Land hinter Panzerglas (1)

(Foto © Timo Vogt/randbild)

Der Fotograf Timo Vogt war in den vergangenen Jahren mehrfach mit der Bundeswehr in Afghanistan unterwegs. Im Oktober dieses Jahres erlebte er, wie sich die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte am Hindukusch auswirkt. Seine – notwendigerweise subjektive – Sicht der jüngsten Reportagereise hat er für Augen geradeaus! aufgeschrieben: Ein Blick fast nur noch durch das Panzerglas der geschützten Fahrzeuge, eine Truppe, die mental schon im Abzug zu sein scheint.

(Vogts Text umfangreichen Text habe ich in 5 Teile aufgeteilt. Hier Teil 1; Teil 2; Teil 3, Teil 4)

Folgt man den Wegen des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch, ist der selbstgezimmerte und mit unzähligen Aufklebern ferner Armeeinheiten übersäte Uhrenturm des Strategischen Luftumschlagszentrums im usbekischen Termez die Pforte nach Afghanistan. Wer an diesem Turm vorbeigeht, steigt kurz darauf in eine Transall-Transportmaschine, die schon nach 20 Minuten Flug auf dem Airfield im Camp Marmal nahe Masar-i-Scharif in Afghanistan aufsetzt. Es ist das dritte Mal, dass ich in Termez zwischen überwiegend dienstreisenden Soldaten auf den Weiterflug warte.

Es ist Mitte Oktober und der Kontingentwechsel ist für dieses Jahr vollzogen. Nur noch wenige Uniformierte machen sich zur Zeit auf diesen Weg ins „Einsatzgebiet“. Darunter ein Oberstleutnant, der mir schon in Köln am militärischen Flughafen vor dem Abflug auffiel. Noch immer hält er seine Umhängetasche mit der Gasmaske sicher an der Hüfte, als müsste man in Termez selbst im Klocontainer jederzeit mit einem Giftgasangriff der Al-Kaida rechnen. Einige andere Männer scheinen Mechaniker zu sein jener Unternehmen, die der Bundeswehr Fahrzeuge verkaufen, die im Krieg am Hindukusch rollen. Wieder, wie schon die Jahre davor, fällt der Blick auf die zwei großen untereinander hängenden Ziffernblätter der Wanduhren am Ausgang. Keine zeigt eine Zeit an, die für Usbekistan, Afghanistan, ja nicht einmal für Deutschland gelten könnte. Es handelt sich eher um Annäherungswerte und seit Jahren scheint niemand diese Uhren zu stellen.

Es soll das letzte Mal sein, dass Uhren falsch gehen werden in den nächsten zwei Wochen. Ich bin mit der Armee unterwegs und da taktet alles nach der Uhr. Dennoch scheint eine neue Zeitrechnung angebrochen zu sein in Afghanistan – das wird mit jedem Meter klarer, den ich mich annähere an die Bundeswehr im elften Jahr am Hindukusch. Eine Zeitrechnung, in der die Uhren scheinbar ihrer Zeit voraus den Einsatz in eine Phase bringen, die vergessen lässt, es handele sich überhaupt noch um einen „Einsatz“, wie die offizielle Sprachregelung diesen „Krieg“ bezeichnet.

Weiterflug von Masar-i-Scharif nach Kundus. Ankunft am frühen Nachmittag. Die nur 600 Meter vom Flugfeld ins Provincial Reconstruction Team (PRT) Kundus werden in nagelneuen gepanzerten Containern auf ebenso gepanzerten Vierachsern absolviert. Einem Flug im Raumschiff zum Mond gleich sitzt man in bequemen Sesseln, die mit ihren Rundum-Kopfstützen an einen Zwitter aus Sportwagensitz und Rollstuhl für Schwerstgeschädigte erinnern. Bis zum vergangenen Jahr wurde diese kurze Strecke noch mit den Mungos gemacht, den kompakten, nach oben offenen Kübelwagen mit kleinen kugelig wirkenden Reifen. „Früher war die Fahrt lustiger“, sage ich enttäuscht zum uniformierten Steward dieses Spacemobils. „Dafür ist es jetzt aber auch sicherer“, erwidert der. Da hat er zweifelsfrei recht, doch es hat niemals einen Anschlag auf der Straße vor dem PRT gegeben. Wie auch, dieser Straßenabschnitt gehört zu den bestgesichertsten der ganzen Provinz. Welche Symbolkraft hat also dieser PS-starke Konvoi von drei Riesentrucks auf einer lächerlich kurzen und geschützten Wegstrecke? Aber eigentlich ist das auch egal, es sieht ja ohnehin niemand. Willkommen im Afghanistan der Bundeswehr.

Die politischen Vorgaben für den Kampfeinsatz in Afghanistan werden so schon in den ersten Momenten meiner Reise deutlich: Man will nichts mehr „riskieren“ in Afghanistan, zwei Jahre vor der zu diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit noch als „Abzug“ bezeichneten Kontingentverkleinerung sowie Umbenennung der Mission von ISAF auf ITAAM. Demnach werden wohl rund 30.000 Soldaten auch noch weit nach 2014 in Afghanistan stationiert sein. Doch will man auf keinen Fall mehr schlechte Nachrichten, erst recht kein deutsches Blut mehr für die Afghanen. So igelt man sich ein. Wie es schon im Camp Marmal in Masar-i-Scharif (im Bundeswehrsprech: MeS) hieß, „hier läuft nichts mehr“, heißt es auch im PRT Kunduz, „wir bleiben drin“ in den sicheren Camps. Man lässt sich allerorten wortgewaltig aus über das beruhigende Allheilmittel „Übergabe der Verantwortung an die Afghanen“. Soll heißen, die Afghanen machen das jetzt selbst, ohne die ISAF. Je höher die Ränge, desto mehr scheint von dieser Medizin konsumiert zu werden.

Wie dieser Rückzug in die geschützten Camps aussieht, kann ich sogleich beobachten: In der kommenden Nacht soll in den USA irgendein neues Schandvideo online gehen. Amerikanische Soldaten sollen – mal wieder- groben Unfug in einer Moschee in Kabul veranstaltet haben. Nichts Genaues ist bekannt, nur Gerüchte kursieren. Doch im von den Deutschen geführten Regional Command North (RC North) geht man vorsorglich schon mal in Deckung und streicht die ohnehin wenigen Aktivitäten ausserhalb der Mauern noch weiter zusammen. Der Rückmarsch von zahlreichen Kräften aus dem Feldlager Faisabad, das längst zivil „übergeben“ ist und aus dem die Bundeswehr noch die letzten verbliebende Kräfte nach Kunduz holen will, wird verschoben. Statt erst einmal die Reaktionen in Afghanistan auf das Video abzuwarten, verfällt man in der Führung offenbar vorsorglich in lähmende Schockstarre.

Im Vorfeld der Reise plante ich eine Reportage über die CH-53 Hubschrauber in Afghanistan zu fotografieren. Eine Woche vorher bekam ich von der Pressestelle (PIZ oder PAO) in MeS einen Stundenplan für die drei geplanten Tage gemailt. Bei genauerer Durchsicht wurde klar: die ersten eineinhalb Tage bestehen aus Fragestunden mit den verantwortlichen Crews und Einweisungen ins Fluggerät. Als Bonus darf ich mit den Rettungshubschraubern der „MedEvac“ auf Standby sein. Standby für Einsätze, die ohnehin von den schmerzfreieren US-MedEvac geflogen würden, sollte etwas passieren. Zudem ist mir klar, dass ein Fotograf bei den Deutschen nicht mitgenommen würde, gäbe es tatsächlich was zu berichten. Wer wollte schon einen verletzten deutschen Soldaten fotografiert sehen in der Armeeführung? Und was die Transportmaschinen angeht, die ohnehin mehr mein Thema sein sollten, so kann man mir in den drei Tagen genau einen Flug anbieten. Einen Flug, der aber höchstwahrscheinlich gestrichen werden dürfte, so viel zeichnete sich bereits ab. Es versprach also eine wahnsinnig spannende und fotogene Geschichte zu werden, die ich natürlich sogleich absagte.

In Kunduz wird mir klarer, was los ist. Die CHs stehen für einen längeren Zeitraum für die Task Force 47 bereit. Das deutsche Kommando Spezialkräfte (KSK), das hier unter dem Label „TF 47“ firmiert, ist also noch fleißig auf Böse-Buben Jagd in Afghanistan. Aber das ist ja alles so streng geheim, dass nur ein kleiner Kreis von Parlamentariern unter Geheimhaltung darüber nachträglich etwas erfahren darf. In Kunduz sieht man die Spezialkräfte der Bundeswehr immer wieder aus dem Tor fahren.

Da im PRT auf die Ankunft der Einheiten aus Faisabad gewartet wird und man deshalb kaum noch verfügbare Kräfte für Überraschendes im PRT zur Verfügung hat, will man entsprechend nichts Überraschendes riskieren und so passiert eben auch nichts Überraschendes. Es könnte eine ruhige Woche für mich werden, denn wann die Einheiten zurück sind, bleibt unklar.

Der Zeltcompound, in dem ich untergebracht werde, war letztes Jahr noch das pulsierende Herz des Ausbildungsschutzbataillons (ASB). Von rund 20 Zelten ist nun aber nur eins mit mir belegt. Die „Talibar“ ist verschlossen, die Lichter gelöscht, der dicke afghanische Lehmstaub hat sich über alles gelegt. Ruhige Nächte sind mir also garantiert. Es is so ruhig, dass ich nachts an den Ein- und Ausgängen des gegen Raketenangriffe mit den legendären Hescoe-Bags gesicherten Compounds Soldaten bis ins Mark erschrecke, biege ich plötzlich ohne Taschenlampe um die Ecke.

Teil 2

Timo Vogt ist freier Fotojournalist und beschäftigt sich überwiegend mit Konfliktthemen. In den letzten Jahren hat er unruhige Regionen im Kaukasus, dem Nahen und Mittleren Osten bereist. Zuletzt war er im syrischen Bürgerkrieg unterwegs. In Afghanistan hat er die Bundeswehr seit 2010 drei Mal begleitet. Auf seiner aktuellen Reise an den Hindukusch hat er für Augen geradeaus! zum Stift gegriffen.
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