„Wir werden noch zehn Jahre im Kosovo bleiben müssen“

Seit nun fast einem halben Jahr hat der Kosovo wieder – ein wenig – auch die mitteleuropäische Aufmerksamkeit: Seitdem es an den Grenzübergängen zwischen der früheren serbischen Provinz und Serbien zu gewaltsamen Ausschreitungen kam, seitdem KFOR-Truppen mit etlichen deutschen Soldaten in Auseinandersetzungen mit Kosovo-Serben gerieten, ja sogar erstmals im Kosovo zwei deutsche Soldaten angeschossen wurden: Das sich dort viel zu wenig bewegt hat seit dem NATO-Einmarsch 1999 (!), rückt nur ganz langsam ins – auch deutsche – Bewusstsein.

Dazu passt die recht pessimistische Ansicht des FDP-Bundestagsabgeordneten Rainer Erdel, Oberst der Reserve und stellvertretender Präsident des Reservistenverbandes. Sein Interview mit reservistenverband.de nach einem Besuch im Kosovo gebe ich hier – mit freundlicher Genehmigung des Verbandes – mal komplett wider:

reservistenverband.de: Herr Erdel, weshalb waren Sie im Kosovo?

Rainer Erdel: Als Mitglied des Verteidigungsausschusses wollte ich mal hautnah erfahren, wie unsere Soldaten den Einsatz dort erleben. Deshalb bin ich alleine gereist und wählte genau den Weg, den die Soldaten gehen müssen: Einen Flug mit der Transall ab Penzing, einen Transfer mit Militärfahrzeugen, Unterbringung im Feldlager Prizren. Sicherlich spielte auch meine Neugierde als Reserveoffizier eine Rolle. Des Weiteren bin ich Mitglied des Agrarausschusses des Deutschen Bundestages und wollte sehen, wie die ländliche Entwicklung voranschreitet. Da ich außerdem als stellvertretender Bürgermeister auch Kommunalpolitiker bin, interessierte ich mich natürlich auch für die kommunalen Strukturen des Landes.

reservistenverband.de: Und welches Fazit ziehen Sie?

Erdel: Um es in Anlehnung an ein oft genanntes Zitat der ehemaligen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, zu sagen: Nichts ist gut im Kosovo!

reservistenverband.de: Damit werden Sie Kritik ernten. Frau Käßmann wurde für diese Aussage zum Afghanistaneinsatz scharf angefeindet.

Erdel: Wenn es nach mehr als zwölf Jahren unseres Einsatzes in dem Land auf dem Balkan immer noch keine funktionierenden kommunalen Strukturen, immer noch keine ordentliche Wasser- und Energieversorgung und immer noch keine gute Straßeninfrastruktur gibt, und dann noch ein diffuser Streit zwischen den Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben nicht enden will, dann kann ich nur zu diesem Ergebnis kommen.

reservistenverband.de: Serbien und das Kosovo träumen von einer EU-Mitgliedschaft. Was glauben Sie, wann die beiden Länder dafür reif sein werden?

Erdel: Derzeit sehe ich das so: Wenn wir mit den KFOR-Truppen da jetzt rausgehen würden, käme es wieder zum Aufflackern von bewaffneten Konflikten. Da leben viele Nationalisten, die dies bis auf die Knochen sind. Deshalb kann ich nicht sehen, wann in absehbarer Zeit ein Termin für eine EU-Mitgliedschaft kommen könnte, in der dann beide Staaten mit offenen Grenzen und freiem Waren- und Personenverkehr sowie freiem Niederlassungsrecht und freier Religionsausübung der Menschen aller Ethnien leben müssten.

reservistenverband.de: Das klingt nach einem längeren Engagement unserer Bundeswehr am Amselfeld?

Erdel: So sehe ich das. Wir werden noch zehn Jahre dort bleiben müssen, wenn wir verantwortungsvoll unterstützen und nicht die Augen vor den Problemen verschließen wollen. Doch über die Art unseres Engagements und den Umfang der Truppenstärke müssen wir reden. Nicht die Stärke ist aus meiner Sicht entscheidend, sondern die Aufgabe. Und da gibt es mehr als die ethnischen Gruppen auseinanderzuhalten.

reservistenverband.de: Zurzeit sind 80 Reservisten bei den deutschen KFOR-Truppen. Haben Sie mit einigen sprechen können?

Erdel: Ein junger Oberleutnant der Panzeraufklärertruppe hat mich die ganze Zeit im Kosovo begleitet. Er ist Reservist. Das war zunächst überraschend für mich. Er hat seine Aufgabe professionell gemeistert – so gut, dass ich erst gar nicht auf die Idee kam, dass er Reservist sein könnte, denn im Einsatz ist das am Dienstgrad nicht zu erkennen. Bei ihm passten der Dienstgrad und die Verwendung zum Alter und zu seinem Background. Dieses Beispiel zeigt, dass die gut ausgebildeten Reservisten ihren Platz in der Bundeswehr haben. Die Bundeswehr muss natürlich dafür sorgen, dass die motivierten Reservisten auch ständig ohne Komplikationen aus- und fortgebildet werden können – nebenberuflich und am Wochenende oder nach Feierabend. Nur dann wird die Truppe auch in Zukunft mit solchen Reservisten wie diesem Oberleutnant in den Einsatz gehen können.