Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt
Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt, heißt es in dem berühmten Lied von Pippi Langstrumpf. So ähnlich agiert jetzt auch die Bundesregierung, die macht was ihr gefällt: Die Begründung für das neue Mandat zum Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Überwachungsflugzeugen über Afghanistan, das am morgigen Mittwoch vom Bundeskabinett und möglichst schnell vom Parlament beschlossen werden soll, lässt mich irritiert zurück.
Kurze Rückblende: Als im Januar eine ähnliche Entscheidung anstand, billigte Deutschland zwar im NATO-Rat diesen Einsatz der Überwachungsflugzeuge, wollte sich daran aber nicht beteiligen. Die Gründe dafür, wie sie Regierungssprecher Steffen Seibert im Januar in der Bundespressekonferenz erläuterte:
STS SEIBERT: Ich denke, Außenminister Westerwelle hat das neulich sehr deutlich gemacht, indem er gesagt hat: Wir haben unseren Partnern gesagt, dass wir zurzeit den Schwerpunkt auf die Ausbildung setzen. Das fordert uns ausreichend. Das hilft, dazu beizutragen, dass sich die Sicherheitssituation am Boden so entwickelt, wie sie sich entwickeln soll, wenn wir es schaffen wollen, die verschiedenen Etappen der Übergabe der Verantwortung in Verantwortung durchzuführen. Damit war diese Entscheidung der Deutschen auch keine Überraschung für unsere Bündnispartner. Sie ist begründet, und sie ist so begründet worden.
Mit anderen Worten: Die Bundeswehr konzentriert sich auf die Ausbildung der Afghanen, deshalb fliegen wir in den AWACS nicht mit.
Und jetzt ein Blick in die Begründung des Mandatstextes, wie er morgen beschlossen werden soll:
Durch den Einsatz von NATO-AWACS wird die Implementierung der neuen ISAF-Strategie, die aufbauend auf den Konzepten des Partnering und Mentoring eine stärkere Präsenz in der Fläche vorsieht, unterstützt. Vor dem Hintergrund einer andauernd hohen Operationsdichte wird durch den Einsatz von NATO-AWACS das Lagebild für die Operationsführung der ISAF und der afghanischen Sicherheitskräfte verdichtet und die Reaktionszeit zur Unterstützung von Truppen, auch in Gefechtssituationen, durch Luftunterstützungsoperationen sowie Luftrettungsoperationen (MedEvac) erheblich verkürzt sowie die Sicherheit ziviler und militärischer Flugbewegungen rund um die Uhr gewährleistet. Damit unterstützt der Einsatz der NATO-AWACS wirksam den Prozess der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte, ermöglicht diesen, ihre Verantwortung in diesem Prozess wahrzunehmen und dient insbesondere auch dem Schutz unserer eigenen Soldatinnen und Soldaten sowie dem Schutz der afghanischen Bevölkerung.
Also: Vor drei Monaten kein AWACS, weil Partnering und Mentoring Vorrang hat. Jetzt AWACS, weil es beim Partnering und Mentoring hilft.
Ja wenn der Einsatz der NATO-AWACS wirksam den Prozess der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte unterstützt, warum hat man ihn denn dann im Januar abgelehnt? Wollte man damals keine Unterstützung des Übergabeprozesses?
Natürlich war damals von Operationen gegen Libyen noch keine Rede.
(Notiz am Rande: wie vermutet, werden die bis zu 300 Soldaten für den AWACS-Einsatz aus der Reserve genommen.
In Ergänzung zu BT-Drucksache 17/4402 können zur Durchführung und Unterstützung des NATO-AWACS Einsatzes bis zu 300 deutsche Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden.
(…)
Die Obergrenze für die insgesamt im Rahmen des Afghanistan-Einsatzes einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bleibt dabei unverändert bei 5.350. Die Bundesregierung wird deshalb auf die im Antrag der Bundesregierung vom 13.01.2011 (Bundestags-Drucksache 17/4402) zur Fortsetzung des deutschen Beitrags zum ISAF-Einsatz genannte flexible Reserve in einem Umfang nicht mehr zurückgreifen, der dem tatsächlichen Umfang des Personaleinsatzes für NATO-AWACS entspricht.)
Gut recherchiert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang gern auch an ein Westerwelle-Zitat aus dem Mai vergangenen Jahres: „Es gibt Situationen, in denen man Haltung zeigen muss. Enthaltung ist keine Haltung“ Aber es ging damals auch um Finanzhilfen und nicht um Libyen oder Afghanistan
„Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung,“ John Maynard Keynes
„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern,“ Konrad Adenauer
Wer soll diese Art von Politik noch verstehen? Diese Argumentation wäre auch im Januar schon richtig und zutreffend gewesen.
Hier ist in der Politik keine klare Linie zu erkennen. Dies schadet auch sehr unserem Ansehen im Bündnis .
Man kann und sollte sicherheitspolitische Entscheidungen nicht von parteipolitischen und /oder innenpolitischen Interessen abhängig machen. Diese Haltung zeigt auch welchen Stellenwert unsere Soldaten im politischen Kalkül einnehmen!!
Wie immer, Herr Stoltenow, prächtig in der Rolle des advocatus diaboli.
die rache des journalisten ist das archiv :-)
es nimmt trotzdem erbärmliche züge an wie unsere regierung in punkto außenpolitik durch die gegend stolpert….
@EinKollege: Ach, das sind die Kleingewinne an der rhetorischen Losbude.
@ Stoltenow: Mit Bezug auf Keynes – hat sich denn die Lage, _auf die sich cie Begrüdung bezieht_, wirklich verändert?
@Owe Jessen: Sie haben Recht. Wir müssen Keynes in der neuen Medienwelt weiter denken. „Wenn sich die prominenten, also die aktuell wichtig erscheinenden Fakten ändern, ändere ich meine Meinung.“ Angela Merkel in: Die Kunst des dynamischen Regierens.
Früher nannte man das Wendehals oder Wetterhahn. ;)
Was nutzt es wenn ein paar feine und kluge Menschen, wie z.B. hier im Blog, die Widersprüche aufdecken? Die Masse interessiert es einfach nicht. Gestern sprach bei Beckmann, Frau Renate Eisel, Leiterrin den Goethe Institutes in Libyen, es ärgerte sie unter anderem, dass bei den Libyern nur noch zwischen Rebellen und Regierungstruppen unterschieden wird. Auch jetzt, sagte sie, sind die überwiegende Mehrheit, weder das Eine noch das Andere. Wie in Deutschland auch, wollen sie lediglich den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie bestreiten. Politik geht ihnen dabei, relativ weit, am Selbigen vorbei. Insofern ist das sicherlich etwas, womit wir uns mit anderen Völkern vergleichen können. Wenn das so ist, wie ich behaupte, kann Herr Westerwelle getrost die Enthaltungskarte spielen. Spätestens mit der nächsten Ausgabe der Bild , werden die wichtigen Themen abgedruckt, auf der letzten Seite ;-)
Tja da unterhalte ich mich heute den ganzen Tag schon mit meinem englischen Kollegen und muss immer wieder feststellen: für richtige Wahrheiten, sind wir scheinbar nicht bereit, weder mil. Führung, noch Politiker und erst recht nicht die schon fast ausufernd, emotionale deutsche Gesellschaft.
E-3A ist ja nur zum Blumenstreuen da… dann frag ich mich warum sich wesentliches zwischen 2009 und Ende letzten Jahres geändert hat oder ob richtige Unterstützung aus der Luft, gleich etwas schlimmes ist. Ein weiterer „alternativloser“ Akt. Perfide.
AWACS Einsatz in Afghanistan hat zwei Ziele – Iran und Pakistan – bisher hat man sich in Berlin davon distanziert, jetzt schluckt man aus unerfindlichen Gründen den bitteren Trunk.
Inzwischen wird ja selbst den amerikanischen, britischen und deutschen Medien das offensichtliche klar, das die „Demokraten“ in Libyen ja nur eine islamistische Stammeskämpfer mit einigen eingesprenkelten U.S. ausgebildeten „Führern“ sind.
Ach ja – die abgestürzten (natürlich nicht abgeschossenen!) F-15 Piloten wurden wurden gerettet
Der UN Auftrag: Schutz von Zivilisten.
Aha …
@b: Ich frage mich auch, wer da eigentlich unterstützt wird. Wir gehen bei deren Motivation wohl stark von westlich geprägten Wunschvorstellungen aus. In Ägypten geht wohl die Unterdrückung der uns kulturell nahestehenden Kopten unter den Augen und mit Unterstützung der Armee weiter, wenn man den koptischen Verlautbarungen glaubt.
Leider wird auch in Zukunft gelten: Man messe Sie an ihren Taten, alles andere ist gefährliche Naivität.
@ b
Die Rettung von eigenen Leuten hat immer Vorrang. Wäre bei der Rettungsaktion der Mitarbeiter der Ölfirmen in der Wüste durch westliche Transportflugzeuge ein Angriff erfolgt, hätte die mitgeführten Sicherungssoldaten auch angegriffen.
Woher soll man wissen, ob die 6 getöteten Libyer wirklich unbewaffnete Zivilisten waren ?
Ansonsten ist das Geplänkel über die deutschen AWACS-Besatzungen mittlerweile nur noch albern. Wenn man bereit ist, eine internationale Einheit aufzustellen, muss man bei einem gemeinsam beschlossenen Einsatz dieser Einheit, auch das Personal stellen. (Einstimmigkeitsprinzip bei Nato-Entscheidungen)
Ich sehe in den angeführten Zitaten keinen Widerspruch.
@stoltenow
Keynes und Adenauer waren beide, auf ihrem Gebiet, äußerst erfolgreich.
Die hier anscheinend mehrheitlich vertretene Meinung, D müßte auf jedem Kriegsschauplatz auch vertreten sein, unabhängig von Interessen und Prinzipien unseres Landes ist schon sehr eigentümlich.
„Adabei“ nennt man die in München. Er sonnt sich im Glanz und Gloria anderer.
Wie nennt man denn diese Spetzln in Berlin, Analysten? Berater?
Ich kann nicht erkennen, dass ein Adabei Gestaltungskraft in irgendeine Richtung entwickeln könnte.
Laut dpa zieht sich Deutschland ganz aus dem Mittelmeer zurück (bzw die deutschen NATO-Kräfte da)? Gibt es dazu eine Bestätigung?
Moin,
ich glaube die Fregatte Lübeck SNMG 1 und Minenjagdboot Datteln sind im Mittelmeer.
Schade Deutschland verspielt auch hier Kredit.
Na Frau Merkel was müssen Sie noch bezahlen für die Enthaltung!!!
KM
Die Abmeldung unserer Marinekräfte im Mittelmeer aus dem NATO-Verbund schlägt dem Faß endgültig den Boden aus. Jetzt unterstützen wir in der Praxis nicht einmal ein Waffenembargo, fordern aber strengere Sanktionen???
Bundeskanzleramt belauscht:
Schauen wir der bitteren Wahrheit doch einmal ins Auge: Wir haben neben ISAF noch eine sündhaft teure Werbekampagne ins Haus stehen, da bleibt kein Geld mehr über für Libyen oder so etwas! Stellen sie sich das doch mal vor, die Luftwaffe unterstützt in der Flugverbotszone… Wenn da einer womöglich noch einen Lenkflugkörper verschiesst – was das kostet! *schauder*
Außerdem hat die Luftwaffe verwaltungstechnisch noch nicht mit dem Kosovo – Einsatz 1999 abgeschlossen – da hat doch tatsächlich ein Pilot gem. Manual seine Außenlasten abgesprengt, als er anvisiert wurde… Die Sachschadensmeldung ist noch nicht abschließend bearbeitet…
[Das Traurige ist: Den Piloten gab es wirklich und er sollte tatsächlich eine SB für seine Außenlasten schreiben…]
@b: „Inzwischen wird ja selbst den amerikanischen, britischen und deutschen Medien das offensichtliche klar, das die “Demokraten” in Libyen ja nur eine islamistische Stammeskämpfer mit einigen eingesprenkelten U.S. ausgebildeten “Führern” sind. “
Ja? Haben sie da auch belastbare Belege für oder biegen Sie sich die Situation entsprechend ihrem Weltbild zurecht?
Ich würde darauf tippen, dass man in Berlin den Rebellen auch mit dieser massiven Luftunterstützung keine Chance für einen Sieg über Gaddafi einräumt.
Dann ist die deutsche Heraushaltetaktik auch folgerichtig, will man nicht jeglichen diplomatischen Kredit beim Diktator verspielen.
Kritischer als die Autoren auf folgender Seite kann man sich zur deutschen Außenpolitik kaum äußern:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58033
Aber es könnte natürlich auch etwas dran sein, dass man in Berlin eine so französisch geprägte Kampagne im Sinne eines innereuropäischen Machtkampfes aus Prinzip nicht mitträgt und sich ähnlich der Interessenlage bei der Mittelmeerunion mal wieder ein Scheitern des französischen Präsidenten wünscht.
@Zyme
Ich glaube nicht, dass deutsche Aussenpolitik soweit denkt, Franzosen hin oder her.
Wenn sich die Bunderregierung hinterher bei Gadaffi tatsächlich wieder an den Hals werfen will, hätte Merkel auch gleich bei ihrer FDJ bleiben können. Das wäre ein beispielloser Offenbarungseid. Wie tief könnte deutsche Politik denn noch sinken.
Die Lasten für D sind doch klar.
NATO-Einsatz = ca. 21% der Kosten.
Oder irre ich da.
(sinngemäß gestern abend auf ZDF gehört).
Dann naochmal 10% zuschlag, weil wir das it dem Scheckbuch so gut konnten und schon hat Herr Schäuble wieder ein Argument dafür, dass wir keine Steuern senken können (wegen der Demokratie in Lybien).
Hach ist das alles schön.
*aufwach*
@Nico – Ja? Haben sie da auch belastbare Belege für oder biegen Sie sich die Situation entsprechend ihrem Weltbild zurecht?
Belege habe ich. Ich unterrichte mich über solche Gruppen und deren Hintergrund bevor ich mich vor oder hinter die stelle:
Hopes for a Qaddafi Exit, and Worries of What Comes Next
Libyen – Die flüchtige Macht der Rebellen
Gangkriege mit Flakgeschützen:
Bengasi –
Der Krieg hinter der Front
Wenn man sich die Historie Libyens anschaut, dann ist nach einem plötzlichen Gadddafi Abgang nichts anderes als ein Chaos mit diversen Stammeskriegen zu erwarten. Warum man dazu beitragen will kann ich nicht verstehen.
Der Abzug der Marine von NATO Einsätzen ist echt ein starkes Stück.
Immer wenn man denkt, es geht nicht erniedrigender, setzt die Politik noch ein Stück drauf.
Embargos gutheißen aber bei der Durchsetzung kneifen.
Toll.
Wir sind echt ein Haufen entmannter Opfer.
Ein Interview und eindeutige Aussagen.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1418354/
@b: Kein einziger verlinkten Artikel liefert einen belastbaren Beleg dafür, dass „die “Demokraten” in Libyen ja nur eine islamistische Stammeskämpfer mit einigen eingesprenkelten U.S. ausgebildeten “Führern” sind. ”
Entweder Sie sehen da etwas, was so nicht da ist, oder Sie betreiben Panikmache.
@ b
Ich würde mit Quellen aus dem Spiegel eher vorsichtiger umgehen, journalistisch waren die in der jüngsten Vergangenheit eher im freien Fall.
Die NYT hingegen steht, wenn sie den Wortwitz gestatten, auf einem anderem Blatt.
Ein praktische Frage: Macht es aus militärischer Sicht Sinn für die Franzosen, die Libyen-Geschichte hoch zu hängen in der Hoffnung, die NATO nach Nordafrika hineinzuziehen in deren „privaten“ anti-Al Quaida Kampf, der ja gleich südlich Libyens stattfindet?
@Zivi a.D. : Das spielt sich aber eher im Bereich Algerien/Mali/Mauretanien ab, was schon so 1.000 bis 1.500 km Unterschied sind ;-)
auch ganz interessant:
http://www.faz.net/s/Rub87AD10DD0AE246EF840F23C9CBCBED2C/Doc~ED1054B1A2C78441F8F32CC4486887553~ATpl~Ecommon~Sspezial.html
@b
Zur Frage, wie die Haltung der libyschen Bevölkerung zu Muammar al-Gaddafi einzuschätzen ist, gibt der heutige Bericht von Jürgen Todenhöfer in FAZ.NET einige Hinweise:
http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~EE32E594A7F9249028716ADFD846171F9~ATpl~Ecommon~Scontent.html .
H.K.L. – Herr Toddenhöfer gibt in großen Teilen nur das wieder was ihm Rebellen erzählt haben. Ach ja, und erlebt das in einer Kampfzone gekämpft wird.
Die Rebellen haben Toddenhöfer z.B. von 15.000 Toten erzählt während gestern erst der Sprecher dieser merkwürdigen Gegenregierung von 8.000 Toten sprach.
Die tatsächliche Zahl liegt wohl weit darunter. In den Berichten von einzelnen Gefechten war immer nur von relativ wenigen Toten zu hören.
Propaganda gibt es nicht nur von Seiten Gaddafis. Das der Diktator in Qatar den Diktator von Libyen nicht mag erkennen sie an der Redaktionslinie diesein Haussender AlJazeera da verfolgt. Was da anonyme Anrufer erzählen kann keiner nachprüfen.
@Nico – Libyan rebellion has radical Islamist fervor: Benghazi link to Islamic militancy:U.S. Military Document Reveals
Bloss weil da einige ehemalige Mitglieder von Gaddafis Regierung und der ehemaliger U.S. Professor für strategische Planung Mahmoud Jibril (alles übrigens Mitglieder der östlichen Stämme) den Kameras etwas von „Demokratie“ und „Freiheit“ erzählen, heisst das noch lange nicht das es denen darum geht.
Kontrolle über die Aufständischen haben die ohnehin nicht, dafür aber recht gute „westliche“ Medienberater.
@b: Tut mir Leid, aber was Sie hier abliefern, ist nicht überzeugend. Die Auswertung der Sinjar-Dokumente wurde in einem anderen Kommentarstrang bereits von mir verlinkt, wenn ich mich richtig erinnere, sogar bevor Sie damit ankamen.
Der von Ihnen verlinkte Artikel disqualifiziert sich bereits im ersten Abschnitt, indem er eine nicht repräsentative Studie verallgemeinert.
Zitat aus der Studie (Seite 4): „Readers and researchers should be wary of conclusions drawn solely on the basis of these records.“
Das Problem mit den Sinjar-Dokumenten ist, dass sie nur einen ganz bestimmten Teil und einen ganz bestimmten Zeitraum abdecken. Sie bieten einen Einblick, der aber mitnichten repräsentativ ist.
1. Die Sinjar-Dokumente beziehen sich auf ~700 Personen. Das entspricht nicht einmal 15% der „foreign fighters.
2. Sinjar war der Logistikpunkt für alle, die über Syrien einreisten. Das waren hauptsächlich Personen eben aus Nordafrika. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte, Saudi-Arabien, aus dem nachweislich die meisten „foreign fighters“ stammen, hat über 800km gemeinsame Grenze mit Saudi-Arabien. Die meisten Saudis sind dort eingereist, insbesondere in den Jahren, in denen al-Anbar noch unter AQ-Kontrolle stand. Erst als dies anfing, sich zu ändern, präferierte man regelmäßig andere Einreisepunkte, u. a. Sinjar über Syrien. Es ist also kein Wunder, dass vergleichsweise sehr wenige Saudis über Sinjar einreisten, insbesondere wenn man sich den Zeitraum der in den Sinjar-Dokumenten untersuchten Profilen ansieht (August 2006 – August 2007). Das Gleiche gilt für so gut wie alle anderen Personen von der Arabischen Halbinsel, z. B. Jemen oder Qatar.
3. „If the 2007 captured records revealed the Eastern Libyan participation in the anti-coalition forces militancy in Iraq one could imagine the Banghazi-Darnah export of Islamists since then.“
Es ist allgemein bekannt, dass seit 2008 nur noch sehr vermindert „foreign fighters“ in den Iraq einsickern. Was den Autor nicht davon abhält, solche kruden Thesen aufzustellen.
4. „“Libyans were more fired up to travel to Iraq to kill Americans than anyone else in the Arabic-speaking world,” Andrew Exum, a counterinsurgency specialist and former Army Ranger noted in a blog posting recently. “
Aha. Liest man sich den Blog-Eintrag durch, bemerkt man, dass Abu Muqawama seine Einschätzung worauf stützt? Genau, eben auf die Auswertung der Sinjar-Dokumente.
Der Autor des Artikels stützt also seine Sicht der Dinge auf jemanden, der sich auf die gleiche (nicht repräsentative) Quelle stützt wie er selbst.
Einen Hinweis hätte das hier geben können: „The previous reports may have collectively understated the Libyan contribution to the fight in Iraq, but the relative synchronization of earlier analyses suggests that the pattern of immigration to Iraq has simply shifted over time. In an admittedly small sample, 76.9% (30) of the 39 Libyans that listed their arrival date in Iraq entered the country between May and July 2007, which may indicate a spring “surge” of Libyan recruits to Iraq.“
Man setzt sich nicht eben in ein Flugzeug und fliegt in den Iraq, um dort zu kämpfen. Das erfordert i. d. R. eine ganze Menge an Vorbereitung und Konstellationen, die gegeben sein müssen. Es wirkt eher so, als hätte das „libysche Kontigent“ genau in diesem Zeitraum grünes Licht bekommen, wodurch sich die sowieso nicht repräsentativen Zahlen noch mehr verzerren.
Vielleicht hätten Sie sich mal etwas mehr mit der Materie beschäftigen sollen, anstatt einfach Artikel zu zitieren, in denen das steht, was Sie anscheinend lesen wollen.
Der Aufstand mag viele Motivationen haben, religiös motiviert ist er nicht.
So einfach kann man die islamistische Komponente in (Ost-)Libyen nicht vom Tisch wischen: Das Land hat weniger als 7 Millionen Einwohner, da ist der Anteil schon auffällig, den sie bei den Jihadis im Irak stellen bzw. stellten.
Ganz frisch schlug eben ein Artikel von CNN bei mir im Google Reader auf:
Libyan civil war: An opening for al Qaeda
http://edition.cnn.com/2011/WORLD/africa/03/23/libya.islamists/index.html?eref=rss_world&utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+rss%2Fcnn_world+%28RSS%3A+World%29
Es ist sicherlich nicht nur ein Kampf: Gaddafi vs. Islamisten, aber die Komponente ist vorhanden. Schauen wir uns das Beispiel Irak an: Saddam Hussein hat die Islamisten (wie alle anderen nicht-konformen gesellschaftlichen Gruppierungen) brutal und vor allen Dingen effizient verfolgt und in Schach gehalten. Genauso machte es bisher Gaddafi.
Wenn Gaddafi von der Bühne abtritt, haben wir genau die Konstellation wie im Irak nach Saddam:
Es gibt Anhänger des alten Regimes, und zwar nicht nur deswegen, weil sie durch dieses versorgt wurden, sondern auch und vor allem aufgrund Stammeszugehörigkeit. Und dann gibt es besagte Islamisten. Alle diese Leute sind bis an die Zähne bewaffnet und werden alles bekämpfen, was irgendwie nach einer (mehr oder weniger demokratischen) Zentralgewalt von westlichen Gnaden aussieht.
Der günstigste Fall, auf den man hoffen kann, ist dass das Land in zwei oder mehr einigermaßen stabile Entitäten zerfällt (Libyen an sich ist ja ein kolonialistisches Kunstgebilde, wie so viele Staaten in Afrika).
Im ungünstigen Fall haben wir ein Somalia-Szenario.
„Wenn Gaddafi von der Bühne abtritt, haben wir genau die Konstellation wie im Irak nach Saddam.“
Vollkommen falsch. Es gibt keine konfessionellen Spannungen, höchstens ethnische. Diese sind in Libyen bei weitem nicht mit denen zwischen Sunniten und Schiiten im Irak (konfessionell) und sunnitischen Arabern, schiiitischen Arabern und Kurden, also ethnisch, zu vergleichen.
Der Artikel von CNN stützt sich, wie bereits der Artikel von b, ebenfalls fälschlicherweise auf die Auswertung der Sinjar-Dokumente.
Dazu dann noch den Herrn Benotman, der, mit Verlaub, nicht als objektive Quelle gelten kann. Der sich mit Behauptungen wie “ Individuals who might have jihadist sympathies are keeping them under wraps for the sake of uniting with one aim“ nur weiter selbst diskreditiert. al-Qaida ist nicht die Hamas. Aber egal.
@Nico – Vollkommen falsch. Es gibt keine konfessionellen Spannungen, höchstens ethnische. Diese sind in Libyen bei weitem nicht mit denen zwischen Sunniten und Schiiten im Irak (konfessionell) und sunnitischen Arabern, schiiitischen Arabern und Kurden, also ethnisch, zu vergleichen.
Historisch gesehen sind die Stammeskonflikte in Libyen recht ausgeprägt. Der König den Gaddafi abgesetzt hat kam aus einem der östlichen Stämme. Danach verschob sich der Einfluß hin zu den westlichen Stämmen. Alle Aufstände gegen Gaddahfi, der jetzige ist nichts neues, begannen im Osten. Das die Anführer der Rebellen den Bildern nach die alte Königsflagge führen läßt ja schon einiges erkennen.
Nichmal die NYT: Hopes for a Qaddafi Exit, and Worries of What Comes Next
Wie lange halten die Entente-Mächte ihre Intervention durch? Und wie lange hält Gadaffi durch? Da Grund zur Annahme besteht, dass Gadaffi länger durchhalten wird (es gibt ja noch nicht einmal klare Forderungen, denen er nachgeben könnte), stellt sich die Frage: Was passiert nach der Intervention? Hat irgendeiner der Interventionisten einen Plan? Dank der kurzsichtigen Politik der Entente werden wir in einigen Wochen vermutlich einen neuen feindseligen Staat an der Südflanke Europas haben, der seine diversen Druckmittel auch zum Schaden Deutschlands zum Einsatz bringen wird. Ein „Nein“ Deutschlands zu dieser Fehlentscheidung wäre angemessen gewesen.
@b: Stammeskonflikte fallen nicht unter konfessionelle oder ethnische Konflikte. Sollten Sie eigentlich wissen.
„Das die Anführer der Rebellen den Bildern nach die alte Königsflagge führen läßt ja schon einiges erkennen.“
Ja, in der Tat. Zum Beispiel, dass sie keine islamische Flagge führen. Was man bei einer islamisch motivierten Revolution eigentlich erwarten dürfte.
Wenn ich mich richtig erinnere, hatten die Flugverbotszonen im Irak eine ziemlich lange Geschichte, sie wurden etwa 1991/1992 eingerichtet und bis zum Einmarsch der Allierten aufrechterhalten. Demnach sollte man sich auch in Libyen auf eine längere Zeit einrichten, zumal selbst den Briten völlig unklar ist, was denn jetzt eigentlich passieren soll. Der Kommentar im Clausewitz-Blog des Economist (zu finden unter http://www.economist.com/blogs/clausewitz) bestätigt da wohl alle Befürchtungen, dass hier lediglich ein weitgehend hormongesteuerter Aktionismus ausgebrochen ist. Westerwelle wirkt da schon fast stilbildend . . .
@chickenhawk | 23. März 2011 – 15:42
Zitat: „Im ungünstigen Fall haben wir ein Somalia-Szenario.“
Wäre dies nicht die ideale Rechtfertigung das Land mit dem hochwertigen Leichtöl mit Besatzungstruppen die nächsten 50 Jahre (bis alles Öl gefördert ist) zu befrieden. Eine passende UN-Resolution wird sich dann schon finden, wenn diie Situation, wie von Ihnen beschrieben ist.
Der Vollständigkeit halber: http://www.longwarjournal.org/threat-matrix/archives/2011/03/libyan_opposition_leader_wasnt.php