Viel Beifall, wenig Klarheit

Jetzt, so hatten wir vor Monaten gedacht, jetzt müsste der Zeitpunkt gekommen sein, an dem Klarheit herrscht über die Zukunft der Bundeswehr. Nach den Parteitagen von CSU und CDU (und auch der größten Oppositionspartei SPD) sollten doch wesentliche Eckpunkte für die Streitkräfte entschieden sein: Wie groß wird die künftige Bundeswehr? Und wie viel Geld wird sie für die beschlossene Größe zur Verfügung haben?

Nachdem auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe sowohl Kanzlerin Angela Merkel als auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) aufgetreten sind, für eine Reform der Bundeswehr geworben und dafür viel Beifall erhalten haben, sind allerdings diese beiden Eckdaten nach wie vor unklar.

Sicher ist inzwischen nur: Eine Aussetzung der Wehrpflicht – die Abschaffung oder gar Streichung aus dem Grundgesetz stand für keine der großen Parteien je ernsthaft zur Debatte – wird nicht an den beiden C-Parteien scheitern (am Koalitionspartner FDP, der sich schon vor Jahren per Parteitagsbeschluss auf das Ende der Wehrpflicht festgelegt hatte, ohnehin nicht).  Aber wie viele Soldaten wird es geben?

German Defence Minister Karl-Theodor zu Guttenberg of the Bavarian Christian Social Union party CSU acknowledges applause from the congress of sister party, the Christian Democratic Union CDU as he stands next to CDU leader and German Chancellor Angela Merkel in Karlsruhe, November 15, 2010. The CDU holds a two-day party meeting with elections of a new party leadership. REUTERS/Kai Pfaffenbach (GERMANY - Tags: POLITICS IMAGES OF THE DAY)

Merkel und Guttenberg am 15. November auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters via picapp)

Ein Blick in die Rede der Kanzlerin bringt an der Stelle keine Klarheit:

Innere und äußere Sicherheit lassen sich immer weniger unterscheiden. Weil sich die
Sicherheitslage verändert hat, kann das nicht ohne Folgen für die Struktur der
Bundeswehr bleiben. Karl-Theodor zu Guttenberg hat diese Aufgabe entschlossen
angepackt. Er hat deutlich gemacht: Es geht hier nicht um irgendwelche
Sparzwangentscheidungen, sondern um Entscheidungen ausschließlich nach Lage
der Bedrohung und der Sicherheitsanalyse. Das war der Ausgangspunkt. Wir werden
heute über die Zukunft der Bundeswehr beraten und beschließen. Das wird ein
tiefgreifender Schnitt. Aber ebenso ist richtig, dass sich die Sicherheitslage nach dem
Ende des Kalten Krieges völlig verändert hat. Wir sind heute von Freunden
umgeben. Aber dafür gibt es neue Bedrohungen, die ganz andere Einsätze
erfordern. Deshalb sehen wir heute die sicherheitspolitische Notwendigkeit für die
allgemeine Wehrpflicht nicht gegeben. Die Präsidien von CDU/CSU und insbesondere der CDU-Bundesvorstand schlagen Ihnen vor, die Wehrpflicht
auszusetzen, sie aber im Grundgesetz verankert zu lassen, damit die Verpflichtung
zum Grundwehrdienst durch ein einfaches Gesetz wieder geändert werden kann;
denn keiner von uns kann die Sicherheitssituation in zehn, 20 oder 30 Jahren
voraussagen.

(Beifall)

Liebe Freunde, ich kann über diese wichtige Grundsatzentscheidung nicht sprechen,
ohne den Soldatinnen und Soldaten zu danken, die sich zum Wohle unseres Landes
dieser wichtigen Aufgabe verpflichten. Sie tun nicht mehr und nicht weniger, als
unsere Freiheit zu verteidigen.

(Beifall)

Wir wissen um die Gefahr für Leib und Leben, der sie sich aussetzen. Wir wissen,
dass sie Dinge verarbeiten müssen, die unsere Vorstellungskraft weit übersteigten.
Wir wissen auch um die Sorgen und Ängste der Familien. Ich habe mit vielen
Angehörigen von Soldaten gesprochen, die in Afghanistan gefallen sind, zuletzt am
Karfreitag dieses Jahres. Ich sage Ihnen: Es hat mich zutiefst erschüttert, und es
gehört zu den bewegendsten Momenten meiner Arbeit, Angehörigen von gefallenen
Soldaten Trost zu spenden, ihren Schmerz und ihr Leid zu sehen und mit ihnen zu
fühlen. Umso größer sind mein Respekt, meine Anerkennung und mein Dank.
Unsere Soldatinnen und Soldaten dienen der Sicherheit unseres Landes und unserer
Freiheit. Sie haben im Übrigen als Staatsbürger in Uniform unserem Land immer gut
getan. Deshalb muss der gesellschaftliche Wert, der mit der Wehrpflicht für unser
Gemeinwesen verbunden ist, auch in neuer Form erhalten bleiben, auch ohne die
Wehrpflicht, und zwar durch anspruchsvolle Freiwilligendienste. Deshalb und nicht
allein wegen des Zivildienstes werden wir parallel ein Konzept für die
Freiwilligendienste in unserer Gesellschaft erarbeiten, das uns Kristina Schröder
heute vorstellen wird.

Aber vielleicht bringt die Rede des Verteidigungsministers von der bayerischen Schwesterpartei vor seinen CDU-Parteifreunden da neue Erkenntnisse? Leider auch nicht:

Ein weiterer Punkt betrifft das breite Einsatzspektrum. Wir müssen uns fragen, ob wir
all dem angesichts der Strukturen, der Verfahren und der Prozesse gerecht werden.
Es wurde leider deutlich, dass wir unsere Leistung nicht mehr erbringen können,
sondern bereits über Kante genäht sind. Das Beispiel, das ich oft genannt habe, ist
Ihnen allen bekannt. Wenn wir bei 252 000 Soldaten lediglich 7 000 Soldaten in den
Einsatz schicken können und dabei schon über Kante genäht sind, dann ist das
nichts, was einem die Tränen der Euphorie in die Augen treibt. Das zeigt, was man
verbessern muss und was man verbessern kann. Wir haben uns gefragt, was wir
mindestens leisten können müssen, wie viel erstklassiges Personal, wie viel
erstklassige Ausrüstung und Infrastruktur wir brauchen, um diesem
Aufgabenspektrum gerecht werden zu können. Der Generalinspekteur der
Bundeswehr hat eine Einschätzung vorgelegt, die zuerst einmal vielen den
Angstschweiß auf die Stirn getrieben hat, weil er Minimalanforderungen aufgezeigt
hat. Er hat von 163 500 Soldaten gesprochen. Ich kann nur sagen: Das ist eine Zahl,
die niemals unterschritten werden darf; denn ich persönlich wünsche mir mehr
Soldaten, die uns künftig zur Verfügung stehen.

(Vereinzelt Beifall)

Wenn wir diese aber wollen, müssen wir den Soldaten – in dieser Hinsicht bin ich für
viele Hinweise dankbar, die von unseren Fachpolitikern gekommen sind – eine
saubere Perspektive bieten. Wir müssen den Dienst so attraktiv ausgestalten, dass
eine genügende Zahl von Soldaten zur Verfügung steht. Wir müssen auch dafür
sorgen, dass eine dauerhafte und verlässliche finanzielle Unterfütterung
gewährleistet ist. Dieser Herausforderung, vor der wir stehen, können und werden wir
uns mit Kraft annehmen. Das ist unser Ausgangspunkt jetzt im Herbst dieses Jahres
nach einer intensiven Diskussion.

Also stehen wir jetzt am Ausgangspunkt? Die Ansage ist, wenn ich das richtig verstehe: 1. die im Papier des Generalinspekteurs als Modell genannten 163.500 Soldaten sind die absolute Untergrenze (das war eigentlich auch vorher schon klar) und 2. die Bundeswehr muss auf Dauer solide finanziert sein. In Ordnung, kann man als Ausgangspunkt nehmen. Aber wann – und vor allem: von wem? –  fallen dann die Entscheidungen über Truppenstärke und Geld? Die Parteitage haben eine grobe Marschrichtung beschlossen, mehr nicht.

Denn auch ein Blick in den Beschluss des CDU-Parteitags zur Bundeswehr bringt einen nicht wirklich weiter:

Die künftige Truppenstärke der Bundeswehr ist so zu wählen, dass sie allen Aspekten der
sicherheitspolitischen Aufgabenbeschreibung gerecht wird. CDU und CSU gehen davon
aus, dass für die Bewältigung der gestellten Aufgaben eine wesentlich größere
Truppenstärke erforderlich sein wird, als die bislang genannte absolute Untergrenze.

Das habe ich schon verstanden. Aber we viel denn nun?

(Es ist übrigens nicht so, dass es in der Union dazu nicht konkrete Vorschläge gäbe. Ein paar Tage vor dem Parteitag hat sich der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, zu Wort gemeldet:

Ich fordere für die Bundeswehr einen Gesamtumfang von rund 190.000 Soldaten. Dabei geht es nicht vorrangig um Zahlen, sondern um notwendige Fähigkeiten. Ich bin insbesondere der Meinung, dass die Bundeswehr als primär landgestützte Armee auch in Zukunft ein starkes Heer benötigt. Ich will hervorragende Führungsfähigkeit auf Divisions- und Brigadeebene sichergestellt wissen. Der gepanzerte Kern des Heeres darf nicht übermäßig ausgehöhlt werden. Bei der Luftwaffe ist eine Stärkung bei den Fähigkeiten Lufttransport und Eigenschutz vonnöten. Die deutsche Marine muss auch künftig glaubhaft deutsche Interessen auf See durchsetzen können. Ich erwarte, dass hier kein weiterer Fähigkeitsabbau erfolgt. Auch die Streitkräftebasis, die viele einsatzrelevante Dienstleistungen bereitstellt, darf nicht über Gebühr verkleinert werden. Wir Parlamentarier haben eine besondere Verantwortung für die Gesundheit unserer Soldaten. Daher kommt dem Sanitätsdienst große Bedeutung zu. Das hohe sanitätsdienstliche Versorgungsniveau kann nur mit einer personell gut aufgestellten Organisation gesichert werden. Insgesamt summieren sich die notwendigen Fähigkeiten auf einen realistischen Gesamtumfang von 190.000 Soldaten. So ist auch sichergestellt, dass sich die Bundeswehr auch künftig auf Augenhöhe mit unseren Partnern Frankreich und Großbritannien befindet.

Parteitagsbeschluss ist das nicht geworden. Da ging es Beck übrigens nicht besser als seinen Kollegen von der SPD: Deren Fraktionsarbeitsgruppe hatte in einem Papier eine Bundeswehr mit 200.000 Soldaten gefordert – und hatte das auch nicht in den eigenen Parteitagsbeschluss reinbekommen.)

Unterm Strich bleibt die Frage: Wer legt wann die entscheidenden Eckdaten der künftigen Bundeswehr fest?