Land hinter Panzerglas (5)
(Foto © Timo Vogt/randbild)
Der Fotograf Timo Vogt war in den vergangenen Jahren mehrfach mit der Bundeswehr in Afghanistan unterwegs. Im Oktober dieses Jahres erlebte er, wie sich die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte am Hindukusch auswirkt. Seine – notwendigerweise subjektive – Sicht der jüngsten Reportagereise hat er für Augen geradeaus! aufgeschrieben: Ein Blick fast nur noch durch das Panzerglas der geschützten Fahrzeuge, eine Truppe, die mental schon im Abzug zu sein scheint.
Hier der 5. und letzte Teil – zu Teil 1; Teil 2; Teil 3; Teil 4
Als die Sonne wieder aufgeht, fliege ich mit leeren Händen und mit Hilfe der US-Amerikaner zurück ins PRT Kundus, wo ich umsteige und mit nur zwei weiteren Passagieren in einer ansonsten leeren Transall nach MeS „verlegt“ werde.
Wer in MeS auf den Rückflug wartet. Kann die Dinge Revue passieren lassen. Zeit dazu ist genug vorhanden, um über den ISAF-Einsatz und die Medienarbeit der Bundeswehr nachzudenken. Einiges ist mir aufgefallen:
Den afghanischen Sicherheitskräften gegenüber herrscht vor allem an den unteren Enden der Befehlsketten oft offenes Misstrauen. Man scheint sich zivilisatorisch einfach überlegener zu fühlen. Und die Angst vor Insider-Attacken ist spürbar und führt zu einer zur Schau gestellten Ablehnung, unfähig auf die Leute zuzugehen, für die man hier offiziell angetreten ist. Beim Zusammentreffen auf der Straße lässt man sich die Namen der ANA-Kräfte geben und fotografiert sie mehr oder weniger unauffällig für die Armee-Dokumentation. Angst essen Seele auf.
Auch die ungestutzten, langen Vollbärte der deutschen Soldaten im Einsatz sind unterdessen seltener zu sehen und deutliche kürzer geworden. Man merkt, dieses inoffizielle Wiedererkennungszeichen derer, die „Draußen“ sind, wird hier kaum noch gebraucht, denn draußen wird kaum noch agiert. Und wenn, werden banale Aufträge ausgeführt, als müsste man die Soldaten wenigsten einmal die Woche von der Leine lassen, sonst würden sie verrückt in ihren verrammelten Feldlagern, OP`s oder DHQ´s. Kehrt man dann ein bei einer kurzen Versorgungsfahrt, klopfen sich die muskelbepacktesten Männer in einer Weise anerkennend auf die Schulter, als hätten sie alleine eine Kompanie Al-Kaida Kämpfer pulverisiert. Es sind Gesten, die nach elf Jahren Afghanistan beginnen Schal zu schmecken.
Es ist gerade ein Jahr her, dass es Kampftruppen draußen im „Indianerland“ gab, deren „Raumverantwortung“ die überwiegende Zeit tatsächlich auch im „Raum“ stattfand, auf Tuchfühlung mit den afghanischen Bewohnern eben dieses Raumes. Der Respekt den Afghanen gegenüber war einfach größer und auch im unteren Mannschaftsdienstgrad hatte man einen Blick dafür, warum die Verhältnisse in diesem Land so sind wie sie sind. Dass die Menschen sich das nicht alle so ausgesucht haben. Die Soldaten hinterfragten den Sinn des Ganzen und ihre Möglichkeiten im Einzelnen. Aufträge wurden souveräner und zielorientierter ausgeführt und man passte sich den Verhältnissen etwas mehr an. Führungskräfte machten sich noch die Mühe die Namen der gegnerischen Gruppen oder deren Führer korrekt auszusprechen und ihren Soldaten zu vermitteln, wo es heute nur noch heißt: “ihr wisst schon, der Typ mit dem unaussprechlichen Namen“. Man hatte noch „komplexe Lagen“ zu bewältigen und keine Zeit, den Journalisten zu bemuttern.
Die Soldaten ging raus und auf die Menschen zu, soweit das möglich war mit der Kanone in der Hand und im Kampfanzug steckend, das Gegenüber in ein leichtes Gewand gehüllt und zwei Köpfe kleiner. Den verbündeten Armeen wurde attestiert, vieles anders zu machen, aber man ließ nicht ständig raushängen, der coolste von allen zu sein. Denn man war sich bewusst, die eigene Coolness konnte von einer zur nächsten Sekunde dahin sein. Und viele hatten das bereits mehrfach selbst so erfahren. Und hinter vielen ihrer derben Witze versteckte sich ein Kern Wahrheit und Reflexion und nicht nur die mittlerweile an vielen Stellen Einzug gehaltene schlichte Lust, andere zum Fußabtreter für den Frust über die erzwungene Untätigkeit in Afghanistan zu machen. Doch wer kann noch erwarten, dass Soldaten ein fremdes Land und deren Einwohner ein bisschen verstehen lernen, wenn sie nicht mehr sehen, als den Ausblick vom Wachturm?
Vor einem Jahr wurde ich schon Tage vor der „Raumverantwortung“ in eine Einheit eingeführt, die ich eine Woche lang begleiten sollte und man lud mich zu ausgedehnten Lagebesprechungen und Befehlsausgaben ein. Man trank abends vor dem Ausritt im PRT ein Bier zusammen, tauschte sich aus und lernte sich ein wenig kennen. Draußen dann ließ man mich machen, weil man wusste, wenn was passiert, würde man das „Problem“ des sich frei bewegenden Fotografen schon irgendwie mitverarzten. Man hatte einen Auftrag und ausserdem einen Journalisten dabei, ganz einfach. Und man war sich bewusst, nicht alles vorauseilend regeln zu können. Schließlich war man im „Krieg“, den die Soldaten auch so benannten und nicht diese verklausulierte Phrase vom …, ja Sie wissen schon. Die Leute hatten Selbstbewusstein.
Heute hingegen trifft der Journalist auf einen Zug fünf Minuten vor Abfahrt. Man bekommt einen „Buddy“ zur Seite, der an einem klebt, um den Beobachter, sollte etwas passieren, mit Waffengewalt zu „beschützen“. Da läuft dann der Fotograf in Begleitung eines Hünen mit G36 zwischen den Panzerfahrzeugen draußen rum. Kontakt zur Bevölkerung gibt’s ohnehin kaum noch und wenn, wie bitte sähe das denn aus? Alle Seiten bleiben distanziert, denn in den drei Stunden draußen, meist im umherrumpelnden Fahrzeug sitzend, baut sich kein Vertrauensverhältnis auf. Und da draußen nichts mehr los ist, „komplexe Lagen“ so weit weg sind wie die Lebenswelt der Afghanen zu der der Deutschen, wird vorschriftsgemäß hölzern agiert, die Entscheidungen anderen überlassen. Die Berichterstattung kann also nur entsprechend sein.
„Nein, die Bundeswehr macht kein Embedding“, hört man oft. Richtig, denn hier dackelt der Journalist als Bittsteller nur hinterher, wenn es einem denn erlaubt wird. Warum das ärgerlich ist? Weil ich als Fotojournalist nur direkt über die Bundeswehr am Hindukusch berichten kann, wenn ich „eingebettet“ bin. Dieses Einbetten beginnt in Köln-Wahn am Flughafen und endet dort. Die Kosten einer solchen Journalistenreise trägt der Steuerzahler. Das ist für einen Fotojournalisten wirklich bequem, aber man bewegt sich damit auch immer auf dem wackligen Grad der Käuflichkeit.
Vor dem Abendessen mache ich eine Runde an der Außenmauer des Camp Marmal entlang. Ich komme an einem Parkareal der US-Army vorbei. Hier reihen sich viele Dutzend geparkter Panzerwagen auf. Unter jedem steht eine große schwarze Schüssel. Eindeutig, Amerika hat ein massives Ölproblem. Nach über einer Stunde strammen Schrittes vorbei an Werkstätten, Unterkünften und Fuhrparken, bin ich an der Kantine angekommen. Doch das war nur das Camp Marmal. Auf das Airfield habe ich natürlich keinen Fuß gesetzt und auch nicht auf das Gelände nebenan. Da bauen die USA weiter bis zur untergehenden Sonne auf einem Hügel Richtung Mazar-E-Sharif. Auch im PRT-Kunduz haben die Dänen zum bestehenden Camp noch weitere rund 70% der ursprünglichen Campgröße angebaut. Die Heerlager in Afghanistan wachsen in die Fläche und nehmen fantastische Ausmaße an. Wer glaubt, man würde Afghanistan verlassen, sitzt einem Bluff auf. Man richtet sich ein und ich gewinne den Eindruck, hier wird ein Land auf eine Rolle vergleichbar der Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg in einer mittlerweile anderes geordneten Welt vorbereitet. Man scheint sich auf Jahrzehnte massiver militärischer Präsenz in Asien einzurichten. Ein neuer Frontstaat in zukünftigen Zusammenstößen, die offensichtlich jetzt schon kalkuliert werden. Afghanistan als logistische Drehscheibe, als Kampfdrohnen-Stützpunkt, als Ersatz für das medizinische Zentrum in Ramstein vielleicht, wenn die Verwundeten von noch weiter her aus dem Osten herangeflogen werden müssen? Man hat am Hindukusch auf jedem Fall noch weitere Pläne, als nur den Afghanen die Demokratie zu bringen…
Als ich am nächsten morgen auf meinen so genannten „Out“-Flug warte lese ich mich durch die schriftlichen Kommentare, die Karrikaturen und Obzönitäten an einer Klotür am Abflugterminal. Wahrlich ein Querschnitt durch die Gesellschaften verschiedener Länder. Mittig, in Augenhöhe nicht zu übersehen steht in schwarzem Edding: „Don’t forget to go home“.
Timo Vogt ist freier Fotojournalist und beschäftigt sich überwiegend mit Konfliktthemen. In den letzten Jahren hat er unruhige Regionen im Kaukasus, dem Nahen und Mittleren Osten bereist. Zuletzt war er im syrischen Bürgerkrieg unterwegs. In Afghanistan hat er die Bundeswehr seit 2010 drei Mal begleitet. Auf seiner aktuellen Reise an den Hindukusch hat er für Augen geradeaus! zum Stift gegriffen.
www.randbild.photoshelter.com
Wirklich ein toller, wenn auch drastischer Bericht. Großer Respekt für den Mut, das auch so auszusprechen! Vermutlich die beste Reportage aus Afghanistan seit Jahren.
Erschreckend zu lesen, dass bei der Bundeswehr scheinbar so wenig läuft. Klar, auch das ist nur eine Einzelperspektive, trotzdem scheinen ja einige systemische Symptome immer wieder aufzutauchen. Auf der Basis eines solchen Berichts muss man die Frage nach Abzug eigentlich noch mal vollkommen von vorne diskutieren. Traurig.
„Auch im PRT-Kunduz haben die Dänen zum bestehenden Camp noch weitere rund 70% der ursprünglichen Campgröße angebaut.“
Habe ich etwas verpasst? Dänen sind in Kunduz?
@Commander
Danke für den Hinweis – habe ich beim Redigieren glatt übersehen….
In der Tat, ich vermute, dass der Autor die Niederländer meinte. Er ist im Moment schwer zu erreichen; ich versuche das mal zu klären.
Hm, also wenn man das so liest, ist es wirklich an der Zeit dort abzuziehen. Ich habe zwar grundsätzlich kein Problem mit diesem Einsatz, befürworte ihn auch, aber so klingt das wirklich nur nach Beschäftigungstherapie.
Die Bauvorhaben in Afghanistan wurden wahrscheinlich vor etwas längerer Zeit beschlossen, und keiner will die jetzt mehr absagen. Die Bw soll ja auch noch alte Bauprojekte fertigstellen.
Als Angehöriger einer vor einem Jahr Raum Kunduz agierenden Kampfkompanie machen mich diese Ausführungen echt wütend. Wofür haben wir dort alles riskiert, wenn nun offensichtlich niemand an all das anknüpft?! Das sollte man vor allem mal den Kräften, die 2010 in schweren Gefechten standen zu lesen geben; unfassbar!
[Technischer Hinweis: Es gibt hier schon einen Kommentator unter dem Namen ‚Markus‘, das könnte ggf. zu Verwirrung führen… T.W.]
Das war die dritte Reise des Autors nach Afganistan? Damit erklärt sich, neben den dazu beitragenden Umständen durch Bundeswehr e.V., die verbitterte Stimmung des Autors.
Bei seiner ersten Reise, war Afghanistan wahrscheinlich neu, die große Verwunderung, wie dieses Land sich wirklich darstellt, es gibt sogar Bäume, die Menschen sind gastfreundlich und interessiert, die Bundeswehr existiert und leistet Wiederaufbauhilfe… So wie das „deutsche“ Afghanistan vor 2009 war.
Dann war er wohl 2009/10 da und hatte die Kämpfe gesehen, die Soldaten hatten einen wirklichen Auftrag und die Politik hielt sich zurück; hier konnten deutsche Journalisten Geschichten einfangen und „Bedeutendes“ erleben und erzählen.
Mit diesen Erfahrungen und Erwartungen mit der Realität 2012 zu begegnen frustiert maßlos und zu der realen Enttäuschung dank Bundeswehr e.V. kommt die emotionale.
Ich denke, ich kann sehr gut nachempfinden, wie es Herrn Vogt dabei geht, denn aus soldatischer Sicht, habe ich es ähnlich erlebt und bei anderen beobachtet. Die Recht harrschen Worte, die er verliert, sind verzeihlich, aber sollten nicht dazu veranlassen, zu denken, die Draussies wären roh und ungehobelt (oder alle muskelbepackt, anderes Thema^^), sondern viele erleben es ähnlich wie er, nur länger und intensiver. Das wirkt sich auch auf die Stimmung und das Verhalten aus und natürlich beeinflussen die älteren Kader die Jüngeren. [Ein dazu passender Artikel gab es bereits 2001 in der Zeit, bei google einfach „Ich hatte noch nie so sehr das Gefühl, Steuergelder zu verschwenden“ eingeben]
Trotzdessen, ein leider realitstisches Bild vom deutschen Afghanistan, auch wenn ich seine Zukunftsprognose über die amerikanische Vorhaben (noch) nicht teilen kann.
@ Markus (d.J.)
auch auf die gefahr hin, die schlechte laune zu verstärken, es war auch wohl damals schon alles verloren. Die Aufgabe So ein ein Land umzukrempeln ist wohl heute von keiner westlichen Armee mehr zu stemmmen und gerade an Afghanistan beißen sich externe Kräfte seit jahrtausenden die Zähne aus.
um die jarhtausendwende gab es die weit verbreitete idee, dass man das system westlicher demokratischer Ordnung einfach so verpflanzen könnte (je nach Land auch mit zivilen mitteln). Da hat eine allgemeine ernüchterung eingesetzt. Afghanistan ist wohl der schlussstein dieser überlegungen.
schade um die leute, die zeit, das geld was dort verbrannt wurde.
Ich bin für diese Beitragsserie und die subjektive, ungeschminkte Darstellung sehr dankbar. Auch wenn es nicht erfreuen kann, dass das alles so fruchtlos, so trostlos und vor allem so erwartbar sinnlos aussieht. In der militärpolitisch typischen „ganzheitlichen Betrachtung“ kann man alles relativieren, schönreden, vernebeln. Das tun die laufend und zwar aus Selbstschutz. Denn wie soll selbst ein Etappenhengst (oder inzwischen auch eine Etappenstute) denn noch einen Rest an Selbstachtung behalten bei der stringenten Vorschriftenbefolgung, wenn sie diese Realität an sich heranlassen. Traurig, aber wahr. Vielleicht wäre es einfacher, polarisierend irgendwo Akteur, Aggressor, Handelnder zu sein. Aber das ist schwarz-weiß-Denken, welches so halt nicht mehr der realen Welt entspricht (wahrscheinlich auch nie gewesen ist, aber das ist egal).
Strategielosigkeit, Bedenkentragen, lächerliche Profilneurosen und eine riesige Menge Realitätsverweigerung haben uns an den Punkt gebracht, wo wir nun stehen. In diesem Einsatz, aber auch in anderen. Traurig, aber wahr.
Es liegt aber tdie teilweise an die Leitdivisionen u.Kommandeure während die 10 Panzerdivision u. die DSO mehr Rausgegangen sind wollte die folge Leitdivision schon weniger reskieren und jetzt die 13te will noch weniger reskieren und damls als die 13te schon mal unten war kam auf der Zeit Website ein interessanter Artikel und er hattte die Überschrift Ich hatte noch nie das Gefühl Steuergelder zu verschwenden.
Meine meinung es liegt immer an den Kommandeuren.
Ja lieber Autor auch die Soldaten vor Ort kämpfen täglich mit der Bürokratie und der eingeschränkten Motivation der entsprechenden Befehlsebenen etwas bewegen zu wollen. Aber bei uns geht es nicht um tolle Bilder sonder unter Umständen um unser Leben oder das unserer Kameraden.
Daher sind die Kommentare wie etwa „Angst fressen Seele auf“ vollkommen unangebracht und beleidigend! Vor allem weil sie sich direkt gegen die Soldaten richten.
Dass sich der Autor offensichtlich nicht nach seinen Wünschen bewegen konnte ist in allen Passagen des Berichtes zu erkennen. Dass sich allerdings dieser Frust in zum Teil abschätzigen Bemerkungen äussert halte ich für sehr unprofessionel.
Die einzelnen Soldaten/Einheiten die in diesen Berichten angesprochen worden sind, sind sicher nicht für die Gesamtsitution voll verantwortlich, in Zukunft aber werden Sie es so halten wie ich und werden einen weiten Bogen um alle Pressevertreter machen.
Indem der Autor sich auch über die Männer vor Ort ausgelassen hat , hat er seinen Kollegen der Presse keinen Gefallen getan .
Es ist glaube ich allen klar, dass die Übertragung der Sicherheitsverantwortung auf die Afghanen nur eine Abzugsstrategie ist, um diesen perspektivlosen Einsatz schnell und ohne große Verluste zu beenden.
Dies scheint die Vorgabe unserer Politik zu sein und ist für uns Soldaten eine eindeutige Handlungsanweisung.
Ob es bei der Errichtung solcher Basen an der Ostgrenze Chinas tatsächlich nur um die künftige Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte geht?
Im Hinblick auf das nahende Ende der ISAF-Mission und den Stand der Dinge in Afghanistan läuft die mediale Berichterstattung in Deutschland zunehmend darauf hinaus der Bundeswehr einen verlorenen Krieg zuzuschreiben. Den hat sie in dieser Mission aber nie geführt und es war auch nie der politische Auftrag dieses zu tun.
Die Grundannahmen des ISAF-Mandates waren das eine gewählte afghanische Regierung und afghanische Sicherheitskräfte zumindest im Kern existieren, und das diese den festen Willen haben die Staatsorgane zum Wohle der Bevölkerung weiter aufzubauen und Islamisten nicht wieder an die Macht kommen zu lassen. Zu den Grundannahmen gehört dabei auch, dass die afghanische Bevölkerung dazu bereit ist sich aktiv gegen die Rückkehr der Taliban einzusetzen.
Ansonsten macht eine „Assistance“-Mission keinen Sinn und das erteilte Mandat waere unpassend.
Der Auftrag der Bundeswehr war von Anfang an eine Unterstuetzungsleistung zu erbringen. Nach vielen Jahren Unterstützung darf man es jetzt wohl als Selbstverständlichkeit ansehen das die Afghanen nun alleine handeln. Der Bedarf das Bundeswehrsoldaten „Räume freikämpfen“ kann bei zutreffenden Grundannahmen eigentlich nicht entstehen.
Waren die Grundannahmen für den ISAF-Einsatz zutreffend, so hat die Bundeswehr im Grunde alles richtig gemacht und sogar deutlich mehr geleistet als gefordert. Für andere Sicherungsmaßnahmen als den Selbstschutz der Feldlager kann es dann heute keinen Bedarf mehr geben.
Waren die Annahmen unzutreffend, so muss man ausserhalb der Bundeswehr nach den Verantwortlichen suchen. Den Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan treu und tapfer gedient haben, ist in beiden Fällen nichts vorzuwerfen.
Der Bericht ist subjektiv, eine Momentaufnahme, ungeeignet für pauschale Urteile. Aber er verdient es zugleich, in einer Nachbereitung des mehr als zehnjährigen Afghanistaneinsatzes eingehend studiert zu werden. Die Bundeswehr ist gut beraten, Stimmen von außen – und seien sie noch so kritisch und unbequem – ernst zu nehmen. Oft hilft eine gewisse Distanz mit der entwaffnenden Frage „Was macht ihr da eigentlich?“, um das große Bild besser beurteilen zu können.
Aber zur Sache: Ich habe Verständnis dafür, wenn jetzt in der hochkritischen Phase zu Beginn der komplexen Abzugoperation die Risiken möglichst begrenzt werden. Es ging in diesem Engagement ja von Anfang an nie um „Sieg“. Die Verlegungen, die endgültige Übergabe an die afghanischen Sicherheitskräfte und die Schwerpunktverlagerung hin zu den zivilen Akteuren binden nun alle Kräfte. Operativ ist es eine Ablösung, und das ist bekanntermaßen besonders schwierig und gefährlich.
Eine durchgreifende Lageverbesserung im Kernauftrag lässt sich jetzt ohnehin nicht mehr erreichen. Der Zug ist abgefahren, und zwar nach meinem Eindruck bereits vor rund 5 Jahren. Es war die Zeit, als die deutschen Truppen im Norden (wo es bis etwa 2005 doch erstaunlich ruhig war, wir uns weitgehend frei und offen bewegten und alles taten, um ein Besatzerimage zu vermeiden) auf Geheiß der politischen Führung den Fehler machten, jegliches Risiko minimieren zu versuchen. Überspitzt gesagt: Nach jedem Anschlag verschanzte man sich hinter den vermeintlich sicheren Mauern der Camps, vermied direkten Kontakt mit den Afghanen, pflegte mit den geschützten Fahrzeugen auf den Landstraßen aus Sicherheitsgründen einen hochrabiaten Fahrstil, usw. – und vermittelte damit im Ergebnis nichts anderen als den Eindruck, Angst zu haben.
Angst zeigen (egal ob sie real ist oder nicht) ist aber in einem Land wie Afghanistan der Schlüssel zum Versagen. Kein Afghane wird sich nach den Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte des Bürgerkrieges auf die Seite eines Ängstlichen stellen. Wer will schon zu den Schwächeren zählen, wenn nach der Entscheidung wieder einmal abgerechnet wird? Und ohne die aktive Mithilfe der überwältigenden Mehrheit der Afghanen war und ist der Auftrag einer Unterstützung nun mal nicht zu erfüllen.
Von dieser (aus innenpolitischen Gründen) politisch verordneten Schwächephase haben sich die ISAF-Truppen im Norden nicht mehr richtig erholt. Und man kann durchaus vermuten (ohne es belegen zu können), dass die sicherheitsbetonte Strategie letztlich nicht weniger verlustreich war. Zumindest ist ihr Erfolg diskussionswürdig, was sich erst nach 2014 so richtig zeigen wird.
Übrigens ist das Foto von T. Vogt interessant: Was denkt sich wohl der Afghane hinter dem schwerbewaffneten, extrem geschützten, fast roboterähnlichen NATO-Hightech-Soldaten? Hat er Respekt? Nimmt er ihn ernst? Sieht er ihn als Freund? Oder denkt er sich: Das ist nicht meine Welt.
Ich weiß, man soll die Trolle nicht unnötig füttern. Die schon oft hier genannte augenfällige Dünnhäutigkeit irritiert mich etwas. Die Insider haben Zwietracht und Unsicherheit gesät. Es ist verständlich, dass man dem Gemeinen nicht mehr traut und Angst hat, dass man irgendwann doch hinterrücks angegriffen wird. Wenn diese Angst dazu führt, dass man die ANA-Leute fotografiert und sie damit zu mehr oder weniger Verdächtigen macht, dann ist an der Feststellung, dass die „Angst die Seele frisst“ doch nichts Schlimmes. Es ist nicht schmeichelnhaft und nicht gerade undirekt, aber auch kein Weltuntergang.
Derweil darf man nicht vergessen, dass Sven Vogt schon mehrfach in AFG war, die Kritik kommt entsprechend valide und reflektiert daher. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es unheimlich frustrierend ist, wenn man Pläne macht, sie vorher einreichen muss und wenn man dann angekommen ist, war alles vor lau. Im Vergleich zu vorher muss man bitten und betteln, um überhaupt was zu bekommen. Währenddessen fluppt es, wenn man die Amerikaner fragt. De facto stehen sie und Vogt auf einer Seite, sie sind beide Opfer einer Politik. Aber eigentlich haben meine Vorredner schon alles gesagt.
Ich finde es darüber hinaus komisch, dass man den Bericht nicht einfach so nehmen kann, wie er ist. Es hat keiner davon gesprochen, dass er eine Allgemeingültigkeit hat. Aber es ist einer von wenigen (Guten), die nicht nur von einander abschreiben. Deswegen ist er hier auch erschienen…
ich kann auch der behauptung nicht ganz folgen, dass der BW gerade der schwarze peter zugeschoben werden soll. hat da irgendwer hinweise zu artikeln in „leitmedien“ ?
@Orontes: Ostgrenze? Eher Westgrenze, oder?
@zog
Sie haben Recht. Zum Glück für alle Beteiligten mußte ich niemals Artilleriefeuer lenken.
Ein wirklich spannender Bericht, der es durchaus verdient hätte, in einer größeren Zeitung abgedruckt zu werden.