„Die zivilen Einrichtungen gehen wenig koordiniert vor“ (update: Transkript des Interviews)

In der NATO haben wenige so lange und so intensiv den ISAF-Einsatz am Hindukusch begleitet wie Egon Ramms. Der deutsche Heeresgeneral ist Kommandeur des NATO Joint Forces Command in Brunssum und damit der Chef von ISAF-Kommandeur David Petraeus – was in Deutschland wie in Afghanistan und auch bei den U.S.-Truppen meist nicht so recht bekannt ist. Fünf ISAF-Kommandeure, sagt Ramms, der Ende September in den Ruhestand geht, habe er in seiner Dienstzeit in Brunssum erlebt.

Der General hat sich vergangene Woche zum 21. Mal ein Bild von der Situation in Afghanistan gemacht, auf seinem letzten Situational Awareness Trip. Am Ende der einwöchigen Reise wollte ich von ihm wissen, wie er die Situation im Land einschätzt. Nicht so pessimistisch – aber mit deutlicher Kritik vor allem an den Organisationen, die für den zivilen Aufbau des Landes verantwortlich sind:

(Mängel in der Tonqualität, vor allem die Hintergrundgeräusche, bitte ich zu entschuldigen – dieses Medium ist noch recht neu für mich.)

AFG_aug2010-Ramms_Herat

General Egon Ramms (r.) im Gespräch mit italienischen Soldaten in Herat

Jetzt gibt es auch ein Transkript des Interviews (herzlichen Dank an Bernhard Lücke, der sich die Mühe gemacht hat!):

TW: Herr General Ramms, das war Ihre letzte Reise als Befehlshaber des Kommandos in Brunssum nach nach Afghanistan. Sie haben sich zum letzten Mal einen Eindruck verschafft, wie dieser NATO-, wie dieser ISAF-Einsatz läuft. Haben Sie schon ein erstes Fazit?

Ramms: Das erste Fazit lautet – vielleicht mal beginnend bei der Tatsache, daß es der einundzwanzigste Trip nach Afghanistan war – dass sich seit dem Januar des Jahres 2007 in Afghanistan ungeheuer viel getan hat. Das gilt für zivile Entwicklung, das gilt für Fortschritte im Land, das gilt auch, wenn ich die militärische Seite betrachte, für das, was wir zur Zeit an Operationen in Afghanistan durchführen. Ich möchte daran erinnern, dass wir im Januar 2007 etwa 27.000 / 29.000 Soldaten von ISAF im Lande gehabt haben, und wir verfügen heute etwa über 140.000.

TW: Trotzdem die Frage, haben Sie den Eindruck dass es so vorwärtsgeht, wie es vorwärtsgehen müsste?

Ramms: Also ich bin nach wie vor nicht skeptisch, sondern ich habe einen verhaltenen Optimismus. Aber ich glaube, dass man in Afghanistan, wenn alle die dort verantwortlich sind, an einem Strang ziehen würden, deutlich schneller mehr erreichen könnte. Die Aussage gilt für die militärische Seite selbstverständlich auch, wobei aus meiner Sicht eigentlich die militärische Seite, die ISAF-Seite und die Nato-Seite, im Augenblick am meisten an den Fortschritten im Lande arbeiten. Das gilt sowohl für den ComISAF und die ihm unterstellten Soldaten, als auch für den Senior Civil Representative der Nato, der dort eine sehr gute und neue Rolle spielt. Probleme haben wir mit der Zusammenarbeit mit allen zivilen Einrichtungen und Institutionen, die wenig koordiniert vorgehen, das schließt auch das Verhalten von UNAMA leider immer noch mit ein. Und wir haben auch Probleme mit der afghanischen Regierung, die deutlich langsamer vorankommt mit dem Zeigen ihrer Möglichkeiten und mit dem Erreichen der Bevölkerung, als wir uns das möglicherweise erhofft haben. Das gilt für einzelne Operationen, siehe Helmand, siehe Kandahar, es gilt aber auch für das ganze Land.

TW: Jetzt starren alle magisch auf das magische Datum Sommer 2011. Transition, Übergabe an die Afghanen. Nach dieser Woche Rundreise in Afghanistan – haben Sie den Eindruck, dass dieses Datum so wirklich den Beginn eines Abzuges, einer Übergabe markieren kann?

Ramms: Nach dem, was ich diese Woche gesehen habe, würde ich fast sagen: auf keinen Fall. Nach meiner Auffassung sind, gerade was die Transition angeht, viele Dinge gesagt worden, die nicht zutreffend sind und nicht richtig sind. Es ist auch von Seiten des amerikanischen Präsidenten über den Anfang dieser Übergabe geredet worden. Und wie alle in der NATO, im gesamten militärischen Kommandobereich der NATO sagen, handelt es sich hierbei um einen Prozess, der seine Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass wir in der Phase 3 nach wie vor der Operationsführung in Afghanistan sind, das ist immer noch Stabilisierung. Wenn Transition beginnt, wird sie einige Jahre dauern, und erst nach dem Ende der Phase Transition – vielleicht etwas eher – beginnt der eigentliche Abzug der Truppenteile.

TW: Was sagen Sie den Politikern in Europa und auch gerade in Deutschland, die eigentlich schon den ersten Beginn des Abzuges für das kommende Jahr schon eingeplant haben?

Ramms: Ich glaube, dass diese Einplanung für das kommende Jahr ein Schritt zu weit nach vorne oder ein zu schneller Schritt ist, weil sich das nicht realisieren lassen wird. Ich muss darauf aufmerksam machen, dass wir in einigen Provinzen, in einigen Regionalbereichen mit der nötigen Truppenstärke vertreten sind, um entsprechend operieren zu können und die Taliban zu vertreiben. Aber im weit überwiegenden Teil, fast zwei Drittel des Landes, leben wir mit einer sogenannten Economy of Force, das heißt wir versuchen den dortigen jetzigen Zustand zu halten, wir können ihn aber bisher für uns nicht verbessern.

TW: Sie sind NATO-General, Sie sind aber auch deutscher General und Sie haben auch den deutschen Kommandobereich besucht. Was ist Ihr Eindruck, gilt da die Economy of Force im Norden oder geht es im Norden voran?

Ramms: Also aufgrund der Tatsache, dass die durch Deutschland angekündigten Kräfte – ob zu viel oder zu wenig – bisher ja nicht vollständig im Lande sind, sondern mit Teilen erst im Oktober oder November kommen werden, gilt im Verantwortungsbereich der Deutschen – und der reicht von Ghowrmach im Westen bis nach Badakhshan im Osten – dass wir dort zur Zeit ausschließlich unter dem Gesichtspunkt Economy of Force arbeiten. Zwar führen die Amerikaner gemeinsam mit den Deutschen dort Operationen durch, aber diese dienen eigentlich auch nur dazu, die Lage zur Zeit stabil zu halten und nicht ein weiteres Fortschreiten oder Voranschreiten der Taliban zu ermöglichen.

TW: Also keine Verbesserung im Norden, so verstehe ich das.

Ramms: Zur Zeit noch keine Verbesserung im Norden. Wenn alle Kräfte da sind, werden die Handlungsmöglichkeiten besser werden. Und wir werden dann sehen, wie die Operationsführung für die Sicherheit, für die Stabilität und damit ja auch für Wiederaufbau und gute Regierungsfähigkeit Fortschritte leisten wird. Und man muss sich dann im Bedarfsfall darüber unterhalten, ob das was dort oben geplant ist, dann hinterher auch tatsächlich realisiert werden kann.

TW: Herzlichen Dank.