Neue NATO-Speerspitze: Die Deutschen probieren’s aus (Update)

Die neue superschnelle Eingreiftruppe der NATO, die das Bündnis auf seinem Gipfel Anfang September in Wales beschlossen hatte, soll vor ihrer richtigen Aufstellung 2016 erst mal im nächsten Jahr erprobt werden – vor allem von Deutschland. Die NATO-Außenminister billigten am (heutigen) Dienstag bei ihrem Treffen in Brüssel eine Zwischenlösung für die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), die neue NATO-Speerspitze, und nahmen das Angebot an, die ganzen dafür nötigen Verfahren erst mal mit Soldaten aus Deutschland, den Niederlanden und Norwegen zu testen:

At the same time, we are enhancing the NATO Response Force’s capabilities, including through the development of a new Very High Readiness Joint Task Force, the VJTF. We welcome the establishment of an interim VJTF coordinated by SACEUR with forces predominantly from Germany, Norway and the Netherlands, available to the Alliance early in 2015.

heißt es in dem Beschluss der Außenminister. Und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erläuterte anschließend, die Zwischenlösung sehe eine Truppe vor, die mit wenigen Tagen Vorwarnzeit (in just a few days notice) eingesetzt werden könne. Wie schnell genau, sagte er nicht – in den Planungen für die VJTF ist von zwei Tagen Reaktionszeit die Rede; ob das so machbar ist, soll sicherlich auch die Interim VJTF zeigen.

Die besondere Rolle Deutschlands in dieser Zwischenlösung ist auch dadurch bedingt, dass die Bundeswehr im kommenden Jahr mit insgesamt rund 4.000 Soldatinnen und Soldaten ohnehin einen wesentlichen Anteil der NATO Response Force (NRF) stellt – für deren Immediate Reaction Force (IRF), den etwas schnelleren Teil der bislang nie eingesetzten Eingreiftruppe, sogar rund 2.000. Und Generalinspekteur Volker Wieker hatte am 25. November in einem gemeinsamen Brief mit seinen Kollegen aus den Niederlanden und Norwegen dem NATO-Oberbefehlshaber, dem US-General Philip Breedlove, angeboten, Kräfte für eine Provisional Response Capability zur Verfügung zu stellen:

The three nations offer their contributions to IRF 2015 for NATO’s response to crisis situations including alert, stage and preparation for deployment after NAC approval. (…) The intention of the three nations is to contribute to a Provisional Response Capability in 2015, which is able to respond swiftly in a fit for purpose fashion to an emerging threat. The Provisional Response Capability in 2015 needs to be an agile and military responsive instrument, within the current NATO structure and NRF regulations. It should be scalable, rapid depoyable and capable to perform a broad range of military operations, including combat.

Für die Zwischenlösung schlugen die drei Chiefs of Defense drei Phasen vor: Vorbereitung im ersten Quartal 2015, eine Aktivierungsübung zwischen März und April 2015 und eine Volltruppenübung im Sommer kommenden Jahres.

Allerdings benennen die Militärchefs der drei Nationen auch eine Voraussetzung, die zum Kern des Problems der NATO mit den geplanten schnellen Eingreifkräften führt:

It is paramount that clear ressource arrangements and prerequisites (e.g. strategic lift, strategic enablers, host nation support) are in place prior to the start to the test bed.

Und da wird sich zeigen, wie weit die NATO ihre weit reichenden Vorstellungen umsetzen kann. Denn neben den Truppen, die für den Kern der sofort einsetzbaren Reaktionskräfte in Bereitschaft gehalten werden müssen, geht es um den Transport dieser Truppen und ihres (schweren) Geräts – sei es in eine Übung oder in einen Einsatz. Doch daran hakt es ein wenig in der mächtigsten Militärallianz der Welt: Genügend Flugzeuge für eine strategische Verlegung, auch mit so Material wie Schützenpanzern, haben nur die USA. Und beim Landtransport, das kristallisiert sich langsam heraus, sind die massiven Kapazitäten der (nicht mehr in allen Ländern staatlich betriebenen) Eisenbahnen aus den Zeiten des Kalten Krieges einfach nicht mehr vorhanden.

Entsprechend vorsichtig gibt sich auch das deutsche Verteidigungsministerium in der offiziellen Stellungnahme eines Sprechers dazu:

Das Konzept für die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), die sog. Speerspitze der NATO Reaktionskräfte, befindet sich derzeit noch in der Erarbeitung bei den NATO-Militärbehörden. Der Entwicklung dieses Konzeptes messen wir einen hohen Stellenwert bei und haben hierzu unsere volle Unterstützung zugesagt. Im Rahmen dieser Entwicklung und als klares politisches Signal unterstützen wir deshalb auch erste Erprobungen in 2015, an denen wir uns beteiligen werden. Wie der deutsche Beitrag im Detail aussehen wird steht noch nicht fest. Derzeit stimmen wir uns eng mit SHAPE und unseren NATO-Partnern ab.

Um so wichtiger wird deshalb der Testlauf. An dem auf deutscher Seite vor allem das Panzergrenadierbataillon 371, die Marienberger Jäger, beteiligt sein dürften – die sind nämlich ohnehin für die NATO Response Force im Jahr 2015 gemeldet und werden dafür rund 900 Soldaten stellen. Hinzu kommt das Deutsch-Niederländische Korps als Land Component Command, auch bereits länger für die NRF 2015 gemeldet und zertifiziert, sowie deren Führungsunterstützungskräfte.

Übrigens, das betonten die Außenminister in ihrem Beschluss ebenso wie der NATO-Generalsekretär bei seiner Pressekonferenz, ist für das Bündnis das Verhalten Russlands in der Ukraine-Krise ein wichtiger Grund für den in Wales beschlossenen Readiness Action Plan wie für die VJTF und die jetzt vereinbarte Zwischenlösung – aber nicht der einzige. Weil die Allianz auch andere Krisen an ihren Grenzen sieht:

The Readiness Action Plan agreed by Heads of State and Government at the Wales Summit is a response to the changed and broader security environment in and near Europe. It responds to the challenges posed by Russia and their strategic implications. It also responds to the risks and threats emanating from our southern neighbourhood, the Middle East and North Africa.

(Dieser Eintrag ist ein update zu dem vorangegangenen Die NATO-Speerspitze: Deutschland vorneweg)

(Archivbild: Panzergrenadiere mit Marder-Schützenpanzer bei der Informations- und Lehrübung 2013 in Bergen)