Nicht nur Breite, auch mehr Tiefe: von der Leyen kündigt Umsteuern an

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hält nichts ‚von solchen Schlagworten‘ wie ‚Breite vor Tiefe; die Fallschirmjäger-Ausbildung bleibt in Altenstadt, und mit dem Abschied von der ‚Dynamisches Verfügbarkeitsmanagement‘ genannten Mangelverwaltung kommt auch das schon länger debattierte neue Panzerbataillon in Bergen : Mit einem Interview für die Bundeswehr-eigenen Medien hat die Ministerin ein Umsteuern der deutschen Streitkräfte angekündigt – auch wenn es wohl nicht Reform der Reform heißen darf.

Das Interview gibt es als Video hier (allerdings bislang nicht für Mobilgeräte abrufbar) und als Abschrift hier (allerdings ist die Abschrift keine Abschrift, sondern eine redaktionell überarbeitete Fassung, wie sich schon bei den ersten Worten herausstellt. Muss man vielleicht doch noch genauer abgleichen).

Einige Ausschnitte – aus der schriftlichen Fassung –  mit Anmerkungen:

vdL: Es ergibt zum Beispiel wenig Sinn, angesichts neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen, der Verpflichtungen in den Bündnissen und der realen Einsatzszenarien an einem starren Fähigkeitsprofil festzuhalten.Das müssen wir viel dynamischer gestalten und uns multinationaler aufstellen. Deutschland agiert ohnehin niemals allein, sondern nur in seinen Bündnissen.
Frge: Steht dabei auch das Leitmotto „Breite vor Tiefe“ in Frage?
vdL: Ich halte nichts von solchen Schlagworten. Als gesetzte Rahmennation in der NATO und in anderen Bündnissen wird Deutschland immer eine angemessene Breite an militärischen Fähigkeiten vorhalten müssen, wie zum Beispiel als NATO-Speerspitze, oder bei der Führung der Ausbildungsmissionen im Nordirak und in Afghanistan. Wir brauchen aber ebenso dringend bei einzelnen Schlüsselfähigkeiten mehr Durchhaltetiefe. Die können wir auch dadurch erreichen, dass wir verstärkt mit anderen Nationen zusammenarbeiten. Ich denke da beispielsweise an den geplanten multinationalen Hubschrauberverband, oder an die immer engeren Kooperationen mit Frankreich, Polen und den Niederlanden. Ich bin mir sicher, da geht noch mehr.

Unklar bleibt: Ist das tatsächlich der Abschied von ‚Breite vor Tiefe‘, oder vorerst nur die Hoffnung, dass Verbündete fehlende Durchhaltefähigkeiten liefern sollen?

Frage: Steht das bei den Soldaten enorm unbeliebte Dynamische Verfügbarkeitsmanagement zur Disposition? Das ist ja bislang an die starren Obergrenzen für die Großsysteme gebunden…
vdL: Die eigenen Rahmenbedingungen immer wieder kritisch zu prüfen ist für jede moderne Armee Daueraufgabe. Das Dynamische Verfügbarkeitsmanagement ist in der Breite der Bundeswehr überhaupt noch nicht in Kraft gesetzt. Der Knackpunkt ist doch eher die von vielen Soldatinnen und Soldaten schon heute erlebte Realität, dass es an allen Ecken und Enden Materialengpässe gibt. Ob man es Dynamisches Verfügbarkeitsmanagement nennt oder anders: Entscheidend ist doch, dass die Bundeswehr nicht schleichend in eine Mangelverwaltung hineingeraten darf, die zunehmend den Grund- und den Ausbildungsbetrieb aushöhlt. Diesen Trend
müssen wir wieder umkehren. Sonst steht über kurz oder lang die Einsatzfähigkeit und unsere Zuverlässigkeit in den Bündnissen in Frage. Die Truppe muss auf mittlere Sicht nicht nur in den Einsätzen topp sein, sondern auch ausreichend Material für Grundbetrieb und Übung haben. Da müssen wir wieder hin.

Die an dieser Stelle entscheidende Frage bleibt offen: Werden die Vorgaben der Großgeräte-Liste nach oben korrigiert? Und wie sehen die neuen Zahlen aus? An dieser Stelle ist das noch hinreichend vage.

vdL: Wo sinnvoll und notwendig, sollten wir deswegen eine entsprechende Ausstattung unserer bestehenden Verbände anstreben und auf ein möglichst dezentrales Management der Gefechtsfahrzeuge setzen. Die Erfahrungen aus den Piloterprobungen des Dynamischen Verfügungsmanagements können dabei helfen, ein praktikableres Konzept zu entwickeln. Wie zügig und wie weit wir auf dem Weg vorankommen, hängt auch von künftigen Anforderungen an die Bundeswehr und den finanziellen Spielräumen ab. In einem ersten Schritt wollen wir zum Beispiel mit der Praxis Schluss machen, dass wir überschüssiges gutes Material, beispielsweise Leopard 2, abgeben oder verschrotten.

Das deutet auf mehr schweres Gerät im Betrieb hin. Dennoch bleiben auch hier die Zahlen noch offen.

vdL: Beispiel Panzertruppe: Anstatt funktionstüchtige Leopard 2 auszumustern und zu verschrotten, sollten wir überlegen, wie wir das gute, noch vorhandene Material in die bestehenden Strukturen integrieren können. Deswegen wollen wir am Standort Bergen ein derzeit gekadertes Panzerbataillon aktivieren, vorzugsweise mit ergänzender internationaler Komponente. Wir sind dazu in guten Gesprächen mit den Niederlanden.
Beispiel Altenstadt: Die Fallschirmjägerausbildung dort kann bleiben. Ein aufwendiger Umzug der militärischen und zivilen Kräfte nach Oldenburg ergibt keinen Sinn mehr, weil sich die Voraussetzungen durch die verstärkte multinationale Kooperation seit der Neuausrichtung geändert haben.
Beispiel Saarland: Dort können wir nach einer Überprüfung der Planung die Standorte Lebach und Saarlouis erhalten und gleichzeitig Belastungen für Familien durch Umzüge reduzieren.
Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit und Wirtschaftlichkeit prüfen wir auch, ob der Umzug der Führungsunterstützungskräfte von Köln und Fürstenfeldbruck nach Schortens noch sinnvoll sind. Ebenso, ob die Eurofighter-Ausbildung, die teilweise in die USA umziehen sollte, nicht doch besser am Standort Wittmund konzentriert werden sollte. Da sind die letzten Entscheidungen aber noch nicht getroffen.

Zwar nicht überraschend, aber schon etwas konkreter. Bergen bekommt das zusätzliche Panzerbataillon, auch wenn ich immer noch nicht weiß, ob sich das nun auf die Gesamtzahl der Kampfpanzer in der Truppe auswirkt oder ob es bei den bisherigen 225 Exemplaren bleibt. Altenstand war erwartet worden und dürfte damit offiziell sein, ebenso die Entscheidung zu den Standorten im Saarland. Vermutlich sind die anderen Umzüge und Neustationierungen, die ebenfalls noch heftig diskutiert worden, damit vom Tisch. Mit anderen Worten: Der Sack war aufgeschnürt und ist jetzt richtig zu.

Das letzte Jahr hat der Öffentlichkeit eindrucksvoll vor Augen geführt, dass Sicherheit und eine einsatzfähige Bundeswehr nicht zum Nulltarif zu haben sind. Die meisten Modernisierungsvorhaben sind so angelegt, dass sie sich erst mittel- und langfristig im Etat niederschlagen. Und die Haushaltsverhandlungen für das kommende Jahr beginnen erst in diesem Tagen.

Also: mehr Geld bitte, aber nicht so schnell. Auch das nicht unbedingt überraschend.

Vermutlich entdecken die Kenner in dem Interview der Ministerin noch mehr Details, über die hier zu reden ist.

(Das offizielle Interview-Foto der Bundeswehr: ‚Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, spricht in einem Interview mit der Chefredakteurin Redaktion der Bundeswehr Andrea Zückert im Bundesverteidigungsministerium in Berlin am 26.02.2015‘ – Bundeswehr/Lang)