Streit um den Patriot-Einsatz: Die Türkei sieht sich im Recht
Die Klagen der Bundeswehrsoldaten im Patriot-Einsatz in der Türkei, am Wochenende durch einen Bericht des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus bekanntgeworden, haben in Deutschland hohe Wellen geschlagen – aber offensichtlich auch in der Türkei. Der türkische Generalstab reagierte am (heutigen) Montag mit einer ausführlichen Erklärung, in der alle Vorwürfe zurückgewiesen wurden.
Die Faktensammlung des türkischen Militärs ist hier in der Google-Übersetzung ins Englische zu lesen (danke für die Leserhinweise darauf). Interessant ist, dass sich die türkische Seite in erster Linie auf die von deutschen Soldaten angeführten hygienischen Mängel bezieht und lapidar darauf verweist, dass die Deutschen doch selber für die Sauberkeit ihrer Toiletten zuständig seien. Auch die – nach deutscher Lesart: körperliche – Auseinandersetzung zwischen einem weiblichen Feldjäger-Feldwebel der Bundeswehr und einem türkischen General wird angesprochen – da habe sich die deutsche Seite falsch verhalten, und der deutsche Kommandeur habe sich entschuldigt.
Nun wird in diesen Fällen vermutlich aus politischen und diplomatischen Gründen nie wirklich klar werden, welche Seite im Recht ist. Weit schwerwiegender finde ich allerdings, dass die Türken bestimmte Vorwürfe gar nicht erst ansprechen – und das wird wohl einen Grund haben.
So fehlt in dem türkischen Statement jede Erwiderung auf den Vorwurf, deutschen Soldaten sei über 48 Stunden die dienstliche Fahrt von der Luftwaffenbasis Incirlik nach Kahramanmaras verwehrt worden – ebenso eine Stellungnahme zu dem Verbot, den Weg zwischen Hotel und Patriot-Stellung mit Bundeswehrfahrzeugen zurückzulegen. Es heißt lediglich, aus nicht-dienstlichen Gründen dürften die Deutschen das Kasernengelände nur in Zivil verlassen. Warum dann der deutsche Rechtsberater an der Fahrt gehindert wurde, wie im Bericht des Wehrbeauftragten angesprochen, bleibt offen.
Auch die Forderung des türkischen Zolls, die Feldpost bis hin zu Briefsendungen zu kontrollieren, wird in der Stellungnahme nicht erwähnt.
Unterdem Strich: Die Türken haben die deutschen Stellungnahmen dankbar aufgegriffen, die sich auf wie auch immer geartete kulturelle Differenzen beziehen, und weisen die entsprechenden Vorwürfe zurück. Die Klagen von deutscher Seite, die substantiell mögliche Verstöße gegen Bestimmungen des NATO-Truppenstatus auflisten, bleiben dagegen unerwähnt.
Der deutsche Kontigentführer, Oberst Marcus Ellermann, hat heute morgen in einem Interview mit dem MDR sehr diplomatisch versucht, dem ganzen die Spitze zu nehmen – aber doch durchblicken lassen, dass die Klagen nicht unberechtigt sind: http://www.mdr.de/mdr-info/audio486268.html
(Ich habe mal zusammengefasst, was zum Teil in den Kommentaren zum früheren Thread schon angesprochen wurde; die Kommentare werde ich weitgehend hier rüber ziehen.)
(Foto: Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei seinem Besuch in Kahramanmaras am 23. Februar – Bundeswehr/ Sebastian Reker via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)
Orientalischen Kulturen (dazu zählt auch die Türkei) sind öffentliche Entschuldigungen nun einmal fremd, denn diese gelten als demütigend. Deshalb fordert man im Idealfall Angehörige dieser Kulturen auch nicht durch öffentliche Kritik heraus, sondern klärt eventuelle Probleme abseits der Öffentlichkeit.
…und wir haben die abendländische-christliche Kultur des „Wange-Hinhaltens“ perfektioniert. Um den verblichenen Publizisten Johannes Gross zu zitieren: „Wir Deutsche sind das frommste Volk der Welt. Wir haben gar nicht genügend Wangen, die wir zum Streich hinhalten können.“
@Thomsen
Der Unterstützung der “ abendländisch-christlichen Kultur des Wange-Hinhaltens“ ist der von Ihnen zustimmend zitierte rechtsgerichtete Publizist Johannes Gross in der Tat unverdächtig.
Damit wäre dann sämtliche nachfolgende Diskussionen beendet und unser Erinnerungspensum aufgefüllt. Danke dafür.
Uuups Murhy schaut vorbei ???
ne, godwin
@ Heiko Kamann
Ich hatte erst jetzt ihren Nachtrag gelesen – danke für Ihre Ausführungen. Ich befürchte, sie würden heutzutage in der Tat öfters die Fassung verlieren. Weniger in dem von ihnen angeführten Metier, sondern eher in Bezug auf die XX. Kontingente in diversen Einsatzländern. Abstumpfung dürfte dieses Phänomen deutlich treffen, wobei es da wenigern von denen ausgeht, die regelmäßig „rausfahren,“ als von den vielzitierten Chairborne Rangern „drinnen“ – ohne jetzt Vorurteile oder ähnliches loszutreten. Aber wir schweifen wirklich ab.
Ebenfalls beste Grüße
Politik begqinnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit! TdM will von der Wirklichkeit in der Truppe nichts wissen!
@Schlammzone:
Mit der Bemwerkung über das Anspruchsdenke der Luftwaffen haben SIe sich hinreichend disqualifiziert ;) – ich könnte da auch Geschichten vom Anspruchsdenken gewisser Truppengattungen des Heeres wiedergeben, die aber auch allenfalls Momentaufnahmen und Einzelfallbetrachtungen wären… das ist so sinnfrei wie die Aussage in einer anderen Diskussion, die Objektschützer der Luftwaffe seinen keine Infanteristen.
@Kevreros: Top. Nagel, Kopf! Ich kannte Leute beim Heer, die trugen z.B. noch bis in die 80er allen Ernstes Ausgehuniformen mit dreiteiligem Kavallerie-Rückenschnitt, Wintermäntel mit sinnfreiem goldgelben Futter und hängten stets zum „von“ auch noch ihren Adelstitel raus, weil der auf dem Namensschild keinen Platz mehr hatte!
Nun haben wir die Verantwortlichen:
Die deutsche Militärbürokratie! BAIUD entfaltet seine Wirkung :-)
Der türkischen Gastgeber hat seit Anfang des Jahres in aller Eile neue Unterkünfte für die Deutschen renoviert, alles war am 22. Februar 2013 fertiggestellt, doch sind die Unterkünfte bis heute nicht bezogen! Die Truppe muss warten bis die deutsche Bürokraten grünes Licht gegeben. Die Türken müssen nun erkennen, dass deutsche Ämter alles verzögerten, sagt der Kdr: „Das ist schwer nachzuvollziehen“ – er verstehe die Verärgerung der Türken.
@Elahan:
Interessant. Hat der Kdr bzw. KtgtFhr die angeblich fehlende Abnahme durch das BAIUD auch beim Minister-Besuch angesprochen??
Oder war das ein Details, das bei der „Schokoladenseite“ störte??
Das Thema wird immer mehr zur Peinlichkeit für die militärische Führung vor Ort und zu Hause.
@Memoria, @Elahan: schwarz auf weiß, das Ganze wird zur Farce in deutscher Reinkultur, wie „DW“ berichtet:
Laut DW- Artikel „Türkei Deutsche Patriot-Soldaten um Haltung bemüht“, hat die Türkisch-Deutsche Toillettenkrise allen Ernstes das NATO-Hauptquartier in Brüssel erreicht!
U.a. steht in dem Artikel: „In Jeans und T-Shirt durch den Basar schlendern, Schmuck und Postkarten kaufen, das cremige Eis probieren, für das Kahramanmaras in der ganzen Türkei berühmt ist: Nur hin und wieder können deutsche Soldaten beim Patriot-Einsatz in Südostanatolien in ihrer Freizeit das Gastgeberland _e_r_k_u_n_d_e_n_. [… ]
Für jemanden wie [Oberst] Ellermann, der vor Ort die Dinge regeln soll, läuft die Debatte falsch: Die ganze Angelegenheit werde „deutlich zu hoch gehängt“. [… ]
Nachdem die Türken „mit Vollgas renoviert“ hätten, müssten sie nun zur Kenntnis nehmen, dass deutsche Vorschriften alles verzögerten, sagte Ellermann: „Das ist schwer nachzuvollziehen“, meinte der Kommandeur – er verstehe die Verärgerung der Türken.
Wenn das ein Inspekteur oder GI des „alten Schlages“ lesen oder hören würde, der würde „ausflippen“ und zwar angefangen beim Kdr des Einsatzkontingents, der offenbar den Minister nur mit „Schockolade“ fütterte, und endend beim IBUK, der dann nur kontraproduktive Sch…. (sorry) verzapft bzw.“Toilletten-Stellungnahmen“ von sich gibt!
@Vtg-Amtmann
Da die Deutsche Welle kein Verlegerprodukt ist, sondern staatsfinanzierter Rundfunk… kann sie hier auch problemlos verlinkt werden:
http://www.dw.de/deutsche-patriot-soldaten-um-haltung-bem%C3%BCht/a-16647656
Übrigens ist es bislang nur die Behauptung türkischer Medien, die Toilettenkrise habe das NATO-Hauptquartier erreicht… belegt ist das nicht.
Wenn die Aussagen so stimmen, dann stehen sie im Widerspruch zu den Aussagen von TdM, der behauptet hatte die Türken (!) würden Unterkùnfte derzeit noch herrichten.
Auch die Aussage zu dem Vorfall mit der Feldjägerin ist sehr interessant. Also doch keine Entschuldigung… Wieso läßt das BMVg die Stellungnahme des türkischen Generalstabs beinahe drei Tage unwidersprochen im Raum stehen und schickt dann ausgerechnet den Kontingentführer vor die Mikros? Seltsam.
@Memoria
TdM hat eben bislang keine Zeit gehabt :
http://www.musicians-place.de/harmonielehre.html
;-)
@T.Wiegold, @all: Völlig klar, dass das „NATO-Petzen“ den türkischen Medien entspringt und die müssten dies ja von den türkischen Militärs haben. Das entspricht aber m.M.n. genau dem, was die Türken hinter ihrer Anforderung der Patriot-Batterien und für die evt. Einsatzszenarien von ihren NATO-Verbündeten erwarten.
Und das ist nicht „Eisschlecken im Bazar“ in Kahramanmaras, oder “Urlaub in Incirlik oder Adana“, sondern das sind genau die möglichen Einsatzszenarien, wie von mir „unter dem Strich“ in http://augengeradeaus.net/2013/03/streit-um-den-patriot-einsatz-die-turkei-sieht-sich-im-recht/comment-page-2/#comment-56988 dargestellt.
Wir verteidigen weder am Hindukusch, noch in Südost-Anatolien Deutschland, sondern wir sind Mitglied einer Staaten und Völkergemeinschaft, die sich international für den Bestand, den Erhalt und die Durchsetzung von Demokratie und der Menschenrechte sowie für den Kampf gegen jeglichen Terrorismus einzusetzen hat!
Und genau das hat mit „Eisschlecken, Bazar, Toilettenzustand, alternativer Hotelunterkunft“ versus „echter Gefechtsbereitschaft unseres Patriot-Kontingents“ sehr wenig zu tun. Da muss man sich nicht wundern, dass der Türkische Generalstab – wenn auch über die Sauereien in Kahramanmaras mental und ethnisch arrogant abgehoben – über deutsch-türkische Sch….haus-Diskussionen sauer wird!
Oberst E. sagte selber in einem Interview inhaltlich, > dass es ihm am liebsten wäre, wenn kein einziger Schuss fallen würde Wenn es aber sein muss, sind wir bereit <
Ersteres trifft voll auf das „Bw-Kahramanmaras-Ferien-Camp“ zu. Letzteres, nämlich echte Gefechtsbereitschaft wage ich aber zu bezweifeln, da ein eventueller und absolut logischer gefechtsmäßiger Einsatz (und dies dann binnen Stunden) sowohl seitens unserer Regierung, als auch seitens der Truppe schlichtweg verdrängt wird und auch nicht gewährleitet ist. Will man denn nicht seitens unserer Militärs, unserer Regierung und unseres Parlaments kapieren, das wir im Falle einer Intervention in Syrien schon heute „mit von der Partie sind“, auch ohne Syrien zu betreten?
@VtgAmtmann
längere Phasen hoher effektiver Einsatzbereitschaft von AD-Systemen sind nur durchhaltbar wenn die human/social factors (besonders accomodatios&recreation) der „Bedienmannschaft“ stimmen…das ist Teil einer echten Full Operational Capability ….insofern sollte man nun den Ball wirklich flach halten und die versäumten Hausaufgaben in Berlin und Ankara nachholen
@Klabautermann: Sie haben absolut recht und da bin ich wieder bei Friaul bzw. bei der Durchsetzungsfähigkeit gegenüber „Gastgebern“. Wir hatten damals ziemlich schnell herausgefunden, dass einige unserer „herausragenden italienischen Kameraden“ in Masse spätestens Samstags morgens bis Sonntags abends zur „Recreation“ sich in militärische (Strand-) Hotels in die Region Jesolo – Caorle – Bibiano – Crado verzogen. Es bedurfte keines Ministers sondern nur eines einzigen Gesprächs mit dem Kdr in Udine, von wegen verlängerter Dienst- und Ruhezeiten unserer Piloten. Ganz plötzlich hatten die Italiener statt einer 5-Tage-Woche eine 6-Tage-Woche und unserer Piloten statt einer 7-Tage-Einsatzperiode ein solche von 6 Tagen und den 7ten Tag am Meer. Typisch deutsch meine ich damit (nur man muss sich durchsetzen wollen und können)!.
@Vtg-Amtman
Damals konnte aber auch nicht jeder Soldat sich, quasi in Echtzeit, über sein Smartphone mit dem Wehrbeauftragten verbinden lassen. Informationen und eben Mißinformationen werden rasend schnell verbreitet. Dazu noch Bild und Ton wenn es sein muss. Plötzlich ist der Kommandoführer nur noch damit beschäftigt irgendwelchen Gerüchten, im türkischen Fall, Gerüchen und Scheisshausparolen hinterher zu hetzen. Das macht wirklich einen enormen Unterschied zu handylosen Zeiten aus. Das Einsatzführungskommando, der Leitverband und die eigene Ehefrau hat einen 24h im Griff. Dann ist es auch nicht mehr weit bis Brüssel. Vor dieser Gemengelage wird dem Kommandoführer dann vorgeworfen, er hätte das nicht im Griff. In ihrem Fall mussten sie sich nur mit einem Kameraden unterhalten und nicht befürchten, dass die von ihnen beklagten Mißstände bereits bei Herrn Königshaus auf dem Tisch lagen.
Zuerst wurden den Syrischen Rebellen bzw. Terroristen die Alt Waffen von Gaddafi überlassen. Die Arabischen Staaten und die Türkei haben die auch kräftig mit Waffenlieferungen beglückt. Die Kroatischen Waffenläger scheint man auch schon kräftig leer gekauft zu haben. Jetzt wollen schon die Briten gepanzerte Wagen schicken. Da wollen unsere Militärs bestimmt nicht mitmachen.
Wenn man da so bewaffnet oder ausbildet, wird sicherlich nicht wirklich geprüft. Wenn man Waffen von den Arabern bekommen will, ist man der Super Gotteskrieger. Wenn man Waffen von den Westlichen Ausgebern bekommen will, ist man dann der weltliche Assad bekämpfer. Egal wie es ausgeht, der Westen hat dort eh schon verloren.
„(…) there are some differences in organizational cultures. The Turkish Armed Forces is being subjected to important changes. Yet, it is still possible to discern the historical Prussian influence on the military understanding of our Land Forces. It may be difficult for the German soldiers who are nowadays “citizens in uniforms” to grasp this conception of absolute discipline. (…)
Despite the difficulties, however, the German soldiers, like their grandfathers, will surely return to their countries with interesting memories and good experiences about a different culture. “
http://www.hurriyetdailynews.com/the-turkish-and-german-armies-and-natos-cooperation-culture.aspx?pageID=449&nID=42473&NewsCatID=419
Die Türken sind also die wahren Preußen und wir bloß noch „Staatsbürger in Uniform“. Mal wieder was gelernt.
1882 betraute Graf von Moltke, General Kähler mit dem Auftrag als militärischer Berater der Türkei zu dienen. 1882 war Staatsbürger in Uniform eher kein Begriff. Auch hat die Deutsche Militärmission im Osmanischen Reich Spuren hinterlassen!
Gerne kann man mal versuchen in einer US Liegenschaft andere Flaggen als die US Flagge zu hissen. Die Reaktion wird nicht weniger durchsetzungsstark sein.
Viel Wind um nichts! Der tätliche Angriff auf den Soldat (w) muss Folgen jedoch haben und auch da gibt es genügend Bsp aus der Zusammenarbeit mit den USA. Ich hatte die türkischen Soldaten immer als deutschfreundlich erlebt und Ausnahmen gibt es immer und überall!
@Elahan
In vielen DEU Kasernen in denen ausländische Soldaten stationiert sind oder auch nur Delegationen erwartet werden ist es üblich dass deren Nationalflagge neben der Deutschen gehisst wird.
„1882 war Staatsbürger in Uniform eher kein Begriff.“
1882 sollte aber nicht unbedingt als Maßstab für das Jahr 2013 dienen; zumal die Preußische Heeresreform die Prügelstrafe bereits 1809 abgeschafft hat.
@Elahan: Selbstverständlich hissen US-Truppen die deutsche Fahne an Standorten, in denen auch deutsche Soldaten stationiert sind.
„Auf Türkisch brüllte er „siktir git“, was sinngemäß „verpiss dich“ bedeutet. Dann packte der General zuerst die ganz rechts stehende Soldatin, Oberfeldwebel R., fest am Arm und stieß sie zur Seite. Danach gab er auch dem daneben stehenden Hauptmann einen kräftigen Stoß.“
s. Bild und Focus