedingungen in Erbil. Ich selber – ich meine, die Kollegin war auch dabei – konnte vor einigen Wochen oder Monaten sehen, wie schwierig das ist.

Frage: Herr Flosdorff, Herr Schäfer, es ging auch im Sommer in der BPK schon um diese Waffenlieferungen an die Peschmerga. Ich zitiere Herrn Nannt vom 27. Juli:

„Es gibt dort die Endverbleibserklärung. Die Endverbleibserklärung ist unterschrieben worden, auch von unseren Partnern in der Region. Damit ist das sichergestellt“,

dass keine Waffen weitergegeben oder verkauft werden und dass man in einem engen Dialog steht.

Wie kann es also sein, dass Partner deutsche Waffen weiterverkaufen, wenn doch die Endverbleibserklärung, die die Partner unterschrieben haben, wasserdicht sichergestellt hat, dass das nicht passiert?

Flosdorff: Zunächst einmal bin ich mir nicht ganz sicher, ob alles, was Sie jetzt gesagt haben, ein Zitat von Herrn Nannt ist oder ob Sie vielleicht Herrn Nannt eine Frage von Ihnen, die dazwischengeschaltet war, in den Mund gelegt haben.

Aber abgesehen davon: Wir haben bisher 20 000 Sturmgewehre nach Kurdistan geliefert. 8 000 Pistolen wurden ausgeliefert. Bei jeder Gelegenheit – ich denke, das betrifft nicht nur den militärischen Bereich, sondern auch alle anderen, die Kontakt hatten – wurde die kurdische Regionalregierung auf die hohe Bedeutung der Endverbleibserklärung für die Bundesregierung hingewiesen. Das war mehrfach Thema – ich bin sogar dabei gewesen – in Gesprächen. Uns wurde immer wieder zugesichert, dass dem auch vonseiten der kurdischen Regionalregierung eine hohe Bedeutung beigemessen wurde.

Für die Kurden, die mit 90 000 Peschmerga an einer 1 000 km langen Frontlinie dem IS gegenüberstehen und wirklich einen aufopferungsvollen Kampf gegen den IS führen, hat es eine existenzielle Bedeutung, dass sie Unterstützung haben und auch weiterhin Unterstützung aus Deutschland bekommen. Damit ist klar, dass sie ein überragendes Eigeninteresse daran haben, dass sich solche Vorfälle nicht in der Art manifestieren, dass es zu einem systematischen Missbrauch oder Verlust von Waffen kommt. Aber bei der großen Zahl von Waffen in diesem unübersichtlichen Gebiet und in dieser unübersichtlichen Konstellation in einem heiß umkämpften Konfliktgebiet kann niemand eine vollständige Kontrolle garantieren. Man kann aber erwarten, dass alles, was im Rahmen der Möglichkeiten liegt, unternommen wird, um solche Vorkommnisse zu vermeiden und zu verhindern. Das ist auch der Anspruch, der von uns, aber auch von anderen gegenüber der Regierung formuliert wird.

Es hat auch in der Vergangenheit öfter einmal Verdachtsfälle gegeben. Das waren solche, die in den Medien hochkamen, aber auch solche, die auf anderen Wegen das Verteidigungsministerium erreicht haben. Wir haben auf allen uns zur Verfügung stehenden Kanälen stets versucht, das durch bestimmter Nummern und Bauarten, durch Fotos, die uns hereingereicht wurden, und über nachrichtendienstliche Mittel und Quellen, die man hatte, zu verifizieren. In der Vergangenheit hat sich stets herausgestellt, dass sich das nicht erhärten ließ und man irgendwann an eine Grenze gekommen ist, dass es also keine bewusste Weggabe und keinen Missbrauch gegeben hat oder dass es einfach auszuschließen war, weil man positiv nachweisen konnte, dass es nicht aus den Quellen ist, die durch deutsche Lieferungen an die Peschmerga gegangen sind.

In dem Fall gestern – einfach noch einmal nachrichtlich – spricht derzeit viel dafür, dass zumindest zwei der in dem Bericht erwähnten Waffen aus einer deutschen Lieferung aus dem Jahre 2014 stammen. Mit diesem konkreten Anhalt werden wir auf unseren Kanälen selbstverständlich die Peschmerga damit konfrontieren mit der Bitte, das konkret zurückzuverfolgen und die ganze Angelegenheit auch mit dem gebotenen Ernst zu verfolgen.

Aber derzeit gibt es keinen Anlass, keinen Anhaltspunkt und keinen Hinweis, dass wir von einem systematischen Missbrauch oder über Einzelfälle hinausgehenden Abgaben deutscher Waffen durch die Peschmerga ausgehen dürfen, überhaupt keinen.

Zusatzfrage: Herr Flosdorff, können Sie uns solch eine Endverbleibserklärung, die ein Staat unterschreiben muss, vorlegen, damit wir als Journalisten einmal einsehen können, was sie eigentlich unterschreiben?

Was passiert in einem Vertragsverletzungfall? Müssen die Waffen dann zurückgegeben werden? Gibt es dann nur einen bösen Finger von der Bundesregierung?

Flosdorff: Ich kann Ihnen keine Endverbleibserklärung vorlesen. Ich bin, weil wir im technischen Sinne auch nicht dafür zuständig sind, auch nicht in der Lage, Ihnen juristische Implikationen dazu zu erläutern.

Vorsitzender Leifert: Aber es war ja die Frage nach der Sanktion.

Schäfer: Herr Leifert und lieber Kollege, ich kann für das Auswärtige Amt nur in vollem Umfang unterstützen, was Herr Flosdorff gesagt hat. Ich kann noch ergänzen, dass die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung, den Peschmerga ab August/September 2014 mit Waffen in ihrem, wie Herr Flosdorff zu Recht gesagt hat, im buchstäblichen Sinne aufopferungsvollen Kampf gegen ISIS Unterstützung geleistet zu haben, absolut im Reinen ist.

Was jetzt weiter passieren wird, wird einfach davon abhängen, was sich an den Vorwürfen, die jetzt im Raume stehen, erhärten lässt, welche tatsächliche Dimension das hat und welche politischen Schlussfolgerungen wir und welche Schlussfolgerungen unsere Partner in Erbil, in der irakischen Region Kurdistan, daraus ziehen. Selbstverständlich haben wir den Anspruch, wie Herr Flosdorff es gesagt hat, dass so etwas nicht passieren soll und nicht passieren darf und dass alles getan werden muss, damit so etwas nicht passiert.

Frage: Herr Flosdorff, wann ist die nächste Lieferung von Waffen oder Ausrüstung geplant? Wird es einen Lieferstopp geben, bis die aktuellen Vorwürfe geklärt sind?

Sie sagten gerade, es spricht viel dafür, dass die beiden gestern in dem Fernsehbericht gezeigten Waffen aus einer Bundeswehrlieferung stammen. Nun ist es mit Seriennummern so eine binäre Geschichte: Entweder stammen sie aus einer Bundeswehrlieferung, oder sie stammen nicht. Was heißt „es spricht viel dafür“? Gehören die dort gezeigten Seriennummern zu einer deutschen Lieferung?

Flosdorff: Mit letztendlicher Sicherheit kann man das sagen, wenn man die Waffen in der Hand hat. So sind es Abbildungen, die es in den Medien gibt. Da würde ich noch nicht letzte Sicherheit haben. Mir wurde gesagt, man muss es eigentlich in Augenschein nehmen. Aber man sollte auch nicht übertriebenen Zweifel daran schüren. Das möchte ich jetzt gar nicht sagen. Im Moment spricht aller Anschein dafür, dass es sich um Waffen aus diesen Lieferungen handelt.

Die andere Frage ist, wann weitere Lieferungen anstehen. Wir planen ja, die Peschmerga auch in diesem Jahr weiterhin mit Ausrüstung zu unterstützen. Die nächste Lieferung wäre für Ende des ersten Quartals geplant. Es gibt also ausreichend Zeit, mehrere Wochen, den aktuellen Vorfall in alle Richtungen auszuleuchten und auch mit der Regionalregierung in Kurdistan zu besprechen und die Hintergründe darzulegen. Das heißt, es besteht überhaupt kein Anlass, jetzt mit irgendwelchen Junktims zu arbeiten.

(Foto: Kurdischer Peshmerga-Kämpfer beim Training mit dem Sturmgewehr Heckler&Koch G3 in der Nähe von Erbil am 12. Januar 2016 – U.S. Army photo by Staff Sgt. Sergio Rangel)