Die AWACS-Optionen

Es musste schon mal ganz schnell gehen. Im Juli 2009 billigte der Bundestag noch eben vor der Sommerpause den Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen über Afghanistan. Aus dem Einsatz wurde dann nichts – weil die NATO es nicht schaffte, für ihre Überwachungs- und Aufklärungsflieger von zentralasiatischen Ländern die notwendigen Überflugrechte für die Anreise zum Hindukusch zu bekommen.

Jetzt muss es wieder ganz schnell gehen. In dieser Woche will das Bundeskabinett erneut einen Einsatz deutscher Soldaten in den AWACS-Maschinen über Afghanistan beschließen und dem Bundestag zur Billigung festlegen.

Boeing E-3A NATO LX-N90451 appr ETNG

Boeing E-3A NATO-AWACS (LX-N90451) approaching Geilenkirchen Air Base, Germany (ETNG). (Foto: Arcturus/Wikimedia commons unter CC-Lizenz)

Eine echte Rolle rückwärts: Noch im Januar hatte Deutschland zwar im NATO-Rat dem Einsatz zugestimmt, aber die Bundesregierung bat gar nicht erst den Bundestag um ein Mandat dafür. Die Bundeswehr solle lieber am Boden Soldaten für die Ausbildung der afghanischen Armee stellen, das sei wichtiger, hieß es. Die NATO begann dann halt ihre Flüge ohne die deutschen Besatzungsmitglieder –was nur möglich war, weil die USA massiv Verstärkung, so genannte Augmentees, in die AWACS-Einheit schickten.

Doch die Militäraktion wichtiger Verbündeter gegen Libyen hat den Umgang der Bundesregierung mit den Aufklärern über Afghanistan wieder gedreht – jetzt sollen die deutschen Soldaten ihren Dienst in den AWACS-Fliegern über dem Hindukusch leisten, damit sie aus den AWACS-Fliegern über dem Mittelmeer und vor der libyschen Küste abgezogen werden können. Denn dort koordinieren die Überwachungsmaschinen die Militäroperation gegen Libyen, auch wenn es (noch?)  gar keine NATO-Operation ist.

So weit alles klar, oder? Die interessante Frage wird jetzt, wie das neue AWACS-Blitzmandat mit der geltenden Obergrenze für die deutsche Beteiligung an der Afghanistan-Schutztruppe ISAF kombiniert wird. Die sieht nach dem im Januar verlängerten Mandat im Moment so aus:

9. Personaleinsatz
Für die Beteiligung an ISAF in A fghanistan werden bis zu 5350 Soldatinnen und Soldaten mit entsprechender Ausrüstung eingesetzt. Von den insgesamt 5350 Soldatinnen und Soldaten sind 350 als flexible Reserve vorgesehen, insbesondere um auf besondere Situationen, vor allem im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung, angemessen reagieren zu können. Sie wird jeweils zeitlich befristet und auf die jeweilige Aufgabe ausgerichtet nach Befassung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages eingesetzt.

Was das für das neue Mandat bedeutet? Das damalige AWACS-Mandat im Sommer 2009 (auf der Webseite der Bundeswehr fehlt es interessanterweise in der Chronologie der ISAF-Mandate) legte noch fest:

e)  Personaleinsatz
Im Zusammenhang mit  dem NATO-AWACS-Einsatz können bis zu 300 deutsche Soldaten eingesetzt werden.

Allerdings war damals die Annahme, dass die Flieger irgendwo im arabischen Raum stationiert würden und deshalb mehr Personal für Technik und auch Absicherung gebraucht würde. Da die AWACS derzeit von der türkischen Basis Konya aus starten, also von NATO-Gebiet, könnte man vermutlich mit weniger auskommen – weil man sowohl in Konya als auch in Masar-i-Scharif Wartungstrupps stationieren kann, die im Mandat gar nicht auftauchen. Sagen wir mal gut 100 als optimistische Schätzung.

Für das AWACS-Mandat hat die Bundesregierung jetzt drei Optionen: die ehrliche, den Taschenspielertrick und die schmerzhafte.

Die ehrliche, weil unwahrscheinlichste, zuerst: Das benötigte Personal für die fliegenden Kontrolltürme wird auf die derzeitige Obergrenze aufgeschlagen – also künftig 5.100 plus 350 Reserve. Da dürfte es Probleme zumindest mit der Opposition geben, wahrscheinlich auch innerhalb der Koalition: Noch in diesem Jahr sollte doch ein Einstieg in eine Truppenverringerung geschafft werden. Da wirkt eine Aufstockung nicht gut.

Die schmerzhafte: Das nötige AWACS-Personal wird in die 5.000 Mann Obergrenze eingepreist. Das allerdings würde bedeuten, dass dafür am Boden entsprechend viele Soldaten aus ihrem Einsatz geholt würden – und damit wäre die Argumentation vom Januar, Partnering mit den Afghanen sei jetzt das ein und alles, ziemlich offen widerlegt. Also ist auch das nicht wahrscheinlich.

Für die wahrscheinlichste Option halte ich den Taschenspielertrick: Die AWACS-Leute, deutsche fliegende Besatzungsmitglieder wie Techniker, werden zum Teil der Reserve erklärt. In den 350 Soldatinnen und Soldaten bringt man die locker unter, zeitlich befristet kann man auch sagen (wäre es im Januar zu einem AWACS-Mandat gekommen, hätte es ja auch nur für ein Jahr gegolten), und es ist ja auch eine besondere Situation. Vielleicht nicht im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung, aber ganz bestimmt für die Bundesregierung. Mit ein bisschen Glück wird man ja die echte Reserve gar nicht brauchen.

Nachtrag: Wie vermutet – es läuft auf die letzte Option hinaus.