Bonner Landgericht: Keine Amtspflichtverletzung von Oberst Klein bei Kundus-Luftangriff
Der ehemalige Bundeswehr-Kommandeur in Afghanistan, der damalige Oberst Georg Klein, hat mit seinem Befehl zum Luftangriff bei Kundus am 4. September 2009 seine Amtspflichten als militärischer Befehlshaber nicht verletzt. Mit dieser Begründung lehnte das Landgericht Bonn am (heutigen) Mittwoch die Klagen von Hinterbliebenen der bei dem Luftangriff Getöteten ab. Klein, der inzwischen zum Brigadegeneral befördert wurde, habe nicht schuldhaft gegen Normen des Völkerrechts zum Schutz der Zivilbevölkerung verstoßen, entschied die 1. Zivilkammer. Zuvor hatte bereits die Bundesanwaltschaft erklärt, dass sich der frühere Kommandeur bei der Entscheidung, zwei feststeckende entführte Tanklaster auf einer Sandbank im Kundus-Fluss zu bombardieren, im Rahmen des Völkerrechts bewegt habe, und deshalb strafrechtliche Ermittlungen abgelehnt.
Die Mitteilung des Bonner Gerichts im Wortlaut:
Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn hat in ihrem heute (Mittwoch, 11.12.2013) verkündeten Urteil die Klage von zwei afghanischen Zivilisten gegen die Bundesrepublik Deutschland abgewiesen. Diese hatten Schadensersatz für die von einem Oberst der Bundeswehr angeordnete Bombardierung von zwei Tanklastern in der Nähe von Kundus/Afghanistan am 04.09.2009 gefordert.
Die Kammer ist aufgrund der Beweisaufnahme vom 30.10.2013 überzeugt, dass dem damaligen Kommandeur des PRT Kundus („Provincial Reconstruction Team“) keine schuldhafte Verletzung seiner Amtspflichten (§ 839 Bürgerliches Gesetzbuch in Verbindung mit Artikel 34 Grundgesetz) vorzuwerfen ist. Mit seiner Anordnung zum Bombenabwurf habe er nicht schuldhaft gegen Normen des Völkerrechts zum Schutz der Zivilbevölkerung verstoßen.
Die Tanklaster habe er zu Recht als militärische Objekte identifiziert. Sie seien aufgrund des enthaltenen Treibstoffs für die Logistik der Taliban nützlich und für einen möglichen Anschlag geeignet gewesen.
Der deutsche Offizier habe auch die mögliche Anwesenheit von Zivilisten vor seiner Entscheidung ausreichend geprüft. Die ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen habe er genutzt. Ihm sei bei seiner Lagebeurteilung kein fahrlässiges fehlerhaftes Handeln vorzuwerfen. Von dem vor Ort befindlichen Informanten habe er bei insgesamt sieben Nachfragen die Mitteilung erhalten, dass keine Zivilisten vor Ort seien. Er musste auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden weiteren Informationen, inbesondere den Infrarot-Kameraaufnahmen der US-Kampfjets, nicht erkennen, dass dies unzutreffend war.
Nach Einschätzung der Kammer sei für den Kommandeur auf den am 30.10.2013 im Gericht vorgeführten Infrarot-Kameraaufnahmen nicht ersichtlich gewesen, dass sich eine größere Anzahl von Zivilisten bei den entführten Tanklastern aufhielt. Entgegen dem Klägervortrag sei auch für die Kammer anhand der Aufnahmen nicht zu erkennen, wie viele der nur als Punkte sichtbaren Personen bewaffnet waren. Es sei auch weder die Körpergröße noch das Alter der Personen festzustellen.
Auch aufgrund des Bewegungsmusters habe sich dem damaligen Oberst die Anwesenheit von Zivilisten nicht aufdrängen müssen. Die Kammer stützt sich bei ihrer Bewertung auch auf die Aussagen eines von ihr gehörten Sachverständigen für afghanische Landeskunde. Der gerichtliche Gutachter hatte mitgeteilt, dass zu den Taliban auch Personen zu zählen seien, die nur über eine geringfügige oder gar keine militärische Ausbildung verfügten. Die Kammer geht davon aus, dass von solchen Kämpfern keine Verhaltensweisen und Bewegungsmuster zu erwarten sind, die einer üblichen militärischen Ausbildung entsprechen. Der Sachverständige habe weiter angegeben, dass eine Taliban-Operation mit 60 oder mehr beteiligten Kämpfern als ungewöhnlich zu bezeichnen sei. Die Region sei damals aber als Hochburg der Taliban anzusehen gewesen.
Schließlich habe auch der Funkverkehr zwischen den US-Kampfjetpiloten und dem deutschen Fliegerleitoffizier den damaligen Oberst nicht zu einer anderen Bewertung veranlassen müssen. Die Piloten fragten zwar sinngemäß nach, ob es sich bei allen in der Nähe der Tanklastwagen befindlichen Personen um Aufständische handele. Der Mitteilung aus der Kommandozentrale, es lägen Informationen vor, dass nur Aufständische vor Ort seien, widersprachen sie aber nicht. Soweit die Piloten die Möglichkeit von Tiefflügen zur Vertreibung anwesender Personen („show of force“) aufzeigten, erfolgte dies ausdrücklich zur Darlegung von Handlungsoptionen des militärischen Befehlshabers.
Gegen die heute verkündete Entscheidung können die Kläger innerhalb eines Monats ab Zustellung des schriftlichen Urteils Berufung einlegen. Das Rechtsmittel ist unmittelbar beim Oberlandesgericht Köln anzubringen. Die Pressestelle des Landgerichts erhält hiervon frühestens Kenntnis, wenn das Oberlandesgericht Köln die Verfahrensakten hier anfordert.
Das Urteil wird nach erfolgter Zustellung an die Parteien und einer Anonymisierung von Personendaten auf der Internetseite www.nrwe.de im Volltext kostenlos abrufbar sein.
Wegen der übrigen Darstellung der Parteien sowie der Prozessgeschichte verweise ich auf die Pressemitteilungen Nr. 1, 4, 6, 12 und 20/2013, die Sie auf der Internet-Seite des Landgerichts Bonn kostenlos einsehen können.
Damit ist (vorerst) das letzte juristische Vorgehen gegen Kleins damalige Entscheidung beendet. Ob es zu weiteren juristischen Schritten kommt, ist mir allerdings bislang noch nicht klar – gegen das Urteil ist ja Berufung möglich.
Nachtrag 1: Die Kläger haben Berufung angekündigt.
Nachtrag 2: Fürs Archiv: Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network zu der Bonner Entscheidung.
(Foto: Oberst Georg Klein im Sommer 2009 in Kundus – Screenshot aus einem Al Jazeera-Bericht)
Mal vorausgeschickt: Ich denke auch, im Rahmen meiner zugegeben begrenzten Sachkenntnis, dass Oberst Klein kein straf- oder haftungsrechtlich substantieller Vorwurf gemacht werden kann. Unübersichtliche Lagen sind unübersichtliche Lagen.
Trotzdem stört mich der eine oder andere Post hier mit seiner nassforschen Art.
Zunächst einmal: Wir sind in Afghanistan im Kampfeinsatz, nicht MIT Afghanistan im Krieg. Der Staat hat uns nie angegriffen. Wir sind dort, wenn überhaupt mit einer völkerrechtlich relevanten Berechtigung – und es gibt Juristen, die das bezweifeln – auf Einladung der afghanischen Regierung, also zur Unterstützung. Somit gilt: Dass die Bevölkerung vor Ort einfach Pech gehabt hat, wenn sie den Bomben zu nahe kommt, und dass das im Krieg nun mal so ist, ist bei dieser Rechtgrundlage keine hinnehmbare Argumentation.
Nur: Die Tanklastwagengeschichte WAR eine Kampfsituation. Ein Infrarotbild gibt die Zahl der Personen an. Wer die sind, was die da machen – Fehlanzeige. Wie das Bonner Gericht schon sagte: Mit diesen Informationen sind Kollateralschäden nicht immer zu vermeiden.
In der Praxis läuft es so: Wenn die Bundeswehr schießt, gibt’s Ärger (Mörder). Wenn sie nicht schießt, auch (Weicheier). Das Problem wird sich wohl weder militärisch noch rechtlich jemals lösen lassen.
Der unglückselige Vorfall beweist m. E. deshalb einmal mehr, dass es den „sauberen Kampfeinsatz“, von dem Politiker und Journalisten immer gerne reden, und nach dem sie gerne schreien (ich denke an den Irakeinsatz, an den knapp vermiedenen Syrieneinsatz), trotz technischen Fortschritts nicht gibt. Man sollte sich die Vermeidung von Ziviltoten deshalb am Besten überlegen, bevor man die Bundeswehr irgendwohin schickt. Es ist nicht immer die beste Lösung, und schon gar nicht immer die einzige. Wo eine bewaffnete Truppe eingesetzt wird, wird es früher oder später immer Tote geben. Ein besseres politisches Konzept VOR dem Einsatzbeginn würde auch nicht schaden (wer ist dieses Land, was kann man da/will man da erreichen, wie lange kann ich/will ich bleiben, was stellt die „einladende“ Regierung sich wirklich als Ziel vor, was soll/kann mich das kosten etc.) Ich kann diese weitaufgerissenen, ahnungslosen Politiker- und Journalistenaugen nicht mehr sehen.
Daneben wird man aber den Hinterbliebenen der Toten das Klagerecht nicht verweigern können. Wer den Rechtsstaat in aller Welt verbreiten will, der wird ihn zunächst mal selber achten müssen. Öffentlich und sichtbar und notfalls auch gegen sich. Dass „der Amerikaner“, wie ein Poster hier sich äußerte, dies nicht tut, ist für Deutschland nicht maßgeblich. Das sollten schlechte Beispiele nie sein.
Und last but not least, auch wenn’s vielleicht zum Erbrechen ist für manchen: Der Gegensatz „Gutmensch“ vs. „Realist“ bringt mich auf die Palme. Bis ganz nach oben. Die Bundeswehrangehörigen riskieren ihr Leben unter dem Mandat von Grund- bzw. Menschenrechten. Ohne dieses Mandat hätten wir am Hindukusch endgültig nichts, aber auch gar nichts verloren, die Franzosen nichts in Mali und, und, und. Der Vermutungen, warum westliche Truppen wirklich in den Auslandseinsatz gehen, gibt’s unendlich viele, aber die offizielle Begründung ist dieses Mandat. Es verpflichtet. Die Truppe, den einzelnen Soldaten (so gut er eben kann unter den Umständen) und vor Allem unser ganzes Land. Deshalb kann es nicht angehen, einen Menschen, der das Leben der Afghanen achtet, und als ebenso vollumfänglich schützenswert betrachtet wie sein eigenes, als „unrealistisch“, sprich: naiv und ein bisschen dämlich, abzuqualifizieren. Wer als „Realist“ davon ausgeht dass die Bevölkerung vor Ort bestenfalls zweitrangig zählt, wenn überhaupt, der hat das Mandat nicht verstanden. Ansonsten machte dieses Mandat die gesamte UN, das Völkerrecht und die komplette Bundesregierung in toto zu dämlichen Gutmenschen. Der Realist ist dann nur noch jemand, der tötet, ohne hinzuschauen.
Das sollte – und wollte – die Bundeswehr aber nun gerade nicht sein. Deshalb sind diese rechtlichen Überprüfungen meines Erachtens dringend erforderlich. Jeder Polizist, der im Einsatz von der Schusswaffe Gebrauch macht, muss sich auch einer solchen Überprüfung stellen. Der „Grundsatz“: Der hat doch bloss seine Pflicht getan, was muss der sich rechtfertigen“ zieht nicht. Das ist nicht Gutmenschentum, das ist Ethik. Und Verfassungsrecht.
Vorab-Realismus bei Politik und Medien, wenn ein neuer Einsatz diskutiert wird, wäre deshalb für mich in der beschriebenen Form eine feine Sache. Aber kaltschnäuziger Realismus im Einsatz nach dem Motto Right or Wrong My Country ist für mich einfach nur pervers.
@ Karsten
„widersprechen, dass das humanitäre Völkerrecht keine Regeln über den Umgang mit Kollateralschäden besitzt.“
Wobei es sich dabei um unverbindliche Empfehlungen handelt, wie ja in diesem Fall das Wörtchen „soll“ deutlich macht. Entsprechend wenig Bedeutung hat das vor Gericht (von der Schwammingkeit der Konzepte „sorgfältig“ und „verhältnismäßig“ im kriegerischen Kontext ganz abgesehen). Wurde vor einem internationalen Strafgerichtshof jemals ein Kriegsverbrechen nach Artikel 57 festgestellt?
Das ist dann eben der Punkt, an dem die ganze legalistische Argumentation ins Leere läuft. Dass „Die Anwendung von Gewalt hat sorgfältig und verhältnismäßig zu erfolgen“ ein moralischer und strategischer Imperativ ist braucht man glaub nicht ernsthaft diskutieren. Verbindlich nach internationalem Recht ist es aber eben nicht.
Selbst der deutlich knackigere Artikel 51 (Gezielte Gewalt gegen Zivilisten ist verboten), der sowohl eindeutiger und bindender formuliert ist, als auch sachlich wenigstens in besonders krassen Fällen nachweisbar ist, ist in seiner juristischen Durchsetzung von politischen Machtinteressen abhängig. Siehe Syrien.
Persönlich hab ich da immer so ein wenig den Eindruck, dass die auch hier in der Diskussion durchschimmernde „legalistische Perspektive“ gerne verwendet wird, um persönlich ein wenig Ordnung ins Chaos zu bringen, klare Grenzen zu haben, und vielleicht das Gefühl zu haben, dass es zumindest als Konzept soetwas wie einen „gerechten Rahmen“ gibt. Quasi der Gott-Ersatz der Sicherheitspolitik. ;)
In meinen Augen ist das eine Selbsttäuschung. Die Situation von Zivilisten in Konflikten ist schlimm. In der Realität sind Zivilisten ungeschützt, und haben eben von niemandem Schutz oder Gerechtigkeit zu erwarten.
Und wenn dann in den Nicht-Konfliktländern die rosarote Brille aufgesetzt wird, und man sich auf das Gefühl zurückzieht, dass ja zumindest theoretisch irgendwie alles halbwegs geregelt, dann schadet das den Menschen vor Ort letztlich sogar noch. Das Argumentations-Schema „Man muss ja nicht schützen, man kann die Täter ja nachher als Kriegsverbrecher verurteilen“ ist ja sogar schon in den Diskussionen auf Augengeradeaus aufgetaucht.
@ xyz
„Das spricht nicht unbedingt für die Realitätsnähe der ROE.“
Mal ernsthaft: Lehnen sie sich mit dieser Einschätzung nicht gerade arg weit aus dem Fenster? Nehmen sie es mir nicht übel, aber die Umsetzung des hinter diesen ROE stehende Gedankens hat immerhin im Irak zu einer deutlichen Wende geführt, und selbst in Helmand einige Regionen deutlich sicherer gemacht. Um es höflich auszudrücken: Im Vergleich dazu ist die Bundeswehr für ihre Afghanistan-ROEs zwar international bekannt, aber nicht berühmt.
Tatsächlich waren diese ROEs drauf ausgerichtet einen langwiergen Konflikt zu gewinnen. Das ist natürlich schon ein Unterschied zum damaligen „irgendwie durchs nächste Kontingent durchwursteln“-Mindset der Bundeswehr.
Vielleicht sollten sie einfach mal einen Blick auf die amerikanischen Verlustzahlen werfen. Die haben für die von Ihnen verteidigte strategielose Counterterrorism-Vorgehensweise im Irak einen massiven Blutzoll gezahlt. Und dann mit vielen glücklichen Umständen und einem Strategiewechsel doch noch die Wende hingekriegt. Was sich dann auch deutlich in der Abnahme der Gefallenen-Zahlen niederschlägt. Diese unter massivem Leidensdruck wiederentdeckten Lessons Learned nicht zu studieren und anzuwenden ist grob fahrlässig und kostet Menschenleben. Und da besitzen Sie noch die Dreistigkeit sich hier zum Soldaten-Schutzengel zu stilisieren und diese Lernresistenz mit einer dumpfen Zivilisten-gegen-Soldaten-Polemik zu verteidigen?
Ist Ihnen vielleicht schon die Idee gekommen, dass die ROEs genau deswegen so gefasst wurden, weil unterschiedslose Gewaltanwendung letztlich den Gegner stärkt? Dass die zügige Kampfschadensermittlung dazu dient dem Gegner leichte Siege im Meinungskampf zu verwehren?
Aber hey, so gingen halt die Bilder von verbrannten Kindern um die Welt, während auf der Bundeswehrseite noch was von „keine zivilen Verlusten“ stand.
Entsprechend hat sich auch laut eigener Aussage das Risiko für die deutschen Soldaten in der Schlammzone erhöht:
– Erstmaliger Ausruf einer von lokalen Geistlichen unterstützten Fatwa gegen die deutschen Soldaten
– Sorge um Luftunterstützung durch Verbündeten (denn die US-Piloten wurden disziplinarisch bestraft)
Und wir diskutieren hier mehr als vier Jahre später noch darüber, ob damals überhaupt ein Fehler gemacht wurde…
und in diesem Zusammenhang wiederhole ich meine Frage
Wie ist der Verstoss gegen die ROE unter Legitimitätsstandpunkt zu bewerten?
@JR
Ich hätte einige Einwürfe zu Ihren Entgegnungen.
Rolle des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH)
Ich halte die in diesem Blog schon mehrmals vorgebrachte Argumentation, dass wenn etwas durch den IStGH noch nicht geahndet wurde, es keine verbindlichen Reglungen in diesem Rechtsbereich gibt für falsch. Warum muss der IStGH immer als Lakmustest für die Existenz von rechtlichen Normen die den bewaffneten Konflikt regulieren herhalten?
Diese Logik ist in etwa so, als ob man behaupten würde, dass wenn ein Gericht eine Regel, die in einem Gesetz steht, noch nicht angewendet hat, diese Regel nicht verbindlich ist. Diese Logik ist weder im nationalen noch im internationalen Recht einschlägig.
Des Weiteren sollte man sich die Bedeutung des IStGH, sein Mandat und seine Funktion anschauen. Daraus wird deutlich, dass er nicht als Lakmustest dienen kann (und auch nicht soll). Der IStGH ist nur für die Bestrafung der *schwersten* Verstöße gegen internationales Strafrecht da. Auch soll er nur subsidär tätig werden. Das bedeutet er soll nur Handeln, wenn nationale Stellen nicht in der Lage oder unwillig sind, diese *schwersten* Verstöße zu ahnden. Und selbst dann hängt sein Tätig werden noch von vielen Faktoren ab (räumliche und persönliche Zuständigkeit, ggfs. Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat, Untersuchung einer Situation durch den Ankläger (Prosecutor) aus eigenem Antrieb, …). Der IStGH ist nur für einen Bruchteil der Verstöße gegen internationales Recht einschließlich humanitären Völkerrechts zuständig. (Ob er diese Funktionen gut ausfüllt ist eine andere Debatte).
Nachfolgend noch einige Ausführungen aus dem Statut des Int. Strafgerichtshofes, zur Untermauerung dieser Argumentation.
Präambel:
[…]
Affirming that the most serious crimes of concern to the international community as a whole must not go unpunished and that their effective prosecution must be ensured by taking measures at the national level and by enhancing international cooperation,
[…]
Recalling that it is the duty of every State to exercise its criminal jurisdiction over those responsible for international crimes,
[…]
Art 1 (Anmerkung: nur schwerwiegende Verbrechen die im Statut aufgeführt sind und nur subsidär)
[…] [The Court] shall have the power to exercise its jurisdiction over persons for the most serious crimes of international concern, as referred to in this Statute, and shall be complementary to national criminal jurisdictions. […]
Art 17 (Anmerkungen: Subsidiarität + Schwelle für schwere der Tat)
[…] The Court shall determine that a case is inadmissible where […] a) The case is being investigated or prosecuted by a State which has jurisdiction over it, unless the State is unwilling or unable genuinely to carry out the investigation or prosecution […] d) The case is not of sufficient gravity to justify further action by the Court.
Auch ist die Definition der “War Crimes” unter Art 8 selbst relevant. Diese fordet zum einen eine gewisse schwere der Tat und verweist auf einen Zusammenhang zu der Verbrechen als „part of a plan or policy or as part of a large-scale commission of such crimes“. Auch ist die Schwelle die für die Aburteilung von Kollateralschäden in IStGH Statut um einiges höher als im humanitären Völkerrecht. Es sind halt zwei Rechtsgebiete.
Zusammenfassend: Aus der Untätigkeit des IStGH läßt sich NICHT, die Unverbindlichkeit von rechtlichen Reglungen im humanitären VR ableiten. (Zugegeben die internationale Durchsetzung von Völkerrecht ist immer problematisch, da es oft an einer höheren durchsetzenden Instanz mangelt. Die Abwesenheit von (effektiven) internationalen Durchsetzungsmechanismen heißt aber nicht, dass die int. Regeln nicht verbindlich sind.
Zur Verbindlichkeit von Humanitären Völkerrecht
Ihre Ansicht, dass es sich bei humanitärem Völkerrecht und seinen Regeln zum Umgang mit Kollateralschäden um unverbindliche Empfehlungen handelt, ist schlicht falsch. Das Wort „soll“ ist in der Juristensprache zeigt in diesem Kontext keine Empfehlung, sondern eine Verpflichtung an. Ich gebe zu, dass die Worte sorgfältig und verhältnismäßig schwammig aussehen und dies auch teilweise sind, das heißt aber nicht, dass die Regeln unverbindlich sind. Solche qualifizierend Worte finden sie in allen Gesetzen, sie zeigen eine Abwägung von Positionen an, wenn es nicht nur eine schwarz-weiß Lösung gibt (sehr vereinfacht gesagt). Die Worte qualifizieren die Art der Prüfung, wie in jedem nationalen Gesetz auch (z.B. die Ausübung des deutschen Notwehrrechts muss verhältnismäßig sein (nicht auf einen Angreifer der KO am Boden liegt weiter eintreten), jedes Mal wenn der Staat in ihre Grundrechte eingreift, muss dieser Eingriff verhältnismäßig sein)
Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass „‘die Anwendung von Gewalt hat sorgfältig und verhältnismäßig zu erfolgen‘ ein moralischer und strategischer Imperativ“. Aber genau deswegen wurde er ja auch in rechtsverbindlich in int. Verträgen festgeschrieben. Er ist bindendes internationales Recht.
Im Gegensatz zu Ihnen halte ich in der Praxis Art 57 ZPI für relevanter. Er bestimmt das tägliche Arbeiten von unseren Truppen mehr. Die Regeln des hum. VR werden ja durch Ausbildung, ROE, etc. weiter nach unten gegeben und handhabbar gemacht.
Ich glaube worin wir beide übereinstimmen ist auch Ihre Aussage:
„Die Situation von Zivilisten in Konflikten ist schlimm. In der Realität sind Zivilisten ungeschützt, und haben eben von niemandem Schutz oder Gerechtigkeit zu erwarten.“
Nur sind unsere Schlussfolgerungen verschieden. Ich erkenne im Recht einen Versuch diesen Zustand etwas zu verbessern. Dabei erwarte ich nicht, dass es das Leiden beendet, aber es hilft an der einen oder anderen Stelle das Leiden zu lindern. Es ist der Versuch, dass was wir als grundsätzlich moralisch empfinden zu konservieren. Ich bin froh, dass die Frage „wie kann ich dem Gegner maximalen Schaden zufügen“ nicht die einzige im Raum ist. (Die Ihre komplette Ablehnung von Recht halte ich langfristig für falsch (korrigieren Sie mich bitte, wenn ich sie falsch verstanden haben)).
Ihr letzter Absatz an mich entspricht nicht meiner Meinung. Ich teile diese Auffassung („keine Sorge es gibt Regeln, wir verurteilen hinterher“) nicht. Ich bin auch gegen rosarote Brillen. Ich will dass an dieser Stelle aber nicht weiter ausführen. (Ich bin weder dafür rechtl. Regeln zu verkomplizieren, noch in jedes Abenteuer mit der Begründung wir schützen Menschenrechte zu springen.)
Ich glaube wir sind jetzt aber schon relativ weit von Thema des Posts weg.
@ThoDan
Wie meinen Sie das?
Ich wünsche ein schönes Wochenende
Karsten
@Karsten
Ich frage ob er gegen die ROE verstossen hat und wie das unter Legitimitätsstandpunkt zu bewerten ist?
Hatte Oberst Klein gute , legitime Gründe oder nicht, bzw. hatte er Grund davon auszugehen
sie zu haben o.ä.?
@ Karsten
Diese Logik ist in etwa so, als ob man behaupten würde, dass wenn ein Gericht eine Regel, die in einem Gesetz steht, noch nicht angewendet hat, diese Regel nicht verbindlich ist. Diese Logik ist weder im nationalen noch im internationalen Recht einschlägig.
Eine Richtlinie, die weder eingeklagt werden kann, noch durchgesetzt wird, ist eben kein Recht.
(Und in den USA gibt es ja ein paar sehr anschauliche Beispiele dazu, dass das sogar Gesetze betreffen kann. Aber auch deutlich Praxisnäher gibt es beispiele für die juristische Unverbindlichkeit von Gesetzen. So gibt es ja auch in Deutschland Straffreiheit für verbotene Tatbestände – etwa illegale Parteispenden oder Drogenbesitz in kleinen Mengen)
Und da ist der Internationale Strafgerichtshof ja auch nur eine Institution. Es gibt ja auch noch die UN-Kriegsverbrechertribunale, wie den Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Da finden sich auch einzelne Scharfschützenangriffe oder Mörserangriffe gegen Zivilisten in den Urteilen wieder (Artikel 51). Einen Mindest-Killcount gibt es also nicht. Trotzdem wäre mir keine Verurteilung aufgrund von Artikel 57 bekannt.
Insgesamt stimme ich Ihnen zu, dass eine schriftlich festgehaltene Willenserklärung besser ist als nichts. Auch das formt halt letztlich das gesellschaftliche Terrain. Aber es ist halt kein Recht, und man sollte sich halt wie gesagt keine Illusionen hinsichtlich der Strafbewehrtheit von mutwilligen Kollateralschäden machen.
@ ThoDan
Ich frage ob er gegen die ROE verstossen hat und wie das unter Legitimitätsstandpunkt zu bewerten ist?
– Der Luftschlag wurde bewußt mit einer Lüge erschlichen.
– Im Anschluss wurden die Regeln zum Melden besonderer Vorfälle und zu den Nachsorgemaßnahmen nicht eingehalten.
– Die ISAF-Untersuchungen zum Vorfall wurden behindert.
COMISAF hat daraufhin Oberst Kleins Ablösung gefordert; die Bundeswehr ist dem nicht nachgekommen.
Hatte Oberst Klein gute , legitime Gründe oder nicht, bzw. hatte er Grund davon auszugehen sie zu haben o.ä.?
Oberst Klein war damals in einer beschissenen Situation:
– Das von den Aufständischen kontrollierte Gebiet reichte bis auf 4km ans Feldlager Kunduz ran.
– Das Lager selbst ist zwar ein militärisches Feldlager, aber trotzdem verwundbar.
– ISAF hatte 2009 nicht genug Infanterie im RC Nord, um im Rahmen der bestehenden Strukturen daran etwas zu ändern. (Nur zum Vergleich: 2009 waren 4.500 ISAF-Soldaten im RC Nord, 2010 waren es dank den USA 13.000.)
– Und, vermutlich ausschlaggebend: Am Vortag wurden 4 deutsche Soldaten bei einem Angriff verwundet.
Und letzteres war glaub auch der springende Punkt: Endlich die Aufständischen treffen zu können.
Die Vernichtung der eh schon außer Gefecht gesetzten Tanklaster wäre auch ohne Tote möglich gewesen (etwa durch die von den Piloten mehrmals angefragte Show of Force). Auch hat die Bundeswehr weder davor noch danach hat man Tanklastbomben als Gefahrenquelle ernstgenommen (was sich auch am nicht vorhandenen Schutz der eigenen Tanklaster zeigt), noch hat man versucht anderwärtig die Aufständischen vom In-Besitz-Bringen eines Tanklasters abzuhalten. Davon ab liegt das Lager Kunduz auf einem Hochplateau, die Gefahr hätte also eher für afghanische Checkpoints bestanden (die aber gemeinhin von unauffälligeren IED-Trägern angesprengt werden).
Bleiben die Aufständischen als Ziel des Angriffs.
– Eine Rückgewinnung von durch die Aufständischen kontrolliertes Gebiet war dadurch nicht zu erwarten.
– Einschüchterung der Aufständischen (und deren Nachwuchs) nach dem Motto „Jedes Gewaltverbrechen wird bestraft, also lasst es sein“ genausowenig. Um es höflich auszudrücken: Das war bis dahin nicht die Bundeswehrlinie, und Pläne das zu ändern gab und gibt es auch nicht.
Bleibt halt der Eindruck eines in einem Klima aus Angst und Frust beschlossenen Vergeltungsschlags, der nicht in eine Strategie eingebunden war, bei dem der Schutz von Zivilisten hintenangestellt wurde, und die zum Schutz von Zivilisten und der ISAF-Gesamtstrategie erlassenen ROEs bewußt ignoriert wurden.
@ThoDan
Dazu müsste ich mir die ROE und die Sachlage selber näher anschauen. Das list gerade zeitlich, als auch von meinen Kompetenz nicht machbar. Man sollte jedoch kurz darauf hinweisen, dass legitim nicht (immer) legal heißt. Der erste Begriff ist eher moralischer und der zweite rechtlicher Natur .
J.R. hat haber schon eine sehr gute Zusammenfassung des Sachverhaltes geliefert, der ich mich anschließen würde. Ansonsten einfach mal nach den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses Klein googlen.
@J.R.
Sorry, ich habe gerade nicht die Zeit für eine ausführliche Antwort. Ich werde aber mal ein paar Fälle wegen Art. 57 ZPI raussuchen. Aber wie gesagt, die Abwesenheit eines internationalen Durchsetzungsmechanismus, heißt nicht, dass etwas nicht verbindlich ist. Es gibt ja auch nationale Durchsetzungsmechanismen.
Beispiel: UK Marine Sentenced to Imprisonment for Murder for POW (http://www.theguardian.com/uk-news/2013/dec/06/royal-marine-blackman-10-years-jail-taliban-murder)
Ihrem letzten Einwurf, dass „man sollte sich halt wie gesagt keine Illusionen hinsichtlich der Strafbewehrtheit von mutwilligen Kollateralschäden machen.“ kann ich auch teilweise zustimmen. Es ist schwierig diese Regeln durchzusetzen, aber es sind halt Regeln nichts destotrotz. Wie stark siech die einzelen Regeln durch int. und nationale Instrument (Straf-, Zivil-, Disziplinarrecht) durchsetzen lassen, ist jedoch unterschiedlich. Großbritannien (nicht seine Soldaten) wurde auch schon mehrmals vor dem EGMR belangt (z.B. Al-Skeini Fall).
— Nachtrag:
Unter Kapitel X finden sich einige Hinweise zur internationalen rechtlichen Durchsetzung der Reglungen. Ich suche aber nochmal weiter (gerade national wird es noch einiges geben).
http://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v2_rul_rule14
Karsten
@Karsten
deshalb fragte ich nach der Legitimität
nicht nach der Legalität.
Danke
@J.R.
Danke.