Stichwort EU-Armee – alle Jahre wieder?

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Und da ist es wieder, das Dauerthema EU-Armee. Am (heutigen) Sonntag vor allem, weil sich nach einem Bericht der Welt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dafür ausgesprochen hat; weil es am (morgigen) Montag dazu eine Studie des früheren NATO-Generalsekretärs Javier Solana geben soll (an der auch der deutsche Verteidigungsausschuss-Vorsitzende und künftige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels mitgeschrieben hat); und weil Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dazu in ihrem Deutschlandfunk-Interview der Woche was gesagt hat. Schauen wir also mal genauer drauf.

Juncker, so berichtet die Welt (Link aus bekannten Gründen nicht), habe Bemühungen um eine gemeinsame EU-Armee damit begründet, dass die Europäische Union damit die Bereitschaft zur Verteidigung ihrer Werte glaubhaft machen könne: Eine solche Armee würde uns helfen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu gestalten und gemeinsam die Verantwortung Europas in der Welt wahrzunehmen. Und dafür habe er viel Zustimmung aus den Mitgliedsländern erfahren. Bartels wiederum plädierte dafür, nicht den ganzen großen Wurf als einheitliche EU-Regelung anzustreben, sondern mit bilateralen Vereinbarungen der Mitgliedsländer zu beginnen.

Von der Leyen nannte im Deutschlandfunk ebenfalls die Vereinbarungen zwischen einzelnen Staaten als Beginn einer solchen europaweiten Armee:

Ja, ich muss erst einmal sagen, es ist schon wegweisend und ein absoluter Vorreiter, dass die Niederländer bereit waren, uns eine Brigade zu unterstellen, das haben wir sonst so nicht. Und das ist genau der Weg, den man gehen muss. Ja, und ich denke, dass wir auch in der Bundeswehr bereit sind, in besonderen Fällen auch einer anderen Nation Truppenteile zu unterstellen. Das ist das Ziel, denn das zeigt eben auch, wenn zum Beispiel die Niederländer uns einen so großen Vertrauensvorschuss geben, dass der gerechtfertigt ist. Den auch zurückzugeben zeigt die gute Zusammenarbeit. Und ich glaube, das, was das Wichtigste ist, es zeigt eben in Europa, 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg – und vor 70 Jahren waren wir Todfeinde –, dass heute der Frieden innerhalb Europas, in der Europäischen Union auf festen Füßen steht und wir Schritt für Schritt immer fester auch unsere Bündnisse knüpfen, gerade in der Sicherheitspolitik. Dieses Verflechten von Armeen mit dem Blick, eines Tages eben eine europäische Armee auch zu haben, ist meines Erachtens die Zukunft.

Nun könnte man natürlich erst mal fragen, warum die Bundeswehr nur bereit sein sollte, in besonderen Fällen auch einer anderen Nation Truppenteile zu unterstellen. Nach meiner Erinnerung hatten die Niederlande bei Unterstellung ihrer 11 Luchtmobielen Brigade unter die deutsche  Division Schnelle Kräfte da nicht besondere Fälle als Voraussetzung genannt.

Jenseits dieser Details: Das alles klingt ganz in Ordnung, verblasst aber, wenn wir einen kurzen Realitätscheck machen:

1. Mit einer eigenen Armee könnte Europa glaubwürdig auf eine Bedrohung des Friedens in einem Mitgliedsland oder in einem EU-Nachbarland reagieren, gibt die Welt Juncker wieder. Da gibt’s doch gleich zwei Missverständnisse.

Zum einen das Missverständnis, das allein Militär glaubwürdig auf die Bedrohung des Friedens reagieren kann. Wird nicht seit Jahren, gerade von Deutschland, der vernetzte Ansatz propagiert? Also das Zusammenwirken zwar auch des Militärs, aber ebenso politischer, diplomatischer und nicht zuletzt wirtschaftlicher Mittel? Ist die EU mit ihrer Wirtschaftsmacht schwächer, weil sie als EU keine glaubhafte militärische Macht hat – obwohl zugleich die meisten EU-Mitglieder auch NATO-Mitglieder sind?

Zum anderen: Ob europäisches Militär glaubwürdig reagieren kann, hängt nicht von den Strukturen ab. Ob und wie die Streitkräfte der europäischen Länder agieren können, hängt vor allem von Stärke, Ausrüstung, Führung und Zusammenwirken ab. Und wenn die Europäer schon in der NATO ohne das Supermitglied USA nur eingeschränkt handlungsfähig sind, ändert sich das nicht dadurch, dass sie unter ein einheitliches EU-Kommando gestellt werden.

2. Eine solche Armee würde uns helfen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu gestalten und gemeinsam die Verantwortung Europas in der Welt wahrzunehmen, sagt der EU-Kommissionspräsident.

Da stellt sich die Frage, warum Europa ohne eine gemeinsame Armee weniger gut eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gestalten können sollte. Denn auch hier ist das Problem nicht die Struktur, sondern der politische Wille, eine solche Armee als Instrument der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu nutzen.

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran, dass die EU mal mit der Aufstellung rotierender, gemeinsamer Verbände begonnen hat: Die so genannten EU Battle Groups. Ein Konzept, das bereits seit mehr als zehn Jahren existiert. Ein Blick in die Geschichte bei Wikipedia:

Als sich abzeichnete, dass die im Rahmen des European Headline Goals 1999 in Helsinki beschlossene EU-Eingreiftruppe (EU Rapid Reaction Force) 2003 nicht einsatzbereit sein würde, schlug die Geburtsstunde der EU Battlegroup-Idee auf dem britisch-französischen Gipfel in Le Touquet (4. Februar 2003). Im November desselben Jahres wurde sie auf einem weiteren Gipfel in London unter Hinweis auf die Erfahrungen aus der EUFOR-Mission Artemis erneut aufgegriffen. Bereits im Dezember mandatierte der Rat der Europäischen Union die Weiterentwicklung der Krisenreaktionsfähigkeit der EU. Anfang Februar 2004 signalisierte der Bundesverteidigungsminister Peter Struck Interesse an einer deutschen Beteiligung. Mit einem sogenannten „Food for thought“-Papier erfolgte die Vorlage beim Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK). Am 17. Juni 2004 beschloss der Rat der EU den Aufbau der EU Battlegroups im Rahmen der Erfüllung des Headline Goals 2010. Noch im November 2004 konkretisierten die Verteidigungsminister der EU-Mitgliedsstaaten diese Planungen bereits mit der Benennung der ersten Verbände.
Als Erstbefähigung (Initial Operation Capability – IOC) wurde ab 2005 zunächst je eine Battlegroup einsatzbereit gehalten, mit der vollen Einsatzfähigkeit (Full Operation Capability – FOC) seit Januar 2007 sind es zwei Battlegroups pro Halbjahr.

Seit 2005 wird eine Battlegroup einsatzbereit gehalten. Eingesetzt wurden diese Battlegroups bislang genau kein Mal.

Nicht etwa, weil es keinen Bedarf dafür gegeben hätte: vor gut einem Jahr stand schon mal zur Debatte, dass der europäische Einsatz in der Zentralfrikanischen Republik von genau so einer Battle Group durchgeführt werden sollte. Der entsprechende Vorschlag des damaligen schwedischen Außenministers Carl Bildt wurde rundweg abgelehnt – vor allem von Deutschland. Und das, obwohl die EU ziemliche Mühe hatte, die Truppen für den Einsatz zusammenzubekommen. Am Ende retteten dann Infanteristen aus Georgien das Brüsseler Vorhaben (Georgien ist übrigens kein EU-Mitglied), während die Bundeswehr sich mit vier Stabsoffizieren in der Hauptstadt Bangui und zusätzlichen Stabsoffizieren im EU-Hauptquartier in Larisssa/Griechenland beteiligte.

Seit Anfang des Jahres gibt es übrigens eine Nordic Battlegroup, die EU Battlegroup 15, bei der Nicht-NATO-Staaten wie Schweden, Finnland und Irland eine wichtige Rolle spielen. Seit dem vergangenen Jahr betont diese Truppe unter schwedischer Führung immer wieder ihre Einsatzbereitschaft. In den ganzen politischen Überlegungen scheint sie allerdings bislang keine wirkliche Rolle zu spielen.

3. Mit einem gemeinsamen Hauptquartier wird alles gut. Das ist eines der technischen Missverständnisse: Denn innerhalb der EU gibt es schon etliche HQ-Stäbe, die sich auf die Führung von EU-Operationen vorbereitet haben (unter anderem bei der Bundeswehr in Ulm). Wer da mal in die Geschichte eintauchen möchte, google nach den Stichworten Tervuren und Pralinengipfel – schon vor mehr als zehn Jahren wurde darüber debattiert, ob ein ständiges EU-Hauptquartier nicht die große Lösung wäre.

Nun ist zwar richtig, und das betont zum Beispiel der deutsche Parlamentarier Bartels immer wieder, dass die Beistandsverpflichtungen, auch militärischer Art, in der EU nach dem Lissaboner Vertrag noch über die Beistandsverpflichtungen in der NATO nach Artikel 5 des Bündnisvertrages hinausgehen. Ob und wie das im Ernstfall umgesetzt werden könnte, scheint allerdings keine Frage zu sein, die auf der politischen Agenda weit oben steht. (Redet irgendjemand darüber, wie die EU-Mitglieder Estland, Lettland und Litauen bei einer möglichen Bedrohung unterstützt werden könnten? Ich meine, jetzt nicht von der NATO, sondern von einer durchsetzungsfähigen EU-Truppe?)

Zusammenfassung und Siegerehrung: Wenn wirklich ein größeres militärisches Gewicht der EU gefragt wäre, ist nicht in erster Linie eine Anforderung an Strukturen das Problem. Sondern der politische Wille, die EU als eine Einheit zu verstehen, die alle Bereiche abdeckt, bis hin zum Militärischen. Das ist bislang nicht erkennbar. Aber vielleicht wollte Juncker ja genau darauf hinweisen.

(Ach, und das Fass Parlamentsvorbehalt(e) hab‘ ich noch gar nicht aufgemacht – das beträfe ja nicht nur den Deutschen Bundestag, sondern auch noch paar weitere nationale Parlamente.)

Nachtrag: Dazu passend: Das bereits am Freitag erwähnte Reuters-Interview mit Heeresinspekteur Bruno Kasdorf ist jetzt auch in der deutschen Fassung online:

Die Bundeswehr werde das Kommando über ein Bataillon mit etwa 600 Soldaten an das polnische Militär übergeben, kündigte der Kommandeur des Heeres, Bruno Kasdorf, am Freitag in Strausberg bei Berlin an. Im Gegenzug übernehme eine deutsche Brigade das Kommando über ein polnisches Bataillon. Deutschland verstärkt damit die militärische Zusammenarbeit mit dem Nato-Partner Polen, der sich zunehmend von Russland bedroht fühlt.

Noch ein Nachtrag 11. März: Von der Stiftung Wissenschaft und Politik gibt es einen Zwischenruf zu dem Thema:

Um die europäische Armee wird eine ideologische Schlacht geschlagen, die Europas Verteidigung nicht voranbringt. Claudia Major und Christian Mölling fordern stattdessen pragmatische Schritte auf dem Weg zu einem verteidigungsfähigen Europa.

(Foto: Schwedische Soldaten – Jimmy Croona/Nordic Battle Group Combat Camera)