Piraterie vor Somalia: Follow the money
Mit der Entführung von gekaperten Handelsschiffen haben Piraten vor Somalia von 2005 bis 2012 um die 400 Millionen US-Dollar Lösegeld eingenommen – während die Weltwirtschaft durch Piraterie einen Schaden von jährlich 18 Milliarden US-Dollar durch zusätzliche Kosten zum Schutz vor den Seeräubern hinnehmen musste. Zu diesem Ergebnis kommt die Weltbank in dem aktuellen Bericht Pirate Trails, der zusammen mit der UN-Organisation für Drogen und organisierte Kriminalität (UNDOC) und Interpol erstellt wurde. Die gravierendsten Auswirkungen hatte (hat?) die Piraterie allerdings auf die Länder der Region, wo die Erlöse aus den Kaperungen für andere Formen der organisierten Kriminalität genutzt wurden – und nicht zuletzt für den (in etlichen Ländern legalen) Handel mit der Rauschdroge Khat.
Auch wenn die Piraterie am Horn von Afrika durch die Präsenz internationaler Marineeinheiten, Vorsorge der Reeder und bewaffnete Sicherheitsteams an Bord von Frachtern und Tankern eingedämmt werden konnte – die Auswirkungen, die das kriminelle Geschäft auf die Region hat, setzen sich an Land ungebrochen fort. Denn dort können die Hintermänner der maritimen Kriminalität weiterhin ungestört agieren: These criminal groups and their assets will continue to pose a threat to the stability and security of the Horn of Africa unless long-term structural solutions are implemented to impede their current freedom of movement, zitiert die Weltbank einen UNDOC-Mitarbeiter.
Mehr zu dem Bericht findet sich hier, der ganze Report zum Herunterladen hier. Was mich nach erster Durchsicht überrascht: Zu der immer wieder zu hörenden Vermutung, dass die eigentlichen Hintermänner nicht irgendwo in Afrika sitzen, sondern in den Finanzzentren wie London, findet sich in dieser Untersuchung nichts. Oder habe ich das übersehen?
(Foto: GULF OF ADEN, July 22, 2011 – A visit, board, search and seizure team assigned to the guided-missile cruiser USS Anzio (CG 68) investigates a suspected pirate skiff – U.S. Navy photo by Mass Communication Specialist 2nd Class Bryan Weyers via Flickr)
Beim Schutz der Seewege geht es um mehr als den finanziellen Aspekt. Es geht auch um Menschenleben und es geht um das Signal, dass der Westen keine Angriffe von organisierten Verbrechern auf Zivilisten hinnehmen kann und wird. Ob eine Destabilisierung der Region an Land ein Problem ist, wird eventuell noch international geklärt werden müssen.
Was muss da noch international geklärt werden? Ein Blick in die Geschichte dieser Region und Somalia im Speziellen hat das schon vor über 20 Jahren herausgefunden. Was sag ich, vor weit, weit mehr als nur 20 Jahren.
> Was muss da noch international geklärt werden?
Vorsicht, Leuten denen sowas klar ist, ohne dass ein hochdekorierter Verwaltungspartisane das bestätigt, die haben schnell mal eine Alufolie auf dem Kopf. Unsere Aufgabe ist schlicht und einfach: Wir haben dieses Wissen zu bestaunen.
Geklärt werden müsste ja nicht nur, ob die Situation ein Problem ist, sondern auch, ob und wenn ja wie man sich dem widmen kann bzw. möchte. Der Wunsch nach dem nächsten Einsatz, der Soldatenleben und Steuergelder kostet und nur temporäre Erfolge erzielt, ist derzeit politisch eben nicht sehr ausgeprägt.
Es muss und sollte auch nicht gleich auf ein militärisches Engagement europäischer Nationen bzw. Deutschlands hinauslaufen, um Somalias Probleme anzupacken. Heutzutage wird einfach zu sehr in Extremen gedacht, also „entweder“ sich isolierend zu Hause verkrümeln, „oder“ den Feind in einem ausgefeilten Blitzkrieg vernichten. Wie wäre es denn mit dem Mittelweg, d.h. der aktiven Unterstützung der AU bzw. insbesondere Kenia und Somaliland, hier mit Finanzmitteln, Unterstützung, Ausrüstung und Training vor Ort?
@ MK 20
Die EU unterstützt bereits seit 2010 die damalige SOM Übergangsregierung und nach der Wahl auch die SOM Zentral-Regierung bei der Ausbildung SOM Sicherheitskräfte. Mittlerweile hat sich das Engagement der EU von der reinen Ausbildung von Soldaten auf die Unterstützung der SOM Regierung beim Aufbau SOM Sicherheitsstrukturen verschoben. Nebenbei wird auch AMISOM finanziell unterstützt. DEU hat sich nach über 3 Jahren erfolgreicher Beteiligung an der EU-Mission zurückgezogen, bzw. zieht sich zur Zeit zurück. Da waren hat BT-Wahlen und Versuche der Koalitionsbildung wichtiger….
Die sog. „Regierungen“ in Puntland oder Somaliland direkt zu unterstützen halte ich persönlich für kontraproduktiv. Wichtiger ist es vielmehr, die Zentralregierung in ihrem politischen Prozess zu unterstützen, um aus dem Somalia, wie wir es in den westlichen Medien kennen, einen föderalen Staat zu machen, der selbst für seine innere Sicherheit sorgen kann. Damit hat sich dann auch gleichzeitig das Piraterieproblem gelöst. Das geschieht natürlich nicht in ein, zwei, drei Jahren….solange wird es wohl ATALANTA etc. noch geben müssen.
Im Übrigen sollte, wenn überhaupt ein Land welches sich an AMISOM beteiligt direkt unterstützt werden sollte, nicht Kenia, sondern Uganda oder Burundi sein. Kenia hat als direkter Nachbar Somalias zu viele und starke Eigeninteressen an einem bestimmten Zustand Somalias. Burundi und Uganda haben sicherlich auch ihre eigenen Interessen, aber können diese nicht unmittelbar in Somalia umsetzen, da sie kein direkter Nachbar sind.
Der springende Punkt bei der Frage nach den Hintermännern ist die Ladung: Sobald die von den Piraten selbst verwertet wird und nicht einfach unter das Lösegeld fällt, geht es nicht ohne entsprechenden Zugang zum Markt, den bei den infrage stehenden Größenordnungen (etwa ein ganzer Tanker mit Rohöl oder ein Bulker etwa mit Eisenerz oder Kohle) nur Handelshäuser/Banken bieten können, die als Player auf dem jeweiligen Markt zuhaus und etabliert sind. Solche Verkäufe kann nur ein Marktteilnehmer „unterbringen“, der ohnehin große Umsätze macht. Da fragt niemand nach, woher das Zeux kommt (. . . Bäume immer im Wald verstecken . . .). Die Lösegeldzahlung beim reinen Entführungsgeschäft (Lösegeld da, Geiseln kommen frei) lässt sich auch über die Volksbank Mogadischu abwickeln, das kriegen die Bank-Juristen schon hin.
Was die auffällige Nicht-Erwähnung dieses Problems angeht, dürfte der Wunsch eine Rolle gespielt haben, den Banken nicht noch mehr Schwierigkeiten zu machen. Schließlich erholen wir uns gerade erst von einer globalen Bankenkrise und die üblichen Verdächtigen haben ohnehin schon genug vor der Brust mit Libor-Manipulationen und den krummen Hypothekenverbriefungen. Wenn da noch ein paar Strafen wegen OK-Unterstützung dazu kommen, schieben die ersten Finanzleute schon wieder Panik – was derzeit wohl niemand in sane mind&body wünchen kann. Das Eis ist immer noch dünn.
@ Zivi a.D.:
Die Ladung verbleibt auf den Schiffen. An den SOM Liegeplätzen ist es grundsätzlich nicht möglich Massengüter umzuschlagen. Dies gilt für erst recht für Öl etc., aber selbst die Ladung von Containerschiffen, die theoretisch geplündert und auf dem heimischen Markt verkauft werden könnte, bleibt meist unangetastet (was aber auch daran liegt, dass viel Container schlicht unzugänglich sind…). Wenn überhaupt werden die Container aufgerissen und nach brauchbaren Material für den Eigengebrauch gesucht.
Zu den Banken: Durch das islamische dezentrale Finanzsystem ist es gar nicht so schwierig größere Geldmengen verschwinden zu lassen, ohne dass man sie nachverfolgen kann. Westliche Banken werden schlicht nicht gebraucht, um das Geld zu waschen, dass passiert quasi automatisch mit dem Einbringen und dem Verteilen des Geldes.
@wayres: Da haben wir möglicherweise unterschiedliche Informationen. Meinem Stand nach ist sowohl vor Nigeria als auch im Raum um die Malacca-Straße herum das Verwerten der Ladung nicht so ungewöhnlich. Vor allem in und um das nigerianische Ölgeschäft hat sich offenbar eine feste OK-Struktur entwickelt, die gestohlenes/abgezweigtes Rohöl in so großen Mengen und Losgrößen vermarktet, dass die CBN in ihren laufenden Berichten auf dieses Thema eingeht, weil es gesamtwirtschaftliche Relevanz hat. Zutritt zum Handel solcher Mengen an Rohöl (und anderer mehr oder weniger homogener Rohstoffe wie Erze, Kohl und was sonst so auf Bulkern rumgeschippert wird) haben nur etablierte Handelshäuser oder Handelsabteilungen von Banken. Und die Technik des Verschleierns ist diesem Markt seit den Embargos gegen Saddam Allgemeingut.
Einig sind wir uns sicher darin, dass es hier nicht um Eierdiebe geht, die einen einzelnen Container knacken um drei Farbfernseher zu stehlen, die dann auf dem Markt von Mogadischu vertickt werden.
Was es mit „islamischen Finanzsystem“ auf sich hat ist mir unklar, ich kenne lediglich Banken (zu einem großen Teil aber nicht nur aus dem islamischen Raum, auch die Briten sind hier sehr ehrgeizig), die spezifische, koran-kompatible Instrumente wie den Sukuk (und auf diesem Grundprinzip aufsetzende, komplexere Gebilde) benutzen. Allerdings gilt bei diesen wie bei allen anderen Bankgeschäft auch, dass sich Mittelherkunft und -verwendung unterscheiden und bei genügend qualifizierter Manpower und ausreichenden Zugriffsrechten auf die Dokumentation der Geschäfte auch nachverfolgen lassen. Da „verschwindet“ nichts. Schon allein weil die Einleger am Ende ihren Anteil sehen wollen – der nachvollziehbar darzustellen ist.
@ Zivi a.D.:
sry, ich habe mich unklar ausgedrückt: ich bezog mich allein auf die Piraterie in und um Somalia, bzgl. der anderen Regionen haben Sie völlig recht, dort ist die Verwertung ein deutlich lukrativeres Geschäft
zum islamischen Finanzsystem: das Hawala-Finanzsystem funktioniert faktisch ohne echte Banken und vor allem ohne Aufzeichnungen, dadurch ist ein nachvollziehen des Geldflusses im Ergebnis nicht möglich – vgl. Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hawala