Verfolgungsjagd: Fregatte „Lübeck“ und das Piraten-Mutterschiff (mit Foto)
Die deutsche Fregatte Lübeck steckt am Horn von Afrika mitten in der Verfolgungsjagd hinter einem Piraten-Mutterschiff: Nachdem eine Seeräuber-Gruppe am (gestrigen) 17. Januar den niederländischen Pipeline-Leger Flintstone angegriffen hatte und von einem Sicherheitsteam der niederländischen Marine zurückgeschlagen worden war, hatte die Lübeck die Verfolgung der Piratengruppe auf einer (vermutlich gekaperten) Dhau aufgenommen.
Die Fregatte hatte sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf die Flintstone etwa 100 Seemeilen (rund 185 Kilometer) entfernt befunden, dann aber Kurs auf das Piraten-Mutterschiff genommen. Nach Angaben der Bundeswehr hat die Lübeck den Auftrag, das Piratenmutterschiff aufzuspüren und zu boarden.
Das allein dürfte schon – auch rechtlich – interessant werden, denn die Seeräuber zeigen offensichtlich keine Neigung, den Aufforderungen der EU-Seestreitkräfte (die Lübeck fährt unter dem Kommando der europäischen Antipiraterie-Mission Atalanta) nachzukommen. Auf Warnschüsse reagierte die Besatzung mit dem Hinweis über Funk, dass sie über Geiseln verfüge und sich einem Boarding mit Waffengewalt widersetzen werde. Das bedeutet, dass eigentlich nur opposed boarding infrage kommt, was die Deutsche Marine allerdings bislang per Definition nicht macht…
Also fährt die deutsche Fregatte seit mehr als einem Tag in Sichtweite der Dhau – sie schippert allerdings nicht nur nebenher:
Im Verlauf des 18. Januar hat die Fregatte Lübeck mit Scharfschützen und mit der Bordwaffe des Bordhubschraubers gezielt das Skiff an Oberdeck des Piratenmutterschiffs beschossen. Wiederum erfolgte keine erkennbare Reaktion der Besatzung.
Elf Personen konnten an Bord des Mutterschiffs bisher gezählt werden. Das Schiff hält mittlerweile nicht mehr auf die Insel Sokotra zu, sondern hat seinen Kurs bei reduzierter Geschwindigkeit in Richtung somalische Küste geändert. Bei derzeitiger Fahrt wird es die somalische Küste in etwa drei Tagen erreichen.
Die Fregatte Lübeck hat den Auftrag, sich bis auf Weiteres in Sichtweite zum Mutterschiff zu positionieren und dies zu begleiten.
Es wird spannend zu sehen, was daraus wird. Zur Einordnung – an dieser Position westlich der Insel Sokotra, die zum Jemen gehört, wurde die Flintstone angegriffen:
(Karte: OpenStreetMap)
Und so sieht das Mutterschiff aus – zu Herkunft bzw. Nationalität gibt es bislang keine Angaben:
Unter den bislang elf an Bord gesichteten Personen sollen auch Menschen mit hellerer Hautfarbe sein – was nicht unbedingt etwas aussagt, aber möglicherweise auf die von den Piraten genannten Geiseln hindeuten könnte. Die Lübeck beschattet in knapp einer Seemeile Entferung, also etwa 1.500 Meter entfernt.
In die ganzen Überlegungen für das weitere Vorgehen dürfte neben den militärischen Aspekten auch einfließen, was den Dänen jetzt passiert ist: Die Seychellen weigerten sich, Piraten zu übernehmen, die das dänische Schiff Absalon am 7. Januar festgesetzt hatte. Das steigert kaum die Bereitschaft, Seeräuber in Gewahrsam zu nehmen – oder lässt nur die schon mehrfach genutzte Möglichkeit, sie wieder an die Küste Somalias zu bringen. (Update: Auch die Briten werden offensichtlich die vergangene Woche arretierten Piraten nicht los.)
Nachtrag: Ein weiteres Foto des Piraten-Mutterschiffes – an dessen Bug der Name Mother angebracht ist… (allerdings wäre die Frage, in welcher Sprache).
(Foto: Bundeswehr)
Wie oft denn noch? Die Bundesmarine gibt es nicht mehr, wie u.a. @Mittendrin41 und ich schon des Öfteren ausführten.
Und ja, das Mandat Atalanta erlaubt ausdrücklich Operationen in den territorialen Gewässern von Somalia.
Mittendrin, habe verstanden ;-)
Ich warte also die offiziellen Nachrichten von Atalanta oder der MARINE ab. Ich möchte zu gerne wissen, wie diese Aktion ausgeht, ob Geiseln an Bord waren oder das Ganze ein großer Schwindel war.
@Orontes
Auch der soeben erschienene 2. Beitrag löst Respekt in mir aus.
Die ernüchternde Beobachtung von illusorischer Motivation der Helfer hat aber scheinbar im Wesentlichen zu einer Reduzierung der Ansprüche geführt.
Ich meine jedoch, nach der Ernüchterung kann noch ein Suchen nach wirksamer Hilfe geschehen, die Ursachen positiv verändert. Eine Voraussetzung ist, dass die Werte, für die man sich einsetzt nicht nur persönliche, zeitgeistgeleitete oder gar emotional egoistische Werte sind.
Erst mal kämpfen oder erst man helfen und dann nach dem Menschenbild fragen sit sicher ungut. Es gibt aber mehr als nur das Weglassen von Fehlern.
@Orontes
Da sind viele berechtigte Fragen, die ich mir auch stelle – nachdem ich ebenfalls mal mit Wünschen in die Welt gezogen bin wie Sie. Leider sieht es für mich so aus, dass die politisch Verantwortlichen zumindest öffentlich eher versuchen, sich Lernprozessen zu verweigern, offenbar auch den von Ihnen aufgeworfenen Fragen eher ausweichen – besonders wenn dann vielleicht in der Vergangenheit begangene Fehler eingestanden werden müssten.
Wer entscheiden muss, ob es zulässig ist, sich irgendwo in interne Konflikte einzumischen, sollte diese Fragen jedoch in der Tat vorher beantworten können und sich entsprechend zurücknehmen – denke ich.
Bei einem Angriff auf internationale Seewege, da bin ich ja ganz bei Ihnen, sollten jedoch zuerst vorhandene Mittel zur Schadensabwehr eingesetzt, ggf. „pragmatisch“ ausgeschöpft werden – dann die Ursachenforschung und wenn möglich Ursachenbeseitigung in den Vordergrund rücken.
Tja, im Grunde wehre ich mich also eben immer noch dagegen, alle unsere einmal geteilte Hoffnung fahren zu lassen…
@Reinhard
Es gab ja mal ein Filmchen, wo ein Lynx der Köln, Piratenboote in Insel-/Strandnähe beschossen, bzw, versenkt hat.
Zu der 12 mls Zone weiß ich nichts offizielles. Es gab mal ein Aufruf der VN, im Einklang mit der somal. Übergangsregierung, auf sowas wie Hoheitsgewässer bei der Piratenjagd keine Rücksicht zu nehmen. UN-SC Nr. 1851 (ob die noch gilt ?)
@all
Nur zur Info, ehe jemand fragt: Nach letzter Auskunft der Bundeswehr ist die Lage von Lübeck und beschatteter Dhau zu diesem Zeitpunkt unverändert.
@Mittendrin 41:
Danke für die Aufklärung der feinen Unterschiede zwischen „opposed“ und „non-compliant“ boarding. Interessant!
Aber ist es nicht erstaunlich, dass sich die Kerls auf der Dhau selbst durch Beschuss nicht beeindrucken lassen und einfach stur weiterfahren? Ganz schön abgebrüht, die Jungs. Vielleicht auch unter Einfluß von Drogen (Khatt) – wer weiß.
Tja, nun wird’s spannend, wie die Deutsche Marine reagiert! Einfach nur abwarten?
Ich meine, man hätte sofort energisch das Stoppen erzwingen müssen.
Meine Vögelchen haben mir gezwitschert, dass die Fregatte Lübeck nichts mehr machen darf. Zwar hatte Lübeck einen weiteren Beschuss beim Force Kommander beantragt, so dass die Dhow endlich „sturmreif“ wäre – wurde jedoch vom britischen Chef aus Northwood (dem OHQ) zurückgepfiffen.
Morgen früh (20.01.) werden wir wohl erleben, dass die Piraten weg sind und Lübeck sich um eine verlassene, beschädigte und eigentlich unbrauchbare Dhow „kümmern“ muss. Schade, denn der Kommandant der Fregatte wollte die Piraten eigentlich nicht ziehen lassen. Damit ist wieder einmal eine Möglichkeit verpasst, den Piraten zu zeigen, „wo der Hammer hängt“.
Politics kills operational sense.
So wird das nie was.
Usted no tiene cojones, Almirante ?
@Marinekenner
Danke für den Hinweis. Dann bin ich mal auf morgen gespannt…
@ Janmaat:
Gern geschehen! Kleiner Overkill: Es gab sogar noch eine Zeit lang gem. Definition ein „obstructed Boarding“, bei dem der Skipper u.a. durch seemännische Manöver (zB Kurs- und Fahrtwechsel) das Boarding zu verhindern versuchte – aus Gründen der Vereinfachung hat man sich mtlw. auf 3 Formen geeinigt (compliant, non-compliant, opposed).
Zur Lübeck:
Ich war eigentlich guter Dinge, bis ich gerade den Post von „Marinekenner“ las – das riecht verdächtig nach Schwanzeinziehen beim OHQ.
Wenn das morgen bestätigt werden sollte, dass müssen wir aufpassen , dass die Presse nicht uns den schwarzen Peter zuschiebt, sondern dem OpsCdr (wo er dann auch hingehört). Also Flotte: aufgepasst!
Man soll es ja nicht glauben:
Bei OP ATALANTA waren übrigens die Deutschen die ersten, die zum eine weitergehende ROE beantragt und auch bewilligt bekommen hat (ROE non-disabling fire (mW 338)) – wobei für einen Piraten das Ganze tödlich ausging . Das war bereits im September 2009, allerdings waren alle fürchterlich beschäftigt und ebenso betroffen vom Kundus-AirStrike ein paar Tage zuvor. Das ging zum Glück damals alles im Hintergrundrauschen unter. In unserer „maritime working group“ gab es allerdings ordentliches Schultergeklopfe, das hatten „the Germans“ gut gemacht.
Ich kann nur hoffen, dass „Marinekenner“ sich irrt – auch wenn es wahrscheinlich so sein wird – schade, aber nachvollziehbare (noch nicht einmal schneidige) Entscheidungen werden leider mangels „cojones“ immer weniger. Fürchterlich.
@mittendrin41
Von wegen, es ging im Hintergrundrauschen unter:
http://wiegold.focus.de/augen_geradeaus/2009/09/und-jetzt-noch-ein-toter-pirat.html
(Der damalige Link zur Bundeswehr-Seite tut natürlich nicht mehr…)
Den damaligen Artikel auf der Bundeswehr-Seite kann man noch bei archive.org nachlesen: http://is.gd/62SlpV
Es ist wirklich erstaunlich, dass das seinerzeit nicht größere Wellen geschlagen hat.
@Marinekenner:
Unsere Streitkräfte werden immer mehr zu selbstzufriedenen Bürokratien, die nicht mehr wissen für was sie da sind.
Dass derlei auch auf die Royal Navy übergreift beunruhigt.
Britannia ruled the waves.
Deutschland ist dabei ja noch Schlimmer: PSts Kossendey war noch Anfang 2009 der Meinung zur Pirateriebekämpfung sei eine GG-Ànderung notwendig.
Die bereits damals u.a. von MdB vorgeschlagene Ausschaltung von Mutterschiffen wurde vob der Marinefùhrung als völlig unrealistisch zurückgewiesen – wegen Geiseln.
Und so dreht man sich mit viel Aufwand und Energie im Kreis.
hier kam schon merhfach der hinweis auf scharfschützen an board. stammen die auch aus den reihen der blauen und haben die ne spezielle ausbildung für den einsatz des entsprechenden waffensystems auf see ?
Die Scharfschützen sind Boardingkompanie Soldaten. Sie haben den Heeres Scharfschützenlehrgang und interne Weiterbildungen und Übungen.
@ TW/ chickenhawk:
Danke fd „links“ – das „Hintergrundrauschen“ bedeutete auch nicht, dass darueber nicht berichtet wurde, sondern dass die Kundusberichterstattung die Titelseiten dominierte. Da musste man schon auf (gewoehnlich) gut informierte Seiten gehen, um das zu finden :-)
Und, was ist nun passiert?
„Ist schon bescheuert wenn man etwas tun will, sich aber selbst einen Knoten ins Gewehr vorher reinmacht.“
Das werde ich etwas umformulieren müssen in „…etwas tun will, einem aber Stöpsel in die Mündung der Rohre gesteckt wird!“
Wie ist das Ganze denn jetzt ausgegangen … auf bundeswehr.de gibt es keine Informationen mehr …
Einige gut informierte, äh, Hellseher unter meinen Lesern. Siehe neuen Blogeintrag.
Zum Wort „Gutmensch“ hat Wiglaf Droste etwas sehr Treffendes geschrieben:
http://www.jungewelt.de/2012/01-19/015.php