Merkel in Afghanistan – steht das Abzugsdatum infrage?
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in Afghanistan, und ihre Aussagen dort sorgen schon nach wenigen Stunden international für Wirbel. Denn was sie bei diesem Truppenbesuch gesagt hat, wird so verstanden, dass die deutsche Regierungschefin am vereinbarten Abzug der Kampftruppen bis 2014 zweifelt:
BERLIN — Chancellor Angela Merkel called into question Monday Germany’s planned pullout from Afghanistan as she made a surprise trip to the war-torn country a day after a US soldier massacred 16 civilians.
The point has not yet been reached where Germany can say „we can pull out today,“ Merkel said as she visited troops stationed in Mazar-i-Sharif in the north of Afghanistan.
„And therefore, I can also not say that we will manage that by 2013/2014. The will is there, we want to do that and we are working towards that,“ she said, according to German news agency DPA.
berichtet zum Beispiel die französische Nachrichtenagentur AFP in ihrem internationalen englischen Dienst.
Nun ist – aus Platzgründen – nur die deutsche dpa dabei und stellt ihre Berichte einem Pool zur Verfügung, das heißt, bislang gibt es nur diese eine Quelle. Allerdings lässt sich das Zitierte in zwei Richtungen interpretieren – als die (immer wieder dazu genannte Binsenweisheit), dass der tatsächliche Abzug sicherlich auch von der Lage vor Ort abhängt. Oder als vorsichtiges Abrücken vom vereinbarten Abzugsdatum. Vielleicht gibt’s ja noch Klarheit, was die Kanzlerin nun wirklich sagen wollte.
CAMP MARMAL, Mazar-e Sharif, Balkh province, Afghanistan – German Chancellor Angela Merkel and Regional Command North commander, Maj. Gen. Erich Pfeffer, walk together during a visit to the Camp Marmal Memorial Site, Mar. 12. Merkel made a surprise visit to Afghanistan to meet with troops and RC-North leaders. (Photo by German Army Pfc. Alexander Linden, RC-North Public Affairs)
Nachtrag: Von Regierungsseite wird mir versichert, dass die Kanzlerin keineswegs am vereinbarten Abzugstermin rütteln wollte und wolle – dass also die oben genannte Binsenweisheit gilt. Das Problem ist allerdings, dass ihre Aussagen vor allem international (und von Teilen der Opposition in Deutschland) eben als Rütteln verstanden werden:
BBC – Afghanistan: Germany’s Merkel in troop deadline warning
Grüne – Afghanistan: Abzug 2014 – Irreführung des Parlaments?
Nachtrag 2: Ob die Kanzlerin falsch widergegeben wurde, ob sie nachgebessert hat oder ob der Regierungssprecher einfach nur seinen Job gut gemacht hat – jetzt lautet die Überschrift bei tagesschau.de: Merkel bekräftigt Abzugstermin für deutsche Soldaten
Reuters
@b
Danke. Ich vermute mal, der German official ist der Regierungssprecher, der natürlich versuchen muss, das wieder einzusammeln…
Aber die Zitate bei AFP wie Reuters lassen sich eben auch anders verstehen.
Kleiner Hinweis:
Im passenden Tweet bei MilitaerRSS ist der Shortlink zu Bundeswehr.de (http://t.co/j1mihvmH bzw. tinyurl.com/7y5g74a) falsch.
@Tom
Yep. Ist leider ein immer wieder auftretendes Dauerproblem, und leitet immer auf die selbe Webseite um… Da das eine automatisierte Verkürzung ist, kann ich da wenig machen.
Hat denn wirklich jemand ernsthaft geglaubt das wir bis 2014 einen koordinierten Rückzug aus AFG hinbekommen ? Alleine logistisch wäre das schon eine Meisterleistung, die wir aber selber ohne fremde Hilfe gar nicht schaffen.
Wo ist denn jetzt das Neue oder gar Skandal, die einen eigenen Beitrag dazu rechtfertigen???
Niemand hat je gesagt, dass wir uns bis 2014 aus AFG zurückziehen. Es war immer nur von Übergabe der „Sicherheitsverantwortung“ die Rede und dann auch nur – wie Sie selbst ganz richtig schreiben -, „sofern es die Lage erlaubt“. Danach sollen weiterhin Kräfte im Land sein, nur eben solche, deren „Hauptaufgabe“ nicht mehr der Kampf ist – wobei dahingestellt ist, ob sich das in der Realität trennen lässt. Schlauerweise steht daher im vorletzten „Fortschrittsbericht“, dass mit abzuziehenden „Kampftruppen“ nicht die Truppengattungen gemeint sind, sondern eben jene, deren Hauptaufgabe im Kampf liegt.
@Punchball
Ich habe nicht vor, mich für Beiträge hier zu rechtfertigen. Nur so viel: Die englischsprachigen Meldungen zeigen, dass es gewisse Irritationen gibt.
Punchball:
In der unbedarften deutschen Bevölkerung wurde das sicher anders verstanden.
Finde es daher nicht schlecht, diese Sichtweise mal geradezurücken.
Es wurden von offizieller deutscher Seite wiederholt auch kinetische militärische „Nachsorgeoperationen“ erwähnt, die nach dem Ende von ISAF geplant seien. Das Abzugsdatum der im Rahmen von ISAF eingesetzten Bundeswehrkräfte wird also nach aktuellem Stand nicht mit dem Ende der Bundeswehrpräsenz in Afghanistan identisch sein.
Übrigens…. der Kollege Feldhoff vom ZDF hat auch beim Verteidigungsminister diese Irritationen beobachtet…
Ich bezweifle ob die Bundeswehr überhaupt bis 2014 durchhält. Wir werden doch kaum die letzten sein (wollen), die „Tschüß Afghanistan“ sagen.
Also den Kommentaren aus den USA nach zu urteilen wird der Krieg als verloren angesehen und der Abzug wird so schnell als möglich erfolgen. Die Hauptkräfte werden vor 2014 raus sein und ob es noch eine Nachsorge geben wird ist eher fraglich.
Selbst die republikanische Großschnauze Gingrich hat das so mehr oder weniger gestern im U.S. Fernsehen gesagt. Das hat Wirkung.
Das der Vertrag zur „strategischen Zusammenarbeit“ zwischen den USA und Kabul zustande kommt ist auch fraglich. Es gibt laute Stimmen im afghanischen Parlament dagegen und die Amerikaner sind nicht gewillt auf die 76 Forderungen der Loya Jirga dazu einzugehen (siehe night raids).
Das Status of Force Agreement mit Irak kam nicht zustande und darum mussten die USA dort komplett abziehen. Es kann durchaus sein das in Afghanistan ähnlich laufen wird und 2014 der letzte ausländische Soldat weg ist.
@b
„Also den Kommentaren aus den USA nach zu urteilen wird der Krieg als verloren angesehen …“
Hier ein Auszug aus einer aktuellen Bewertung eines strategisch orientierten britischen Informationsdienstleisters, der die Dinge ähnlich sieht:
[Es tut mir Leid, ich habe das Zitat jetzt doch eingekürzt. Weil solche Leute unterwegs sind. Bitte um Verständnis.]
Die ganze Abzugsdebatte ist doch Augenwischerei. Mit Formulierungen wie „Abzug der Kampftruppen“ und „Übergabe der Sicherheitsverantwortung“ wird doch ganz bewusst die Vorstellung erzeugt der Einsatz sei 2014 vorüber. So kommt es in weiten Teilen der Bevölkerung – und der Bw (!) an.
Dabei wird n.m.E. das Mentoring und das Vorhalten von Schlüsselfähigkeiten (STF, C-IED, QRF, SanDst, EloKa, etc.) ab 2015 von Politik und Bw-Führung völlig unterschätzt.
Ob es dazu überhaupt noch kommen wird, ist sicherlich immer fraglicher, die Öffentlichkeitsarbeit – nicht nur in D – ist mit Blick auf AFG 2014 trotzdem unlauter.
@Orontes
Danke für den Lesestoff – dennoch an Sie (und an alle anderen) eine Bitte: Wenn irgend möglich, solche Dinge verlinken und nicht im Wortlaut hier einstellen. So was geht ganz arg an die Grenze des Zitatrechts, und ich möchte mich ungern mit Abmahnungen oder Zahlungsforderungen wegen der ungenehmigten Übernahme fremder Texte herumschlagen müssen…
Laut SpOn ist TdM gerade in Usbekistan. Vielleicht verhandelt der gerade die Abzugsrouten.
@Ben
Auch laut dem weiter oben in den Kommentaren verlinkten Bericht des ZDF-Kollegen ;-)
In der Tat geht’s da auch um Abzugsrouten.
Nachtrag zur Ambivalenz der deutschen AFG-Politik (ähnlich bei fast allen ISAF-Staaten): Auf der einen Seite wird die Bundeskanzerlin zitiert mit Sätzen wie „2014 ist der Abzugstermin“ gleichzeitig kündigt sie laut ZEIT.de im Telefonat mit Karzai noch für diesen Monat den Entwurf eines bilateralen Partnerschaftsabkommens an.
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-03/merkel-afghanistan-soldat, letzter Absatz.
Da die Bundeskanzlerin beim Besuch des NATO-Generalsekretärs in Berlin erklärt hatte, dass D auch nach 2014 mit Ausbildern im Land sein wird (ähnliche Aussagen von TdM, GI, etc.), kann man davon ausgehen, dass dieses Abkommen auch einen militärisches Element haben wird (SOFA).
Dies wiederum führt mich zu der Frage was Politik und Presse unter Abzug verstehen.
Für mich ist Abzug eine Reduzierung des Personals auf Null. Das ist aber gar nicht geplant. Geplant ist eine Reduzierung und Umgliederung. Ungefährlicher wird es auch nicht – wohl eher das Gegenteil.
Aber man sieht halt gern das Licht am Ende des Tunnels (wie vor 40 Jahren in Vietnam) – auch wenn es der entgegenkommende Zug ist.
Seite 1 der New York Times: U.S. Officials Debate Speeding Afghan Pullout
Ratten – Schiff
Nach dem nächsten „isolierter Zwischenfall“(©ISAF), der garantiert kommen wird, wird der Druck zum Abzug so groß sein das auch das Pentagon nicht mehr auf Einhaltung der heutigen Pläne beharren kann.
Die ISAF kann aus Afghanistan nur in mehreren Etappen abziehen. Die werden mit den Süden Anfangen, und sich immer weiter nach Norden zurückziehen. Die massive Präsenz in Kabul werden die dann auch schnell reduzieren. Man wird sich nur noch um die Gebiete kümmern, die für den Abzug wichtig und einfach zu sichern sind. Das große Geschäft für die Afghanen mit der ISAF dürfte recht schnell zu Ende sein. Man wird nur noch die Soldaten da lassen, die für den Abzug notwendig sind. Die Versorgungswege werden auch kürzer.
Interessant ist es ja immer, zu hören, was Merkel denn nun wie genau gesagt hat. Zu hören etwa im Beitrag von Christian Thiels in der Tagesschau von gestern:
http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1078766.html
Ich persönlich verstehe es so, dass Merkel sekptisch ist, aber an dem politisch gewollten Abzugstermin für die Kampftruppen festhalten will. Das ist maximal in Nuancen eine Neuigkeit. Denn dass Merkel zuwenig nachdenklich ist, hat man ihr wohl noch nie unterstellt ;-)
Mich wundert es etwas, dass Merkels (unbedarfte) Aussage medial so schnell und so stark ausgeschlachtet wird, während die heute zwischen Deutschland und Pakistan unterzeichnete Vereinbarung zur militärischen Zusammenarbeit quasi überhaupt keine Beachtung fand.
@FTD
Hm, ja, aber…. Das heute vereinbarte Abkommen ist eines, wie es Deutschland bereits mit etlichen Staaten abgeschlossen hat und in der Praxis außer gegenseitigen Besuchen der Generalinspekteure und Lehrgangsteilnehmern an der FüAk wenig bringt? (Man korrigiere mich, wenn ich mich irre.)