Landes- und Bündnisverteidigung: Blick nach Osten? (Update)
Die Auswirkungen der Ukraine-Krise und der russischen Annexion der Krim auf die NATO und damit auch auf Deutschland (und seine Streitkräfte) werden zwar von den Interessierten schon seit Tagen diskutiert (hier auf Augen geradeaus! zum Beispiel nach der Rede des NATO-Generalsekretärs und der Ankündigung mehrer Bündnismitglieder, die Luftraumüberwachung über dem Baltikum zu verstärken) – in der Mainstream-Debatte dürfte dieses Thema aber erst jetzt mit den Äußerungen von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im aktuellen Spiegel angekommen sein:
Die aktuelle Lage spiegelt klar, dass die NATO nicht nur ein militärisches, sondern auch ein politisches Bündnis ist. Es ist vor allem der demokratische Wertekanon, der hohe Anziehungskraft auf Neumitglieder entfaltet. Deswegen ist die NATO seit den 90er-Jahren gewachsen, nicht weil die Allianz auf Expansion ausgelegt war.
Jetzt ist für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig, dass die NATO Präsenz zeigt. Denn nur Geschlossenheit gibt die Sicherheit für die diplomatischen Gespräche, die nun geführt werden müssen.
(Update: Komplettes Zitat nach Angaben des BMVg ergänzt)
Was die CDU-Ministerin damit konkret meint, wird sich vermutlich schon bald zeigen müssen – nachdem auch Dänemark (wie zuvor die USA, Großbritannien und Frankreich) mehr Abfangjäger an die russische Grenze zu Estland, Lettland und Litauen schicken will, dürfte ein Beschluss des Bündnisses zu mehr demonstrativer Solidarität mit den osteuropäischen NATO-Ländern näher rücken. Und damit auch die Frage, ob und wie sich die Bundeswehr daran beteiligt. Auch wenn der polnische Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak in erster Linie die USA als Unterstützer im Blick hat: The US should increase its military presence in Poland and in other Nato members in central and eastern Europe in light of the Ukraine crisis, the Polish defence minister, Tomasz Siemoniak, said on Saturday.
Spannender werden allerdings die Auswirkungen, die das langfristig auf die Orientierung der NATO wie der deutschen Verteidigungspolitik haben wird. Ukraine crisis prompts security rethink in Europe, titelt Associated Press, hat aber interessanterweise das größte europäische NATO-Mitglied und nicht ganz unwichtige europäische Land Deutschland dabei völlig ausgelassen…
Vielleicht, weil hierzulande nach wie vor Grundlage ist, dass für deutsches Engagement im multinationalen Rahmen – von der UN über die NATO bis zur EU – Einsätze in Krisenvorsorge und -management außerhalb des Bündnisgebietes die wahrscheinlichste Option sind. Wie im bislang letzten und nach wie vor gültigen Weißbuch von 2006:
Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus sind auf absehbare Zeit die wahrscheinlicheren Aufgaben. Sie sind strukturbestimmend und prägen maßgeblich Fähigkeiten, Führungssysteme, Verfügbarkeit und Ausrüstung der Bundeswehr.
Das findet sich so ähnlich auch in den bislang letzten Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahr 2011 wieder:
Die wahrscheinlicheren Aufgaben der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung bestimmen die Grundzüge der neuen Struktur der Bundeswehr. Die dafür verfügbaren Kräfte erfüllen im Wesentlichen auch die Anforderungen für die Landes- und Bündnisverteidigung sowie des Heimatschutzes der Bundeswehr.
Allerdings: Die apodiktische Aussage Die dafür verfügbaren Kräfte erfüllen im Wesentlichen auch die Anforderungen für die Landes- und Bündnisverteidigung ist eine, die noch der Überprüfung bedarf, wie es auch hier in den Kommentaren schon angeklungen ist. Vielleicht hängt es ja davon ab, wie die Anforderungen für die Landes- und Bündnisverteidigung definiert werden. Natürlich ist es zunächst eine politische Frage, auf die allerdings sofort die Frage folgt, welche Fähigkeiten dem politischen Willen zur Verfügung gestellt werden (können).
Da ist es schon fast ironisch, dass von Gegnern der Auslandseinsätze immer gefordert wird, den Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee zu stoppen und die deutschen Streitkräfte auf ihre originäre Aufgabe, also die Landes- und Bündnisverteidigung, zu begrenzen. Denn so wie sich die politische Debatte abzeichnet, dürfte eine Konzentration auf diese Aufgabe auch wieder umstritten sein, wenn es um die demonstrative Stärkung der Verteidigungsfähigkeit an der Ostgrenze der NATO geht.
Da wäre es doch vielleicht an der Zeit, nach fast acht Jahren wieder ein neues Weißbuch aufzulegen – und zu überlegen, ob es auch konsolidierte deutsche Ansicht ist, dass die Ukraine-Krise sich als game changer erwiesen hat, wie der NATO-Generalsekretär meint. Und die praktischen Folgen durchzubuchstabieren, einschließlich der Überlegungen, ob an den konzeptionellen Grundlagen der Neuausrichtung der Bundeswehr bis hin zu den praktischen Entscheidungen etwas geändert werden muss. Vielleicht ja nicht. Aber das sollte dann doch sauber durchbuchstabiert werden.
Nachtrag: Die NATO-Führungsspitze positioniert sich recht eindeutig: Nato’s top military commander says Russia has assembled a force large enough to run to Transnistria if it chooses to
Nachtrag 2: Wie schon mehrfach hat von der Leyen ihre Wochenend-Äußerungen in einem Printmedium mit nachgelegten Aussagen in einem Fernsehinterview präzisiert:
Mit Blick auf die faktische Annexion der Halbinsel durch Russland hat Bundesverteidigungsministerin von der Leyen betont, der Westen müsse klarmachen, dass „die NATO nicht nur auf dem Papier besteht“. Im Bericht aus Berlin sagte sie, das Bündnis müsse Präsenz zeigen und seinen östlichen Partnern wie den baltischen Staaten oder Polen versichern, „dass man füreinander da ist“. Zuletzt hatten die NATO-Staaten Polen und Rumänien eine aktivere Rolle der NATO in Osteuropa gefordert. (…)
Man müsse deutlich machen, dass nicht einfach das Recht des Stärkeren, dass Putin eingesetzte hat, gelte. Das entscheidende Mittel zur Lösung von internationalen Konflikten sei die Diplomatie auf Grundlage des Völkerrechts.
Alle Aussagen der Ministerin am Wochenende hier zusammengefasst zur Dokumentation.
(Ich gebe zu: dieser Eintrag ist auch ein wenig der Versuch, die etwas zerfasende Debatte zu diesem Thema wieder zu bündeln.)
(Foto: ADAZI, Latvia — Soldiers from the Pennsylvania Army National Guard work together with soldiers from Lithuania’s Grand Duchess Birute Motorized Infantry Battalion during the movement to contact exercise lane at Sabert Strike June 4, 2013. Saber Strike 2013 is a U.S. Army Europe-led, multinational, tactical field training and command post exercise occurring in Lithuania, Latvia and Estonia June 3-14 – Lithuanian Ministry of Defense photo by Pvt. Vilius Dziavecka via U.S.Army Europe)
@axel_f:
Der ehemalige Minister Jung zeigt mal wieder besonders schön, dass er die militärischen Zusammenhänge nie intellektuell durchdrungen hat.
Wehrpflicht ohne strukturelle und materielle Hinterlegung (wie von seinem Vorgänger Struck 2003 entschieden und durch Jung (!) im Weißbuch bestätigt) ist reine Folklore.
Aber eben Unions-Folklore. Da wiederum kennt sich Herr Jung sehr gut aus.
Es wird geredet und Geredete und dennoch geschieht nichts
Man hört das dumme Geschwätz das Russland sehr schlecht geht das die jetzt aus dem G 8 sind
In den 50er hieß auch mal das werden die nicht überstanden und das ging dann bis 1990 bis der Zusammenbruch kam.
Aber es gab 5 x das es wegen Missdeutungen zu einem Krieg kam und mit Glück kam das vorher heraus, das nie was geschah und das war am Ende nur noch eine Fingerbreite.
Aber das wir jetzt auch aufrüsten was die Russen und China seit über 10 Jahre tut nein das bringen unsere Politiker nicht zu Stande
Nein man greift Frau v.L an, aber jeder Real denke weis daraus kommen wir nicht den Ostukraine ist schon, dann gibt im NATO Bereich auch „ Unterdrückte Rußen „aber wir haben weiter Fahrzeuge die nicht auf die Straße fahren können , und die Presse greift jeden an der das sagt
Focus wurde Herr Peter Schöll-Latour angegriffen er wär Russland freundlich , weil er sagte Das die recht hatte als sie sagte „ Fak Europa „ nein er hat das anderes gemeint weil EU nicht Handelt das man auf die EU ja nicht mal verlassen kann
Und das Europa nicht nur Russland sondern das ein große Gefahr auch Nordafrika ist wo die Islamisten immer Mächtiger werden, und das kann Europa nicht so hinnehmen weil sonst schabt das in 10 Jahre auf Europa über
@Memoria
Struck hat 2003 nicht nur die materielle und strukturelle Hinterlegung gekappt sondern auch die personelle. Ab Dezember 2004 waren mit Wegfall von T3 quasi nur noch 25% eines Jahrgangs (m+w) „wehrfähig“.
Ein Einwurf von meiner Seite:
•Ökonomische Implikationen
Um es gleich zu sagen, niemand (weder Russland noch China) wird das europäische Kernland mit klassischen militärischen Mitteln angreifen. Die Globalisierung hat zu einer gegenseitigen Abhängigkeit geführt, die klassische Kriege zwischen entwickelten Nationen fast ausschließen.
Szenario 1: Russland rückt auf das europäisches Kernland vor – Fast augenblicklich kommt dadurch der Handel zum erliegen (schließlich flüchten die europäischen Bürger oder werden gerade eingezogen). Banken zahlen keine Kredite mehr an russische Unternehmen, Gaslieferungen an Europa werden nicht mehr bezahlt usw… Man muss kein Wirtschaftsexperte sein um erahnen zu können, dass keine Industrienation dieser Welt so etwas auch nur wenige Tage durchhalten kann. Die involvierten Volkswirtschaften besitzen ein so gigantisches Volumen, dass eine Invasion den sofortigen Kollaps des Finanzsystems nach sich ziehen würde. Weder Europa noch Russland, China oder die USA können so etwas verkraften. Es tut mir leid die Kalten Krieger enttäuschen zu müssen, aber die russischen Panzerdivisionen kommen nicht mehr und bis die utopischen Wehrpflichtigen eingezogen sind, sind die heutigen Konflikte schon gelaufen (siehe Krim).
• Dynamik der Konflikte im 21 Jh.
Ich bin kein ausgebildeter Kriegstheoretiker. Aber ich denke der Blick auf die Konflikte der letzten 50 Jahre hat zwei Elemente verdeutlicht. Arme Länder, fanatische Gruppierungen etc.. haben gelernt sowohl gegen die russische als auch die westliche Kriegsmaschinerie zu kämpfen. Afghanistan, Vietnam und zahlreiche lokale und kleine Konflikte haben diesen Umstand verdeutlicht. Sowohl im Westen als auch in Russland hat man diese Asymmetrie noch nicht verstanden – man serviert sich selbst auf dem Silbertablett mit einem gigantischen footprint. Konflikte zwischen einigermaßen entwickelten Nationen bleiben lokal begrenzt (meist wird nur ein begrenztes Ziel mit militärischen Mitteln angestrebt) und sind durch das hohe Tempo bzw. den Überraschungseffekt gekennzeichnet (siehe Krim oder die Konflikte in Israel). Besonders die Konflikte in welche Israel in den vergangenen Dekaden involviert war, waren durch hohes Tempo bestimmt. “Gewonnen“ hat die Partei, welche den Überraschungseffekt auf die eigene Seite bringen konnte. Dabei war es fast unerheblich wie viele Soldaten oder Kriegsmaterial eine Seite theoretisch aufbringen könnte. Entscheidend sind die verfügbaren Kräfte in den ersten Stunden des Konflikts. Ich meine dieser Punkt gilt sowohl in asymmetrischen Konflikten (Einsatz von Spezialkräften) wie auch in symmetrischen Konflikten (Luftüberlegenheit, mechanisierte Brigaden).
•Kommunikation in der Krise
Wie meinte das Clausewitz als er sinngemäß sagte, der Krieg sei nichts weiter als die Fortsetzung der Politik nur mit anderen Mitteln? Bedeutet das nicht, dass ein potentieller Konflikt niemals die politische (diplomatische?) Dimension verliert? Selbst wenn man schon dabei ist sich die Köpfe einzuschlagen, so wird man trotzdem auf die eine oder andere Art miteinander kommunizieren. Daher stellt sich für mich die Lage folgenerdermaßen da: Die Krim ist verloren – egal ob es einem gefällt oder nicht, Putin hat Tatsachen geschaffen. Nun kommt es für den Westen darauf an, die roten Linien zu definieren/kommunizieren und auf der anderen Seite Putin einen Ausweg offen zu halten, bei dem Putin und der Westen das Gesicht wahren kann. Putin ist klug genug, uns (also den Westen) nicht an die Wand zu drängen und eine Situation zu provozieren die keiner mehr kontrollieren kann. Wir sollten Putin jedoch auch nicht an die Wand drängen. Putin hat seinen Zug gemacht, er wartet jetzt darauf, dass der Westen seinen Zug macht. Das Gegacker der letzten Tage hilft dabei absolut niemanden und zeigt nur, dass man mit diesem Spiel überfordert ist.