Land hinter Panzerglas (5)

(Foto © Timo Vogt/randbild)

Der Fotograf Timo Vogt war in den vergangenen Jahren mehrfach mit der Bundeswehr in Afghanistan unterwegs. Im Oktober dieses Jahres erlebte er, wie sich die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte am Hindukusch auswirkt. Seine – notwendigerweise subjektive – Sicht der jüngsten Reportagereise hat er für Augen geradeaus! aufgeschrieben: Ein Blick fast nur noch durch das Panzerglas der geschützten Fahrzeuge, eine Truppe, die mental schon im Abzug zu sein scheint.

Hier der 5. und letzte Teil – zu Teil 1; Teil 2; Teil 3; Teil 4

Als die Sonne wieder aufgeht, fliege ich mit leeren Händen und mit Hilfe der US-Amerikaner zurück ins PRT Kundus, wo ich umsteige und mit nur zwei weiteren Passagieren in einer ansonsten leeren Transall nach MeS „verlegt“ werde.

Wer in MeS auf den Rückflug wartet. Kann die Dinge Revue passieren lassen. Zeit dazu ist genug vorhanden, um über den ISAF-Einsatz und die Medienarbeit der Bundeswehr nachzudenken. Einiges ist mir aufgefallen:

Den afghanischen Sicherheitskräften gegenüber herrscht vor allem an den unteren Enden der Befehlsketten oft offenes Misstrauen. Man scheint sich zivilisatorisch einfach überlegener zu fühlen. Und die Angst vor Insider-Attacken ist spürbar und führt zu einer zur Schau gestellten Ablehnung, unfähig auf die Leute zuzugehen, für die man hier offiziell angetreten ist. Beim Zusammentreffen auf der Straße lässt man sich die Namen der ANA-Kräfte geben und fotografiert sie mehr oder weniger unauffällig für die Armee-Dokumentation. Angst essen Seele auf.

Auch die ungestutzten, langen Vollbärte der deutschen Soldaten im Einsatz sind unterdessen seltener zu sehen und deutliche kürzer geworden. Man merkt, dieses inoffizielle Wiedererkennungszeichen derer, die „Draußen“ sind, wird hier kaum noch gebraucht, denn draußen wird kaum noch agiert. Und wenn, werden banale Aufträge ausgeführt, als müsste man die Soldaten wenigsten einmal die Woche von der Leine lassen, sonst würden sie verrückt in ihren verrammelten Feldlagern, OP`s oder DHQ´s. Kehrt man dann ein bei einer kurzen Versorgungsfahrt, klopfen sich die muskelbepacktesten Männer in einer Weise anerkennend auf die Schulter, als hätten sie alleine eine Kompanie Al-Kaida Kämpfer pulverisiert. Es sind Gesten, die nach elf Jahren Afghanistan beginnen Schal zu schmecken.

Es ist gerade ein Jahr her, dass es Kampftruppen draußen im „Indianerland“ gab, deren „Raumverantwortung“ die überwiegende Zeit tatsächlich auch im „Raum“ stattfand, auf Tuchfühlung mit den afghanischen Bewohnern eben dieses Raumes. Der Respekt den Afghanen gegenüber war einfach größer und auch im unteren Mannschaftsdienstgrad hatte man einen Blick dafür, warum die Verhältnisse in diesem Land so sind wie sie sind. Dass die Menschen sich das nicht alle so ausgesucht haben. Die Soldaten hinterfragten den Sinn des Ganzen und ihre Möglichkeiten im Einzelnen. Aufträge wurden souveräner und zielorientierter ausgeführt und man passte sich den Verhältnissen etwas mehr an. Führungskräfte machten sich noch die Mühe die Namen der gegnerischen Gruppen oder deren Führer korrekt auszusprechen und ihren Soldaten zu vermitteln, wo es heute nur noch heißt: “ihr wisst schon, der Typ mit dem unaussprechlichen Namen“. Man hatte noch „komplexe Lagen“ zu bewältigen und keine Zeit, den Journalisten zu bemuttern.

Die Soldaten ging raus und auf die Menschen zu, soweit das möglich war mit der Kanone in der Hand und im Kampfanzug steckend, das Gegenüber in ein leichtes Gewand gehüllt und zwei Köpfe kleiner. Den verbündeten Armeen wurde attestiert, vieles anders zu machen, aber man ließ nicht ständig raushängen, der coolste von allen zu sein. Denn man war sich bewusst, die eigene Coolness konnte von einer zur nächsten Sekunde dahin sein. Und viele hatten das bereits mehrfach selbst so erfahren. Und hinter vielen ihrer derben Witze versteckte sich ein Kern Wahrheit und Reflexion und nicht nur die mittlerweile an vielen Stellen Einzug gehaltene schlichte Lust, andere zum Fußabtreter für den Frust über die erzwungene Untätigkeit in Afghanistan zu machen. Doch wer kann noch erwarten, dass Soldaten ein fremdes Land und deren Einwohner ein bisschen verstehen lernen, wenn sie nicht mehr sehen, als den Ausblick vom Wachturm?

Vor einem Jahr wurde ich schon Tage vor der „Raumverantwortung“ in eine Einheit eingeführt, die ich eine Woche lang begleiten sollte und man lud mich zu ausgedehnten Lagebesprechungen und Befehlsausgaben ein. Man trank abends vor dem Ausritt im PRT ein Bier zusammen, tauschte sich aus und lernte sich ein wenig kennen. Draußen dann ließ man mich machen, weil man wusste, wenn was passiert, würde man das „Problem“ des sich frei bewegenden Fotografen schon irgendwie mitverarzten. Man hatte einen Auftrag und ausserdem einen Journalisten dabei, ganz einfach. Und man war sich bewusst, nicht alles vorauseilend regeln zu können. Schließlich war man im „Krieg“, den die Soldaten auch so benannten und nicht diese verklausulierte Phrase vom …, ja Sie wissen schon. Die Leute hatten Selbstbewusstein.

Heute hingegen trifft der Journalist auf einen Zug fünf Minuten vor Abfahrt. Man bekommt einen „Buddy“ zur Seite, der an einem klebt, um den Beobachter, sollte etwas passieren, mit Waffengewalt zu „beschützen“. Da läuft dann der Fotograf in Begleitung eines Hünen mit G36 zwischen den Panzerfahrzeugen draußen rum. Kontakt zur Bevölkerung gibt’s ohnehin kaum noch und wenn, wie bitte sähe das denn aus? Alle Seiten bleiben distanziert, denn in den drei Stunden draußen, meist im umherrumpelnden Fahrzeug sitzend, baut sich kein Vertrauensverhältnis auf. Und da draußen nichts mehr los ist, „komplexe Lagen“ so weit weg sind wie die Lebenswelt der Afghanen zu der der Deutschen, wird vorschriftsgemäß hölzern agiert, die Entscheidungen anderen überlassen. Die Berichterstattung kann also nur entsprechend sein.

„Nein, die Bundeswehr macht kein Embedding“, hört man oft. Richtig, denn hier dackelt der Journalist als Bittsteller nur hinterher, wenn es einem denn erlaubt wird. Warum das ärgerlich ist? Weil ich als Fotojournalist nur direkt über die Bundeswehr am Hindukusch berichten kann, wenn ich „eingebettet“ bin. Dieses Einbetten beginnt in Köln-Wahn am Flughafen und endet dort. Die Kosten einer solchen Journalistenreise trägt der Steuerzahler. Das ist für einen Fotojournalisten wirklich bequem, aber man bewegt sich damit auch immer auf dem wackligen Grad der Käuflichkeit.

Vor dem Abendessen mache ich eine Runde an der Außenmauer des Camp Marmal entlang. Ich komme an einem Parkareal der US-Army vorbei. Hier reihen sich viele Dutzend geparkter Panzerwagen auf. Unter jedem steht eine große schwarze Schüssel. Eindeutig, Amerika hat ein massives Ölproblem. Nach über einer Stunde strammen Schrittes vorbei an Werkstätten, Unterkünften und Fuhrparken, bin ich an der Kantine angekommen. Doch das war nur das Camp Marmal. Auf das Airfield habe ich natürlich keinen Fuß gesetzt und auch nicht auf das Gelände nebenan. Da bauen die USA weiter bis zur untergehenden Sonne auf einem Hügel Richtung Mazar-E-Sharif. Auch im PRT-Kunduz haben die Dänen zum bestehenden Camp noch weitere rund 70% der ursprünglichen Campgröße angebaut. Die Heerlager in Afghanistan wachsen in die Fläche und nehmen fantastische Ausmaße an. Wer glaubt, man würde Afghanistan verlassen, sitzt einem Bluff auf. Man richtet sich ein und ich gewinne den Eindruck, hier wird ein Land auf eine Rolle vergleichbar der Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg in einer mittlerweile anderes geordneten Welt vorbereitet. Man scheint sich auf Jahrzehnte massiver militärischer Präsenz in Asien einzurichten. Ein neuer Frontstaat in zukünftigen Zusammenstößen, die offensichtlich jetzt schon kalkuliert werden. Afghanistan als logistische Drehscheibe, als Kampfdrohnen-Stützpunkt, als Ersatz für das medizinische Zentrum in Ramstein vielleicht, wenn die Verwundeten von noch weiter her aus dem Osten herangeflogen werden müssen? Man hat am Hindukusch auf jedem Fall noch weitere Pläne, als nur den Afghanen die Demokratie zu bringen…

Als ich am nächsten morgen auf meinen so genannten „Out“-Flug warte lese ich mich durch die schriftlichen Kommentare, die Karrikaturen und Obzönitäten an einer Klotür am Abflugterminal. Wahrlich ein Querschnitt durch die Gesellschaften verschiedener Länder. Mittig, in Augenhöhe nicht zu übersehen steht in schwarzem Edding: „Don’t forget to go home“.

Timo Vogt ist freier Fotojournalist und beschäftigt sich überwiegend mit Konfliktthemen. In den letzten Jahren hat er unruhige Regionen im Kaukasus, dem Nahen und Mittleren Osten bereist. Zuletzt war er im syrischen Bürgerkrieg unterwegs. In Afghanistan hat er die Bundeswehr seit 2010 drei Mal begleitet. Auf seiner aktuellen Reise an den Hindukusch hat er für Augen geradeaus! zum Stift gegriffen.
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