Bonner Landgericht: Keine Amtspflichtverletzung von Oberst Klein bei Kundus-Luftangriff

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Der ehemalige Bundeswehr-Kommandeur in Afghanistan, der damalige Oberst Georg Klein, hat mit seinem Befehl zum Luftangriff bei Kundus am 4. September 2009 seine Amtspflichten als militärischer Befehlshaber nicht verletzt. Mit dieser Begründung lehnte das Landgericht Bonn am (heutigen) Mittwoch die Klagen von Hinterbliebenen der bei dem Luftangriff Getöteten ab. Klein, der inzwischen zum Brigadegeneral befördert wurde, habe nicht schuldhaft gegen Normen des Völkerrechts zum Schutz der Zivilbevölkerung verstoßen, entschied die 1. Zivilkammer. Zuvor hatte bereits die Bundesanwaltschaft erklärt, dass sich der frühere Kommandeur bei der Entscheidung, zwei feststeckende entführte Tanklaster auf einer Sandbank im Kundus-Fluss zu bombardieren, im Rahmen des Völkerrechts bewegt habe, und deshalb strafrechtliche Ermittlungen abgelehnt.

Die Mitteilung des Bonner Gerichts im Wortlaut:

Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn hat in ihrem heute (Mittwoch, 11.12.2013) verkündeten Urteil die Klage von zwei afghanischen Zivilisten gegen die Bundesrepublik Deutschland abgewiesen. Diese hatten Schadensersatz für die von einem Oberst der Bundeswehr angeordnete Bombardierung von zwei Tanklastern in der Nähe von Kundus/Afghanistan am 04.09.2009 gefordert.
Die Kammer ist aufgrund der Beweisaufnahme vom 30.10.2013 überzeugt, dass dem damaligen Kommandeur des PRT Kundus („Provincial Reconstruction Team“) keine schuldhafte Verletzung seiner Amtspflichten (§ 839 Bürgerliches Gesetzbuch in Verbindung mit Artikel 34 Grundgesetz) vorzuwerfen ist. Mit seiner Anordnung zum Bombenabwurf habe er nicht schuldhaft gegen Normen des Völkerrechts zum Schutz der Zivilbevölkerung verstoßen.
Die Tanklaster habe er zu Recht als militärische Objekte identifiziert. Sie seien aufgrund des enthaltenen Treibstoffs für die Logistik der Taliban nützlich und für einen möglichen Anschlag geeignet gewesen.
Der deutsche Offizier habe auch die mögliche Anwesenheit von Zivilisten vor seiner Entscheidung ausreichend geprüft. Die ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen habe er genutzt. Ihm sei bei seiner Lagebeurteilung kein fahrlässiges fehlerhaftes Handeln vorzuwerfen. Von dem vor Ort befindlichen Informanten habe er bei insgesamt sieben Nachfragen die Mitteilung erhalten, dass keine Zivilisten vor Ort seien. Er musste auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden weiteren Informationen, inbesondere den Infrarot-Kameraaufnahmen der US-Kampfjets, nicht erkennen, dass dies unzutreffend war.
Nach Einschätzung der Kammer sei für den Kommandeur auf den am 30.10.2013 im Gericht vorgeführten Infrarot-Kameraaufnahmen nicht ersichtlich gewesen, dass sich eine größere Anzahl von Zivilisten bei den entführten Tanklastern aufhielt. Entgegen dem Klägervortrag sei auch für die Kammer anhand der Aufnahmen nicht zu erkennen, wie viele der nur als Punkte sichtbaren Personen bewaffnet waren. Es sei auch weder die Körpergröße noch das Alter der Personen festzustellen.
Auch aufgrund des Bewegungsmusters habe sich dem damaligen Oberst die Anwesenheit von Zivilisten nicht aufdrängen müssen. Die Kammer stützt sich bei ihrer Bewertung auch auf die Aussagen eines von ihr gehörten Sachverständigen für afghanische Landeskunde. Der gerichtliche Gutachter hatte mitgeteilt, dass zu den Taliban auch Personen zu zählen seien, die nur über eine geringfügige oder gar keine militärische Ausbildung verfügten. Die Kammer geht davon aus, dass von solchen Kämpfern keine Verhaltensweisen und Bewegungsmuster zu erwarten sind, die einer üblichen militärischen Ausbildung entsprechen. Der Sachverständige habe weiter angegeben, dass eine Taliban-Operation mit 60 oder mehr beteiligten Kämpfern als ungewöhnlich zu bezeichnen sei. Die Region sei damals aber als Hochburg der Taliban anzusehen gewesen.
Schließlich habe auch der Funkverkehr zwischen den US-Kampfjetpiloten und dem deutschen Fliegerleitoffizier den damaligen Oberst nicht zu einer anderen Bewertung veranlassen müssen. Die Piloten fragten zwar sinngemäß nach, ob es sich bei allen in der Nähe der Tanklastwagen befindlichen Personen um Aufständische handele. Der Mitteilung aus der Kommandozentrale, es lägen Informationen vor, dass nur Aufständische vor Ort seien, widersprachen sie aber nicht. Soweit die Piloten die Möglichkeit von Tiefflügen zur Vertreibung anwesender Personen („show of force“) aufzeigten, erfolgte dies ausdrücklich zur Darlegung  von Handlungsoptionen des militärischen Befehlshabers.
Gegen die heute verkündete Entscheidung können die Kläger innerhalb eines Monats ab Zustellung des schriftlichen Urteils Berufung einlegen. Das Rechtsmittel ist unmittelbar beim Oberlandesgericht Köln anzubringen. Die Pressestelle des Landgerichts erhält hiervon frühestens Kenntnis, wenn das Oberlandesgericht Köln die Verfahrensakten hier anfordert.
Das Urteil wird nach erfolgter Zustellung an die Parteien und einer Anonymisierung von Personendaten auf der Internetseite www.nrwe.de im Volltext kostenlos abrufbar sein.
Wegen der übrigen Darstellung der Parteien sowie der Prozessgeschichte verweise ich auf die Pressemitteilungen Nr. 1, 4, 6, 12 und 20/2013, die Sie auf der Internet-Seite des Landgerichts Bonn kostenlos einsehen können.

Damit ist (vorerst) das letzte juristische Vorgehen gegen Kleins damalige Entscheidung beendet. Ob es zu weiteren juristischen Schritten kommt, ist mir allerdings bislang noch nicht klar – gegen das Urteil ist ja Berufung möglich.

Nachtrag 1: Die Kläger haben Berufung angekündigt.

Nachtrag 2: Fürs Archiv: Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network zu der Bonner Entscheidung.

(Foto: Oberst Georg Klein im Sommer 2009 in Kundus – Screenshot aus einem Al Jazeera-Bericht)