Land hinter Panzerglas (2)

(Foto © Timo Vogt/randbild)

Der Fotograf Timo Vogt war in den vergangenen Jahren mehrfach mit der Bundeswehr in Afghanistan unterwegs. Im Oktober dieses Jahres erlebte er, wie sich die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte am Hindukusch auswirkt. Seine – notwendigerweise subjektive – Sicht der jüngsten Reportagereise hat er für Augen geradeaus! aufgeschrieben: Ein Blick fast nur noch durch das Panzerglas der geschützten Fahrzeuge, eine Truppe, die mental schon im Abzug zu sein scheint.

Hier Teil 2 seines Berichts. Teil 1 ist hier, Teil 3; Teil 4

Die Luft ist voller Sandstaub, der sich als dünner Schmierfilm über die Lungenflügel legt. Ich fahre mit Soldaten des Operational Mentoring und Liaison Teams (OMLT) rüber ins Camp Pamir. Nach dem Mentoring beschäftigen sie sich nun mehr mit dem Advisory, wies es heißt. Sie treffen Führung und Fußvolk der Afghan National Army (ANA) für Gespräche mit Tipps und Empfehlungen sowie Lehreinheiten. Es wird viel Tee getrunken. Mir fällt gleich der riesige Fuhrpark der ANA auf. Geschützte Humvee-Jeeps, Pickups und jede Menge Trucks, gesponsert von den USA. Wer repariert und beschafft eigentlich Ersatzteile, wenn die Amerikaner mit ihrer Logistik dafür nicht mehr zur Verfügung stehen? „Schnipp“ ist auch schon ein erstes Stück Kühlschlauch aus dem Motorraum eines Humvees geschnitten. Der wird wohl andernorts dringender benötigt. Man sieht die Zeiten schon jetzt aufziehen, da 30 Fahrzeuge als Ersatzteile im Lager ausgeschlachtet rumstehen, um 10 andere mit funktionierenden Teilen zu versorgen. Wie auch anders sollte es gehen mit amerikanischer Technik in Afghanistan?

Später tingele ich mit meinem Pressefeldwebel durch diverse Büros, Zelte und Compounds im PRT, auf der Suche nach einem Thema für mich zum Fotografieren, denn meine vor Wochen beantragten Themen und die daraufhin geschriebenen Dienstpläne waren mit dem ersten Moment meiner Ankunft hinfällig. Da uns niemand im Voraus über etwas informiert, müssen wir selbst initiativ werden. Die früher übliche Teilnahme der PAO an den so genannten Ops-Board Treffen ist nicht mehr vorgesehen. Beim Ops-Board werden die Aktivitäten der kommenden Tage verkündet. So aber haben die Presseoffiziere den Überblick verloren über Aktivitäten der PRT.

Viele geöffnete Türen und geschüttelte Hände später treffen wir den Interkulturellen Berater (IEB). In einem zivilen Fahrzeug und einem Nahsicherer fährt er raus in die Dörfer und spricht mit den gut zu pflegenden und umsichtig zu behandelnden afghanischen Kontaktleuten. Diese Wissenden versucht er schnell und unauffällig zu treffen, ohne die Kavallerie im Schlepptau. Die würde nur Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Er hat wahrscheinlich den besten Einblick unter den Bundeswehrsoldaten in die Denke der Afghanen und die Vorgänge in der Provinz. Seine Erkenntnisse teilt er mit dem Oberst des PRT, damit dieser eine Grundlage für Entscheidungen hat. Für die Bundeswehr ein unerhört essentieller Job, doch auch hier soll nichts mehr riskiert werden. Wahrscheinlich wird der IEB jedoch schlicht kaum noch gebraucht, denn eine Armee hinter Lagermauern braucht keinen Draht zur Bevölkerung. So gähnt der einstmals volle Terminplan des IEB vor vielsagender Leere. War er einst alle zwei bis drei Tage unterwegs, sind es heute nur noch vier bis fünf Termine im Monat. Ausgleichend wird der IEB mittlerweile mehr dem Papierkrieg ausgesetzt.

Am nächsten morgen, die gestrige Sandwolke hat sich gelegt, stehe ich vor „Copland“, dem Compound der Polizei im PRT. Geplant ist die Fahrt ins angrenzende Police Training Center (PTC). Es ist ein Sprung aus dem Tor und um die Ecke, vielleicht 500 Meter weit. Doch die Ausbilder, die meisten sind deutsche Polizisten, dürfen heute weder raus noch rüber. Die Ausbildung der afghanischen Polizisten fällt heute aus. Der Grund: aus Kabul wird ein anonymer Anrufer gemeldet, der für die Zeit zwischen 10 und 14 Uhr einen Selbstmordattentäter ankündigt. Mit einem LKW voller Sprengstoff, der den Raum um das afghanische Camp Pamir zum Ziel habe. Man hat also wieder eine „veränderte Gefährdungslage“ und auch die Bundeswehr streicht was immer geht. Tausende Soldaten sind festgesetzt. Mehrere Black Hawk und Apache Hubschrauber winden sich in der Luft über den Camps und dem Airfield.

Ein anonymer Anrufer genügt, um die ISAF derart zu lähmen. Es heißt, vor ein, zwei Jahren passierte das erst bei vier bestätigten Quellen, nicht schon bei einer Unbestätigten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Und was lernen die afghanische Sicherheitskräfte dabei, die von der Polizei ausgebildet und von der Bundeswehr „advised“ werden? Sie sind es doch, die sich raus begeben sollen, sich den Aufständischen stellen und dabei sterben, während eine hochgerüstete Armee aus fernen Ländern mit tausenden Soldaten vor Ort sich nicht mal vor die Tür wagt, wenn nur das Telefon klingelt.
Zwei Wochen später wird in der Region übrigens ein Lastwagen aufgebracht, der einer Meldung zufolge sieben Tonnen unterschiedliche Materialien zum Bombenbau geladen hatte. Eine rollende IED war das aber nicht.

Direkt im Anschluss an mein kurzes Gespräch mit dem Oberst des PRT sammeln sich Pioniere am Ehrenhain, dem Ort, wo es noch vor einem Jahr nur so dröhnte, wenn sich die Einheiten in ihren gepanzerten Fahrzeugen zur Ausfahrt versammelten. Mittlerweile ist es auch dort ruhig geworden. Es ist nicht ganz einfach herauszufinden, wohin die Reise gehen soll und welche der Fahrzeuge dabei sein werden. Niemand scheint richtig informiert zu sein, bis wir endlich einen Kommandanten eines Tranportpanzers finden, der mir einen Lukenplatz bei einer Versorgungsfahrt ins DHQ (Distrikt Headquarters), das Polizeihauptquartier im Distrikt Chahar Dareh anbietet. Nichts besonderes, aber wenigstens eine Fahrt mit Aussicht. Ich hole meine Sachen, werde schnell in der Tactical Operation Cell (TOC) eingetragen. Alles klar. Ich laufe rasch zurück mit der Schutzweste und der Kamera und zum ersten mal komme ich in Afghanistan auf dieser Reise ins Schwitzen. Doch da baut sich der befehlshabende Hauptfeldwebel vor mir auf und trötet: „Sie sind erst morgen dran und überhaupt können sie ihrem Stabsfeldwebel sagen, dass kein Platz ist!“ Sprachs und drehte mir den Rücken zu. Man rumpelt also ohne mich los. Der Hauptfeldwebel hat sein kindisches Machtspielchen gegenüber seinem eigenen Zug und dem Stabsfeldwebel der Presseabteilung gewonnen.

Im vergangenen Jahr sammelten sich die Soldaten am Ehrenhain. Alle hatten längst eine Befehlsausgabe gehabt, kannten ihren Auftrag und die daran Beteiligten. Man war strukturiert. Und dann waren da noch die Zeiten, da hätte man sich über ein wenig Aufmerksamkeit oder wenigstens Abwechslung gefreut. Journalisten wurden bei Befehlsausgaben eingebunden und man hätte versucht alles denkbare möglich zu machen. Die Soldaten hatten das Bedürfnis sich mitzuteilen, hielt man sich doch für von der Welt vergessen. Noch 2011 war ich mit der Task Force tagelang in der Operation Orpheus in Nawabad unterwegs. Ich fragte damals die Soldaten, was denn wäre, würde ihnen etwas passieren. Einhellige und kompromisslose Meinung dazu war, ich solle „unbedingt Fotos machen, egal was ist. Damit man zu Hause wenigstens mal erfährt was hier los ist“. Mittlerweile undenkbar.

Ein weiteres von mir geplantes Thema im Vorfeld war es den Observation Point North (OP North) zu besuchen und dort möglichst viele Aktivitäten draußen zu fotografieren. Das „Drinnen“ in den Lagern interessiert nach vielen Berichten ohnehin niemanden mehr und die Frage bleibt: Was tun die deutschen Soldaten noch am Hindukusch?

Doch der Besuch im OP war mir kurz vor der Abreise nach Afghanistan abgesagt worden. Begründung: zu viele Journalisten vor Ort, keine Kapazität. Nach Rücksprache mit der PAO in MeS konnten wir, mein Presseoffizier in Kundus und ich, nun doch einen Aufenthalt im OP North einbuchen. Nicht der Rede wert, dass natürlich niemand etwas darüber sagen konnte, was dort überhaupt noch stattfindet. Das Ganze bekam ein Stabsfeldwebel der TOC mit und erklärte, dass der Stabsfeldwebel PIZ, also mein Begleiter, dafür eine Dienstreise beantragen müsste, denn das OP sei unter der Führung von MeS und nicht des PRT. Medienarbeit im Auslandseinsatz absurd.

Überhaupt ist die Struktur des PRT eine interessante Angelegenheit. Das Lager wird geführt von einem Oberst. Der ist für das Feldlager und die Sicherheit des Weges vom PRT zum Airfield zuständig. Also hat er die so genannte „Raumverantwortung“ für einen Abschnitt Straße von ein paar hundert Metern und für das Airfield.
Die Provincial Advisory Task Force (PATF) hat auch einen Oberst im PRT. Der ist zuständig für alle operativen Maßnahmen und die Schießbahn draußen in einem Wadi.
In der Praxis führt das im PRT zum allseits zu hörenden geflügelten Satz: „Ein Königreich, zwei Könige“. Nach Führung aus einer Hand hört sich das nicht an. Mitte November ging die Führung des PRT in die Hand des Auswärtigen Amtes über, wird also dann zivil geführt. Die militärische Struktur solle dafür nicht grundlegend geändert werden, hieß es.

Teil 3 folgt am 27. November.

Timo Vogt ist freier Fotojournalist und beschäftigt sich überwiegend mit Konfliktthemen. In den letzten Jahren hat er unruhige Regionen im Kaukasus, dem Nahen und Mittleren Osten bereist. Zuletzt war er im syrischen Bürgerkrieg unterwegs. In Afghanistan hat er die Bundeswehr seit 2010 drei Mal begleitet. Auf seiner aktuellen Reise an den Hindukusch hat er für Augen geradeaus! zum Stift gegriffen.
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